Schweitzer Fachinformationen
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Manchmal steht man vor Entscheidungen, die einem alles abfordern, bei denen der Verstand nicht hilft, höchstens, auf das eigene Herz zu hören. Dabei weiß man oft vorher nicht, ob man etwas Ehrenhaftes tut oder ob man die größte Dummheit seines Lebens begeht. So ging es mir in jenen Tagen, von denen ich erzählen will.
Es war später Nachmittag und immer noch sengend heiß. Ich war schweißgebadet unter meinem schweren Kettenpanzer, und die gleißende Sonne über den Höhen der Montagna Magna schien mir unangenehm in die Augen. Mit zusammengekniffenen Lidern beugte ich mich im Sattel vor und trieb meine Stute Alba voran. Ich hatte es eilig.
Statt wie die anderen unten am Fluss im Schatten eines Baumes zu verschnaufen, hatte ich nichts Besseres zu tun, als diesen in der Hitze schwelenden Berg hinaufzureiten. Ich wollte so schnell wie möglich San Marco Argentano erreichen, dessen winzige Dächer weiter oben im grellen Licht des Südens glitzerten. Robert Guiscard hatte den Ort vor ein paar Jahren erobert und zur Festung ausgebaut. Und dort wartete jemand, so spürte ich, der mein Leben verändern würde.
Es war das Geständnis, das dieser Hundsfott Tancred mir gerade gemacht hatte, völlig überraschend und so unwahrscheinlich wie ein wirrer Traum. Und doch hatte er geschworen, dass es wahr sei. Und nun musste ich mich selbst überzeugen.
Die Getreidefelder und Olivenhaine der Ebene lagen längst hinter mir. Die Straße schlängelte sich steil bergan zwischen Büschen und niedrigem Baumbewuchs hindurch. Zikaden zirpten ihr eintöniges Lied. Rechts und links ragten grauweiße Felsbrocken aus dem Gestrüpp und warfen die aufgespeicherte Glut des langen Sommertages zurück, sodass es sich anfühlte, als ritte man durch einen Backofen. Albas verdrossenes Schnauben verriet, was sie davon hielt, sich in der Hitze abzumühen. Nicht nur der Anstieg machte ihr zu schaffen, auch die unregelmäßigen, in der Sonne hart gebackenen Karrenfurchen, die sich beim letzten Regen tief in den Weg gegraben hatten.
Wir waren nicht allein, denn am Seil führte ich Saura mit, mein zweites Pferd, eine kräftige Fuchsstute. Eigentlich war sie ein lebhaftes Tier, doch jetzt folgte sie nur widerwillig. Und auch mein struppiger Abruzzenhund Loki schleppte sich lustlos mit hängender Zunge dahin. Beide hatte ich während meines kurzen Aufenthalts in Salerno aufgegabelt. Saura war eines von Roberts vielen Ersatzpferden gewesen, und der Hund war mir zugelaufen.
Inzwischen war ich an einer flacheren Stelle angelangt. Hier standen Rebstöcke in sauberen Reihen hinter einer niedrigen, aus Feldsteinen aufgetürmten Mauer. Ein paar Hundert Schritte weiter und von dunklen Zypressen umgeben lag die Hütte des Weinbauers. Sein Wachhund bellte kurz, sonst war es still, als hätten Mensch und Tier sich vor der Sonnenglut verkrochen.
Hinter mir hörte ich Thore rufen, mein bester Freund unter den Kameraden, mit denen ich einst aus der Normandie in dieses Land gekommen war. Mehr als einmal verdankte ich mein Leben seinem Geschick mit dem Bogen. Warum ich es so eilig habe, brüllte er, und ich solle doch verdammt noch mal auf ihn warten.
Widerstrebend zügelte ich die Stute im Schatten einer mächtigen Pinie. Darunter stand ein steinernes Christenkreuz, vor dem ein Strauß vertrockneter Blumen lag. Wie überall in Italia waren auch in dieser Gegend die Menschen treue Anhänger des Gekreuzigten, wobei sie hier vor allem nach den Bräuchen der Ostkirche beteten. Den Unterschied habe ich bis heute nicht verstanden, obwohl die Christen ihn sehr ernst nehmen.
Ich sah mich nach Thore um, dessen helles Haar wie eine Fackel in der Sonne leuchtete. Dabei wanderte mein Blick über die im grellen Licht flimmernde Ebene des fiume Crati unter uns, mit ihren abgeernteten Weizenfeldern, Olivenhainen und kleinen Bauernhöfen. Weit im Osten waren im Dunst noch schwach die blauen Berge der Sila Greca zu erkennen. Zur Linken und in nördlicher Richtung die Umrisse eines mächtigen Gebirgszugs, den sie Pollino nennen. Zwischen beiden verwandelte sich die fruchtbare Ebene in fieberverseuchtes Sumpfland, durch das der Crati sich wand, bis er in weiter Ferne ins Ionische Meer strömte.
Ein sanftes Lüftchen wehte von dort herüber, aber viel zu schwach, um den Schweiß auf dem Gesicht zu kühlen. Irgendwo da unten musste das Dorf sein, in dem Gerlaine von Sarazenen geraubt und entführt worden war.
Ich hatte schon vor Wochen davon erfahren und war deshalb den langen Weg von Salerno hierhergekommen. Schließlich war sie einmal meine Liebste gewesen. Ich wollte nicht, wie andere, mich einfach mit der Sache abfinden, auch wenn ich ihr jetzt kaum noch helfen konnte. Immerfort verfolgten mich quälende Bilder. Gerlaine in Ketten auf dem Sklavenmarkt oder im Palast eines reichen Mauren, schlimmer noch, in einem Hurenhaus. Vielleicht wurde sie gerade in diesem Augenblick erniedrigt, geschlagen, gequält. Bei solchen Gedanken wurde mir ganz übel, und der Hass auf ihre Entführer wollte mir schier den Atem rauben.
