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Wenn ich die Augen schloss, stand immer dasselbe Bild vor mir: ein eisengrauer Pfahl, den ein umgekehrter dunkler Teller deckte. Er fand sich in der Wirklichkeit nirgends; jedenfalls hatte ich ihn draußen nie gesehen. Er war eines sehr frühen Tages vor dem inneren Auge aufgetaucht: Verkörperung des Familiennamens, in dem ein Stab gegen ein Becken schlug und einen metallischen Klang erzeugte. Urklang und Urbild. Denn das Bild markierte einen unhintergehbaren Anfang.
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Das Haus, in dem ich geboren wurde, gehörte in die Albertstraße, und die Albertstraße gehörte nach Regensburg. Sie hatte ihren Namen vom Fürsten Albert von Thurn und Taxis, schon zu dessen Lebzeiten, und weil er mein Taufpate war, hieß auch ich so. Nur durch einen Alleegürtel und den angrenzenden Teil des Schlossparks getrennt, residierte er meinem Geburtshaus gegenüber. Meine Eltern konnten im Winter, wenn die Bäume von Allee und Park sich entblättert hatten, zu der mit Türmen, Erkern und Giebeln geschmückten Fassade des südlichen Schlossflügels hinübersehen, hinter der die prachtvollen Treppenhäuser, die roten und gelben und silbernen Salons, das Spiegelkabinett und der Ballsaal sich den Blicken der Ausgeschlossenen entzogen. Allerdings nicht denen meiner Eltern, die sich bei einem «Hofball» im Fasching des Jahres 1934 hier kennen- und auf der Stelle lieben gelernt hatten. Die Zeit war reif gewesen - für sie und für mich.
Der Fürst kam zur Haustaufe des Erstgeborenen, ihm Dargebrachten. Schon stand fest, dass meine mir dreizehn Monate später nachfolgende Schwester wie die zur Albertstraße parallele Margaretenstraße den Namen der Fürstin, die ihre Ölgemälde mit «Margit» signierte, tragen und Margit genannt sein würde. Livrierte Lakaien standen, wenn die blau-rote Flagge die Anwesenheit der hohen Herrschaften verkündete, vor dem rückwärtigen Südeingang des Schlosses mit seinem der Wiener Hofburg angepassten spanischen Zeremoniell. Wenn wir ein paar Jahre später mit unserer Deta der Emmeramskirche zustrebten, überquerten wir eine Brücke, die sich über den das städtische vom fürstlichen Areal trennenden Graben schwang, und durchschritten ein Tor: den Eingang zum Schlossbereich. Die Brücke hieß wie die Straße, die entlang der Allee zu ihr führte, Helenenbrücke, das Tor Helenentor. Der Fürst hatte damit seiner Mutter ein Denkmal gestiftet, das zugleich seiner wittelsbachischen Abstammung gewidmet war. Die bayerische Prinzessin Helene war zunächst als Braut des Kaisers vorgesehen gewesen, von ihm aber zugunsten ihrer jüngeren Schwester verschmäht und durch die Heirat mit dem Vater des Fürsten nach Regensburg verpflanzt worden, wo sie mit einer Ersatz-Hofburg entschädigt wurde.
Denn nicht nur Wien ist eine Kaiserstadt. Hatte nicht Karl V. im «Goldenen Kreuz» zu Regensburg mit einer Bürgerstochter Don Juan d'Austria gezeugt, der in der Schlacht von Lepanto die Türken besiegen sollte? Im Reichssaal des Alten Rathauses sieht man noch heute den Stuhl des Kaisers unter einem Baldachin. Da saß er, wenn der Immerwährende Reichstag beriet. Natürlich nicht immer er selbst, der nur zu allen heiligen Zeiten in persona kommen konnte, sondern meist ein Stellvertreter. Und dieser Kaiser und Nicht-Kaiser in einer Person hieß Thurn und Taxis. Einen Kaiser zu repräsentieren kostete sehr viel Geld, und wer war der Reichste im ganzen Land? Der Generaloberstpostmeister, dem man sein Postwesen und seine in ganz Europa verteilten Postrechte, wenn nicht weg-, so doch abgenommen hatte - gegen Bezahlung, die sogleich in Grund und Boden verwandelt wurde. Das Fürstenhaus, das ungeheure Besitzungen angehäuft hatte, übersiedelte von Brüssel nach Frankfurt, wo es der Ruf des Kaisers erreichte, der 1748 seinen Umzug nach Regensburg veranlasste.
