Schweitzer Fachinformationen
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Jan sah auf seine Uhr. Zum fünften Mal innerhalb der letzten zwei Minuten.
Es war zehn vor sechs. Noch immer saß er ganz allein im großen Besprechungsraum und wartete. Er hatte sich unbemerkt über den Flur des Kriminalkommissariats 11 geschlichen und war gleich links abgebogen, anstatt weiter bis zu seinem Büro zu gehen.
Die Gedanken an das, was vor einer knappen Stunde auf dem elterlichen Hof passiert war, ließen ihn noch immer nicht los. Mittlerweile hatte sich allerdings neben seiner Wut auch noch ein weiteres Gefühl dazugesellt. Er fragte sich, ob er nicht vielleicht überreagiert hatte. War das vorhin tatsächlich so schlimm gewesen, dass er seine Mutter derart vor den Kopf stoßen musste?
Er hatte keine Antwort darauf. Zumindest im Moment noch nicht. Was er jedoch wusste, war, dass er sich verletzt fühlte wie wahrscheinlich noch nie zuvor in seinem Leben. Warum hatten Isabel und Philipp ihre Beziehung vor ihm geheim gehalten? Und doch hatte seine übertriebene Reaktion nichts mit den beiden zu tun, sondern mit Cord und seinen Eltern. Und allem, was in den letzten neununddreißig Jahren seines Lebens passiert war.
»Hier findet jetzt eine wichtige Besprechung statt. Dürfte ich Sie bitten, den Raum zu verlassen?«
Jan fuhr herum und blickte einer Frau mit kurzen blonden Haaren in die Augen. Er schätzte sie auf Mitte dreißig.
»Genau deshalb bin ich hier«, entgegnete er. »Darf ich mich vorstellen, mein Name ist Jan Oldinghaus.«
»Das wusste ich nicht«, sagte die Frau. »Entschuldigen Sie bitte, Ihr Name sagt mir natürlich etwas. Ich heiße Lara Niehaus und bin seit einem halben Jahr Teil des KK 11. Schön, Sie kennenzulernen.«
»Gut zu wissen, dass wir jemand Neuen im Team haben«, sagte Jan mit einem Augenzwinkern. »Wir werden dann in Zukunft wohl des Öfteren miteinander zu tun haben.« Er streckte ihr die Hand entgegen, merkte aber sofort, wie steif diese Geste wirkte. »Auf gute Zusammenarbeit. Ich heiße übrigens Jan.«
»Lara.«
»Das war ja klar. Kaum zurück, und schon baggerst du die neue Kollegin an.«
Jan drehte sich wieder um. Kai Stahlhut stand in der Tür. Ein Kollege, der jahrelang als Kriminalkommissar für die Polizeiinspektion in Herford gearbeitet hatte und seit etwas mehr als einem Jahr ebenfalls Teil des Bielefelder KK 11 war. Stahlhut war jemand, der kein Blatt vor den Mund nahm. Bei Jan rief er nicht gerade die angenehmsten Erinnerungen hervor.
Er ignorierte den Einwurf und wandte sich wieder der neuen Kollegin zu. »Warst du heute am Fundort?«
»Ja, ich war kurz da. Aber ich gehe davon aus, dass ich nichts mit dem Fall zu tun haben werde. Wie du sicher weißt, haben wir hier noch andere wichtige Baustellen.«
»Natürlich.« Jan nickte, obwohl er nicht den Hauch einer Ahnung hatte, wovon die neue Kollegin sprach.
»Hallo, Jan, schön, dass du zurück bist.« Vera Jesse hatte den Raum betreten und streckte ihm die Hand entgegen. Sie war die Leiterin des KK 11, welches für Todesermittlungen, Sexualdelikte und häusliche Gewalt zuständig war.
Fehlt nur noch, dass sie mich siezt, fuhr es Jan durch den Kopf. Was zum Teufel war passiert, dass sie sich derart distanziert gab? Vera war in der Vergangenheit weniger seine Vorgesetzte als vielmehr eine Freundin gewesen. Früher war sie gelegentlich sogar als Backgroundsängerin bei den »Underdogs« eingesprungen. Bei seinem Abschied im vergangenen Jahr war sie nicht glücklich über seine Entscheidung gewesen, aber sie waren im Guten auseinandergegangen.
»Ich freue mich auch«, sagte Jan und merkte sofort, dass er alles andere als euphorisch klang.
Aus dem Augenwinkel erkannte er, dass nun auch die anderen Kollegen folgten. Thomas Horstkötter, mit dem Jan in seinen Jahren bei der Kripo selten mehr als einen Satz am Stück gewechselt hatte. Ein Eigenbrötler, der nie durch besonders großen Einsatz aufgefallen war. Bettina Begemann, die Jüngste im Team, mit der er sich zuletzt das Büro geteilt hatte. Er hatte sie als kleine Rebellin kennengelernt. Sowohl von ihrer Art her als auch von ihrem Kleidungsstil. Doch davon war nicht mehr viel übrig geblieben. Sie trug einen eng anliegenden Hosenanzug. Lediglich die kurzen Haare, die mittlerweile schwarz gefärbt waren und nicht so recht zu ihrem hellen Teint passen wollten, ließen den Schluss zu, dass sie auch mit diesem Outfit ihre Eigenwilligkeit zum Ausdruck bringen wollte.
Und dann betrat Cengiz Ergün den Raum. Er sah aus wie immer. Der harte Hund, mit dem Jan schon so manchen Fall aufgeklärt hatte. Cengiz zwinkerte ihm zu. Ein Zeichen, das Jan beruhigte. Offenbar war sein Kollege froh darüber, dass er so kurzfristig zur Krisensitzung erschienen war.
