Schweitzer Fachinformationen
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Ein heißer Juli. Seit es letzte Woche geregnet hat, sind die Hügel grün, wie bemooste Brüste ragen sie in den Himmel. Aus den Küchenfenstern sieht Lee Miller überall welliges Land. Eine gerade Schotterpiste. Steinmauern, die lange vor ihrer Zeit errichtet wurden, die die Landschaft aufteilen und dafür sorgen, dass die ruhig vor sich hin kauenden Schafe bleiben, wo sie hingehören. Ihr Mann Roland marschiert mit seinem Gehstock den Reitweg entlang. Er hat zwei Gäste dabei und bleibt kurz stehen, um auf einen Maulwurfshügel zu zeigen, an dem man sich den Knöchel brechen könnte, oder auf einen Kuhfladen, der einigen Besuchern vielleicht zu viel des Landlebens ist.
Lees Kräutergarten liegt direkt vor der Küche, ungefähr so weit entfernt, wie sie freiwillig geht. Roland fragt sie schon seit Jahren nicht mehr, ob sie ihn auf seinen Spaziergängen begleitet, nachdem sie ihm erklärt hat, bevor er nicht einen anständigen Gehweg mit ein paar Cafés dorthin setzt, würde sie ihre Zeit nicht damit vergeuden, irgendwelche Hänge hochzustampfen. Inzwischen glaubt sie, dass er die Zeit ohne sie genießt, so wie sie die ohne ihn. Jedes Mal, wenn sie ihn loslaufen sieht, löst sich die Hand um ihren Hals ein wenig.
Von allen Räumen in der Farley Farm fühlt Lee sich in der Küche am wohlsten. Nicht glücklich, aber wohl. Niemand geht ohne sie hier rein, und wenn doch, dann finden sie nicht, was sie gesucht haben. Gewürzgläser stapeln sich zu schwankenden Türmen, dreckige Töpfe bedecken Küchentresen und Spüle, Essig und Öl stehen offen auf den Regalen. Aber Lee weiß immer, wo alles ist, so wie früher in ihrem Studio, wo niemand außer ihr mit dem Durcheinander zurechtkam. Wenn der Fotograf Dave Scherman, mit dem sie während des Krieges zusammenarbeitete, im Hotel Scribe ihr Zimmer betrat, hatte er immer einen schnippischen Kommentar parat - »Ah, eine Installation aus alten Benzinkanistern, sehr schön, Lee« -, und wenn sie in der Küche ist, denkt sie oft an ihn und fragt sich, was er jetzt zu ihr sagen würde. Dave ist einer der wenigen Freunde aus Kriegszeiten, der sie hier draußen noch nicht besuchen gekommen ist. Sie ist froh darüber. Bei ihrem letzten Treffen lebten sie alle noch in London, und damals hörte sie Dave zu Paul Èluard sagen, sie sei fett geworden und nicht mehr so attraktiv wie früher, und dass sie das wütend mache. Was natürlich nicht stimmte. Es gibt so viel mehr, das sie wütend macht, als die fremde Frau mit den aufgeplatzten Äderchen im aufgedunsenen Gesicht, die sie jeden Morgen im Spiegel anschaut.
Lee hat vor ein paar Jahren einen Kurs im Cordon Bleu besucht, und jetzt kocht sie praktisch jedes Wochenende mehrgängige Menüs und schreibt darüber für die Vogue. Sie ist dort Korrespondentin für Haus und Heim. Davor war sie Kriegskorrespondentin und davor Modekorrespondentin und davor Cover-Model. 1927 leitete eine Art-déco-Skizze von ihrem Kopf - den Glockenhut trug sie wie einen Helm tief ins Gesicht gezogen - eine neue Moderne in der Damenmode ein. Eine bemerkenswerte Karriere, heißt es immer. Lee spricht nie über diese Zeit.
An die Vogue muss Lee denken, weil Audrey Withers, ihre Chefredakteurin, heute Abend zum Essen kommt. Audrey kommt höchstwahrscheinlich, um sie zu feuern, und die weite Reise nach Farley nimmt sie auf sich, um es persönlich zu tun. Lee hätte sich selbst schon lange gefeuert, nach der zwanzigsten verpassten Deadline oder der zehnten Geschichte über Dinnerpartys auf dem Lande. Andererseits ist Audrey loyal und die einzige Moderedakteurin, die Frauen auch mal von Wichtigerem berichtet als den neuesten Trends in der Abendgarderobe. Als Puffer sind noch weitere Gäste eingeladen: ihre Freundin Bettina und Seamus, Kurator am Institute of Contemporary Arts und Rolands rechte Hand. Lee glaubt, dass Audrey sie nicht feuern wird, wenn Rolands Freunde dabei sind. Vielleicht kann sie ein wenig vorfühlen, es noch abwenden, sich wieder hineinfinden.
Das Menü ist die Abwandlung eines früheren. Zehn Gänge. Spargel im Teigmantel mit Sauce hollandaise, Jakobsmuschelspieße mit Sauce béarnaise, ein Schälchen Vichyssoise, Penroses, Mini-Würstchen im Teigmantel, »Muddles grünes grünes Hühnchen«, Gorgonzola mit Walnüssen, Fasan in Biersauce, Ingwer-Eis und bei gedämpftem Licht flambiertes Omelette surprise. Wenn Lee nicht mehr für Audrey arbeiten kann, wird sie sie mit Butter und Sahne und Rum-Baiser umbringen.
