Schweitzer Fachinformationen
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Am Anfang war das Wort. Um genau zu sein, waren es diesmal sogar zwei Wörter, und das noch dazu auf Italienisch. »Che cazzo! - Was zum Teufel!« Ausgerufen vom Luca Bianchi, dem sechzehnjährigen italienischen Lover von Flora Nöhrer, der kleinen Schwester der Charlotte. »Oh Scheiße!«, hätten wohl die Flora oder die Charlotte gerufen, hätten sie die zweifelhafte Ehre gehabt, die entstellte Leiche mitten im Innenhof des Weinguts aufzufinden.
So aber hatte es den Luca getroffen, der mit seinem Vater die Herbstferien nutzte, um seiner Freundin im Norden wieder einmal einen Besuch abzustatten. Hatte ja niemand ahnen können, dass er nach der Geschichte im Frühsommer gleich bei seinem nächsten Besuch in Perchtoldsdorf schon wieder mit einer Leiche konfrontiert wurde.
Die morgendliche Kälte und der Schock ließen dem Luca das Blut in den Adern gefrieren, er konnte keinen Schritt mehr machen. Erst nach einigen Momenten ging er wie ferngesteuert auf den Körper zu. Es war wirklich kein schöner Anblick. Der Luca erkannte nur, dass es sich um einen Mann handeln musste. Am Hinterkopf klaffte ein riesiges Loch, das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit von Messerschnitten entstellt. Der Luca hielt sich die Hand vor den Mund und bemühte sich nach Kräften, das üppige Abendessen vom Vorabend bei sich zu behalten. Endlich löste sich der Krampf in seinem Bauch, er machte auf der Stelle kehrt und lief zurück ins Haus.
Laufen, laufen . Ja, er hatte eigentlich einen Morgenlauf machen wollen, aber so hatte er sich das nicht vorgestellt. Schon gar nicht gestern Abend, als er mit seinem Papa im Porsche Panamera aus Italien zu seiner Flora ins normalerweise recht beschauliche Perchtoldsdorf hinaufgedüst war.
Am frühen Samstagabend waren die beiden Italiener eingerauscht und hatten ihr Zimmer im Weingut der Familie Nöhrer bezogen. Obwohl - eigentlich hatte das nur der Papa Bianchi getan. Der Luca hatte sich schnurstracks bei seiner Flora einquartiert.
Was sollten die Eltern der beiden schon groß tun? In wenigen Tagen feierte die Kleine ihren sechzehnten Geburtstag, und dann konnten sie es sowieso nicht mehr verhindern. Für irgendwelche Ferkeleien aber war a) die Flora zu beschäftigt mit ihrem Schulprojekt und b) der Luca nach der gut neunstündigen Autofahrt zu geschlaucht (auch wenn er in seinem Alter noch nicht selbst lenken durfte). Nach einem feierlichen Willkommensabendessen (das hatte sich die Nöhrer-Mama keinesfalls nehmen lassen) waren alle todmüde ins Bett gefallen und hatten bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen.
Der Luca war um sechs in der Früh aufgewacht und wollte sich mit einem kurzen Morgenlauf die Müdigkeit aus den Beinen schütteln. Das schien ihm passend, vor allem in der eisigen Morgenluft dieses Novembermorgens. Weit war er aber nicht gekommen. Eigentlich nur ein paar Schritte. Denn kaum hatte er den Wohntrakt des Weinguts verlassen, war ihm sofort der reglose Körper aufgefallen, der vor dem Eingang zum alten Weinkeller mitten im Innenhof des Nöhrer'schen Weinguts lag.
»Lass mich!«, murrte die Flora verschlafen, als er sie rüttelte, um sie aufzuwecken.
»Nein, nein, du musst mitkommen!« Luca beharrte darauf, dass sich seine Freundin gefälligst aus dem Bett kämpfen und anziehen sollte. Immerhin konnte er sich inzwischen halbwegs verständigen, schließlich machte der Luca seit dem Winter, in dem er die Flora im Skiurlaub kennengelernt hatte, einen Deutschkurs. Wozu einen die Liebe nicht alles trieb .
Er wusste ohnehin nicht, an wen er sich sonst hätte wenden sollen. Die Charlotte aufwecken? Nein, das traute er sich nicht. Außerdem hatte die ältere Schwester von der Flora am Vorabend bei der Hiataeinzug-Vorfeier der jungen Weinhauer mitgemacht. Und die hatte wohl mit einem gewaltigen Kater geendet.
Den Noah alarmieren? Das ebenso wenig. Der neue Mitbewohner und Ziehsohn der Nöhrers war ihm nach wie vor etwas suspekt, auch wenn sich ihr Verhältnis während der Shakespeare-Morde im Sommer etwas gebessert hatte. Ganz recht war es ihm dennoch nicht, dass da jetzt ein Siebzehnjähriger unter demselben Dach schlief wie seine Flora. Noch dazu ein ehemaliger Stricher und Junkie. Also blieb nur die Flora. Sie wusste sicher, was zu tun war. Musste es einfach wissen. Aber zuerst musste er sie erst einmal richtig wach bekommen.
»Gnnnnhmmm«, stieß die Flora aus und wehrte sich gegen das frühe Aufstehen an diesem Sonntag. In ein paar Stunden begann der Hiataeinzug, und da wollte sie voll fit sein. Der Tag würde lange dauern, mit viel Alkohol und einer Afterparty, die in der ganzen Umgebung legendär war. Weinort, Volksfest und so weiter, da nahm man es mit den Jugendschutzbestimmungen nicht immer so genau. Schon gar nicht, wenn es sich um die Tochter eines der größten Weinbauern in der Gegend handelte.
