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Purcell Club
Der Purcell Club in der Pall Mall zeichnete sich durch seine Ausgefallenheit unter den Londoner Gentlemen's Clubs aus. Seine Einzigartigkeit manifestierte sich in der Abkehr von konventionellen Kriterien für die Mitgliedschaft wie Herkunft, Vermögen oder gesellschaftlichen Beziehungen. Hier stand nicht die Kenntnis des Namensgebers und Barockkomponisten Henry Purcell oder die Liebe zu seiner Musik im Vordergrund. Vielmehr waren Offenheit, Originalität und ein respektvoller Umgang mit anderen die entscheidenden Faktoren für die Aufnahme.
Die Clubregel, sich unkompliziert an laufenden Gesprächen zu beteiligen und andere Mitglieder zu Beiträgen zu ermutigen, prägte eine Atmosphäre der freien Meinungsäußerung und Kreativität. Jeder Augenblick im Purcell Club war eine facettenreiche Reise durch individuelle Perspektiven und Ideen.
Trotz der scheinbaren Offenheit unterlag die Mitgliedschaft einem strengen Auswahlverfahren. Empfehlungen kamen von verschiedensten Quellen und Menschen, sei es bei geschäftlichen Treffen oder alltäglichen Begegnungen; sei es während einer Bahnfahrt oder im Supermarkt. Die Bereitschaft, sich den herausfordernden Prüfungen zu stellen, leitete einen höchst anspruchsvollen Aufnahmeprozess ein. Vom Singen am Piccadilly Circus, Halten einer Rede an der Speakers' Corner, bei der niemand weglief bis hin zu zum Betreten des von Fans eines bestimmten Fußballklubs frequentierten Pubs im East End in einem Trikot der verhassten gegnerischen Mannschaft, laut geäußerter Kritik an der Auswahl der dort kredenzten Biere und anschließendem Sich-aus-dieser-Situation-wieder-Herausquatschen - die Herausforderungen waren vielfältig, originell und anspruchsvoll.
Die finale Entscheidung über die Mitgliedschaft erfolgte während des Blackballing, einer symbolträchtigen Zeremonie mit weißen und schwarzen Kugeln, durch eine Jury von zwölf Personen, die sich die Aufgaben ausgedacht und die Mitglieder bei der Ausführung begleitet hatten. Der alte Ledersack aus dem Nachlass von Henry Purcell wurde unter aller Augen geöffnet - und nur, wenn sich ausschließlich weiße Kugeln im Sack befanden, war die Bewerbung um die Mitgliedschaft erfolgreich.
Neue Mitglieder wurden unter den Klängen von Crown The Altar, Deck The Shrine gefeiert. Aber selbst diejenigen, die nicht erfolgreich waren und mit der Funeral Music for Queen Mary verabschiedet wurden, konnten stolz auf ihre Teilnahme an einer außergewöhnlichen Tradition sein.
Einer hatte es geschafft und eine andere eingeladen, mit der er gerade im Indian Queen Zimmer saß, das an der Schwelle zur Terrasse lag, auf der es heute ein wenig kalt und zugig war. Das Zimmer, das nach einer Oper von Purcell benannt war, hatte als dominierende Farbe ein verwaschenes Türkis. Die Möbel waren im Kolonialstil gehalten und an den Wänden hingen indische Motive von Gottheiten und Szenen aus der Zeit, als der Commonwealth noch Bedeutung hatte und der Einfluss der britischen Ostindien Company bedeutend war.
Der politischen Korrektheit halber war der 15. August 1947, der Tag der Unabhängigkeit Indiens vom britischen Empire, besonders inszeniert. Schwarz-weiße Fotos, Dokumente und Porträts von Politikern und Beteiligten machten klar, dass die Landkarten der Welt nun anders eingefärbt werden mussten.
Nahezu alle Tische im Indian Room waren belegt und der Geräuschpegel dementsprechend hoch. An den meisten saßen vier Personen, redeten und gestikuliert wild, nur an einem waren es zwei: Eine brünette Frau in einem eleganten braunen Kostüm mit beigefarbener Bluse und ein blonder Mann mit wirren Haaren in einem dunkelblauen Anzug mit Weste, von dem er gerade das Jackett ablegte, die Manschetten des weißen Hemdes aufknöpfte und die Ärmel bis zu den Ellenbogen aufrollte. Er blickte hoch zum Kellner, als dieser an den Tisch kam.
»Wie immer, Sir?«, fragte Blake Bishop in der weißen Livree eines Obers aus der Ära der britischen Ostindien Company. Er trug einen dunkelroten Turban und versuchte, mehr oder weniger erfolgreich, seiner Aussprache eine indische Färbung zu geben.
»Blake«, sagte Mehlos, »wirklich bemerkenswert, wie Sie es verstehen, sich an das Thema unseres Zimmers anzupassen. Schon deswegen haben Sie das Zeug zum Premierminister.«
Blake Bishop war ein Clubmitglied wie alle anderen, hatte aber seinen Spaß daran, an manchen Tagen in die Rolle des indischen Lakaien zu schlüpfen, die er gerade mit Hingabe ausfüllte. In diesen Momenten konnte ihn nichts davon abbringen, nicht der Banker zu sein, der eigentlich war und seinen starken Akzent aus Yorkshire zu sprechen, der in der City stets Anlass zu Parodien war.
