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Kapitel 6
Williamson hielt einen Besen in der Hand und fegte die langen Gänge des Zentralen Kriminaldienstes in der Waterloostraße.
Ausgerechnet!, hatte Williamson gedacht, als sie das zum ersten Mal hörte. Dat is' mein ganz eigenes Waterloo!
An jeder Ecke stand Balustreit, zeigte mit dem Finger auf sie und lachte. Die Kaffeemaschine auf ihrer Etage lief über, Carola und Nicola standen mit Kopfhörern in den Ohren daneben, beide mit einem Teller Spaghetti in der Hand. Williamson floh in ihr Büro, wo Grüffelo an ihrem Computer saß und ein Glas Kölsch über die Tastatur kippte.
"Wat soll denn dat?", schrie Williamson sie an. Der Computer gab in regelmäßigen Abständen ein Piepsen von sich.
"Was soll was?", murmelte Bernd-Karl verschlafen.
"Hä?" Williamson fuhr auf.
"Du hast geträumt, es ist mitten in der Nacht." Aber das Piepsen des Computers aus dem Traum war geblieben.
"Dat is' mein Handy. Mist. Dat is' Grüffelo."
"Wer?"
"Grüff. ich erklär's dir später." Sie hämmerte auf den Tasten herum, bis tatsächlich eine Verbindung hergestellt war.
"Williamson!", blaffte sie in ihr Mobilgerät.
"Hallo Chefin, hier ist Grifo. Wir haben einen Toten am Maschsee. Beim Nordufer. Gegenüber vom Sprengel Museum, auf der anderen Seite des Lakeside Hotels, können Sie gar nicht verfehlen. Spurensicherung ist unterwegs. Genauso wie Cohen." Williamson seufzte.
Der erste Seufzer des Tages, dachte sie und schaute auf die Uhr. 1.42 Uhr.
"Okay, bin gleich da." Sie befreite sich aus ihrer Deckenflut und wandte sich an ihren Mann, der sein Gesicht auf seinem Arm abstützte und sie schmunzelnd betrachtete.
"Et tut mir leid, aber anscheinend gibt et in Hannover doch noch Verbrechen."
"Na, Gott sei Dank", grinste er, "sonst wäre meine Frau bald vor Langeweile gestorben."
Williamson schlüpfte in eines ihrer Kostüme, die sich nur farblich voneinander unterschieden: Verschiedene Brauntöne wechselten mit verschiedenen Grau- und Blautönen ab. Abgesehen davon bestachen sie durch ihre einzigartige Unförmigkeit. Dazu trug sie meist eine weiße Bluse oder auch schon mal einen Rollkragenpullover, so wie jetzt, denn es war Ende Januar in der niedersächsischen Landeshauptstadt empfindlich kalt. Sie gab ihrem Mann zum Abschied einen Kuss.
"Tschööö, minge Schatz."
In der Garderobe schlüpfte Williamson in ihre braunen Halbschuhe und in ihren Wintermantel, dunkelbraun, unförmig.
Sie schnappte sich die Autoschlüssel und stieg in ihren geliebten, acht Jahre alten Ford Fiesta.
Sie hatte eine ganz besondere Beziehung zu ihrem Auto. Es hatte sogar einen Namen. Williamson nannte es "Marianne". In ihrer Vorstellung war das Auto so etwas wie eine Freundin. Außerhalb ihrer Familie wusste das natürlich niemand. Das wäre ihr dann doch zu peinlich gewesen.
"Na, Mariannchen, et geht wieder los." Das vertraute Kribbeln stellte sich ein. Endlich konnte sie ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen.
Das eigens für Hannover angeschaffte Navi baute sich auf, und sie setzte an, ihr Fahrtziel einzugeben. Ratlos starrte sie auf die vielen Namen, als sie die ersten Buchstaben eingegeben hatte.
"Wat soll et", entschied sie und hämmerte einen Befehl ein. "Et hätt' noch immer jot jejange."
Kurz hinter dem Theater am Aegi tauchte links die Silhouette des imposanten Neuen Rathauses auf. Williamson hatte es für ein Schloss gehalten, als sie es das erste Mal erblickt hatte. "Nit gerade der Kölner Dom, aber ganz nett", hatte sie gemeint. Im Stillen war sie beeindruckt. Es war weitaus imposanter als das Kölner Rathaus, aber das hätte Williamson niemals zugegeben.
Dem Navi folgend, fuhr sie auf das Rathaus zu.
"Sie haben das Ziel erreicht", flötete die Dame im Navi. Williamson war verwirrt. Hatte ihre Kollegin nicht ein Hotel erwähnt? Na gut, manchmal gab es auch am Rathaus ein Hotel.
Sie stieg aus und erschauerte. Es war verdamp kalt. Und auch trotz des fahlen Mondlichts sehr dunkel. Von blinkenden Streifenwagen war weit und breit nichts zu sehen. Sie tauschte schnell ihre Schuhe gegen die Gummistiefel aus, die sie für solche Fälle immer mitführte. Besser, man war vorbereitet.
Die Kommissarin bog um die Ecke und blieb stehen. Alles still. Der See lag spiegelglatt vor ihr. Sie leuchtete mit einer Taschenlampe am Rathaus entlang und auf den See. Nichts.
"Verdamp, dat kann doch nit wahr sein!", fluchte sie, zückte ihr Handy und rief Grifo an. "Wo sind Sie?", fragte Williamson, "hier is' alles dunkel und verlassen. Dat Rathaus ebenso wie der See!"
