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Diese Geschichte begann in New York, fand ihre Fortsetzung in Wien und endete damit, dass die österreichische Regierung ins Ausland flüchtete. Da die ganze Welt daran Anteil nahm, teils schockiert, teils belustigt, braucht man sich nicht zu wundern, dass diese Geschichte nun auch hier zur Sprache kommt. Zumal sie sich in unseren Tagen zugetragen hat, einer Zeit, in der sich vieles zum Besseren wendete.
Wenigstens für Dr. Maximilian Spatz. Dass er zu Beginn der Geschichte, am Abend des 12. Februar 2019, noch am Leben war, empfand er als Glücksfall. Er entschied sich für dieses Wort. Glück schien ihm ein zu großes Wort zu sein, Zufall empfand er als zu klein. Also Glücksfall. Viel hatte nicht gefehlt, und Spatz wäre an jenem Abend in einer Bar in Brooklyn erschossen worden.
Am Nebentisch saßen zwei Männer, sie waren Ende fünfzig, nahmen sich aus wie alte Freunde und redeten über ihre Kindheit. Über die schöne Kindheit, die herrlichen Sommer damals in Bowling Green, die Ausflüge zum Erie-See. Maximilian Spatz stärkte sich mit einer großen Portion Spaghetti für den Nachtdienst in der Klinik. Und er hörte dem Gespräch der Männer aufmerksam zu. Es kreiste um eine kleine Straße in dem kleinen Ort Bowling Green und fand schließlich sein Ziel: eine Konditorei. Die wurde von den beiden Männern so begeistert, so lange und so genau beschrieben, bis es keinen Zweifel gab, dass sie dieselbe Konditorei meinten. Sie war der Ort des Glücks. Der Name des Konditors fiel ihnen allerdings nicht ein, und da jeder eine andere Spur verfolgte - der eine sagte, der Name habe mit K begonnen, der andere meinte, dass der Name mit O anfing -, gaben sie die Suche auf. Der Name sei nebensächlich. Eine vorschnelle Einigung - mit tödlicher Folge, wie sich bald zeigte.
Dass sie als Kinder unabhängig voneinander jene Konditorei geliebt hatten, versetzte sie in Jubelstimmung. Spatz merkte, wie sein Gemütszustand, während er aß, sich bereitwillig der Stimmung der beiden anpasste. Die Fröhlichkeit, die ihn mittags beflügelt hatte, setzte sich fort in den Abend. Zu Mittag beim Kaffee hatte die Fröhlichkeit von der Musik hergerührt, den Vier Stücken für Geige und Klavier von Anton Webern. Nun verdankte sie sich dem Gespräch am Nebentisch. Schon ein paar solche Stunden empfand Maximilian Spatz als einen geglückten Tag.
Geglückter Tag?, fragte er sich und seufzte. Von allem, was ihm in den letzten Wochen gelungen sei, habe er das Empfinden, es gelinge zum letzten Mal. Und das im Alter von fünfzig. Er habe keine Kraft mehr. Er überspiele die Erschöpfung mit Essen. Er koche sogar. Und noch nie habe er so viel Wein getrunken. Nach Jahren greife er wieder zu Zigarillo und Pfeife. Dennoch fühle er sich am Ende. Der Psychiater Spatz scheute davor zurück zu sagen, dass er tatsächlich am Ende war. Er vertraute darauf, dass er sich das nur einbildete. Auf keinen Fall wollte er den Befund zulassen, dass er nicht wie früher zu viel, sondern dass er viel zu viel arbeitete.
Zum Glück gab es noch das Wetter. Es war schlecht. Im Jänner zu kalt. In den ersten beiden Februarwochen zu warm. Kein Wunder, sagte sich Spatz, dass es mir schlecht geht. Diesen Befund ließ er gelten.
