II
Aufgehört hatten wir mit seinem Brief vom 22.11. und seinen folgenden kennst du.
Ja, aber auch den möchte ich zum besseren Verständnis noch einmal lesen.
Peene., d. 1.12.67
Es war vor langer Zeit und grauen Jahren, dass es ein Weiblein und ein Männlein in einem Büro zusammenführte. Am 1. Dezember anno 1966 begab es sich, dass es dem Esel zu wohl wurde, und er aufs Eis ging. So verließen sie beide leicht verknattert das Büro, der Worte nicht viele wechselnd. Auf dunkler, kalter Straße sprach er zu der Maid: "Achte Sie darauf, dass Sie sich nicht auf die Zunge beißt, denn Sie bekommt sonst eine gar heftige Blutvergiftung."
Und dann geschah es ihm.
Am Donnerstag, den 1. Dezember, hatten wir im Büro Tanne, eine Adventskerze, und ich kokelte - eine meiner Lieblingsbeschäftigungen in der Vorweihnachtszeit. Ihm dabei wieder einmal seine Arroganz vorwerfend, beantwortete er mit: Wenn man Sie so sieht, denkt man, Sie wären ein Engel und ahnt nicht, was dahintersteckt. Das war der Tag, an dem er etwas auf sich zukommen sah.
Du hörst doch immer so gerne Märchen von mir. Da hast Du eine märchenhafte, wahre Begebenheit.
Wie ich Dir in unserem aufregenden Telefongespräch angedeutet habe, werde ich tatsächlich als UKW-Funker eingesetzt. Es ist ja nun mal im Leben so, es gibt ein Gebiet der Technik, das mich ganz und gar nicht interessiert, und das ist alles, was mit Funken zusammenhängt. Ich habe da so eine Kollegin, die jetzt orakeln würde: "Wer weiß, wozu das gut ist."
Gestern war ich richtig im Ausgang. Ich habe vier Viertel Bier getrunken und ein Kalbssteak naturell mit jungen Erbsen gegessen. Es hat himmlisch geschmeckt. Wie es mir im Normalfall geschmeckt hätte, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hätte ich über irgendetwas gemeckert. Da hast Du kleine Hexe den ersten Erfolg von den erhofften Erziehungsmaßnahmen. Und das bereits nach vier Wochen. Da kannst Du Dir vorstellen, was in achtzehn Monaten aus mir wird. Nun schrei nicht gleich Hurra, erst mal abwarten. Vorher wurden wir belehrt, wie man sich im Ausgang zu verhalten hat. Und dann ging's los. Mit dem schönen Anzug, der wunderhübsch gegen den Mantel ist. In dem sehe ich aus, wie eine schwangere Lerche.
Ja, und heute war ich Haare schneiden in einem ausgesprochenen Saftladen. Ich sehe Dich die Augen verdrehen und höre Dich stöhnen: Du und Dein Haarschnitt. Zwei Friseusen, ich glaube, die meisten Soldaten kennen die nicht nur vom äußeren Ansehen her, die einen sogenannten Formschnitt in acht bis zehn Minuten hinlegen. Mir ist beim Zusehen angst und bange geworden. Als ich dann dran war, habe ich der Maid meine Wünsche vorgetragen. Erst wurde das ganz große Klasse mit Wellen, die Laien immer reinkriegen, wenn sie keine haben wollen. Dann hat sie über eine dreiviertel Stunde gepriemt und nun sehe ich noch ein bisschen so aus wie ich.
Im Moment liege ich im Bett und habe Dein Bild neben mir.
Liebchen, halte den "Ernst" in Ehren, damit er wieder zu Ehren kommt. Ich werde heute viel von Dir träumen, hoffentlich nicht zu doll. Jetzt lege ich Dich in Dein Bett zurück und träume auch Du von mir.
Liebchen, es war schön, Deine Stimme zu hören. - . .
Mein Prinz konnte gut selbst Erdachtes vortragen, in dem ich die Hauptrolle spielte. Auf dem Sofa redete er uns dann das Leben schön, denn wie bei Märchen üblich, hatten seine ein positives Ende.
In der Grundschule - 1. bis 8. Klasse - bemühte sich meine Deutschlehrerin, mich davon zu überzeugen, dass ich eine gute Lehrerin abgeben würde, da ich so etwas "Durchgreifendes" hätte. Wenn in einer ihrer Klassen Stunden ausfielen, setzte sie mich dort ein, um Geschichten erzählend, die Schüler ruhig zu halten - wobei mir meine blühende Fantasie zu Hilfe kam. Da die in Bezug auf Jan und mich traurig umflort war, steuerte ich unseren Märchenstunden unter anderem Nacherzählungen aus dem Reich der Belletristik bei, wie zum Beispiel von Edgar Allan Poe. Wir konnten über dessen Krimiversuch lachen, bei dem er zum Schluss "dem geneigten Leser" überließ, das Ende zu erdichten, weil er nicht mehr weiterwusste. Oder aus »Die schönsten Geschichten der Welt« - nicht ohne Hintergedanken - die von der »Maltakatze«, einem kleinen, nicht so schönen, von Flöhen zerstochenem Polo-Pferd, das trotz steifer Beine seinem Reiter zum Sieg verhalf.
Neubr., d. 3.12.67
Er war zu einem Lehrgang für UKW-Funker nach Neubrandenburg geschickt worden.
Liebes Liebchen!