"Rathaus?", fragte Grifo zurück, und Williamson konnte sie durchs Telefon förmlich grinsen sehen. "Sie sind am Maschteich, nicht am Maschsee. Ich erkläre Ihnen, wie Sie fahren müssen."
Williamson würgte ein "Danke" hervor und stieg wieder in ihre Marianne. Verdamp. Wenn das Cohen mitbekommen hatte, wusste es bald auch Balustreit und dann das ganze Kommissariat. Erst die blöde Kaffeemaschine, dann die Besenkammer und nun der Maschteich.
Nach kurzer Fahrt ragte links vor ihr der graue Betonklotz des Sprengel Museums auf, der sich im Mondschein schemenhaft gegen den Nachthimmel abhob. Halb links vor ihr lag der See, und da sah die Kommissarin auch schon das Blaulicht der Einsatzfahrzeuge, das die kahlen Äste der Bäume am Seeufer gespenstisch beleuchtete. Große Scheinwerfer waren bereits aufgebaut und strahlten die Szenerie taghell an. Gegenüber vom Sprengel Museum liefen mehrere Personen zwischen dem Radweg, dem kurzen Rasenstück und dem Uferweg des Sees hin und her. Sie musste zugeben, dass dieses Gewässer schon eher als See bezeichnet werden konnte, und schämte sich nur noch mehr.
Cohen hatte sein Hinterteil auf die Kühlerhaube von einem der Streifenwagen gehievt und rauchte.
"Oho, unsere isländische Urgewalt ist auch schon eingetroffen", dröhnte er und verzog den Mund so weit, dass Williamson seine Zähne aufblitzen sah.
"Ich komme aus Köln, nit aus Island!", knurrte sie und rauschte an Cohen vorbei. Es war immer das Gleiche. Aufgrund ihres Namens dachten viele, sie oder ihr Mann kämen aus Island oder hätten zumindest isländische Wurzeln. Sie wusste es nicht genau. Was sie wusste, war, dass sie aus Köln kam, ebenso wie ihre Familie und die Familie von Bernd-Karl, die seit Generationen in der "schönsten Stadt der Welt" lebte. Ob vielleicht im Mittelalter irgendwelche isländischen Wikinger oder so nach Köln gekommen waren und den Grundstein für die kölsche Familie Williamson gelegt hatten, mochte so sein oder auch nicht. Sie kam aus Köln, Bernd-Karl kam aus Köln, ihre beiden Familien kamen aus Köln. Basta.
"Ein Son ist doch wie der andere Son, nicht wahr?", spottete Cohen. Wenn Grifo ein Geschenk von Dr. Habernickel war, dann war Cohen die Strafe. Er war der Stachel in ihrem Fleisch, die Spucke in ihrer Suppe. Da er Sascha Cohen hieß und damit fast so wie irgendein durchgedrehter Schauspieler, nannten ihn alle auf dem Kommissariat nur "Baron".
"Sacha Baron Cohen, der Schauspieler", hatte Grifo Williamson gleich am ersten Tag aufgeklärt. Am Abend hatte sie sich von Carola erklären lassen, wer der Schauspieler war, und sich auch einige Bilder im Internet angesehen. Der Schauspieler Sacha Baron Cohen hatte so viel mit Sascha Cohen aus dem Kommissariat im ZKD in der Waterloostraße gemeinsam wie Ecstasy mit Schlaftabletten. Das Problem war, dass Williamson seitdem vor ihrem inneren Auge des Schauspieler Cohens neongelben, hautengen Badeanzug an des Kriminalbeamten Cohens weniger durchgestyltem Körper kleben sah. Sie bekam dieses Bild einfach nicht aus dem Kopf. Manchmal half es, mit Cohens überheblicher Art fertig zu werden. Manchmal nicht.
Inzwischen war Williamson an der Leiche angekommen, die von den Tauchern aus dem Wasser geborgen worden war.
"Wat haben wir?", fragte sie in die Runde und schob einen in einen weißen Overall gekleideten Halbstarken aus dem Weg. "Wissen wir schon, wer der Tote is'? Wie lange war er im Wasser? Gibt et Anzeichen dafür, wie er gestorben is'?"
Das Jüngelchen hatte inzwischen sein Gleichgewicht wiedergefunden.
"Nein, wir wissen noch nicht, wer der Tote ist. Er hat etwa zwei bis drei Stunden im Wasser gelegen, Genaueres kann ich erst nach der Obduktion sagen. Anzeichen dafür, wie er gestorben ist, haben wir in der Tat." Der junge Mann beugte sich über die Leiche, die zweifelsohne männlich war, und drehte mit der gummibehandschuhten Hand den Kopf ein wenig zur Seite. Williamson beugte sich über den Toten.
"Hier!" Der Junge zeigte auf eine kreisrunde Wunde am Hinterkopf. "Stumpfe Gewalteinwirkung. Könnte ein Schlag mit einem entsprechenden Gegenstand gewesen sein."
"Nichts für ungut, junger Mann", sagte sie und blickte sich um, "aber ich möchte doch gerne mit dem verantwortlichen Rechtsmediziner sprechen und nit mit einem Berufsanfänger." Auf leisen Sohlen, was typisch für Grifo war, war diese hinter die Kommissarin getreten.
"Darf ich vorstellen?", fragte sie süffisant. "Das ist Dr. Sven Michellsen vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule in Hannover."
Williamson richtete sich langsam auf. Dr. Sven Michellsen? Doktor? Wann hatte der denn seinen Doktortitel gemacht? Mit fünfzehn?
"Freut mich", sagte Michellsen und reichte ihr seine Hand. "Sie müssen Williamson sein, die isländische Kölnerin."
Sie klappte den Mund auf und...
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