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Auf seinem Weg nach Asien stieß Kolumbus auf einen anderen Kontinent, ohne es zu merken. 400 Jahre später wollte man diesen Zufall auf einer Weltausstellung feiern, der Columbia Exhibition in Chicago. Natürlich sollte damit auch dem rasanten und unvorhersehbaren Aufstieg einer Kultur und politischen Macht gehuldigt werden. Die Beiträge schwarzer Amerikaner und indianischer Ureinwohner ließ man unter den Tisch fallen. Im Mittelpunkt der Ausstellung lag ein Teich, eben der »Große Teich«, über den der Entdecker gekommen war, ein künstlicher See vor neoklassizistischer Architektur. Es war, als sollte eine neue Antike eingeweiht werden, doch diesmal mit der Ausstrahlung der Moderne, der alles möglich war. Auf gut 2,4 Quadratkilometern waren um die 200 Gebäude zu bewundern. In der Mitte prangte White City, eine alabasterweiße, marmorartige Stadt, die möglicherweise den ehemaligen Geflügelzüchter Frank L. Baum zu seiner Phantasie Der Zauberer von Oz (1900) inspirierte. Die Eröffnung war noch 1892 zelebriert worden, um dem Dezimalsystem Genüge zu tun. Erst im folgenden Jahr wurde die Weltausstellung für das Publikum geöffnet, das sich nun sechs Monate lang an den Errungenschaften von Technik, Design, Kultur und Wissenschaft berauschen konnte. 27 Millionen Besucher wurden gezählt. Unter ihnen war Helen Keller, die berühmte Autorin der Autobiographie Die Geschichte meines Lebens (1903). Helen erhielt vom Präsidenten der Weltausstellung die persönliche Erlaubnis, alle Gegenstände zu berühren. Auch der künftige Begründer der modernen Olympischen Spiele, Pierre de Coubertin und der persische Reiseautor Mirza Mohammad Ali Mo'in ol-Saltaneh waren unter den Besuchern, ebenso wie der Serienmörder Herman Mudgett, der mit zweien seiner künftigen Opfer zur Messe anreiste.
Chicago wollte sich mit der Pariser Weltausstellung von 1889 messen. Eiffels Turm wuchs zum Erkennungssymbol einer Weltstadt heran. Wie könnte man den grazil-baumförmigen Stahlturm übertrumpfen? Ein junger Eisenbahningenieur namens Ferris entwickelte für die Ausstellung in Chicago ihr zentrales Symbol: das Ferris-Wheel. Wir nennen es hierzulande »Riesenrad«.
Das Rad könnte sehr wohl als Logo für die gesamte Ausstellung dienen, denn es ging hier nicht allein um die Schau des technischen Fortschritts, sondern auch um etwas, das verschiedene Bestrebungen politischer und sozialer Art in der ganzen Welt zu einem Kreis zu versammeln suchte. Das zeigte sich an den vielen Kongressen, die an die Ausstellung angegliedert wurden, zu den Themen Frauen, Mathematik, Anthropologie und Religion. Für die Begegnung zwischen Ost und West wurde dieser letztere Kongress, das Weltparlament der Religionen, zum entscheidenden Forum. Alle wichtigen Glaubensformen der Welt sollten sich wie in einem Kreis versammeln, jede sollte Gelegenheit haben, sich und ihr Verhältnis zu den anderen Religionen darzustellen. Die Idee eines Dialogs zwischen den Religionen war geboren.
Geleitet und durchgeführt wurde die große und bislang einmalige Veranstaltung von einem amerikanischen Swedenborgianer namens Charles Carroll Bonney (1831-1903), der der New Jerusalem Church angehörte, ebenso wie übrigens auch Helen Keller. Hinter ihm standen amerikanische Protestanten, die einen zunächst ökumenischen Dialog suchten. Zwischen all den Christen traf man jedoch auch eine Reihe von Asiaten. Einige stieß die Idee eines demokratischen Parlamentes für Religionen ab. Religion war für die Gegner des Treffens keine Sache von Diskussionen oder Mehrheitsbeschlüssen. Der Islam wurde nur durch einen amerikanischen Konvertiten vertreten; weil der türkische Sultan sich gegen das Parlament ausgesprochen hatte, gab es keine muslimische Delegation. Auch der Erzbischof von Canterbury war nicht mit von der Partie. Die Japaner wollten ihren Zen-Abt nicht gehen lassen, er sollte sich nicht mit dem unzivilisierten Boden Amerikas beschmutzen. Er ging trotzdem und ein junger Buddhist namens Daisetz T. Suzuki hatte für ihn einen Brief auf Englisch geschrieben, in dem er die Teilnahme zusagte. Dieser Suzuki sollte später einer der größten Vermittler der japanischen Zen-Kultur im Westen werden (Eck 25).
