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Es gibt viele Sonderwege in der Geschichte. Einen davon haben die Italiener beschritten, als sie Anfang des 20. Jahrhunderts den Faschismus hervorbrachten. Auch wer überzeugt ist, daß der Faschismus im 20. Jahrhundert eine gesamteuropäische Bewegung war, muß davon ausgehen, daß diese ihren Ursprung in Italien hatte. So gut wie alle faschistischen Bewegungen in Europa, einschließlich des Nationalsozialismus, orientierten sich bei ihrer Entstehung am italienischen Faschismus, nur dieser hatte kein Vorbild, sondern stellte ein historisches Novum dar. Sich mit dem italienischen Faschismus zu beschäftigen, bedeutet daher, diesen aus sich heraus als ein Ergebnis der Geschichte des italienischen Nationalstaats zu verstehen. Seine europäische Dimension ergibt sich nicht aus seiner Entstehungs-, sondern aus seiner Wirkungsgeschichte.
Der italienische Faschismus kann nicht einfach als ein starres politisches System dargestellt werden, er hatte vielmehr eine Geschichte, im Laufe derer er mehrfach seine Form veränderte. Aufstieg, Herrschaft und Ende des Faschismus müssen als ein historischer Prozeß verstanden werden, in dem mehrere Phasen deutlich voneinander unterschieden werden können. Die Entstehungsgeschichte des Faschismus von 1919 bis 1922 kann zunächst als Phase der bezeichnet werden. Sie ging mit dem am 28.10.1922 zuende, durch den der Faschismus an die Regierung kam. Die Zeit von 1922 bis 1929 kann als entscheidende Übergangsphase angesehen werden, in der sich der Faschismus zur Diktatur entwickelte. Von 1929 bis 1943 reichte schließlich die eigentliche Diktaturphase des Faschismus, in der dieser sich als ein Regime besonderer Art darstellte. Dieses vom Verfasser schon vor längerer Zeit vorgeschlagene Verlaufsschema läßt sich in Anlehnung an Robert Paxton um eine Vorgeschichte und um einen faschistischen Epilog von 1943 bis 1945 erweitern, womit sich für die Geschichte des Faschismus in Italien insgesamt fünf Phasen ergeben.
Die Darstellung der Vorgeschichte des Faschismus soll verständlich machen, weshalb sich diese historisch neuartige Bewegung gerade in Italien herausgebildet hat. Es geht nicht darum, hier eine historische Zwangsläufigkeit zu unterstellen, wohl aber ist nach den Bedingungen der Möglichkeit zu fragen, weshalb sich gerade in Italien ein spezifisches Diktatursystem herausbilden konnte, das bis dahin in Europa nicht seinesgleichen hatte.
Wenn die Konstituierungsphase des Faschismus als Phase der bezeichnet wird, so entspricht das dem faschistischen Selbstverständnis. Der Faschismus verstand sich in seinem Ursprung als , nicht als . Das bedeutete im wesentlichen dreierlei: Erstens lehnte er es ab, sich einem bürokratischen Apparat unter einer womöglich oligarchischen Führung zu unterwerfen, er wähnte sich vielmehr in einem Zustand permanenter Mobilisierung. Auf diese Weise stilisierte er sich zur Antipartei gegenüber allen anderen Parteien. Zum zweiten war die faschistische Bewegung ursprünglich nicht programmgesteuert, im Vordergrund stand immer die . Wie wohl keine andere politische Bewegung des zwanzigsten Jahrhunderts war der Faschismus praxisorientiert. Diese Praxis war immer gewalttätig, der Faschismus wollte seine politischen Gegner nicht überzeugen, sondern vernichten. Das soll nicht heißen, daß ideologische Elemente keine Rolle spielten, aber die Ideologie war immer nachgelagert. Drittens schließlich hatte der Faschismus als Bewegung einen paramilitärischen Charakter, er verstand sich in erster Linie als eine Bürgerkriegsbewegung. Die militanten faschistischen Kampfgruppen (Squadre d'azione) stellten bis zum den eigentlichen Kern der Bewegung dar, die politische Organisation trat demgegenüber deutlich zurück. Auch nach seiner Machtübernahme erhielt der Faschismus diesen paramilitärischen Charakter aufrecht, da er neben der politischen Organisation des Partito Nazionale Fascista (PNF) mit der Milizia Volontaria per la Sicurezza Nazionale (MVSN) in organisatorischer Hinsicht einen militärischen Flügel beibehielt.
