|21|3 Sportbezogene Motive und Ziele
Im vorangehenden Kapitel 2 haben wir bereits angesprochen, dass sportbezogene Motive und Ziele besonders relevante Merkmale für die Person-Sport-Passung sind. In diesem Kapitel vertiefen wir diese Thematik weiter. Wir erläutern, warum Motive und Ziele für eine regelmäßige Ausübung einer Sportaktivität so bedeutsam sind (Kapitel 3.1), welche Motive und Ziele vom Jugend- bis in hohe Erwachsenenalter existieren und wie sie erfasst werden können (Kapitel 3.2).
3.1 Bedeutung der sportbezogenen Motive und Ziele für das regelmäßige Sporttreiben
Was verstehen wir genau unter sportbezogenen Motiven und Zielen? Motive und Ziele geben eine Antwort auf die Frage, warum Personen Sport treiben bzw. treiben würden (vgl. Definition "Motive" und Definition "Ziele"). Dabei ist es offensichtlich, dass Menschen vielfältige Gründe nennen (Gut et al., 2019; Lehnert et al., 2011; Schmid et al., 2018).
Definiton "Motive"
Explizite Motive sind selbstzugeschriebene Bedürfnisse und bewusste Ziele (Kleinbeck, 2010). Sie können z.?B. durch Fragebögen erfasst werden. Implizite Motive sind hingegen unbewusst und daher nicht verbalisierbar und können nur indirekt erfasst werden, z.?B. durch projektive Tests. Bei projektiven Tests werden einer Person z.?B. Bilder mehrdeutiger Situationen gezeigt. Die Person wird aufgefordert, zu jedem Bild einen Text zu schreiben. Anhand dieser Texte werden dann Rückschlüsse auf die impliziten Motive der Person gezogen (Brunstein, 2010). Motive gelten zeitlich als mittelfristig stabil, d.?h., sie überdauern zumindest Wochen oder Monate.
Definition "Ziele"
Ziele sind kognitive Abbilder von gewünschten Ergebnissen, Ereignissen oder Prozessen (Austin & Vancouver, 1996). Beispielsweise kann ich das Ziel haben, mein Gewicht um zwei Kilogramm zu reduzieren (Ergebnis), an einem Lauf teilzunehmen (Ereignis) oder eine bestimmte Bewegungssequenz, z.?B. einen Crawl-Armzug, durchzuführen (Prozess).
Gleichwohl wird im Freizeit- und Gesundheitssport häufig einseitig das Motiv und Ziel Gesundheit angesprochen. Dies scheint zunächst nachvollziehbar, weil die Gesundheit für viele Menschen ein wichtiger Beweggrund ist. Als alleinige Basis für ein regelmäßiges Sportverhalten ist er aber meistens nicht ausreichend. So betonte bereits Fuchs (2003, S. 77), dass "eine Sportförderung, der es gelingt, das Sporttreiben schrittweise aus seiner Einengung auf das Ge|22|sundheitsmotiv zu 'befreien', [.] für die Gesundheitsförderung am wertvollsten [ist]".
Zwei Gründe sprechen für die Berücksichtigung der Vielfalt der sportbezogenen Motive und Ziele: Erstens ermöglicht der Einbezug verschiedener Beweggründe einer Person eine breitere motivationale Verankerung des individuellen Sportverhaltens. Ist eine Person nicht nur aus gesundheitlichen Gründen sportlich aktiv, sondern verfolgt sie weitere Motive und Ziele, so kann sie ihr Sportverhalten längerfristig besser aufrechterhalten (Fuchs, 2003). Zweitens steigt das Wohlbefinden einer Person, wenn sie ihre Ziele erreicht bzw. ihre Motive befriedigt werden. Diese Wohlbefindenssteigerung ist insbesondere dann stark, wenn die Person selbstkonkordante Ziele verfolgt (vgl. Definition "Selbstkonkordanz"; Gunnell, Crocker, Mack, Wilson & Zumbo, 2014; Sudeck & Conzelmann, 2014).
Definition "Selbstkonkordanz"
Die Selbstkonkordanz beschreibt, wie stark ein Ziel den persönlichen Interessen und inneren Werten entspricht (Seelig & Fuchs, 2006; Sheldon & Elliot, 1999). Je näher ein Ziel beim "Ich", desto selbstkonkordanter ist es.
