Schweitzer Fachinformationen
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Nein. Drei ist magisch. Bei drei hätte es klappen müssen. Wenn es bei drei nicht klappt -
»Wanda?«
Sie gibt sich Mühe, cool zu wirken. Nicht kippeln, nicht an den Fingernägeln kauen, bloß nichts anmerken lassen. Aber Wanda weiß genau, was jetzt kommt. Schon, als Adam die Limonade auf den Tisch stellt und einen Teller mit Gurkenscheiben, als er sorgfältig Salz drüberstreut, auf jede Scheibe etwa gleich viele Körner, und dabei ein ganz ernstes Gesicht macht. Und Wanda hofft, hofft weiter, hofft trotzdem, hofft sehr, sehr, sehr, dass sie sich irrt. Weil es sich hier am krümeligen Küchentisch nämlich schon fast ein bisschen wie Familie anfühlt. Also, wie Wanda sich das vorstellt, Familie: vertraut und nah und sicher und wie Ende gut, alles gut.
Aber es kommt. Irgendwann kommt es immer, sie hat den anderen zugehört, hat es selbst erlebt: mal mit Gebrüll, mal mit Tränen - dieses Mal kommt es sehr leise, fast sanft. Adam schiebt seine Brille zurecht, kratzt sich am Kinn, nimmt die Brille ab, setzt sie wieder auf, nickt Sophie unauffällig-superauffällig zu, und die räuspert sich: »Es ist so«, sagt sie und dreht die feinen, goldenen Reifen an ihrem Arm, guckt dann wieder rüber zu Adam und der nickt erneut und sieht dabei aus wie jemand, der sich am liebsten die Finger in die Ohren stecken würde und laut singen, damit er das, was jetzt kommt, nicht hören muss.
Geht Wanda genauso, würde sie auch gerne. Ihr Trick: Alles gut. Hat sie von Toni. Egal, was passiert, solange man das nur oft genug wiederholt, dieses alles gut, am besten laut, am allerbesten ohrenbetäubend gebrüllt, notfalls reicht aber auch nur gedanklich, kann es so schlimm nicht sein. Alles gut, alles gut, denkt Wanda, keine Angst!
Wie aus weiter Ferne hört sie Sophies Stimme: »Es ist so, wir haben nachgedacht. Und wir haben gemerkt, dass wir uns das mit dem Pflegekind doch anders vorgestellt haben. Leider.«
Alles gut. Wirklichwirklichwirklich. Allesvollkommenokay. Keineangstkeineangstkeine -
Sophie lächelt: »Also, ich meine, du bist ja nun mal auch kein Baby mehr, sondern schon so eine richtige Person!«
Wanda lächelt zurück. Dagegen kann sie nichts sagen, das stimmt: Sie ist fast dreizehn und natürlich so was von gar kein Baby mehr, sondern eine, die schon ziemlich viel versteht und durchschaut. Eine, die weiß, wie man sich verhalten muss, also theoretisch, das aber nicht immer und vollständig ganz hinbekommt. Zum Beispiel, wenn die Freude sie überkommt oder die Wut. Dann wird alles groß und mächtig und Wanda dahinter ganz klein. Ansonsten ist sie eine, die einen Herznasenclip hat (magnetisch, okay, sieht aber aus wie echt gestochen) und richtig tolle, schwere Stiefel. Und die hat sie sogar extra noch verschönert, bevor Frau Wilhelm vom Jugendamt sie hierhergebracht hat, mit bunten Schnürbändern und pinken und grünen und blauen und gelben Punkten. Hat nichts geholfen. Außerdem ist sie eine, die eigentlich schon längst kein Kuscheltier mehr braucht, und wenn, dann nur heimlich und einen Gutenachtkuss auch nicht, voll nicht, und Umarmungen eh nicht und Eltern vielleicht irgendwie auch gar nicht so sehr, sie kommt schon klar, wie gesagt: sie ist ja schon groß. Was sie allerdings komisch findet: dass Adam und Sophie das erst jetzt aufgefallen ist, dass sie sich da kein Baby geholt haben, sondern halt Wanda. Na ja.
Die beiden gucken sie weiterhin traurig an. Ob sie jetzt was sagen soll? Wanda fällt nichts ein. Nur das, dass sie sich echt richtig, richtig Mühe gegeben hat und dass sie eigentlich dachte, dass es ganz gut läuft, das mit ihnen. Ihnen dreien. Drei, die magische Zahl. Und: Wir drei, wie schön das klingt.
Wir drei: Am Montag waren sie zusammen am Wannsee und Wanda durfte zwei Eis (Flutschfinger und Cornetto Erdbeer) und dann durfte sie Sophie mit Sonnencreme Sachen auf den Rücken malen und erst war das komisch, wegen der Nähe, aber irgendwann ging's und dann war's sogar richtig lustig. Sophie musste raten, was Wanda malt und sie hatte alle richtig und dann haben sie getauscht und Wanda war ziemlich aufgeregt, und deswegen hatte sie nur zwei richtig von drei und Adam war trotzdem ganz beeindruckt und hat gesagt, dass er da ganz und gar nichts erraten hätte, weil er leider kitzlig ist am Rücken und sich deswegen nicht aufs Raten konzentrieren kann. Dann sind sie zusammen vom Steg aus ins dunkelgrüne Wasser gesprungen und als Wanda rauskam, hat Sophie ihr ein riesiges, flauschiges Badetuch um die Schultern gelegt, das nach frisch gewaschen gerochen hat und dann haben sie im Schatten Uno gespielt und sich mit zwei Enten unterhalten und es war wie schon-immer-so und wie für-immer-und-ewig, nur dass Wanda so viel Glückseligkeit fast ein bisschen unheimlich war. Aber nur fast.