Als Lee während des Krieges aus Leipzig und der Normandie Bericht erstattete, war Audrey oft die Einzige, zu der sie Kontakt hatte. Lee schickte ihr die ersten Fotos aus Buchenwald, und Audrey brachte sie zusammen mit der Story, die Lee in ihre kleine Hermes Baby gehämmert hatte, getrieben von einer Mischung aus Amphetaminen, Brandy und Wut. Audrey ließ alles genau so, wie Lee es geschrieben hatte, dazu die Überschrift »Believe it« und die Fotos riesig, in ganzer Breite und all ihrer grausamen Pracht. Es war ihr egal, dass irgendwo in Sheffield eine Hausfrau die Hochglanzwerbung für Schiaparelli-Handschuhe umblätterte und auf einen verprügelten SS-Mann mit gebrochener Nase stieß, das Schweinsgesicht verschmiert mit dickem schwarzen Blut.
Es ist Mittag, und Lee fängt mit den Penroses an, einem selbst erfunden Gericht aus Champignons, gefüllt mit Gänseleberpastete und garniert mit Paprika, sodass sie aussehen wie die Rosen, die am Rande des Kräutergartens wachsen. Sie misslingen leicht, und die Zubereitung dauert Stunden. Roland ist oft wütend, weil sie das Essen für acht ankündigt und es dann erst um neun, zehn oder elf fertig ist und die Gäste alle müde und betrunken sind, wenn sie mit dem ersten Gang ankommt. Lee zuckt nur mit den Schultern. Einmal gab es gegrillten Blaubarsch als Hommage an ein Bild von Miró, und sogar Roland musste zugeben, dass sich das Warten gelohnt hatte.
Heute wird Lee jedoch pünktlich sein. Sie wird ganz ruhig und majestätisch aus der Küche treten und einen Gang nach dem anderen auftragen wie eine Tänzerin in einer perfekt ausgeführten Choreographie. Ein mehrgängiges Menü hat etwas Magisches, und an guten Tagen erinnert es Lee an das Gefühl, in der Dunkelkammer zu stehen und genau die richtigen Bewegungen zum richtigen Zeitpunkt auszuführen.
Lee ist mit den Penroses fertig und lässt sie auf dem Kühlschrank stehen. Als Nächstes macht sie die Hollandaise, mehr als sie brauchen werden, verquirlt das Eigelb mit dem Zitronensaft in einem Kupfertopf, während der Schneebesen klingelnd gegen das Metall schlägt. Draußen erklimmen Roland und die beiden Gäste im Gänsemarsch einen Hügel, tauchen dann in ein Tal ab und verschwinden aus dem Blickfeld.
Was wird Lee zu Audrey sagen? Sie hat Ideen für Artikel, die alle nicht gut sind. Sie hat eine Entschuldigung. Die fühlt sich besser an, wahrer. Es waren keine einfachen Jahre, seit sie hergezogen sind, seit sie nur noch ein paarmal im Monat nach London kommen und von allem abgeschnitten sind. Aber sie weiß, dass sie noch schreiben kann. Ihre Fotos sind immer noch gut. Wären sie zumindest, wenn sie welche machen würde, wenn sie die lähmende Traurigkeit abschütteln könnte, die sie wie einen schweren Mantel mit sich herumschleppt. Sie wird Audrey erzählen, dass sie jetzt bereit ist. Dass sie ein Zimmer ausgeräumt, ihre Schreibmaschine aufgestellt und den Tisch vor das kleine quadratische Fenster geschoben hat, mit Blick auf die Auffahrt, die von der Farm wegführt. Lee hat sogar ein Foto geschossen, das erste seit Monaten, das Fenster im Sucher, ein Blick im Blick, und es neben ihrem Schreibtisch aufgehängt. Audrey wird es gern hören, dass sie ein Foto gemacht hat. Dass sie dasaß, mit den Fingern über die verbeulte Schreibmaschine gefahren ist und die Hühner über die Einfahrt hat laufen sehen. Sollte Audrey danach fragen, wird Lee ihr ein paar prägnante Eindrücke vom Landleben liefern. Sie würde ihr alles geben, was sie von ihrem Leben will, fristgerecht und mit Fotos, falls sie es hinbekommt.
Gegen vier hat Lee so gut wie alles vorbereitet und die kleinen Schüsseln mit gehacktem Majoran, Meersalz, Anchovis, Cayennepfeffer und all den anderen Gewürzen, die sie für die Gerichte benötigt, bereitgestellt. Sie gibt noch ein Stück Eis in ihr Glas und geht ins Esszimmer. Dort ist eine lange, pockennarbige Tischplatte aufgebockt, an der vierundzwanzig Leute Platz finden. Der Kamin am Ende des Raumes erinnert an Heinrich VIII, Spanferkelbraten und Weinkrüge. Darüber hängt Picassos Porträt von Lee, es war immer ihr Lieblingsbild von sich, die Art, wie er ihr Zahnlückenlächeln eingefangen hat. Drum herum, dicht aneinandergedrängt,...
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