Es kam der 6. August 1806, mit dem das Heilige Römische Reich Deutscher Nation erlosch und damit der Immerwährende nicht länger währte. Da konnte mein Taufpate, Seine Durchlaucht Fürst Albert, sich noch so hochherzig um das Wohl der Regensburger verdient machen, konnte die Stadt seinem Vorfahren Carl Anselm für die Stiftung der Allee «zu Nutzen und Vergnügen der hiesigen Inwohnerschaft» einen Obelisken errichten, Blickfang im Fenster meines Geburtszimmers - es half nichts. Nie hatte der erfolgreiche Unternehmer eine Herrschaft ausgeübt, und weil es keinen Kaiser mehr zu repräsentieren gab, blieb nur übrig, sich selbst zu repräsentieren. Ein klassischer Fall von Inversion. Für ihre Verwirklichung wäre im Vergleich zu Regensburg, das seinen Status als freie Reichsstadt verloren hatte, um 1810 an Bayern zu fallen, ein anderer Ort geeigneter gewesen. Der seinerzeitige Fürst Carl Alexander wollte auch keinesfalls wittelsbachischer Untertan werden. Man dachte an Paris oder wenigstens Erfurt. Erst als der bayerische König von Napoleons Gnaden dem unnachgiebig an seiner Eigenständigkeit Festhaltenden weitgehende Privilegien zugestand, entschied er sich zum Bleiben.
Nichts hinderte nun mehr die autoerotische Apotheose. Man erwarb das säkularisierte freie Reichsstift Sankt Emmeram und gestaltete die uralt-ehrwürdigen Klostergebäude zu einer prunkvollen Residenz um. Ein gewaltiger brunnengeschmückter Innenhof erstreckte sich zwischen Süd- und Nordflügel, der neben der aus der riesigen Klosterbibliothek hervorgegangenen Hofbibliothek die Büroräume der Spitzen der Verwaltung barg. Hier lag am Ende eines Korridors, der mit schweren Teppichen jeden Schritt zur absoluten Lautlosigkeit dämpfte, das - natürlich französisch zu schreibende - Bureau meines Vaters, des Chefs der fürstlich Thurn- und Taxisschen Gesamtverwaltung. Höchst reizvoll erschien seinem Sohn die bis ins kleinste Detail konsequent konstruierte Maschinerie einer Hofhaltung, an deren Funktionieren der Vater, wie er nicht zweifelte, maßgebenden Anteil hatte.
Das Kind liebte solche inselhaften, von allen äußeren Einflüssen unabhängigen Lebenswelten. Im Kleinen hatte es schon einige scheinbar nach außen abgeschlossene autarke Enklaven kennengelernt: die Familie, zu der Köchin und Zimmermädchen sowie die Deta gehörten, die zwischen ihm und seinen Schwestern am großen Tisch im getäfelten Esszimmer an den Mahlzeiten teilnahm; dann die Kirche Sankt Emmeram mit dem Stadtpfarrer, den Kaplänen und den offenbar hauptsächlich ihre barocken Beichtstühle bewohnenden Austragspriestern, dem Organisten, dem mürrischen Mesner und den zahllosen Ministranten; schließlich die Volksschule mit der Lehrerin Fräulein Pfeffel, den Klassenkameraden, dem Religionslehrer Kooperator Seitz, dem täglichen Morgengebet im schallenden Chor nebst dem zum Abschluss vorgeschriebenen Hitlergruß. Aber das weitaus größte dieser Paralleluniversen war das Reich derer von Thurn und Taxis, ein Gestirn, das im leeren Weltraum um sich selber kreiste, sich selbst in der Schwebe hielt.
Ich war knapp siebzehn, als «mein» Fürst im Januar 1952 im Schlaf entschlief. Zwei Jahre zuvor hatte der Dreiundachtzigjährige mit seiner Margarete in der Emmeramskirche die diamantene Hochzeit gefeiert. Nun lag er aufgebahrt in der Gruftkapelle des in das Schloss eingegliederten Klosterkreuzgangs. Vor sogenannten Großen Herren war mir ein Leben lang nie recht geheuer. Aber das Verehrungspotential, über das jede Seele verfügt, die Sehnsucht, einen entsprechenden Adressaten zu finden - in meinem Fall hat der Fürst ein für allemal für Erweckung und Abhilfe gesorgt. Selbstverständlich ohne es zu wissen. Er kümmerte sich wenig um sein Patenkind, wahrscheinlich hatte er zu viele. Sein Tod war eine Zäsur. Denn auf einmal wurde das vertraute Phänomen zu einem Kapitel längst vergangener Geschichte, das in einer völlig veränderten Gegenwart nach wie vor inszeniert wurde. Erst jetzt verstand ich das Gefühl des Irrealen, das mich seit je diesen Prinzen und Prinzessinnen gegenüber verunsichert hatte, als würde mir, kaum dass ich einen ihrer Salons betrat, das spiegelglatte Parkett unter den Füßen weggezogen. Hier spielte jeder eine Rolle, als hätte er Pirandello als Autor gesucht. Es fiel mir immer schwerer, die anachronistische Maskerade einer haargenau vorgeschriebenen Kleiderordnung, eines das Heiratsverhalten und den Ablauf von Trauerzeiten starr festlegenden Hausgesetzes sowie einer rigorosen Sprachregelung ernst zu nehmen. Das Operettenhafte trat in den Vordergrund.
Und meine Eltern spielten mit. Beide waren viel zu natürlich, um das Scheinhafte dieses Theaterzaubers nicht zu durchschauen. Aber...
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