Du hast mich einmal gefragt, ob ich wüsste, wie das ist, ein Wochenanfang ohne Post von mir. Weißt Du, wie das ist, den letzten Brief, den ich von Dir habe, hast Du am Mittwoch geschrieben. Und heute ist Sonntag, der erste Advent.
Liebchen, ich habe irgendwie ein komisches Gefühl. Ich weiß nicht, was es ist und kann es nicht begründen. Wenn irgendetwas ist, schreibst Du mir, ja?
Immer, wenn ich dabei bin, Dir einen Brief zu schreiben, finde ich alles so albern, und wie mir ist, kann ich sowieso nicht in Worte fassen. Wenn ich ihn dann zugeklebt habe, habe ich zehn Minuten später das Bedürfnis, Dir zu schreiben, mit Dir zu sprechen. Sage mal, wann liest Du denn mein Geschriebenes? Nimmst Du Dir auch so richtig Zeit und Muße, um dann hier zu sein?
Es ist schön, dass es Dich gibt, wenn Du auch bedauerlicherweise viel zu weit weg bist. Aber einmal ist auch das vorbei, und ich werde Dich wieder ganz richtig fühlen.
In Neubrandenburg sind dieselben Sterne wie in Ungarn!!
Der Standort ist ansonsten ein großer Reinfall für uns; ein Sauhaufen ersten Ranges, dreckig und verludert und dann das Essen. Unter aller Kanone. Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie die hier leben, fressen und ihre Esssachen sauber halten. Deren Plastik-Geschirr würdest Du sofort in den Mülleimer werfen.
Der erste Advent ist nun vorbei, und ich wünsche Dir viel Spaß mit meinem Weihnachtskalender. So musst Du beim Öffnen jeden Tag einmal an mich denken.
Ich gebe welche auf Anne, die immer beißt. - . .
Neubr., d. 6.12.67
Liebste Kollegin! - So fing es einmal an.
Dieser Brief wird zu einem feierlichen Anlass geschrieben und dementsprechend ist hier die Atmosphäre. Frisch gewaschen und rasiert, gecremt und gepudert wie ein rosiger Säugling liege ich auf dem Bauch und schreibe langsam, weil Du dann langsam lesen musst und Dir so recht der Größe des Augenblicks bewusst wirst.
Ich hoffe, dass Dich dieser Gruß an Deinem Ehrentag erreicht und möchte Dich trösten. Ich denke zwar, dass Du, wenn Du den Brief in Deinen Händen hältst, bereits im Kreis Deiner lieben Kollegen gefeiert hast, jedoch in einer besinnlichen Stunde holst Du sie noch einmal hervor und liest sie gemach.
Du wirst nun 26 Jahre alt und bist nach Deiner Weltanschauung ein "altes Mädchen". Dazu muss ich Dir sagen, Liebste, Kollegin, es gibt Schlimmeres als 26 Jahre alt zu sein, und ich kenne einen Jemand, der sehr glücklich wäre, wenn er zu diesem Zeitpunkt schon 27 Jahre alt wäre.
27 Jahre alt hätte bedeutet, dass er irgendwann lediglich für drei Monate als Reservist eingezogen worden wäre. Wir wurden im selben Jahr geboren, beide an einem Montag - verunglückte Sonntagskinder.
Klein Hexie, ich wünsche Dir viele gute Sachen: große, 1,82 m und kleine aus Gold, wenig Arbeit und viel Geld, eine gute Aufnahme- und Abschlussprüfung, viel Erfolg bei den Erziehungsversuchen an Deinen Vorgesetzten und Arbeitgebern, keinen Ärger mit Deinen Eltern, einen Sonnentag, wenn Du zum Friseur gehst, den richtigen Griff bei Deiner nächsten Haarfarbe, eine warme Wohnung ohne Kabelbrand und dass der Ofen morgens gleich anbrennt, viel Glück mit Deinem Fernsehgerät und jeden Tag eine Rose in Deinem Zimmer.
Jetzt ist es 17.30 Uhr und wir haben gerade geabendbrotet. Das sah dann folgendermaßen aus: Eine Butterstulle mit Jagdwurst, eine mit Rollmops, und dann hätte es nur noch Trockenbrot gegeben. So habe ich mir zusätzlich vier Stullen mit selbst gekauftem Schmalzfleisch eingeholfen. Heute Nacht wird die Galle lachen. Ich kann Dir versichern, hier lerne ich essen und werde ich in ferner Zukunft ein Betriebsessen wunderschön finden. Jetzt kicherst Du bestimmt und sagst: Wusste ich es doch.
Der Lehrgang an sich ist nicht aufregend. Es ist ein Viel an Menge, aber ohne jede Schwierigkeit. Na, das wäre ja auch ein Ding, wenn in diesem Idiotenhaufen bei irgendeiner Arbeit Geist gebraucht würde. Der Jugendfreund, der bei uns den Unterricht hält, ist von Beruf Strippenzieher
War unsere verulkende Bezeichnung für die Elektriker-Kollegen.
und hat sich das bisschen Funkwesen erst bei der Fahne angenommen. Nun quält er sich durch einige theoretische Gebiete wie Schwingungs- und Wellenlehre, Elektrotechnik . Da er ja nur seine Pflicht erfüllen muss, lasse ich ihn ruhig spinnen.
Liebchen, ich möchte Dir sagen, wie ich fühle, nur würde sich das wie Courths-Mahler anhören.
Wer war...