Eigenständigkeitserklärung
Immer mehr Umgebungsreize strömen auf die Menschen in der VUCA-Welt ein. Das Akronym VUCA (volatility, uncertainty, complexity, ambiguity) beschreibt die Merkmale der modernen Welt, die Menschen vor immer größere Herausforderungen stellen. Wir sehen verschiedenste Bilder, Autos, Werbeplakate, blinkende Leuchtreklamen und Menschen. Diese Umgebungsreize dringen blitzschnell in 150 Millisekunden - also etwa eine siebtel Sekunde - in unsere Wahrnehmung ein (vgl. Paal 2019). Zusätzlich zu den vielen visuellen Sinnesreizen nehmen hochsensible Menschen auch unterschiedliche olfaktorische Sinnesempfindungen, sowohl positiver als auch negativer Natur auf. Die Wahrnehmung erfolgt detailreicher, als normalsensible Menschen dies tun.
Beim Einkaufen werden Kunden mit Musik und Werbung in Dauerschleife berieselt, um deren Konsumkraft zu steigern. In den Innenstädten unterhalten sich Menschen in vielen verschiedenen Sprachen, Autos hupen, Radfahrer rasen an Fußgängern vorbei und in den öffentlichen Verkehrsmitteln ertönen die Durchsagen der nächsten Haltestellen.
Ein Großteil der Menschen ist diesen Umgebungsreizen tagtäglich ausgesetzt, doch die meisten davon nehmen diese Umgebungsreize vermutlich gar nicht wahr. Ca. 15% bis 25% der Weltbevölkerung nehmen diese Umgebungsreize jedoch viel intensiver und detailreicher wahr (vgl. Kagan 1994), was das Risiko einer Überreizung des Nervensystems zur Folge haben kann. In Fachkreisen und in der Wissenschaft nennt sich dieses Phänomen Hochsensibilität, Hypersensibilität oder Hochsensitivität (vgl. Trappman-Korr 2008, S. 3 f.).
Hochsensible Menschen weisen im Durschnitt zur Gesamtbevölkerung höhere Sensitivitätslevel auf und nehmen aufgrund einer besonders tiefen und feinen Umgebungswahrnehmung Reize und Stimmungen anders auf (vgl. Wyrsch 2020, S. 15). Das gesellschaftliche und mediale Interesse am Thema Hochsensibilität ist in den letzten Jahren merklich gestiegen (vgl. Fischer 2021). Immer mehr Menschen erkennen, dass sie dieses besondere Persönlichkeitsmerkmal in sich tragen. Auch Organisationen erkennen zunehmend, dass die herausragenden Kompetenzen ihrer High-Potentials, denen hochsensibler Menschen entsprechen. Zudem wird immer deutlicher, dass Hochsensibilität eine Zukunftskompetenz darstellt, die sowohl in der gesamten Gesellschaft, als auch in der Arbeitswelt von Nöten ist. Im Rahmen dieser Masterarbeit soll der Forschungsfrage nachgegangen werden, welche Erfolgsfaktoren wesentlich zur Integration von hochsensiblen Personen (HSP) in Organisationen beitragen. Zudem wird der Frage nachgegangen, ob sich der Einsatz und die Förderung von hochsensiblen Menschen positiv auf Organisationen, insbesondere auf die Organisationskultur sowie auf die Entstehung einer positiven Diversity- und Fehlerkultur auswirkt. Das Ziel der vorliegenden Masterarbeit besteht darin, Erfolgsfaktoren für eine gelingende Integration von HSP in Organisationen zu erstellen und daraus Gestaltungsempfehlungen auf den Ebenen der Organisation, der Führung und der Arbeitsplatzgestaltung abzuleiten. Für den Titel dieser Masterarbeit wurde die Metapher "Wie ein Quadrat in einem Kreis" gewählt, da dies sinnbildlich die Lebens- und Arbeitswelt von HSP beschreibt. Viele HSP beschreiben, dass sie sich seit frühester Kindheit als "fremd" und "andersartig" fühlen (vgl. Böttcher 2017), weshalb das Quadrat im Kreis eine passende Symbolik darstellt.
Um die besondere Lebens- und Arbeitswelt von hochsensiblen Menschen verstehen zu können, wird nachfolgend exemplarisch ein typischer Arbeitstag der fiktiven Arbeitnehmerin (Maja S.) vorgestellt, die wie jeder fünfte Mensch hochsensibel ist (vgl. Wyrsch 2018).
