Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Der schwärzeste Mann in München ist beiläufig der Ministerpräsident Held, der blondeste bestimmt der Generalmusikdirektor Knappertsbusch. So schwarz wie jener und so blond wie dieser sind aber nicht viele Münchner. Die meisten befleißigen sich eines Aussehens und einer Haltung der Mitte. Extreme sind nur zeit- und fallweise erlaubt. Auch Hitler ist, nein war (denn er »ist« kaum noch!) eine Saisonerscheinung. Man ließ ihn reden, man ließ ihn putschen - aus! Das Stadtbild von München, das er von Fremdstämmigen reinigen wollte, hat ihn verschluckt und verdaut. Er ist nur noch ein historisches Exkrement.
Held hält länger. Er ist von weiter her als Hitler. Der ist ein Innviertler, Held aber ein Hesse. Von je weiter einer nämlich herkommt, desto mehr passt er nach München. Es ist ein Fremdenziel - ein Ziel fürs Leben. Es ist eine Menschenfalle. Da kommt einer aus Ostpreußen, um im Gebirge vierzehn Tage Ski zu fahren - fünfzig Jahre später wird er in »unserm« Waldfriedhof als Münchner begraben. Er ist an den Frauentürmen kleben geblieben. Trotzdem er vielleicht Abstinenzler war. Denn es ist ein Irrtum zu glauben, man müsste in München Bier trinken. Freilich: Bierkundig muss man sein, sonst blamiert man sich bei gelegentlichen, aber unausweichlichen Unterhaltungen mit Trambahnschaffnern. Über Bier kann man nicht so leicht und so von ungefähr sprechen wie über Kunst. Da muss man in Treue und Ausdauer bei sachverständigen Leuten aus dem Volke in die Lehre gegangen sein. Für den Kunstschmus braucht man lediglich einige Schlagwörter zu beherrschen und die Zeitungspolemiken der letzten Woche gelesen zu haben. Kunst ist nämlich, worüber man sich streitet. Worüber man einig zu sein hat, das ist Bier.
Zwischen Kunst und Bier ist München, wie ein Dorf zwischen zwei Hängen, hingelagert. Im Tal findet all das statt, was man Großstadtleben nennt. Da steht, gewichtig und unwichtig zugleich, der Verkehrsschutzmann, da bemühen sich die Autos pferdekräftig Verkehrsprobleme zu entrollen, da repräsentieren mit größerem Erfolg als jene gemütlichen Radfahrer das Zeitalter und den Geist biedermeierlicher Technik, und da ist endlich der Fußgänger als der eigentliche Herr und Triumphator der Straße. München ist nämlich eine der wenigen Großstädte Europas, wo der Mensch, der sich auf zwei Beinen fortbewegt, noch die Blicke auf sich lenkt und die Aufmerksamkeit der Mitmenschen sowohl erregt als auch verdient. Es ist ja für den Fußgänger Raum genug da, und der viele Raum wird ausgefüllt durch »Atmosphäre«, und diese »Atmosphäre« um den einheimischen Bürger ist es, was an der Fremdenbörse als Münchner Gemütlichkeit sehr hoch im Kurs steht.
Ja, die Münchner Straße ist ein europäisches monstrum unicum, aber eines, das von der Natur (Himmel, Luft und Sonne) gesegnet und verklärt ist. Sie ist entweder zu breit (für die wenigen Fußgänger) oder zu schmal (für die vielen Autos). In der Ludwigstraße ist man versucht, ein Zeißglas zu nehmen und zwischen den stolzen Steinfronten der Häuser und den Denkoder Mahnmälern auf der glänzenden Asphaltfläche die dünn verstreuten Phänomene der Spezies Mensch mit bewaffnetem Auge zusammenzusuchen.
Das Resultat der optischen Addition ist weit entfernt von »Masse Mensch«. Ein Fähnlein mehr oder minder Aufrechter ist die fast liebliche Staffage für die, wie sogar die Kunsthistoriker sagen, großartige Kulisse dieser Straße. (Der Münchner ist Schlachtenbummler zwischen mehr oder minder klassischen [Häuser-]Fronten.)
Dahingegen in der engen Theatinerstraße wimmelt es von Menschen, Autos, Verkehrsstockungen und heftigen Unterhaltungen zwischen Schutzleuten, Chauffeuren, Radfahrern und Fußgängern. Hier schlägt das beengte Herz Münchens heftig und laut zu einem schmalen Streifen des Münchner Himmels hinauf, während es in der weiten, breiten, hohen, langen Ludwigstraße unter einem Minus von Blutdruck leidet.
Ludwig- und Theatinerstraße - das ist das wahre München, das ist die Stadt mit ihrem Widerspruch von traditioneller Schönheit und heutiger oder zukünftiger Raumökonomie. München ist eine raumverschwenderische Stadt. Aber so muss es sein, wenn von den Alpen der Schneeatem und vom Englischen Garten, dem grünen Bruder der Stadt, Baum- und Heuduft voll genossen werden soll. Hier gilt ein schönes Wort Meyrincks: Es ist eine Lüge, dass München ein Dorf sei, es ist eine »erweiterte Sennhütte«.