Heute Abend wollen sie eigentlich ins Kino gehen. Also, noch besser: Open Air, da war Wanda noch nie und sie kann sich fast nichts Schöneres vorstellen als das: Kino und Nachos und Popcorn und Sommernachtshimmel und wir drei -
»Weißt du .« Adam hat so eine echt richtig warme, liebe Papastimme, eine, die einem kleinen Kind, so einem Wunschbaby, Schlaflieder vorsingen würde, ». uns fällt das gerade auch echt nicht leicht. Und deswegen wollen wir das auch abbrechen, bevor es für uns alle noch schwieriger wird. Ist doch besser, oder? Verstehst du?«
Wanda nickt, obwohl sie nichts versteht. Also schon. Aber eigentlich lieber nicht.
»Also, bevor du dich richtig eingewöhnt hast bei uns«, fügt Sophie hinzu. »Deswegen lieber sofort.« Sie seufzt.
Wanda guckt runter auf den Tisch. Da kleben Krümel, Bärenformation. Kleine Bärin, Große Bärin. Die große Bärin ist ein Teil des Großen Wagens, nee, anders, der Wagen ist ein Teil der Großen Bärin. Aber von hier aus sieht man nur den Wagen. Wenn überhaupt. Hier ist das Licht meistens zu hell, frisst die Sterne. Und die ausgebrochene Bärin, die ist verschwunden. Schon seit fast einer Woche. Egal, wo sie mit ihren Spezialautos, Sondereinsatzteams und den dröhnenden Hubschraubern suchen, sie finden sie nicht. Wanda schiebt die Krümel auseinander. Hier ist nichts in Ordnung.
»Hey, hey Süße?«
Sie guckt hoch, Sophie starrt Wanda direkt in die Augen, als glaube sie an Gedankenübertragung. Aber Wanda versteht nicht, was Sophie ihr sagen will, und deswegen spricht Sophie jetzt doch: »Das liegt nicht an dir, Spätzchen, okay? Du bist ganz toll, wunderbar und lustig und neugierig und du hast immerzu super Ideen und so unfassbar viel Kraft und die allertollsten Sommersprossen sowieso!«
Wanda reibt sich über die Nase: Sommersprossen? Echt jetzt?! Ist das wichtig? Hat man ohne Sommersprossen etwa noch weniger Chancen, ein Zuhause zu finden?
Sophie seufzt: »Es ist nur, wir können da nicht so ganz mithalten, weißt du? Mit deiner ganzen Kraft und diesem geballten Enthusiasmus und so. Wegen dem Alltag und der Arbeit, weißt du? Aber, also, es liegt nicht an dir, es liegt an uns und .und . also, an der Welt eben, an der Welt so an sich. Wie die so . so eben ist!« Sie hebt hilflos die Hände.
Wanda nickt, aber natürlich glaubt sie kein Wort. Es ist ja so: Adam und Sophie und die Welt dürfen bleiben, wie und wo sie sind, Wanda ist es, die verschwinden soll. Sie passt nicht rein. Und nirgendwo hin. Unter dem Tisch kneift sie sich in den Arm, überlegt, was sie dieses Mal falsch gemacht hat. Vielleicht war sie zu laut? Oder zu leise? Vielleicht hat sie zu viel gelacht oder zu wenig? Vielleicht hätte sie mehr Kohlrabisticks essen sollen und doch nur ein Eis? Oder drei von drei Sonnenmilchmalereien erraten müssen? War das ein Test? Oder, und jetzt wird ihr vor Schreck ganz kalt, hat sie etwa geschnarcht, als sie auf dem Rückweg vom See in der S-Bahn zwischen Sophie und Adam eingeschlafen ist?
Wanda wurschtelt sich in ihren Pulli, zieht die Kordel des Hoodies fest zu. Jetzt guckt nur doch die Nase raus, ihre Nasenspitze mit den nutzlosen Sommersprossen. Shit. Hoffentlich, hoffentlich hat sie nicht geschnarcht! Sie verschränkt die Arme vor der Brust und versucht, so auszusehen, als wär's ihr vollkommen egal. Schnarchen, oder nicht schnarchen. Bleiben dürfen oder rausgeworfen werden. Aber ehrlich gesagt: Das ist gar nicht so einfach, wenn um einen herum und irgendwie auch innen drin die ganze Welt tosend zusammenstürzt. Absolut und komplett. Totalschaden. Allerheftigste Apokalypse.
»Sag mal, wie geht's dir damit, Liebes? Alles okay?« Adam klingt hoffnungsvoll und Wanda entknotet ihre Arme, wuchtet mühsam ihre Schultern hoch. Die sind mit einem Mal sehr schwer. Sogar die Kapuze schiebt sie vom Kopf, versucht zu lächeln, damit es leichter wird, damit Sophie und Adam nicht mehr so ängstlich sein müssen. Liebes.
»Super!«, sagt sie und Sophie beugt sich über den Tisch, verstreut die Sternenkrümel in alle Himmelsrichtungen, greift nach Wandas Hand. Schnell wegziehen und dann die Pulliärmel bis über die Fingerspitzen zerren und vorsichtshalber lieber noch...
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