Schweitzer Fachinformationen
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There are three things extremely hard: steel, a diamond, and to know one's self.
(Benjamin Franklin, 1750)
Der Begriff des "360°-Feedback" bezeichnet Verfahrensansätze zur Einschätzung vorrangig von Führungskräften (aber auch Professionals u.?a.) aus der Perspektive verschiedener Beurteiler-Gruppen (v.?a. Vorgesetzte, Kollegen, Mitarbeiter und Selbst). 360°-Feedbacks dienen überwiegend der Entwicklung der im Mittelpunkt stehenden Personen (Fokuspersonen) und sollen dazu beitragen, deren Kompetenzen im Sinne eines aktuellen oder zukünftig gewünschten Anforderungsprofils entfalten zu helfen. Hierzu wird jede Fokusperson auf einer Anzahl von tätigkeitsrelevanten Kompetenzen eingeschätzt (Fremdbeurteilungen), um aus den daraus zu erstellenden Urteilsprofilen einen Abgleich mit ihrer eigenen Sicht (Selbstbeurteilung) vorzunehmen.
Das 360°-Feedback, das erst in den 1980er Jahren allmählich aufkam (Fleenor & Prince, 1997, S.?51), erweitert die im deutschen Sprachraum weit verbreiteten Ansätze der Beurteilung einer Führungskraft durch ihren Vorgesetzten ("Top-down-Ansatz") und die Beurteilung einer Führungskraft durch ihre Mitarbeiter ("Bottom-up-Ansatz") um einen multiperspektivischen Zugang. Als Urteilsgeber treten neben die Vorgesetzten und Mitarbeiter der Fokuspersonen auch deren Kolleginnen und Kollegen sowie bei Bedarf auch andere relevante Dritte (z.?B. Kunden). Zusätzlich schätzt sich die Fokusperson auch selbst ein.
Das 360°-Feedback lässt sich als systematischer Einschätzungsprozess von relevanten Personen (zumeist Führungskräften) einer Organisation auffassen. Die Beurteilung ist multiperspektivisch angelegt und berücksichtigt zusätzlich zur Selbsteinschätzung der Fokusperson verschiedene Gruppen aus deren Arbeitsumgebung (normalerweise sind dies ihre Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeiter). Die Feedbackpraxis im deutschsprachigen Raum sieht die Freiwilligkeit der Teilnahme als essenziellen Baustein für erfolgreiche Feedbackprozesse an. Das Feedback bezieht sich auf tätigkeitsbezogene Kompetenzen, Fähigkeiten oder auch Verhaltensstile von |2|Fokuspersonen. Als Methode wird in der Regel die Form der überwiegend standardisierten Befragung gewählt, wobei die ursprünglichen schriftlichen Formen inzwischen zunehmend durch internet- bzw. intranetgestützte Applikationen abgelöst worden sind. In der Phase der Befragung erfolgt die Einschätzung in meist anonymer Form, in der Phase der Rückmeldung kann die Anonymität aufgehoben werden, z.?B. wenn in Workshops die Ergebnisse zwischen der Fokusperson und ihren Feedbackgebern aufgearbeitet werden. Im Sinne eines Best-Practice-Ansatzes ist das Feedback in ein Management- oder Führungskräfte-Entwicklungsprogramm eingebettet.
Als Quellen der Beurteilung (Rückmeldung) kommen Personengruppen (Feedbackgeber) infrage, die mit der Fokusperson (Feedbacknehmer) in kontinuierlichem Kontakt stehen und diese vergleichsweise zuverlässig beurteilen können:
die Vorgesetzten des Feedbacknehmers (vertikales Feedback von oben),
seine Kollegen (horizontales Feedback von der Seite),
seine Mitarbeiter (vertikales Feedback von unten),
Kooperations- oder Projektpartner im eigenen Unternehmen (dispers),
Kunden und/oder Zulieferer und schließlich
die oder der Beurteilte selbst.
In der Praxis aber werden in der Regel nicht alle oben genannten Beurteiler-Gruppen einbezogen. Der hierzulande am stärksten verbreitete Feedbackansatz stützt sich idealtypisch auf die Urteile der Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeiter sowie auf die Selbsteinschätzung der oder des Beurteilten (siehe Abbildung 1). Jeder dieser vier Gruppen wird in der Terminologie der Winkelgeometrie ein Kreisanteil von jeweils 90° zugewiesen, sodass sich die 360°-Perspektive ergibt. Feedbackvarianten, die weniger als vier Urteiler-Gruppen einbeziehen, müssten demnach streng genommen entsprechend anders bezeichnet werden (z.?B. als "270°-Feedback", wenn lediglich Vorgesetzte, Mitarbeiter und das Selbsturteil berücksichtigt werden). Der Prägnanz und der kommunikativen Wirkung wegen, die mit der Kreismetapher "360°" verbunden sind, verzichten Anwender jedoch gemeinhin auf eine perspektivenstimmige Begriffsabwandlung.