Der Stachel dieses Wortes gräbt sich gar nicht unangenehm ins Münchner Gemüt. Eine dreiviertel Million alpin orientierter Menschen bewegt sich bald über breite Passagen, bald durch enge Kamine. Auch durch München zu wandern ist ein Abenteuer. Man gefährdet die Autos, reißt einen Radfahrer um, rempelt einen noch langsamer Gehenden an, und man geht selbst sicher und glücklich wie über Abrahams Schoß. Soll uns das eine andere große Stadt, eine andere Großstadt nachmachen!
Freilich - man gleitet leicht aus. Denn - wenn es sich noch nicht herumgesprochen haben sollte, mag es hier verraten werden - in München regnet der Regen jeglichen Tag - wochenlang! Das ist eine himmelstrübe Tatsache, mit der sich der rührige Münchner Fremdenverkehrsverein nicht gern befasst. Der Niedergang von Wolken über München übertrifft den der Kunst in München um ein ganz Erkleckliches. Wobei sogar fast die Hälfte des Jahres die Wolken kurz über der Spitze der Frauentürme noch nicht recht wissen, ob sie Schnee oder Regen werden sollen. Auch recht abenteuerlich, nicht wahr?
Dafür haben wir aber auch den andern Teil des Jahres einen garantiert und patentiert südlich-blauen Himmel. Wann er hereinbricht, weiß nicht einmal die Wetterwarte auf der Zugspitze. Aber geschieht es, dann ist München eine wahrhaft südliche Stadt, und manchmal ist das schon im Februar der Fall, wodurch ein Äquivalent dafür geschaffen ist, dass es später im April oder Mai schneit. Man muss ja schließlich auch dafür, dass man als Großstadt fünfhundert Meter über dem Meeresspiegel liegt, Opfer bringen.
Zwischen dem Meeresspiegel und einer Binnenlandeshöhe von fünfhundert Metern vollziehen sich an Mensch, Tier und Ding mehr psychologische Wunder, als sich die Schulweisheit derer, die dazwischen wohnen, träumen lässt. Zwischen dem Kropf etlicher Gebirgsbewohner und der Langschädeligkeit der Nord-und Nurdeutschen bewegt sich die Physiognomie des eingeborenen oder eingewöhnten Münchners in vielen saftigen und kräftigen Spielarten des Körpers und Geistes. Die harte, herbe Luft der Hochebene, die noch härtere der auf München zulaufenden ergiebigen Öffnungen der Alpen und darüber hinwiederum der weiche, auf den Nerven wie auf Zithersaiten spielende Atem des Föhn - aus dieser klimatischen Dreiheit ersteht so etwas wie die Romantik des Menschen zu München. Heraufgewandert aus dem Norden, herniedergeflossen aus dem Süden - hat sich seit Jahrhunderten hier zu dem Autochthonenstamm ein Menschengerinnsel gesellt, das zwischen dem Ernst des Lebens und dem Witz der Vergänglichkeit sich zu einem halb künstlerischen, halb künstlichen Phäakentum mit Tradition gestaut hat. Sie haben kein Großstadtmeer gebildet, keine Einheit, keine Gleichheit, keine Uniformität. Sie haben aus der Stadt etwas Irreguläres, etwas Absonderliches gemacht. Sie haben sich, fast jeder Einzelne, gleichsam zu einer äußerst erlebenswerten Sammlung von Individuen und Individualitäten zusammengetan. Was man so ein Gemeinwesen nennt, das ist München nicht. Denn jeder fast hat eine kleine Streitaxt in der einen Westentasche, in der anderen freilich auch ein Beruhigungsmittel. Streiten! Warum nicht streiten? Gleichgültig bleiben! Warum nicht gleichgültig bleiben? Der andere wird's schon anders machen. Und alles wird wieder gut werden!
Hier, in dieser geruhigen Stadt, wo die schöngähnende Monumentalität der Straßen, Plätze und Bauten in einem bizarren Gegensatz steht zu dem Vielerlei von Ornament und Originalität der Menschen, hier ist vieles Unmögliche möglich; hier konnten schon am 7. November 1918 die Schauspieler des Hoftheaters ihren Intendanten absetzen; hier konnten am 8. November schon Kieler Matrosen im Verein mit ein paar radikalen Bauernführern und Literaten der allgemeinen Revolution zuvorkommen.
Hier konnte der edle, aber unsichere Schriftsteller Kurt Eisner revolutionärer Ministerpräsident und zugleich Partikularist sein. Hier konnten später preußische Offiziere ihr weißes Regiment aufrichten, Ludendorff als Johannes, Hitler als deutscher Christus und sogar der kleine Bürokrat Kahr als neuer Bismarck gelten. Immer wieder ein Qui-pro-quo! Was kümmert uns die Regel? Oder die Logik? Oder gar Tatsachen?! Die Münchner wollen bald Berlin erobern...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.