Die Ziel-Selbstkonkordanz wird in vier Modi unterteilt (Seelig & Fuchs, 2006; Sheldon & Elliot, 1999; vgl. Abbildung 3-1): Im extrinsischen Modus wird ein Ziel wegen äußerer Anreize oder Zwecke verfolgt, beispielsweise, wenn der Arzt oder die Ärztin einer Person aus gesundheitlichen Gründen empfiehlt, sich mehr zu bewegen. Beim introjizierten Modus werden Ziele aufgrund verinnerlichter Werte verfolgt, die aber nicht die eigenen sind. Die Erfüllung bzw. Nichterfüllung dieser Werte ist mit negativen Emotionen, z.?B. Schuldgefühlen und Ängsten, verknüpft. Beim identifizierten Modus ist die Zielverfolgung ein Resultat bewusster Bewertungsprozesse, bei denen die Person zum Ergebnis kommt, dass das Ziel mit ihren Werten übereinstimmt. Beim intrinsischen Modus verfolgt eine Person ein Ziel um seiner selbst willen. Intrinsische Motive und Ziele sind eher tätigkeitszentriert, d.?h., sie richten sich auf positive Erlebenszustände, die während der Ausführung der Sportaktivität eintreten (z.?B. Bewegungsfreude, ästhetisches Bewegungserleben). Die vier Modi lassen sich auf einem Kontinuum von nicht selbstkonkordant zu selbstkonkordant anordnen (vgl. Abbildung 3-1). Im extrinsischen Modus ist die Selbstkonkordanz am tiefsten, im intrinsischen Modus am höchsten.
Wie die Ziel-Selbstkonkordanz das Verhalten beeinflusst, ist in Abbildung 3-2 ersichtlich. Selbstkonkordante Ziele werden mit anhaltenderer Anstrengung verfolgt als nicht selbstkonkordante. Dies führt dazu, dass die Zielerreichung wahrscheinlicher wird. Werden selbstkonkordante Ziele erreicht, führt dies zu positiveren Erfahrungen als bei nicht selbst|23|konkordanten Zielen, da eigene Bedürfnisse befriedigt werden. Dadurch profitiert auch das Wohlbefinden bei selbstkonkordanten Zielen mehr. Dieses erhöhte Wohlbefinden wiederum unterstützt die Aufrechterhaltung einer sportlichen Aktivität (Gunnell et al., 2014; Schmid, Gut, Schorno, Yanagida & Conzelmann, 2021).
3.2 Sportbezogene Motive und Ziele vom Jugend- bis ins höhere Erwachsenenalter
Zwar wird angenommen, dass Motive und Ziele mittelfristig stabil sind; was uns antreibt, sportlich aktiv zu sein, kann sich im Laufe unseres Lebens aber dennoch ändern. Nachfolgend erläutern wir, warum es zu einem Wandel kommen kann (Kapitel 3.2.1) und wie er konkret aussieht (Kapitel 3.2.2 und Kapitel 3.2.3).
3.2.1 Entwicklungsperspektive
Dass sich Ziele über die Lebensspanne verändern, wird in der Literatur häufig mit folgenden zwei Punkten begründet: Erstens wandeln sich Individuen aufgrund von Reifungs- und Alterungsprozessen von der Geburt bis ins hohe Alter in psychologischer (z.?B. Identitätsfindung im Jugendalter), körperlich-motorischer (z.?B. Abnahme der Kraft im höheren Erwachsenenalter) und sozialer Hinsicht (z.?B. Aufbau einer positiven, tragfähigen Beziehung zum eigenen Kind im mittleren Erwachsenenalter; Brunstein, Maier & Dargel, 2007; Havighurst, 1972). Durch diese Entwicklungen ändern sich auch die Themen, Anforderungen, vorhandenen Ressourcen und sozialen Rollen des Individuums (Backes & Clemens, 2008; Brunstein et al., 2007). Zweitens wandeln sich die Ziele aufgrund verschiedener Lebensereignisse (Filipp & Aymanns, 2018). Individuen erleben zum einen normative Lebensereignisse, die mit großer Wahrscheinlichkeit in einer bestimmten Altersphase auftreten (z.?B. Übergang vom Berufsalltag in die Rente). Zum anderen können sie mit nicht normativen Lebensereignissen konfrontiert werden, die unerwartet geschehen (z.?B. eine schwerwiegende Erkrankung).
Wenn wir davon sprechen, dass sich die sportbezogenen Motive und Ziele verändern, dann beziehen wir uns dabei nicht nur auf die Zielinhalte, die mehr oder weniger wichtig sein können, sondern auch auf die Zielorientierung:
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Zielinhalte: die Gründe, warum jemand sportlich aktiv ist oder zukünftig sein möchte (z.?B. Gewichtsreduktion, Stressabbau);
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Zielorientierung: die Ausrichtung eines Ziels auf den Gewinn und...