Draußen ist es noch dunkel, die ersten Vögel zwitschern und um 06:00 Uhr klingelt der Wecker von Maja. Sie wird völlig unverhofft aus einem Traum gerissen und geht noch schlaftrunken ins Bad, bevor sie sich für den Tag im Büro frisch macht. Während dem Zähneputzen überlegt Maja, wie ihr Tag heute werden wird. Auf dem Weg zur Arbeit sitzt sie in einer deutschen Großstadt in der S-Bahn und blickt aus dem Fenster. Wie in einem Tagtraum sieht sie verschiedene Stadtteile und Menschen an sich vorbeiziehen und ist vom Stimmengewusel und Gemurmel der anderen Menschen überwältigt. Zudem nimmt sie verschiedene Sprachen sowie Gerüche, wie z.B. alten Tabak, verschiedene Parfümsorten, etc. wahr. Um Kraft für den Tag tanken zu können, setzt sie ihre Kopfhörer auf und hört ihre Lieblingsmusik. Für sie sind dies die wertvollsten Minuten des Tages, da sie den Moment im Hier und Jetzt genießen kann. Aber das war nicht immer so. Maja hat im Laufe der Jahre durch ein spezielles Coaching gelernt, einen »Zwischenraum« zu bilden und genießt das Hier und Jetzt als absoluten Gegenwartsmoment, bevor sie an der nächsten Haltestelle aussteigen muss. Während dem anschließenden 15-minütigen Fußweg zum Büro überlegt Maja, was heute alles auf sie "einströmen" wird. Sichtlich erschöpft von den vielen Eindrücken, aber auch erfüllt durch den Gegenwartsmoment, kommt sie im Büro an und nimmt wahr, dass alle Kollegen schon im Büro sind und erste Diskussionen über den heutigen Tag führen. Genau genommen bräuchte Maja nun noch einen Moment, um sich zu sammeln. Da sie in einem Büro mit fünf weiteren Kollegen sitzt, ist dies aber leider nicht möglich. Maja arbeitet als Assistentin des Geschäftsführers in einem neu gegründeten Digitalisierungs-Startup und ist Ansprechpartnerin für alle internen und externen Anfragen. In dieser Masterarbeit werden Strategien erarbeitet, um Menschen wie Maja gut in die Organisation zu integrieren und dadurch die Organisationskultur nachhaltig zu verändern. Zudem soll herausgearbeitet werden, wie Organisationen und HSP voneinander profitieren können und ob sich die Beschäftigung von HSP förderlich auf die Organisationskultur auswirkt. Das Ziel dieser Masterarbeit besteht darin, ein Organisationsdesign zu konzipieren, welches zur guten Integration von HSP in Organisationen beiträgt sowie einen Mehrwert durch den gezielten Einsatz von HSP verschafft und zugleich eine Potenzialentfaltung ermöglicht.
Um den Leser dieser Arbeit einen Einblick in die hochsensible Wahrnehmung zu geben, eignet sich am besten ein Vergleich von Roemer. Stellen Sie sich vor, dass sie vier Gläser mit gefärbtem Wasser haben. Jeweils eines ist rot, gelb, grün und blau. Das rot gefärbte Wasserglas symbolisiert Hochsensibilität und die anderen Wassergläser andere Charaktermerkmale. Nun stellen Sie sich vor, dass Sie mit einer Pipette rotes Wasser entnehmen und jeweils ein paar Tropfen der Hochsensibilität in das gelbe, grüne und blaue Wasser geben. Das gelbe Wasser symbolisiert z.B. die Arbeitsorganisation und ist immer noch gelb gefärbt, hat sich jedoch durch die roten Tropfen verändert (vgl. Roemer 2018. S. 51). Übertragen auf den Organisationskontext bedeutet dies, dass sich Organisationen durch die in ihr wirkende Hochsensibilität verändern. Gleiches lässt sich auch mit dem grünen und blauen Wasserglas beobachten. Je nachdem, wie viel rote Farbe sich in einer Organisation befindet, desto intensiver wird die Farbsättigung (vgl. Roemer 2018. S. 51).
Um einen Überblick über den formalen Aufbau dieser Masterarbeit zu erhalten, wird dieser nachfolgend anhand der einzelnen Kapitel erläutert. Im ersten Kapitel erfolgt die Einleitung in die Thematik und die Nennung der Forschungsfrage. Hierzu wird exemplarisch auf einen typischen Arbeitstag der hochsensiblen Maja S. eingegangen, die stellvertretend für viele HSP steht und die Herausforderungen des Alltags, aber auch die zahlreichen Vorteile von Hochsensibilität darstellt.
Im zweiten Kapitel wird Hochsensibilität als Persönlichkeitsmerkmal sowie die relevanten wissenschaftlichen Theorien vorgestellt. Außerdem werden Unterscheidungsmerkmale zu normalsensiblen Menschen definiert und auf die fünf sensorischen Typen sowie den Selbsttest zur Identifikation von Hochsensibilität eingegangen. Zudem werden die Forschungen von Pluess et al. und Wyrsch vorgestellt, die Hochsensibilität als Hochsensitivität bezeichnen und so einen wissenschaftlichen Diskurs ausgelöst haben.
Im dritten Kapitel wird die paradoxe Ausgangslage aus dem Blickwinkel von Talent und Herausforderung bearbeitet. Für viele HSP stellt die Janusköpfigkeit eine enorme Herausforderung dar, die gleichzeitig das größte Potenzial birgt. Darüber hinaus werden typische Merkmale und berufsrelevante Softskills und Arbeitsstile vorgestellt. Zudem wird auf geeignete und ungeeignete Berufe eingegangen und spezielle Herausforderungen von HSP in der Arbeitswelt dargestellt.
Das vierte Kapitel befasst sich mit den speziellen Herausforderungen und Chancen für Organisationen durch den Einsatz von HSP. Des Weiteren werden in diesem Kapitel Herausforderungen auf organisationaler und auf Teamebene erarbeitet. Darüber hinaus wird auf die Pioniere des Wandels und deren Bedeutung für Organisationen eingegangen.
Im fünften Kapitel erfolgt die Erarbeitung eines Diversity- und Integrationskonzeptes von HSP in Organisationen. Zudem werden in diesem Kapitel die zentralen Erfolgsfaktoren einer gelingenden Integration vorgestellt sowie allgemeine Gestaltungsempfehlungen für Arbeitswelten und spezifische Gestaltungsempfehlungen auf den Ebenen der Organisation, Führung und Arbeitsplatzgestaltung entwickelt.
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