1. KAPITEL
Bunter Lichterglanz fiel auf Sebastian Case, forderte ihn lockend auf, einmal sein Glück zu versuchen. Er ignorierte das elektronische Gepiepse und Geklingel der Spielautomaten, die unablässig von Gewinn und Verlust kündeten. Glücksspiel hatte keinerlei Reiz für ihn. Harte Arbeit und Beharrlichkeit, an diese Dinge glaubte er, nicht an das Glück.
Unerwartet versperrte ihm ein Paar um die Sechzig den Weg. Die Frau beharrte darauf, dass es zum Büffet links herum gehe, während ihr Ehemann versicherte, sie seien beim Keno-Saal falsch abgebogen. Beide lagen falsch.
Bevor Sebastian um sie herumgehen konnte, hatte ihn die Frau schon ausgemacht.
»Vielleicht kann uns hier jemand helfen.« Sie lächelte ihn freundlich an, während sie nach einem Namensschild an seinem Anzug suchte. »Hallo . junger Mann. Ihr Hotel ist wirklich traumhaft. Aber auch etwas unübersichtlich. Wie kommen wir bitte zum Büffet?«
Offensichtlich hielt sie ihn für einen Angestellten. Kein Wunder, er war wohl der einzige Besucher des Casinos, der einen Anzug trug und nicht auch dort arbeitete.
»Halten Sie sich einfach rechts, dann sehen Sie es schon.« Er deutete in die gewünschte Richtung.
»Hab ich doch gleich gesagt.« Die Frau warf ihrem Mann einen triumphierenden Blick zu, obwohl sie selbst keine Ahnung gehabt hatte. »Danke schön!«
Sebastian nickte ihr kurz zu und ging dann weiter zu der Reihe von Aufzügen, die zu seiner Suite im fünfzehnten Stockwerk führten. Es wäre besser für Missy, dort zu sein, dachte er. Während er mit seinen Anwälten letzte Änderungen an dem Vertrag besprochen hatte, der den Erwerb von Smythe Industries besiegeln sollte, war seine Assistentin plötzlich wie vom Erdboden verschluckt gewesen. Das war beinahe sechs Stunden her.
Er kam ins Grübeln. Dreimal hatte er ihr auf die Mailbox gesprochen und ihr vier oder fünf E-Mails geschickt. Keine Antwort. Nicht ein Wort von ihr. Dabei war niemand zuverlässiger und tüchtiger als Missy. War sie etwa in Schwierigkeiten geraten?
Das laute hektische Las Vegas lockte die Touristen an, versprach ihnen großartige Erlebnisse und ließ sie dann mit faden Erinnerungen und leeren Taschen zurück. War Missy darauf reingefallen? Da sie aus einer kleinen Stadt in Texas stammte, konnte sie die Gefahren hier vielleicht nicht einschätzen. War sie gerade dabei, ihr Monatsgehalt an einen dieser Spielautomaten zu verfüttern? Womöglich hatte sie auch das Hotel verlassen und wurde nun auf der Straße von irgendjemandem belästigt .
Von einem der Würfeltische ertönte tosender Beifall. Gut, dass er sein BlackBerry auf Vibrationsalarm gestellt hatte, sonst hätte er nicht bemerkt, dass eine Nachricht eingegangen war. Er verlangsamte seine Schritte, als er das Handy aus der Jackentasche zog. Endlich hatte Missy geantwortet. Doch schon die erste Zeile der SMS ließ ihn erstarren.
Hiermit kündige ich.
Ungläubig las er die knappen Worte. Missy und kündigen? Nicht doch!
Seit vier Jahren war sie jetzt schon seine Assistentin. Sie waren ein Team. Wäre sie unzufrieden, hätte er es gewusst.
Hastig wählte Sebastian ihre Nummer. Nach viermaligem Läuten sprang die Mailbox an.
»Melde dich.«
Ohne abzuwarten schickte er eine SMS, weil er wissen wollte, wo sie war. Dreißig Sekunden später kam ihre Antwort.
In der Bar.
In welcher Bar?
Ungeduldig wartete er ab.
Im Zador.
Er rief sich den Grundriss des Casinos ins Gedächtnis und ging dann nach links. Ein kurzer Fußmarsch brachte ihn zum Zador. Die rot gestrichenen Wände, die schwarzen Accessoires und die asiatisch anmutenden Kunstwerke gaben Sebastian das Gefühl, an einem exotischen Ort gelandet zu sein. Längsseits der Wände tauchte eine Reihe stattlicher Aquarien, in denen Koikarpfen ihre Bahnen zogen, die Bar in schummriges Licht. Sebastian schritt den Raum ab, in der Hoffnung, Missy an einem der kleinen Tische zu entdecken. Sein suchender Blick wurde von einer Rothaarigen an der Theke abgelenkt.
Die Frau saß zum Barkeeper gewandt und war mit ihm in ein Gespräch vertieft. Von dort, wo Sebastian stand, konnte er ihr Lachen nicht hören, aber vermutlich war ihre Stimme rauchig und kehlig. Ein betörender Klang, den Männer so unwiderstehlich fanden. Sie saß auf dem Barhocker, die Beine seitlich übergeschlagen. Ihr kurzes Kleid gab den Blick auf ihre schlanken Waden und die schmalen Fesseln frei.
Auch ohne ihr Gesicht zu erkennen, war er bereits von ihr wie elektrisiert.