In der Konsolidierungsphase des Faschismus entschied sich, welches Machtgefüge er als Regime annehmen würde. Im Prinzip gab es drei Entwicklungsmöglichkeiten. Vielen Führern des extremistischen Provinzfaschismus schwebte eine Parteidiktatur vor. Die faschistischen Sympathisanten innerhalb des Bürgertums, die sogenannten Fiancheggiatori, gingen dagegen mehrheitlich davon aus, daß die faschistische Bewegung absorbiert und ein monarchisches Diktaturregime errichtet werden könnte. Benito Mussolini, der den Faschismus an die Macht geführt hatte, dachte dagegen weder an die eine noch die andere Diktaturvariante. Er verfolgte vielmehr die politische Doppelstrategie, eine persönliche Führerdiktatur zu errichten, die sich sowohl auf die faschistische Massenpartei als auch auf die nationalmonarchischen Eliten innerhalb des Bürgertums stützte, die seine Machtergreifung unterstützt hatten. Er hat diesen eigentümlichen Herrschaftskompromiß seit 1922 zielstrebig verfolgt und seit seinem Staatsstreich vom 3.1.1925 schrittweise durchsetzen können.
Die lange Regimephase des Faschismus zeichnete sich dadurch aus, daß Mussolini eine Art von Vermittlungsdiktatur ausüben konnte, mit der er sich sowohl über die Partei als auch die monarchisch orientierten faschistischen Sympathisanten stellte und als für beide Seiten unentbehrlich machte. Diese Diktatur war nicht bürokratisch vermittelt, schon gar nicht lag ihr eine klare institutionelle Regelung zugrunde. In Anlehnung an Max Weber kann man Mussolinis persönliche Diktaturausübung deshalb durchaus als bezeichnen.
Mussolinis Herrschaft baute auf persönlicher Loyalität auf, nicht auf sachlicher Zuständigkeit und fachlicher Kompetenz. Sie wurde durch einen Personenkult abgesichert, der die Beherrschten zu blinder Unterwerfung bringen sollte. Max Weber spricht in diesem Zusammenhang von «charismatischer Gefolgschaft», die auf der direkten Konfrontation mit dem beruhte, sei es in medialer Vermittlung oder sei es in persönlicher Begegnung. Mussolinis zahllose öffentliche Auftritte in organisierten Massenversammlungen finden hier ebenso ihre Erklärung wie die internen Audienzen, bei denen seine Entourage fast täglich bei ihm vorsprechen mußte. Als charismatischer Führer erschien Mussolini bei diesen Gelegenheiten stets als Repräsentation seiner selbst.
Mussolinis Führerautorität war jedoch nicht nur ein Ergebnis einer geschickten Performance, sie war vielmehr in hohem Maße erfolgsabhängig. Solange Mussolini politische Erfolge, die er vor allem in imperialistischer Gewaltpolitik suchte, vorweisen konnte, war ihm die Zustimmung der Italiener sicher. Der Massenkonsens ging zurück, als die vermeintlichen Erfolge ausblieben und die sich häufenden militärischen Niederlagen im Krieg den Glauben an den unfehlbaren dahinschwinden ließen.
Schließlich ist davor zu warnen, das idealtypische Konstrukt mit der historischen Realität zu verwechseln. Zunächst einmal ergab sich der Massenkonsens mit dem Faschismus nicht allein aus dem Dialog des mit der . Es handelte sich nicht um spontane Begegnungen, sondern durchweg um sorgfältig geplante Inszenierungen. Der Kult um den allgegenwärtigen wurde von einer gewaltigen Propagandamaschine organisiert und in Gang gehalten. Ebenso wichtig war, daß die propagandistisch zur Schau gestellte Harmonie zwischen und eine repressive Grundlage hatte. Die Führerherrschaft des beruhte auf politischer Einschüchterung, polizeilicher Überwachung und unerbittlicher Verfolgung jedes abweichenden Verhaltens. Der charismatische Führerstaat des Faschismus war ein Polizeistaat, was niemand stärker bewußt war als Mussolini selbst. «Konsens» und «Gewalt» waren für ihn zwei Seiten ein und derselben Medaille. Kurz und bündig formulierte er dies am 7.3.1923 in einer seiner ersten Reden als Ministerpräsident: «Wenn der Konsens fehlt, gibt es die Gewalt» (quando mancasse il consenso, c'è la forza).
Mit dem Sturz Mussolinis am 25.7.1943 ging das monarchisch-faschistische Regime zu Ende. Der konnte jedoch in Oberitalien im Auftrag der deutschen Besatzungsmacht nochmals ein...
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