Aber wer konnte wissen, wohin man sie verschleppt hatte? Überall mochte sie jetzt sein. In Palermo, Tunis oder Kairo. Orte, von denen ich gehört, aber keinerlei Vorstellung hatte. Wie sollte man sie jemals wiederfinden? Zu diesem Schluss war auch ich am Ende gekommen. Und außerdem: Hatte sie mich nicht verlassen und sich diesem verdammten Tancred an den Hals geworfen? Was sollte ich mich einmischen? Wenn, dann war er es, der zuständig war, der sich darum kümmern musste, was mit seinem Weib geschah. Unsinnig, überhaupt den langen Weg hierherzureiten.
So hatte ich gedacht in diesen letzten Tagen unserer Reise. Das heißt, bis wir heute Nachmittag eben diesem Tancred und seiner Patrouille über den Weg gelaufen waren. Bis er mich aufgeklärt hatte.
»Was zum Teufel ist denn los, Gilbert?«, rief Thore, als er endlich bei mir angekommen war. Er fluchte über die Hitze und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Was hat Tancred dir geflüstert, dass du wie ein Wilder losgeritten bist?«
Ich wies mit dem Kopf auf die fernen Festungsmauern über uns. »Es scheint, dass ich einen Sohn habe. Dass er da oben auf mich wartet.«
Thore tippte sich an die Stirn. »Einen Sohn? Verdammt, Gilbert, für Witze ist es zu heiß.«
Es war in der Tat zu heiß. Die Gäule standen lustlos mit hängenden Köpfen da. Nicht einmal das frische Gras ein paar Schritte weiter schien sie zu locken. Thore zog den Stöpsel aus seiner Feldflasche und nahm einen langen Zug. Dabei lief ihm Wasser in den blonden Bart. Den Rest goss er sich über Kopf und Gesicht. Er war ein gut aussehender Kerl mit kräftigen Armen und breiten Schultern, der unbekümmert durchs Leben schritt, immer gern mit einem Scherz auf den Lippen. Er hatte so einen Blick an sich, der die Weiber schwach werden ließ. Eine Tatsache, die er schamlos ausnutzte.
»Ich wollte es zuerst auch nicht glauben. Aber Tancred behauptet, nicht er, sondern ich sei der Vater. Und das Kind sehe mir ähnlich.«
»Das will er dir weismachen? Aber Gerlaine hat doch ihn geheiratet und nicht dich.«
»Das haben sie alle Welt glauben lassen, damit es besser aussieht. In Wirklichkeit wollte sie gar nicht heiraten. Und dass der Junge von mir ist, hat sie ihm am Ende gebeichtet. So behauptet er jedenfalls.«
»Hol mich doch der Teufel!«
»Das hab ich auch gedacht. Aber warum sollte er lügen? Und natürlich ist er wenig erfreut darüber, um es milde auszudrücken.«
»Warum ist sie dann nicht bei dir geblieben, das verrückte Weib? Wenn sie doch von dir schwanger war?«
»Das fragst du noch? Wegen Hermelinda natürlich.«
Hermelinda und Geretrudis waren zwei hübsche Schwestern in Melfi, mit denen Thore, immer flott mit den Weibern, angebändelt hatte. Sogar gewohnt hatte er eine Weile bei ihnen. Sein Liebchen war Geretrudis gewesen. Und ich war ein paarmal bei ihrer Schwester schwach geworden. Das war, als Gerlaine ein Jahr lang hier in Argentano im Dienste von Roberts Frau verbracht hatte. Dabei hatte ich ihr vorher hoch und heilig die Treue geschworen. Irgendjemand musste ihr meinen Fehltritt geflüstert haben, und als ich dann von der Schlacht bei Civitate heimgekehrt war, war sie verschwunden. Zurück nach Argentano, hieß es. Ich solle mich zum Teufel scheren und nie wieder blicken lassen, hatte sie mir von Maria, der Schankmagd, ausrichten lassen.
»Scheiße!« Thore grinste gequält. »Tut mir immer noch verdammt leid, dass ich dich da reingeritten habe. Aber wenn man sich auf eines verlassen kann, dann ist es, dass die Weiber tratschen. Trotzdem. Sie ist ein verdammter Hitzkopf. Sich so einfach ohne ein Wort davonzumachen. Sie wollte sich wohl rächen.«
»Wäre damals nicht Roberts eiliger Auftrag gewesen, hätte mich nichts gehalten, ihr nachzureiten. Als ich es endlich konnte, hieß es, sie habe diesen Tancred geheiratet.«
Thore lachte. »Tancred, die Wühlmaus.«
Das war, als wir zuerst nach Kalabrien gekommen waren, eine abgerissene Truppe von drei Dutzend beutegierigen Kerlen. Roberts Bruder hatte ihm diese verlotterte Burg nahe Cassano zugewiesen, Scribla hieß sie. Ein Teil ihrer kleinen Besatzung war an den Dämpfen aus den Fiebersümpfen erkrankt, die anderen der Trunksucht verfallen und den Huren, mit denen sie gehaust hatten, umgeben von ihrem eigenen Unrat. Robert war so wütend auf Tancred, ihren versoffenen Anführer, geworden, dass er ihn verprügelt und zum Teufel geschickt hatte. Aber der hatte nicht gehen wollen, und am Ende hatte Robert nachgegeben. Um sich seiner würdig zu erweisen, hatte der Mann tagelang ohne Essen oder Schlaf ganz allein geschuftet und eigenhändig den Burggraben vertieft. Das hatte uns...
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