Der Luca kannte aber keine Gnade. Schwungvoll zog er seiner Freundin die Decke weg, und jetzt war die Flora endlich wach. Und stinksauer.
»Was soll das?«, stöhnte sie und rieb sich die Augen.
»Im Hof. Ein Toter!«, hechelte der Luca aufgeregt.
»Ein Toter? Du spinnst ja! Wo soll der denn herkommen?«
»Keine Ahnung«, antwortete der Luca ehrlich. »Was sollen wir machen?«
Statt einer Antwort warf sich die Flora in ihr Gewand vom Vortag. Jetzt war keine Zeit, frische Kleider herauszusuchen. Eine Minute später stand sie zitternd und bibbernd im Hof. Vielleicht hätte sie sich doch die Zeit nehmen sollen, in einen Pulli zu schlüpfen. Nur so im T-Shirt war es schon saukalt. Vor ihr lag die Leiche, auf der Leiche ein beschmierter Zettel (der dem Luca zuvor gar nicht aufgefallen war) und gleich dahinter der Eingang zum alten Weinkeller, der das neueste Projekt ihrer großen Schwester war. Über ihnen breitete sich das Astgerippe des hundertfünfzig Jahre alten Kastanienbaums aus, der den Mittelpunkt des Innenhofs markierte.
»Oh Scheiße!«, fluchte die Flora (womit auch elegant die Brücke zum Anfang geschlagen wäre). Worauf der Luca nur bestätigend nicken konnte. Dann sagte er: »Wir müssen die Charlotte holen. Das ist eine Nummer zu groß für uns.«
»Hättest du das nicht gleich machen können?«, schimpfte die Flora. »Wieso weckst du mich dann überhaupt auf?«
Der Luca druckste herum und rückte schließlich doch heraus: »Hab mich nicht getraut.«
Die Flora schüttelte den Kopf. Klar, in der Früh nach einer durchzechten Nacht war mit ihrer großen Schwester nie gut Kirschen essen. Aber ein Toter im Hof? Da hätte sie dem Luca das Aufwecken garantiert verziehen.
Die beiden eilten zurück zum Wohntrakt und eine Treppe nach oben, dann standen sie vor dem Eingang zum Wohnbereich der Charlotte und der Andrea, ihrer Freundin. Die Flora kannte in einer solchen Situation keine Gnade und klopfte ein paarmal lautstark an die Tür. Nachdem keine Antwort kam, riss sie sie einfach auf und stürmte durch das kleine Vorzimmer mitten hinein ins Schlafzimmer ihrer Schwester. Die lag noch im Tiefschlaf und in den Armen von der Andrea.
»Aufstehen!«, schrie die Flora der Charlotte ins Ohr. Die fuhr erschrocken auf, knallte der Flora eine und drehte sich wieder um.
»Ja, spinnst du?«, schimpfte die Kleine, rieb sich die Wange und machte es dann wie zuvor der Luca bei ihr: Sie zog ihrer Schwester einfach die Decke vom Körper. Der Luca lief hochrot an, als er seine potenzielle Schwägerin völlig nackt erblickte. Zum Glück (?) wurden die Brüste seiner Schwägerin in spe durch ihre langen kastanienroten Locken verdeckt. Rasch wandte er seinen Blick zur Seite. Auch nicht besser und nicht weniger peinlich, denn die Charlotte hatte sich mit der Andrea eine Decke geteilt, und die Blondine zeigte sich nun ebenfalls von ihrer - bildlich gesprochen - besten Seite. Und bei ihr fielen die blonden Haare nicht über die Brust .
Der kleine Italiener hatte schon bei seinem letzten Besuch im Frühsommer festgestellt, was für einen Riesenverlust es für den männlichen Teil der Bevölkerung bedeutete, dass ausgerechnet die Andrea bisexuell war. Und die Flora hatte ihren Bonsai-Latin-Lover nicht nur einmal dabei erwischt, wie er der Andrea gierige Blicke nachgeworfen hatte. Okay, so ein Bonsai war er inzwischen gar nicht mehr. Seit dem letzten Winter hatte er einen gewaltigen Wachstumsschub durchgemacht. Für die Charlotte würde er aber ewig der »Bonsai-Lover« bleiben.
Der Luca musste alle Kraft aufwenden, um den inneren Schweinehund niederzuringen und nicht noch einmal zur Andrea hinüberzulugen. Nach ein paar Sekunden war der Kampf beendet. Mit einem K.-o.-Sieg für den Schweinehund. Gut, dass die Flora zu beschäftigt war, um zu merken, wie ihr Freund die nackte Andrea angaffte.
Daran verschwendete die Kleine gerade eben aber keinen Gedanken. Sie wollte nur endlich ihre Schwester aus dem Bett bekommen. Und sich irgendwie für die Ohrfeige von zuvor revanchieren. Auch wenn ihr klar war, dass sie nur eine Affektreaktion gewesen war, weil ihre Schwester vom Vorabend noch so einen grauslichen Kater hatte. Also kniff sie ihrer bald nur mehr vierzehn Jahr älteren Schwester fest in den Po, und damit war auch die Charlotte endlich wach. Die Andrea zog sich derweil im Halbschlaf wieder die Decke über den Kopf.
Der Luca atmete tief durch und konzentrierte sich auf die Charlotte. Keine gute Idee, die war ja auch noch immer nackt. Er beschloss, dass es jetzt genug war, und zog sich ins Vorzimmer zurück. Sollten die ragazze die Sache doch unter sich ausmachen. Was sie auch taten.
Fünf Minuten später erschienen die Flora und die Charlotte im Vorzimmer. Die Charlotte sah aus wie der Tod auf zwei Beinen: Ihre kastanienroten Locken fielen in ein bleiches Gesicht, in dem nur die schwarzen Augenringe...
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