»Dann sind wir wohl vollzählig«, sagte Vera und machte mit einer Handbewegung deutlich, dass sie Platz nehmen sollten.
»Zuerst einmal möchte ich mich bedanken, dass ihr heute Abend alle hier seid«, begann Vera ernst. »Ich weiß, dass das nicht selbstverständlich ist nach allem, was ihr in den letzten Wochen bereits geleistet habt.«
Jan ließ seinen Blick über die Gesichter in der Runde kreisen. Offenbar wussten alle, worüber Vera sprach. Nur er selbst nicht. Sie saßen also gar nicht nur wegen des Todes von Henning Gronemeyer hier zusammen, sondern auch noch wegen einer anderen Sache, von der er keine Ahnung hatte. Cengiz hatte bei seinem Anruf schon angedeutet, dass Jan deshalb so dringend gebraucht werde, weil die Kollegen in andere Fälle eingebunden seien.
»Wie ihr wisst, ist heute Morgen allerdings eine weitere Angelegenheit dazugekommen, die möglicherweise noch brisanter ist, als uns generell, aber vor allem momentan lieb ist«, fuhr Vera fort. »Am liebsten wäre mir natürlich, wenn wir eine einfache Erklärung finden würden, die unsere Kapazitäten nicht allzu stark in Anspruch nimmt. Aber wir wissen noch nicht, wie Henning Gronemeyer ums Leben gekommen ist. Darum bin ich sehr froh, dass Jan heute schon dabei ist und sich bereit erklärt hat, früher als geplant zu uns zu stoßen. Willkommen zurück.«
Jan lächelte. Ein erzwungenes Lächeln, weil ihn Veras Worte irritierten. Er hatte sich nicht dazu bereit erklärt, früher zurückzukommen. Sie hatte es angeordnet. Und er war verantwortungsvoll genug gewesen, heute Abend hier zu erscheinen.
»Da wir kaum Zeit zum Atemholen haben, wird Jan so schnell wie möglich diesen Fall übernehmen. Sofern nötig und zeitlich einrichtbar, wird Bettina ihm zur Seite stehen. Alle anderen werden sich weiterhin um ihre bisherigen Aufgaben kümmern. Ich übergebe dann jetzt an Cengiz, der euch auf den neuesten Stand bringen wird.«
Jan zog für einen kurzen Augenblick in Erwägung, dazwischenzugrätschen, hielt sich jedoch fürs Erste zurück und wartete gespannt auf Cengiz' Ausführungen.
»Ich freue mich sehr, dass Jan seinen Selbstfindungstrip beendet hat und endlich wieder Teil unseres Teams ist«, sagte Cengiz und zwinkerte Jan dabei erneut zu. »Und deshalb halte ich es jetzt für angebracht, noch einmal zusammenzufassen, was wir derzeit wissen.«
»Ich fühle mich wie ein Polizeianwärter, der gar nichts weiß«, warf Jan jetzt doch mit einem Lächeln auf den Lippen ein und rutschte mit seinem Stuhl ein Stück zurück. »Worum handelt es sich denn bei dieser anderen Angelegenheit, die euch seit Wochen beschäftigt?«
»Ich wusste nicht, dass ihr auch international erfolgreich seid«, entgegnete Vera. Sie versuchte gar nicht erst, den Sarkasmus in ihrer Stimme zu verhehlen. »Durch welche Länder seid ihr denn den Sommer über getourt, dass du von einem der aufsehenerregendsten Verbrechen des Landes nichts mitbekommen hast?«
Jan fixierte seine Chefin. Was auch immer sie dazu veranlasste, ihn derart herablassend zu behandeln, allein die Enttäuschung darüber, dass er das Team ein Jahr lang im Stich gelassen hatte, wie sie es wahrscheinlich ausdrücken würde, konnte doch noch nicht ernsthaft der Grund für ihr Verhalten sein.
»Du weißt wirklich gar nicht, was hier los ist?«, fragte auch Cengiz noch einmal nach.
»Nein, tut mir leid. Wir haben auf der Tour komplett in unserer eigenen Welt gelebt. Und ehrlich gesagt war ich darüber auch mal ganz froh.«
»Das kannst du tatsächlich sein«, pflichtete ihm Cengiz bei. »Aber wundere dich nicht, wenn wir auf solche Sprüche etwas gereizt reagieren. Um nicht zu sagen, das will hier niemand von dir hören. Bei uns ist nämlich die Kacke am Dampfen, wie Kai immer so schön zu sagen pflegt.« Cengiz hielt kurz inne und blickte Jan tief in die Augen.
»Einer der undankbarsten und schwierigsten Fälle, an die ich mich erinnern kann. Wir müssen zwei Morde aufklären und haben seit Wochen nicht den leisesten Schimmer, was dahinterstecken könnte. Und wir können überhaupt nicht ausschließen, dass es noch einmal passieren wird.«
»Klingt nicht gut.«
»Das ist es auch nicht«, sagte Vera streng und stand auf. »Es wurden zwei Frauen innerhalb der letzten sechs Wochen umgebracht. Eine in Bielefeld-Sennestadt und eine in Schloß Holte-Stukenbrock. Beide Frauen starben in ihrer eigenen Wohnung. Wir gehen davon aus, dass sie jeweils kurz zuvor Geschlechtsverkehr hatten. Spermaspuren konnten nicht gefunden werden, aber Untersuchungen der Rechtsmedizin im Vaginalbereich der Frauen deuten darauf hin. Beide Opfer wurden mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, das erste zudem zu Tode stranguliert. Vielleicht verstehst du jetzt, weshalb wir hier keine Willkommensparty für dich feiern?«
»Du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, dass dies das Letzte wäre, was ich mir vorstelle oder wünsche«, antwortete Jan nüchtern.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich...
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