Ihre Ausstrahlung hatte eine solche Anziehung auf ihn, dass er sich dabei ertappte, schon in ihre Richtung zu gehen, bevor ihm der Grund für seinen Besuch in der Bar wieder einfiel.
Er schaute sich noch einmal um, doch Missy war an keinem der Tische zu sehen. Nun, das hatte auch noch etwas Zeit.
Erst mal wollte er diesen Rotschopf am Tresen kennenlernen.
»Nicht doch. Das hat er wirklich gemacht?«
Sebastian war nun nahe genug, um die Stimme der Rothaarigen wiederzuerkennen. Er zuckte zusammen. »Missy?«
Seine Assistentin wandte den Kopf und blickte ihn unter langen dunklen Wimpern hindurch an. Wäre sie irgendeine Frau gewesen, hätte er den langen, herausfordernden Blick als Flirt verstanden. Aber dies hier war Missy.
»Hallo Sebastian.« Ihre dunkle Stimme ließ ihn wohlig erschauern. Missy drehte sich ein Stück auf ihrem Barhocker und deutete auf den leeren Platz neben sich. »Joe, einen Tequila für meinen Boss.«
Sebastian ließ sich auf dem Stuhl nieder. Kaum zu glauben, was er da sah. Wo war denn ihre Brille? Der Blick aus ihren dunkelbraunen Augen begegnete ihm mit offener Neugierde. Sie wartete darauf, dass er irgendetwas sagte.
»Was soll diese Nachricht?«, wollte er wissen, wobei er sich nur mit Mühe von dem hinreißenden Anblick losreißen konnte. »Da hast du dir wirklich den passenden Moment ausgesucht, um zu kündigen.«
Sie schob das Schnapsglas in seine Richtung. »Dafür gibt es nie den passenden Moment.«
Er trank den Tequila, ohne auf dessen Geschmack zu achten. Der Alkohol brannte in seiner Kehle, aber dies war nichts im Vergleich zu der aufsteigenden Wärme in ihm.
Irgendwann in den letzten Stunden, seit sie beide aus dem Flugzeug gestiegen waren, hatte sie ihr dichtes kastanienbraunes Haar aus dem strengen Zopf befreit und um gut dreißig Zentimeter gekürzt. Ihre neue Frisur wogte und floss seidengleich über ihre Schultern. War ihr Haar schon immer so glänzend und lebendig gewesen? Er fühlte das Verlangen, durch ihre Haare zu streichen und mit den weichen Strähnen zu spielen. Beinahe konnte er die Berührung ihrer Locken auf seiner Haut spüren.
Sein Blick wanderte an ihr herunter. Sie hatte den unförmigen Hosenanzug gegen ein eng anliegendes Kleid getauscht, das ihre Brüste betonte. War ihre Haut eigentlich schon immer so hell und makellos gewesen? Oder schien es ihm nur so durch den Kontrast zu dem tiefen Schwarz ihres Kleides?
Und überhaupt, ihre Haut . hatte sie jemals so viel davon gezeigt?
Die Missy, die er kannte, war anständig und zurückhaltend. Die Frau auf dem Stuhl neben ihm dagegen machte aus ihrer Sinnlichkeit keinen Hehl.
Sebastian schüttelte den Kopf. »Was sagst du?«
»Ich sagte, jetzt bist du dran.«
Dran? Mit was?
Der Anblick ihrer Brüste war faszinierend. Er stellte sich vor, wie er sich vorbeugen und sein Gesicht in diesem einladenden Ausschnitt vergraben würde. Um sie mit seinen Lippen und seiner Zunge zu verwöhnen. Ihre zarten Brustspitzen zu liebkosen, bis sie vor Lust aufstöhnte .
Die Heftigkeit seines Verlangens erschreckte ihn. Er atmete tief ein. Ihr verführerischer Duft wirkte geradezu benebelnd auf seine Sinne.
»Sebastian?«
»Was?« Unwillig wandte er den Blick von ihrem verlockenden Dekolleté ab und schloss kurz die Augen, um sich zu konzentrieren.
»Stimmt was nicht?« Auf ihren Lippen zeigte sich etwas Geheimnisvolles und ausgesprochen Weibliches. Als ob sie seine Gedanken lesen könnte. Und daran Gefallen finden würde .
Was war nur mit dem bodenständigen und cleveren Mädchen passiert, auf das er sich in den letzten vier Jahren blind verlassen hatte? Vielleicht war es kein guter Einfall gewesen, sie nach Las Vegas mitzunehmen.
»Alles in Ordnung, danke.« Was um Himmels willen war los mit ihm? Er konnte nicht mehr klar denken. Beim Anblick des leeren Tequilaglases fragte er sich kurz, ob sie womöglich etwas hineingetan hatte. »Worüber haben wir geredet?«
»Über meine Kündigung.«
Ihre Worte brachten ihn auf den Boden zurück. Sein Verstand wurde wieder klarer.
»Warum willst du plötzlich kündigen? Möchtest du mehr Geld? Oder eine bessere Position?«
»Ich will heiraten. Und Kinder kriegen.«
Diese Enthüllung erschütterte ihn. Missy war ihm immer wie die typische Karrierefrau vorgekommen. Sein Bild von ihr war von ihrer Tüchtigkeit und ihrem Engagement geprägt, das sie für die Case Consolidated Holding an den Tag legte. Ganz sicher hatte sie ein Privatleben, mit Freunden und Liebhabern, aber davon bekam er nie etwas mit.
»Aber deswegen musst du doch nicht...