Zur Eröffnung des Parlaments schlug die Liberty Bell zehnmal, einen Schlag für jede vertretene Religion. Die Stimmung war großartig, ein großes Band der Liebe schien die Welt zu umspannen. So lautete auch die Botschaft vieler Ansprachen. Bonney begrüßte die »Worshippers of God and Lovers of Man«. Aber die zweiminütige Ovation von den gut 7000 Hörern war einem Inder vergönnt. Der junge, schöne und durchgeistigte Swami Vivekananda wurde zum Mittelpunkt der gesamten Veranstaltung. Er war es, der zum ersten Mal die Lehren des Hinduismus, insbesondere die Lehre des Wissens und der Befreiung durch Vedanta im Westen vorstellte. Donnernder Beifall galt schon seiner Anrede: »Sisters and Brothers of America!« Damit schien für die Mehrheit der Hörer alles gesagt: Alle Religionen, die des Ostens wie des Westens, stehen geschwisterlich zusammen, sie verfolgen dasselbe Ziel auf verschiedenen Wegen. So lautete auch die Botschaft Vivekanandas. Er hatte diese Erkenntnis für sich gewonnen, nachdem er durch seinen Guru, Sri Ramakrishna, darauf vorbereitet worden war. Für diesen waren Religionen nämlich nur Leitern, um auf denselben Turm zu gelangen. Vivekananda, der Charismatiker, sprach zudem eine Sprache, die ins Halbbewusste zielte, in die Träume der Menschen auf ihrer Suche nach einer spirituellen Heimat.
Vivekananda auf dem Weltparlament der Religionen in Chicago 1893 (vorne, von rechts nach links: Nikola Tesla, Vivekananda, Anagarika Dharmapala)
Er redete von dem einen heiligen Licht, das durch das Prisma der Religionen geht und verschiedene Farben annimmt. Krishna ist überall, der Eine, die Perlenkette, auf die die Glaubensformen dieser Welt gereiht sind: »und wenn immer du das außergewöhnliche Heilige siehst [.], dann weißt du: ich bin da.« (Eck 26) Die Mutter aller Religionen aber sei der Hinduismus, sie nehme alle ihre Kinder mit Toleranz und Liebe in sich auf. So ging seine Rede am 11. September 1893, und sie überwältigte das Auditorium. Es sollten noch weitere Reden von ihm folgen, über den Hinduismus, den Buddhismus und die vordringlichen Probleme Indiens. Der Hinduismus sei die einzige vorgeschichtliche Religion, die heute noch praktiziert würde, sagte er. Warum gab es immer die Zwistigkeiten zwischen den Glaubensformen auf dieser Welt? Jede Religion sei überzeugt, die beste zu sein. Den christlichen Missionaren warf er vor, zwar die Seelen der Inder retten zu wollen, sich aber nicht um deren irdisches Wohl zu kümmern. Religion habe man genug im Osten, man brauche vielmehr Brot und Reis.
Einmal unterbrach er seinen Vortrag und forderte diejenigen auf, ihre Hand zu heben, die den Hinduismus aus erster Hand kannten. Aus den vielen Hundert Händen erhoben sich drei. Da wurde er zornig und sagte, wie könnt ihr euch erlauben, bei solcher Ignoranz Urteile über uns zu fällen! Das Christentum ist so wohlhabend geworden, weil es so viele Köpfe abgeschnitten hat, rief er. Doch die Hindus wollen solchen Wohlstand nicht, nicht um diesen Preis. Die Presse war tief beeindruckt. Unter den Hörern und Rednern war auch eine britische Theosophin namens Annie Besant. Sie sah in Vivekananda einen Evangelisten des Ostens, ein leuchtendes Licht für den materialistischen Westen: Ex oriente lux! Was?, sagte ein Hörer, zu diesen Menschen schicken wir Missionare? Die sollten lieber ihre Missionare zu uns schicken!
Ein fulminanter erster Auftritt des Hinduismus im Westen also! Schon als Kind war Vivekananda aufgefallen. Er hatte ein enormes Gedächtnis und konnte ein Buch auswendig, wenn er es nur einmal gelesen hatte, eine Fähigkeit, die man auch Sri Aurobindo zuschrieb. Mathematik war nicht sein Gebiet, dafür Stockfechten (lathi), Reiten, Kochen und Zaubern. Er hielt nichts vom Aberglauben und verabscheute das Kastensystem. Das Singen wurde seine Form des Betens und es brachte ihn zu Sri Ramakrishna, der bis heute weithin als Heiliger verehrt wird.
»Hast Du je den Namen Rama Krishna gehört?« fragt der Briefeschreiber in Hugo von Hofmannsthals Die Briefe des Zurückgekehrten (1901). »Als ich nach Asien kam, war sein Name noch überall lebendig.« (Hofmannsthal 498f.)
Meist werden Vivekananda und Ramakrishna in einem Atemzug genannt. Ramakrishna erkannte bald die besonderen Fähigkeiten seines Schülers und sah ihn als Erlöser von Seelen, als Heilsbringer. Der Schüler war ihm allerdings nicht bedingungslos ergeben, sondern prüfte die Lehre des Meisters mit Vernunft und Herz. Eines Tages erkannte er, dass der Meister Teil der göttlichen Mutter war. Das Mütterliche blieb die wichtigste Komponente in der Lehre Vivekanandas, der auch mit westlicher Philosophie sehr vertraut war. Er konnte Kant und Hegel im Vergleich mit indischen Mystikern diskutieren, auch die moderne Wissenschaft war ihm nicht fremd.
Als Ramakrishna starb, setzte Vivekananda sein Werk fort, reiste jahrelang über den gesamten Subkontinent und wurde allmählich als großer Philosoph und Guru anerkannt,...
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