»Sorry, Sir!«, sagte er mit treuherzigem Augenaufschlag, »nicht Blake, nicht Bishop. Mein Name Dinesh. Ist Herr der Sonne in Ihrer Sprache, Sir.«
Mehlos nickte verständnisvoll. Er hatte für einen Moment vergessen, wie ernst Blake seine Rolle nahm.
»Verzeihung, Dinesh, natürlich. Dann soll es so wie immer sein. Wir werden uns Traditionen oder Wünschen eines Angestellten der Ostindien Company selbstverständlich nicht widersetzen. Es sei denn, Joanna Santow ist anderer Meinung und möchte etwas anderes. Diese Impulse wären dann natürlich stärker für mich.«
Mehlos sah Santow an. »Zweimal High Tea ist Ihnen doch sicher recht, Santow, dazu Earl Grey, jede Menge Scones, Clotted Cream und ein paar Gurkensandwichs. Es gibt wirklich keine besseren als hier. Aber das wissen Sie ja.«
Ich bin einverstanden. Der High Tea im Purcell Club ist wirklich etwas Besonderes, Joanna Santow bewegte nur ihre Hände.
Sie war gehörlos und verständigte sich mit Gebärden und Lippenlesen. Wie Mehlos' Tante Mouse. Deswegen verstanden sich beide, denn auch Mehlos beherrschte die Gebärdensprache.
Außer das mit jede Menge Scones. Die sind dann wohl nur für Sie. Passen Sie nur auf, dass nicht irgendwann einmal das Bäuchlein so spannt, wie bei den Teletubbies.
»Fantastisch, Dinesh, dann sind wir im Geschäft«, sagte Mehlos und lächelte Blake Bishop an. Der verbeugte sich und ging an den anderen Tischen vorbei zur Küche, nicht ohne kurz von Clubmitgliedern in Gespräche verwickelt und gefragt zu werden, ob man denn auch in Indien nur wenige hundert Kilometer von der Hauptstadt entfernt nach Norden einen so interessanten Akzent sprechen würde, wie in Yorkshire. Aber alle bissen sich an Dinesh und seinen nur rudimentären englischen Sprachkenntnissen heute die Zähne aus.
Ich bekomme immer gute Laune, wenn ich hier bin, zeigte Santow und lächelte Mehlos an, wie haben Sie es eigentlich geschafft, hier Mitglied zu werden? Sie sind doch eher zurückhaltend .
»Oh, bei mir war das eigentlich der Klassiker, ich bin angesprochen worden. Von einer Dame. Meine Mutter hatte mich eigentlich vor einer solchen Situation immer gewarnt. Es war vielleicht vor 10, 12 Jahren in der Tube. Aus irgendwelchen Gründen hatte ich mein Ticket verloren. Ich vermute, es ist mir aus der Tasche gefallen, als ich einem der Busker ein paar Münzen gegeben habe, die ich, wie Sie wissen, lose in der Tasche trage. Ausgerechnet an diesem Tag wurde ich kontrolliert. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen: Es war in der Piccadilly Line zwischen Covent Garden und Holborn. Zwei Kontrolleure. Und jeder von denen sah so aus, als käme er gerade von sieben Jahren Einzelhaft.«
Nein!, Santow spielte Entsetzen und hielt sich die Fäuste vor den geöffneten Mund.
»Leider doch. Wie Sie wissen, gibt es nur drei Menschentypen, bei denen das Wort Kompromiss nicht im Vokabular vorkommt: russische Auftragskiller, albanische Organhändler und ebendiese Kontrolleure in der Tube. Vielleicht noch Londoner Politessen, wenn Sie falsch geparkt haben. Aber ich war, wie gesagt, mit der Tube unterwegs.«
Ich habe eine Vorstellung. Wie ging es weiter?
»Na ja, ich konnte auf die freundliche Anfrage hin kein Ticket vorweisen. Na ja, freundlich ist vielleicht ein wenig übertrieben. Es war ein wenig später am Tag und die Armen waren bestimmt schon übermüdet.«
Weiter!
»Meine Ausrede - das oben mit dem Busker und dem Kleingeld - konnte ich mir sparen. Diese Menschen hatten offensichtlich schon alles gehört. Vielleicht bekommen Sie auch Prämien für jeden, den sie erwischen und sind dementsprechend stumpf. Es folgte die Bitte um Ausweis und das ganze Programm. Oder Zahlen direkt vor Ort. Aber Geld habe ich ja so gut wie gar nicht bei mir. Und meine Kreditkarte wollte ich ihnen nicht geben.«
Santow runzelte ihre Stirn und sah Mehlos an.
Unsinn, Mehlos - Sie haben das Ganze als Sport gesehen und wollten so elegant wie möglich davonkommen oder einfach sehen, wie Sie mit dieser Situation fertig werden. Ohne Geld.
»Vielleicht haben Sie recht«, Mehlos nickte ertappt.
Wie haben Sie sich da rausgequatscht?
»Oh, da hatte ich wirklich Mühe. Mitleid zog nicht. Drohen genauso wenig. Ist denen doch egal, ob ich den Chef von London Transport, den Premierminister oder Robbie Williams persönlich kenne.«
Tun Sie das denn?
»Ja. Aber ich sage jetzt nicht, woher. Auch Spielen auf Zeit und Warten auf die nächste Station, an der sich die Türen öffnen und ich verschwinden konnte, waren keine Option.«
Sondern?
»Die gute alte Manipulation. Genauer gesagt, eine Kombination aus Autorität, persönlicher Nähe und Erfüllen von dem, was die beiden sich am sehnlichsten wünschten.«
Und das...
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