Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
To-do-Liste Dienstag 23.05.
6:00 Daily Walk V
6:30 Morgenroutine V
9:00 Frühschicht in der Uni-Bibliothek V
12:00 Mittagessen Mensa V
12:30 Telefonat mit Kelly (wg. Besorgungen für das Rescue-Center) V
13:00 Studierzeit Aggressionsverhalten bei Hunden
15:00 Biologiekurs bei Prof. Dr. Rafferty
18:00 Abendessen mit Susan (Susan kocht)
19:00 Bullet-Journal aktualisieren
Ein Hund mit kontrollkomplexbedingten Aggressionsproblemen hat in den meisten Fällen eine sehr geringe Frustrationstoleranz. Dies zeigt sich durch offensives Verteidigungsverhalten. Dazu gehört .
»Erde an Erin!«
Eine Hand an meiner Schulter. Ich zucke zusammen und schaue verwirrt von meinem Buch auf. Es ist Olivia.
»Was ist?« Nur langsam finde ich in die Bibliothek der San Francisco State University zurück.
»Ich hab dich zweimal angesprochen.« Mit einem Grinsen im Gesicht schüttelt sie den Kopf, sodass ihre roten Locken fliegen.
Das passiert mir regelmäßig. Seit ich lesen kann, verschwinde ich oft einfach zwischen den Buchdeckeln und bekomme nichts von meiner Umgebung mit. Meine Freunde kennen das.
»Du warst total weggetreten.« Olivia wirft einen interessierten Blick auf mein Buch, dann verzieht sie das Gesicht. »Dr. Allen schickt mich. Du sollst in einer halben Stunde zu ihm ins Büro kommen.«
»Aber .« Ich schlage mein Bullet-Journal auf, das neben dem dicken Schinken über Aggressionsverhalten bei Hunden vor mir auf dem Tisch liegt. »Ich habe jetzt noch fünfzig Minuten Studierzeit, danach beginnt der Biologiekurs. Wie jeden Dienstag.« Meine Kopfhaut kribbelt, und ich streiche mir eine braune Strähne hinters Ohr. Alles in mir sperrt sich gegen Dr. Allens Bitte. Nicht, weil ich ein unangenehmes Gespräch erwarte, sondern weil es meinen ganzen Plan durcheinanderbringt.
»Ehrlich, Erin. Als Jahrgangsbeste ist es bestimmt kein Problem für dich, mal ein bisschen weniger zu lesen. Du weißt sowieso schon alles.« Sie zwinkert. »Keine Ahnung, was er von dir will, aber es klang wichtig.«
»Okay, danke.«
»Bis später.« Olivia nickt mir zu, dann dreht sie sich um und geht. Ich atme tief durch, versuche, mich zu entspannen. Nur eine minimale Änderung meines Tagesablaufs, nichts Schlimmes. Das werde ich schon schaffen. Ich blättere zum morgigen Tag, checke meine Termine und trage die zwanzig Minuten Studierzeit, die mir jetzt abhandenkommen, vorm Abendessen ein. Geht doch. Zufrieden klappe ich meinen Planer zu und denke kurz drüber nach, was Dr. Allen mit mir besprechen will. Aber ich darf nicht abschweifen, jetzt sind erst mal die aggressiven Hunde dran. Damit ich die Zeit nicht aus den Augen verliere, stelle ich einen Erinnerungston an meinem Handy ein. Als es klingelt, sammle ich meine Bücher zusammen und stecke sie in den regenbogenfarbenen Jutebeutel, den ich mir beim letzten Basar im Rescue-Center gekauft habe. Dann mache ich mich auf den Weg zu meinem Doktorvater. Um zu seinem Büro zu kommen, muss ich in den Nordosten des Campus. Die Frühlingssonne wirft einen schwachen Schimmer auf den Weg vorbei am Wissenschaftsgebäude, wo ich wie immer einen Blick auf die Alligator-Statue werfe. Faszinierende Tiere. Kaum jemand weiß, dass sie durch ihren langsamen Stoffwechsel eine Lebenserwartung von neunzig Jahren haben können. Allerdings nur, wenn man sie lässt. Die Realität sieht da leider anders aus. Meistens erreichen die Tiere nicht einmal mein Alter. Fünfundzwanzig. Das ist nur ein Viertel von dem, was ihnen in die Gene gelegt wurde. Ein Jammer. Und das alles nur, weil wir ihren Lebensraum zerstören.
Ich gehe ins Gebäude, weiche einigen Studenten aus, die sich angeregt unterhalten, und klopfe wenig später an Dr. Allens Tür. Nichts passiert. Ich horche angestrengt, kann aber keine Stimme aus dem Inneren hören, also drücke ich vorsichtig die Klinke. Es ist abgeschlossen.
»Ah, Erin, sehr schön.« Dr. Allen kommt mit einem Stapel Hefter unter dem Arm auf mich zu. »Könnten Sie kurz?« Er drückt mir die Hefter in die Hand. »Einen Moment.« In seinen Taschen kramt er nach dem Schlüssel und öffnet uns die Tür zu seinem Büro. »Bitte«, sagt er, deutet hinein und nimmt mir den Stapel wieder ab.
»Danke.« Unschlüssig bleibe ich vor dem vertrauten schweren Schreibtisch aus Eiche stehen und mustere die grüne Lampe im Siebzigerjahre-Stil. Wahrscheinlich wurde die Einrichtung hier noch nie ausgetauscht.
