Schweitzer Fachinformationen
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Tee und Kammermusik in der weitläufigen Stadtwohnung der Comtesse Mahler. In aufpolierter Gardeuniform eines Hauptmanns des 46. k.u.k.-Infanterieregiments schritt ich in den in geschmacklosen Rosatönen gehaltenen Salon, gefolgt von Mirko, meinem Neffen für jenen Nachmittag - einem Bild jugendlichen Charmes und Begeisterungsfähigkeit, den hämisch grinsenden Lysander auf dem Arm.
Als geübter Blender und Schauspieler weiß man mit der Zeit genau, wann es von Nutzen sein kann, mit exzentrischer Entourage zu erscheinen, und tatsächlich: Die Comtesse und ihre Gäste - zwei pastellfarbene Freundinnen und ein schnauzbärtiger Jüngling, wohl ein Student oder Leutnant in Zivil - waren hingerissen von unserem farbenfrohen Auftritt. Offiziere, die mit Otter und Neffen mit tragischer Vergangenheit reisten, schienen gesellschaftlich hoch im Kurs zu stehen.
»Welche Freude, Baron!« Mit einer Lebhaftigkeit, die ihre sonst so phlegmatische Art Lügen strafte, begann die Comtesse die Vorstellungsrunde. Ich präsentierte meinerseits: »Mirko Savic, der Sohn meiner unglücklichen Schwester« sowie »Lysander Sutcliffe.«
»Bitte wer?«, machte der Student oder Leutnant, dessen Namen zu merken mir aufs Äußerste widerstrebte, mit beredter Handbewegung.
»Mein Otter«, erklärte ich mit größtmöglicher Selbstverständlichkeit, was den drei Damen entzücktes Gekicher entlockte. Die Chancen standen gut, überlegte ich, während ich mich in taktischer Nähe zu der Dame des Hauses auf dem Sofa niederließ, dass wir auch nach unserem Abgang Hauptgesprächsthema bleiben würden.
Die Unterhaltung drehte sich bald um den Zusammenbruch eines bekannten Bankhauses, den der schnauzbärtige Jüngling schon seit langem vorausgesehen haben wollte, sowie die Pläne für die anstehende Sommerfrische der Comtesse Mahler.
»Es gibt nichts Tristeres als Preßburg im Juli!«, rief sie im Brustton der Überzeugung. »Seit der Graf und ich vor vier Jahren hierhergezogen sind, graut mir vor diesem Monat. Na, Sie werden es ja erleben, Baron. Sie bleiben doch über den Sommer hier?«
»Nun, wir dachten daran, in den nächsten Wochen nach Prag heimzukehren, doch Ihre Beteuerungen der sommerlichen Tristesse hier reizen mich beinahe, diese zu kosten.«
»Prag im Juli ist auch entsetzlich«, verlautbarte die Comtesse.
»Wo kommen'S denn eigentlich her, Baron? Außer vom Balkan, wollt' ich sagen«, fragte der Comtesse füllige Freundin in Gelb spitz, während sie einen Teelöffel in ihren ausgesprochen unschönen, fleischigen Händen drehte.
»Ich bin in Sarajevo geboren«, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß, auch wenn ich stark bezweifelte, dass ich ohne einen steifen Cognac in der Lage sein würde, einen Vortrag über mich ergehen zu lassen, wie langweilig meine Heimatstadt im Juli sei. Ungeachtet meiner langen Lehr- und Wanderjahre oder meines unrühmlichen Abschieds aus Sarajevo dachte ich doch immer noch mit einiger Nostalgie an die Stadt meiner Jugendzeit.
»Der Graf hat ein paar Monate in Ragusa gelebt«, zog die Comtesse Mahler eine recht großzügige geografische Schlussfolgerung. »Es hat ihm dort überhaupt nicht gefallen.«
»Zu viel Fisch und Nationalismus«, warf Mirko ein, der Lysander verstohlen mit ein paar Marzipanstückchen fütterte und unter strafenden Blicken übergangen wurde.
»Der Graf scheint sich außerordentlich viel auf Reisen zu befinden«, bemerkte ich scheinbar absichtslos, während ich mir gestattete, die Comtesse für einen Augenblick eingehend zu mustern. Hübsch war sie gewiss nicht, eine knochige Gestalt mit reizlos glattem, dunkelblondem Haar und plumper Gestik.
»Oh, dazu hat man ja Freunde, dass einem nicht zu einsam wird, nicht wahr, Elli?«, wandte das rundliche Geschöpf in Gelb sich an ihre peinvoll harmlose Freundin, die diese Äußerung auch noch mit einem netten, gedankenlosen Lächeln quittierte.
»So geht es nicht weiter«, setzte ich Lysander und Mirko auseinander, als wir eine Stunde später den Rückweg antraten. »Es ist ein Skandal, dass wir uns das noch antun müssen! Langweilige Damen der Gesellschaft bezirzen und Briefen nachjagen! Ebenso gut könnte ich als Gigolo mein täglich Brot verdienen und Lysander an ein Kuriositätenkabinett verkaufen.«
»Den Teufel wirst du«, zischte Lysander, der gegen den Regen in der weiten Kapuze meines Überwurfs Schutz gesucht hatte und nun wie ein feuchter Pelzkragen um meinen Hals lag.