Da das 360°-Feedback bzw. entsprechende Feedbacksysteme die Rückmeldung aus mehreren unterschiedlichen Personenquellen vorsehen, eröffnen sie einen multiperspektivischen und multipersonalen Zugang zur Wirkung der in Rede stehenden Fokusperson auf andere. Mit diesem Rundum-Charakter der Einschätzung soll möglichen Verzerrungen einer einseitigen, womöglich interessengebundenen Sichtweise nur einer Gruppe von Beurteilern entgegengetreten werden - denn gute Noten nur von einer Seite sagen längst nicht immer die ganze Wahrheit. Eine vollständigere Wahrheit ist fraglos die (eben |3|multiperspektivische) "Wahrheit im Plural" (Sarges, 2007) oder um es existenzphilosophisch auszudrücken: "Wahrheit gibt es nur zu zweien" (Arendt, 2013).
Im Übrigen dürfte nicht zuletzt der Feminismus die zentrale Bedeutung des persönlichen Standpunkts verankert haben. Unterschiedliche Menschen in unterschiedlicher Position oder Rolle sehen die Welt unter Umständen verschieden. Daher sollte eine Pluralität der Perspektiven die häufig noch konkurrierende Forderung nach einer singulären "Objektivität" endlich ersetzen (Solomon & Higgins, 2000, S.?231). Anders ausgedrückt: "The . judgment of knowledgeable others provides the best available point of reference . for assessing someone's personality" (Hofstee, 1994, S.?149).
Neben dem multiperspektivischen Zugang ist der Aspekt des Feedbacks das zweite zentrale Bestimmungsstück. Feedback ist nämlich ein Schlüssel für die fortlaufende Verbesserung der Effektivität einer Führungskraft, dennoch ist es nach wie vor noch eher ein seltenes Ereignis im täglichen Leben innerhalb von Organisationen (Leslie, 2013, S.?1). Führungskräfte erhalten zwar Rückmeldungen aus ihrer täglichen Arbeitsumgebung, diese beziehen sich jedoch überwiegend auf das Erreichen von Zielen oder auf die ihnen zugeschriebenen Leistungen, weniger jedoch auf die Wirkung ihres Verhaltens. Bisweilen erhalten sie ein Feedback auch "über Umwege" von Personen, mit denen sie gar nicht in einem direkten Tätigkeitskontext stehen, etwa in der Art "ich habe von Herrn X gehört, dass er große Stücke auf Sie hält". Oft wissen sie also gar nicht, wie sie von anderen gesehen werden. Top-Manager |4|müssen zudem damit rechnen, dass sie, wenn sie im direkten Gespräch um Rückmeldung bezüglich ihres eigenen Führungsstils bitten, z.?T. recht geschönte (diplomatische) Antworten erhalten. Unstrittig ist demgegenüber der Wert von validem Feedback: In der Regel ist es eine wirksame Quelle für Lernen und Verbesserung (siehe Kluger & DeNisi, 1996) auch und gerade im Bereich von Verhaltensoptimierungen ("Feedback is the breakfast for champions"; Blanchard, 2009). Feedback stimuliert die Selbstentwicklung (nicht nur) von Führungskräften, indem es auf mögliche blinde Flecken in der Selbstwahrnehmung weist und somit Reflexionsprozesse in Gang setzen kann.
Bei der Analyse von Eindrucksvergleichen von Selbst- und Fremdbildern können sich diagnostisch höchst aufschlussreiche Konstellationen ergeben. Schon die beiden möglichen Befundmuster, dass das Selbsturteil und zugehörige Fremdurteile bei fast allen Beurteiler-Gruppen (etwa bei Vorgesetzten, Kollegen, Mitarbeitern, Kunden) übereinstimmen, oder umgekehrt: voneinander abweichen, besitzen hohe Erklärungskraft bei wichtigen Erfolgskriterien. Aber auch filigranere Konkordanzen und Diskordanzen bei den Selbst- und diversen Fremdurteilen können eignungsdiagnostisch (für Selektion oder Platzierung) und interventionsbezogen (für...
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