»Setzen Sie sich doch, Erin.« Dr. Allen legt die Heftordner in die überquellende Ablage, seufzt und lässt sich in seinem Stuhl nieder. Ich nehme gegenüber von ihm Platz. Er wirkt gestresst, aber die Lachfalten um seine Augen zeugen von seiner ungebrochenen Lebensfreude. Er ist mit Abstand der engagierteste Professor, den diese Uni zu bieten hat, und ich bin mehr als dankbar, hier ein Stipendium bekommen zu haben. Ohne diese Möglichkeit hätte ich niemals studieren können.
»Ich habe großartige Neuigkeiten für Sie, deshalb der spontane Termin.« Der Blick, mit dem er mich mustert, ist stolz, fast triumphierend. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, worauf er hinauswill.
»Okaaay«, sage ich gedehnt, und er lächelt.
»Dann spanne ich Sie nicht länger auf die Folter, ich weiß, Sie haben einen engen Zeitplan.« Er zwinkert mir zu. Natürlich kennt er meine Macke, und mir macht es nichts aus, wenn er mich damit ein bisschen aufzieht.
»Ja, meinen Biologiekurs darf ich nicht verpassen.«
»Werden Sie nicht.« Er sieht sich suchend um, nimmt die Lesebrille und setzt sie auf. Aus einer Schublade holt er ein Schriftstück mit dem Logo des Forschungsprogramms der Universität. »Ich habe heute Morgen mit Mrs. Howard gesprochen. Es kommt nicht oft vor, aber im Forschungsprogramm wird eine Stelle frei.«
Ich brauche einen Augenblick, um zu begreifen, wovon er spricht. Mrs. Howard ist eine absolute Koryphäe auf ihrem Gebiet und mein großes Vorbild. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als wissenschaftlich zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass unsere Tierwelt es ein Stück weit besser hat. Für das Forschungsprogramm mit dem angegliederten Wildlife-Rescue zu arbeiten, wäre mehr, als ich mir je erträumt hätte. Nur, was hat die freie Stelle mit mir zu tun? Ich muss erst noch meine Doktorarbeit schreiben, und selbst wenn ich die schon fertig hätte, wäre ich sicher nicht die Einzige, die heiß auf diesen Job ist.
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Sie wollen die Stelle mit einer vielversprechenden Doktorandin besetzen.« Dr. Allen nimmt die Brille ab, lehnt sich zurück und verschränkt lächelnd die Arme vor der Brust. Offenbar wartet er auf eine Reaktion von mir.
»Doktorandin? Es soll also eine weibliche Person sein?«
Dr. Allen lacht auf. »Sehr witzig, Erin.« Er schüttelt belustigt den Kopf. »Es soll keine weibliche Person sein. Aber es wird eine weibliche Person. Und zwar Sie.«
»Ich.« Das Wort klingt wie ein heiserer Schluckauf.
»Ja. Mrs. Howard war schon immer sehr angetan von Ihnen und hat sich bereits entschieden. Wenn Sie Ihre Doktorarbeit jetzt angehen, können Sie direkt danach mit der Arbeit im Forschungsprogramm starten.«
»Aber .« Der Rest vom Satz bleibt irgendwie stecken. Ich weiß überhaupt nicht, was ich dazu sagen soll. Natürlich hab ich immer von so einem Job geträumt, aber das geht zu schnell. Ich ziehe mir die Ärmel meines dünnen Strickpullis weit über die Handflächen und kralle die Fingernägel ins Bündchen. »Ich hab mir noch kaum Gedanken gemacht zur Doktorarbeit.«
»Dann fangen Sie am besten gleich damit an. Pläne zu schreiben, ist doch Ihre leichteste Übung, Erin.« Er blättert in seinen Unterlagen. »Eine Verhaltensstudie wäre bestimmt was für Sie. Außerdem passt das zu Ihrer zukünftigen Tätigkeit im Programm.« In seinen Augen blitzt etwas auf. »Ich kann Sie in den Yosemite-Park bringen. Ein Freund von mir arbeitet dort als Ranger. Sie müssen sich nur noch überlegen, welche Tierart Sie beobachten möchten und welches Thema Ihre Doktorarbeit haben soll.«
Forschungsprogramm, Yosemite, Tierart. Ich bin überfordert. »Ähm .« Mehr bringe ich nicht heraus. Gedanken fliegen durch meinen Kopf wie ein aufgescheuchter Schwarm Stare. Ich kann keinen richtig fassen. Diese Unordnung verunsichert mich. Unwillkürlich greife ich zu meinem Kettenanhänger. Ein kleiner Schutzengel, den mir meine Tante Susan geschenkt hat, als ich sechs Jahre alt war und ständig Angst hatte.
»Alles gut, Erin. Am besten, Sie machen für heute Feierabend«, sagt er, bevor er lacht. »Auch wenn Sie das natürlich nicht machen und in den Biokurs gehen werden. Überlegen Sie sich danach alles in Ruhe. Ich bin überzeugt, Sie schaffen das.« Er wirft einen Blick auf seinen Kalender. »Und morgen sprechen wir noch einmal miteinander, ja? Können Sie gegen fünfzehn Uhr?«
Wie in Trance krame ich meinen Planer aus der Tasche. Morgen Nachmittag habe ich einen Termin mit Jane zur Nachhilfe. Ich habe ihr versprochen, ihr zu helfen, und ich werde auf keinen Fall absagen. Vielleicht kann ich den um eine halbe Stunde verschieben . Mir behagt das alles nicht, trotzdem nicke ich. Was bleibt mir auch anderes übrig?
Dr. Allen lächelt mir aufmunternd zu, als ich mich verabschiede und mich auf den Weg zu meinem Biologiekurs mache.
Später biege ich mit meinem klapprigen Chevy in die Dolores Street ein. Wie immer...
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