»Oder ich könnte dich einfach an Allister Crowley zurückgeben; gewiss hat er seinen Unterricht in magischen Belangen noch nicht für abgeschlossen erachtet, als du deinen Abschied nahmst«, spann ich den Gedanken weiter. »Damit wäre mir zwar finanziell nicht sonderlich gedient, aber ich habe den Eindruck, ich würde mich persönlich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig wohlfühlen.«
»Ich glaube«, wagte Mirko nun einzuwerfen, »wenn zu deinem täglich Brot nicht unbedingt eine Belle-Etage-Wohnung gleich um die Ecke vom Hyberner-Haus und ein Benz zählten, wäre es deutlich einfacher bestreitbar.«
Lächelnd wandte ich mich zu dem Jungen um. Beinahe drei Jahre waren vergangen, seit ich jenen gewitzten kleinen Taschendieb und Gassenjungen in den Straßen von Brünn aufgelesen und ihm in weiterer Folge angeboten hatte, bei mir und Lysander in die Lehre zu gehen. Vieles hatte er bisher begriffen und gelernt, nur seine ausnehmend kleinbürgerliche Einstellung zu Luxus und Geld konnte oder wollte er nicht ablegen.
»Erinnere ihn bloß nicht an den Wagen, Mirko«, mischte sich Lysander, ungefragt wie stets, ein. »Sonst ärgert er sich gleich wieder darüber, dass er sich neulich die Startgebühren für die anstehende Grand-Prix-Fahrt in Wien hat leihen müssen.«
»Mit dem Preisgeld allerdings können wir uns in Anstand und Stil eine Zeit lang in einen pittoresken Fleck Provinz zurückziehen und jedweder extravaganter Freizeitgestaltung huldigen, die uns in den Sinn kommt«, führte ich zur Verteidigung meiner Passion an.
Mirko posierte in perfekt gespielter Nachdenklichkeit, die Augen halb geschlossen, den linken Zeigefinger an sein Kinn gelegt. »Oder«, verkündete er nach einer Weile, »wir können dich wie vergangenes Jahr aus einem Trümmerhaufen hervorwühlen. Ich darf erinnern, Esther hat beinahe der Schlag getroffen, als wir dich über und über bandagiert auf einer Bahre heimgebracht haben.«
In dem Gesicht des Jungen spiegelte sich eine kuriose Mischung aus Spott und Sorge wider.
Ich wandte den Blick ab. Vermutlich hätte ich seine Bedenken mit einem Lächeln oder einem Scherzwort zerstreuen können, doch ich fühlte, dass ich ihm ein wenig mehr Ehrlichkeit schuldete. In der verhältnismäßig kurzen Zeit, die seit unserer ersten Begegnung vergangen war, hatte Mirko es tatsächlich zuwege gebracht, mich und Lysander als eine Art Familie zu akzeptieren. Vielleicht musste man in einem Waisenhaus einer Provinzstadt aufgewachsen sein, um emotionale Bande zu einem derangierten Abenteurer und einem vor Jahrhunderten verschiedenen Earl, dessen rastloser Geist durch einen magischen Unglücksfall an den Leib eines Fischotters gefesselt worden war, entwickeln zu können. Dennoch: Vaterersatz für den Jungen zu spielen war eine Rolle, die sich nur wenig mit meiner Selbstwahrnehmung sowie charakterlichen Disposition vertrug.
»Dejan? Träumst du?«
Lysander riss mich aus meinen Gedanken. Erst jetzt nahm ich wahr, dass ich mitten auf dem regennassen Gehsteig stehen geblieben war, und das offensichtlich seit geraumer Zeit.
»Es tut mir leid«, murmelte Mirko, »den Unfall hätte ich wohl besser nicht erwähnen sollen.«
Der Unfall. Bei dem Grand Prix de Dieppe, letztes Jahr, hatte ich nach einer leichten Kollision die Kontrolle über meinen Wagen verloren und war von der Fahrbahn abgekommen, um an einer Mauer zu enden. Ein Abenteuer, das ich mit mehreren Knochenbrüchen und schweren Verbrennungen an linker Hand und linkem Unterarm einigermaßen glimpflich überstanden hatte, auch wenn ich danach monatelang das Bett hatte hüten müssen. Seither trug ich aus Gründen ästhetischer Rücksichtnahme stets einen langen Lederhandschuh an meiner Linken, wenn ich ausging. Mir persönlich jedoch begannen die Narben zu gefallen, waren sie mir doch sowohl Mahnmal der eigenen Sterblichkeit als auch Ausdruck des Umstands, dass das Schicksal es offensichtlich gut mit mir meinte.
»Ich habe nicht an den Unfall gedacht«, antwortete ich brüsk.
Lysander keckerte boshaft dicht an meinen Ohr. »Oh, natürlich nicht, wie könnte man nur annehmen, dass du nicht freiwillig hier im Regen Wurzeln schlagen willst.« Er hielt einen Augenblick inne. »Ich persönlich glaube ja, dass du jetzt, seitdem du bei dem Rennen in Wien angemeldet bist, sehr oft an den Unfall denkst. Und ich wollte dir lediglich in Erinnerung rufen - von Abenteurer zu Abenteurer -, dass es zuweilen tapferer ist, von Wagnissen zurückzutreten, als sich mutwillig in Gefahr zu bringen. Aber das ist wohl nur die bescheidene, persönliche Meinung eures hochverehrten Haustiers.«
Prag, am 7. Juni 1909
Meine Herren,
hättet Ihr Euren Hausverstand - so einer von Euch im Besitze desgleichen ist - angewendet, wäre Euch vielleicht schon früher eingefallen, dass eine Stadt wie Preßburg im Juni für drei kosmopolitische Musketiere wie Euch keinerlei adäquaten Zeitvertreib bieten kann. Es sei denn, es steht dem dekadenten Reisenden der Sinn nach fleischlicher Zerstreuung - eine liebe Freundin hat kürzlich ihr eigenes Haus eröffnet, »Salon Eugenie«. (Gott...
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