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Oktober 2012
Ybbsitz, Niederösterreich
»Wo ist eigentlich Tante Wilma?«, fragte Jakob.
Schweigen. Die Nachspeise, ein Apfelstrudel, wurde serviert.
Noch immer keine Antwort. Wieso sagt keiner etwas?
Jakobs Familienmitglieder begannen zu essen. Alle schienen sich darauf zu konzentrieren, das Dessert möglichst langsam zu verspeisen. Sogar das dürre Model störte sich nicht an den zusätzlichen Kalorien, sondern war offenbar froh, beschäftigt zu sein, um nicht später als Erste das peinliche Schweigen unterbrechen zu müssen. Auch Jakob selbst griff sich schließlich die kleine Gabel und begann den Apfelstrudel von den Rosinen zu befreien. Seitlich am Tellerrand stapelte er sie übereinander.
Endlich legte Josef Schuster die Dessertgabel zur Seite.
»Wilma ist nicht in Stimmung«, sagte er.
Jakob war versucht nachzufragen, hielt sich aber zurück. Keinesfalls wollte er seinen Onkel an diesem wichtigen Tag verärgern. Jakob würde später Valerie unter vier Augen nach ihrer Mutter fragen. Seine Cousine wüsste sicher, was los war, und normalerweise hatte sie vor Jakob keine Geheimnisse. Auch er verspeiste jetzt den Strudel, schon mit dem ersten Bissen breitete sich angenehmer Zimtgeschmack in seinem Mund aus. Das Schweigen allerdings setzte sich fort, bis jeder seine Nachspeise aufgegessen hatte, erst dann unterbrach Josef Schuster erneut die Stille.
»Wir Männer ziehen uns jetzt auf eine Zigarre zurück.«
Auf diesen Moment hatte Jakob gewartet.
Nun würde er seinen Vorschlag unterbreiten können und endlich erfahren, was sein Onkel und sein Vater von seiner Idee hielten. Hauptsache, sein Cousin war nicht bei der Unterredung dabei. Obwohl sich Jakob eingestehen musste, dass es bei der Sache auch um Eugens Erbe ging. Dieser arbeitete aber nicht, wie Jakob selbst, für den Familienbetrieb. Jakobs Hoffnungen wurden jedoch jäh enttäuscht, als sich Eugen zu Wort meldete.
»Ja, eine gute Idee«, meinte er, »die alte Tradition sollten wir nicht aussterben lassen.« Eugen wandte sich an seine Freundin. »Schatz, für dich ist das doch okay?«
Bitte sag, dass es dir nicht passt! Dass es ein Problem ist! Dass er dich nicht einfach so allein lassen kann!
Eugens dürre Modelfreundin schien tatsächlich zu überlegen.
Wie heißt sie noch gleich?
Jakob konnte sich nicht erinnern - und das, obwohl Eugen nun schon länger als ein Jahr mit ihr zusammen war, und Jakob die junge Frau schon mehrmals getroffen hatte. Vielleicht lag es daran, dass sie ihn einfach nicht interessierte. Als Frau hatte sie zu wenige Kurven, und auf tiefer gehende Gespräche wollte er sich mit der Geliebten seines Cousins einfach nicht einlassen.
Eugens Freundin erhob sich. Erstmals an diesem Tag betrachtete Jakob sie genauer: Sie trug ein weißes Tunikakleid mit einem hellen lila Aufdruck, dazu eine blaue Jeans. Diese Aufmachung ließ sie neben Valerie noch blasser erscheinen, und ob unter dem Kleid auch nur der Ansatz eines Busens zu finden war, konnte Jakob nicht einmal erahnen. Trotzdem klebte sein Blick an den etwas zu vollen Lippen, die ihr schmales Gesicht dominierten, und so doch ein Minimum an Sinnlichkeit ausstrahlten.
»Aber sicher, Liebling«, sagte sie schließlich und schien nicht im Mindesten beleidigt, »ich unterhalte mich gerne mit Valerie. Ihr Männer könnt uns ruhig alleine lassen und ohne uns eure Zigarren rauchen.«
Verdammt! Jakob hätte ihr am liebsten eine Ohrfeige verpasst.
Eugen stand auf und gab seiner Freundin einen Kuss auf die Wange. »Danke«, sagte er sanft. »Und viel Spaß.«
Dann wandte er sich ab und ließ auffordernd den Blick schweifen. Jakob fiel auf, dass Eugen - offenbar vorsorglich, damit er sich nicht zu sehr von seiner blassen Freundin abhob - ein grau gestreiftes Poloshirt zur dunkelblauen Designerjeans trug. Wie sie so nebeneinander standen, wirkten sie als Paar äußerst farblos. Eugens hellbraune Haare und sein blasser Teint taten ihr Übriges dazu. Aber auch wenn er unscheinbar wirkte, Eugens Augen leuchteten an diesem Tag. Er schien geradezu darauf zu brennen, eine Zigarre zu rauchen und einen Whiskey zu trinken.
Das passte gar nicht zu ihm.
Was ist da los? Wieso ist er so überdreht? Wieso will er überhaupt mitkommen?
Als Jakob den drei Männern ins Raucherzimmer folgte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zur Ordnung zu rufen.
Konzentration!, sagte er sich.
Zu viel hing von der nächsten Stunde ab.
*
Jakob musste sich noch etwas gedulden. Sein Onkel würde keine ernsthaften Unterredungen gestatten, bevor nicht jeder der Anwesenden seiner Zigarre fachgemäß das Kopfende aufgeschnitten, dieses mit einem glühenden Holzspan angezündet und die ersten Züge genommen hatte.
Während die drei Gäste damit beschäftigt waren, ihre Zigarren zum Qualmen zu bringen, schenkte der Hausherr allen vieren einen Whiskey, Marke Johnnie Walker Blue Label, ein. Der war nun schon eher nach Jakobs Geschmack - der Sherry hingegen, der zum Mittagessen serviert worden war, hatte eindeutig zu wenig zur Beruhigung seiner Nerven beigetragen.
Die vier männlichen Mitglieder der Familie Schuster ließen sich anschließend in vier Ledersesseln nieder, die kleeblattförmig zueinander angeordnet waren. Neben jedem Sessel stand ein niedriger Beistelltisch aus dunklem Walnussholz mit einem Aschenbecher.
Eugen bemühte sich zwar nach Kräften, so zu tun, als genieße er die Zigarre, konnte aber nicht vermeiden, dass er nach jedem Zug noch bleicher wurde, als er es ohnehin schon war. Rasch legte er die Zigarre zur Seite.
Schwächling, dachte Jakob und nahm einen weiteren Zug.
»Auf die Familie! Und auf die Firma!«
Nach dem Toast seines Onkels konnte Jakob endlich auch den ersten großen Schluck Whiskey nehmen. Er spürte, wie sich eine angenehme Wärme in seinem Magen ausbreitete.
Ein wenig erleichtert, aber noch lange nicht entspannt, lehnte er sich zurück. Da schimpfe ich meinen Cousin einen Schwächling und selbst sehne ich mich schon seit Stunden nach diesem ersten Schluck. Als wäre ich keinen Deut besser als Eugen! Was machte diese Villa nur aus ihm? Heute war es besonders schlimm.
Der Grund dafür lag natürlich auf der Hand: der Vorschlag, den Jakob den beiden alten Herren unterbreiten wollte. Wenn sie zustimmten, würde die Firma - ihre Firma, meine zukünftige Firma! - in eine neue Liga katapultiert. Konkurrenz für Adidas und Nike! Endlich mal eine Rolle spielen unter den Sportschuhherstellern!
Ja, wenn die beiden Alten nur zustimmen.
Samuel Schuster begann zu sprechen.
Jakob sah seinen Vater überrascht an und beobachtete zeitgleich aus dem Augenwinkel, wie sich sein Cousin im Sessel aufrichtete und ihn unverhohlen, fast schon provozierend, musterte. Sogar Eugens Gesicht hatte nun einen gesunden, beinah rosa Farbton angenommen - und das, obwohl nur wenige Minuten vergangen waren, seit er nach den ersten Zigarrenzügen aschfahl ausgesehen hatte.
»Jakob«, sagte Jakobs Vater, »du weißt ja, dass Eugen vor über zwei Jahren sein Studium abgeschlossen hat. Seither ist er in der Finanzabteilung bei Umdasch als Controller erfolgreich tätig. Er hat sogar nebenbei die Bilanzbuchhalterprüfung absolviert.«
Was soll das? Die beiden wissen, dass ich ihnen einen Vorschlag unterbreiten will! Wieso redet Vater jetzt von ihm?
Jakob konnte sich nicht erklären, was gerade geschah. Unruhig rutschte er in seinem Sessel hin und her und nahm schon bald den nächsten Schluck Whiskey. Das Gespräch lief eindeutig in die verkehrte Richtung.
»Du weißt auch«, fuhr sein Vater fort, »dass Herr Meierling bald in Pension gehen wird. Wir haben uns daher entschieden, dass Eugen, als zukünftiger Erbe, ähnlich wie du, eine tragende Rolle in unserem Unternehmen spielen soll. Meierling wird ihn einschulen, dein Cousin wird letztendlich das Controlling leiten.«
Das saß.
Jakob versuchte zwar krampfhaft, sich nichts anmerken zu lassen, aber sein Mienenspiel hatte er nicht ganz unter Kontrolle. Seine rechte Wange zuckte unter dem Jochbein, doch schnell hatte er sich wieder im Griff.
»Das freut mich!«, brachte er heraus, stand auf und schüttelte Eugen die Hand. »Willkommen, und auf eine gute Zusammenarbeit!«
Jakobs Händedruck war fest. Eugen hatte wohl nicht damit gerechnet und schien erleichtert, als Jakob seine Hand wieder losließ.
»Danke, ich freue mich auch schon auf meine neue Aufgabe«, sagte er.
»Gut, dann ist ja alles klar zwischen euch!«, schaltete sich Josef Schuster ein. Er nahm einen Zug von seiner Zigarre und warf Jakob einen herausfordernden Blick zu.
Jakobs Gehirn arbeitete auf Hochtouren: Sie haben meinen dämlichen Cousin in die Firma geholt, aber das hat nichts zu bedeuten. Ich muss mich jetzt auf meinen ursprünglichen Plan konzentrieren. Muss ihn jetzt vortragen, auch wenn der Zeitpunkt schlecht ist.
»Nun, Jakob, du wolltest mit uns reden. Ich gehe davon aus, dass es etwas mit der nächsten Sitzung zu tun hat.«
»Ja, Onkel, ich wollte euch einen Vorschlag unterbreiten.«
»Nur zu, heraus damit, wir sind beide gespannt.«
Jakob beugte sich vor, suchte den Blickkontakt mit seinem Onkel, dann mit seinem Vater, und zum Schluss auch mit Eugen. Als er sich der ungeteilten...
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