Das Gespräch der beiden Männer am Nebentisch drehte sich im Kreis. Der eine erinnerte sich an Tische im Freien, der andere behauptete, es habe vor der Konditorei eine Bank gegeben. Der eine erinnerte sich an eine Markise, die einen Schatten auf das Schaufenster warf, der andere redete von einem Sonnenschirm. Spatz fürchtete, der Ort des Glücks würde sich in nichts auflösen, und so hörte er nur mit einem Ohr hin.
Das Gespräch verflachte, geredet wurde über die Frau des Konditors, eine kleine, rundliche Person, die, wenn ihr Mann nicht im Geschäft war, mitunter einem Kind ein Bonbon schenkte, niemals aber ein Eis. Das war in der Sommerhitze das Kostbarste.
Nein, korrigierte sich Spatz, das Gespräch verflachte nicht. Er lächelte. Nichts freute ihn mehr, als wenn er, der Menschenkenner von Beruf, sich in den Menschen irrte. Der Konditormeister, sagte gerade der eine, war großgewachsen und hatte einen ansehnlichen Bauch. Zweimal in der Woche fuhr er von Bowling Green nach Toledo. Spatz kannte die Namen dieser Ortschaften.
Wenn der Konditormeister auf dem Motorrad saß, erzählte der andere, wölbte der Bauch sich über den Scheinwerfer, die Knie ragten über die Lenkstange hinaus. Das wirkte majestätisch. Nein, sagte der andere, das sah komisch aus. Ich habe gefürchtet, dass der Konditor jeden Augenblick stürzt. Einig waren die beiden sich, dass der Konditormeister aus der Stadt Toledo Zutaten für das Eis brachte, rätselhafte, wunderbare Sachen.
Ein neuer Gast trat in die Bar, er musste gewusst haben, dass die beiden hier saßen, schnurstracks ging er auf sie zu, überhörte den Gruß des Barbesitzers, begrüßte seine Bekannten und bestellte ein Bier. Spatz fiel auf, dass einer der beiden kurz und unfreundlich zurückgrüßte, während der andere den Neuen herzlich willkommen hieß und hinzufügte: Ich habe gedacht, du bist nicht mehr in New York, sondern wieder in Bowling Green.
Spatz drehte sich um und betrachtete die drei. Der Neue, der sich noch nicht gesetzt hatte, trug eine Schlosserhose und einen grauen Anorak, derjenige, der kurz und unfreundlich gegrüßt hatte und dem Ankömmling gegenüber ein abweisendes Gesicht machte, war mit einem roten Anorak bekleidet, der Freundliche mit einem Trenchcoat. Spatz wandte sich wieder dem Essen zu.
Das Bier wurde serviert. Ich wäre gern in Bowling Green, sagte der Neue. Das ist kein Leben hier. Die Wirtschaftskrise bringt mich um. Ich verdiene so viel, dass ich nicht weiß, wohin mit dem Geld. Wenn früher ein Auto einen größeren Schaden hatte, wurde es verschrottet und durch ein neues ersetzt. Es gab nur kleine Schäden zu reparieren, eine Beule hier, einen Kratzer dort. Dafür war mein Betrieb ausgerüstet. Das habe ich den Arbeitern, den dreien, die ich hatte, beigebracht. In der Krise sparen die Leute, fuhr er fort, sie bringen mir Autos, bei denen das Dach eingedrückt, die Tür herausgerissen, die Motorhaube zerbeult ist. Ich muss große Teile kaufen, montieren, lackieren. Am Ende ist das ein paar Dollar billiger als ein neues Auto.
Deine Sorgen möchte ich haben, sagte der Unfreundliche. Ich schenke sie dir, antwortete der Neue, mitsamt der Firma. Her damit, erwiderte der Unfreundliche. Es muss sich sowieso was ändern. Ich habe nur Pech, seit ich in New York bin. Du übertreibst, sagte der Freundliche. Nichts wie Pech!, wiederholte der andere. Ein Honiglecken, sagte der Neue, ist die Firma aber nicht. Wir haben zusätzlich fünf Arbeiter aufgenommen. Die müssen angelernt werden. Wir arbeiten in zwei Schichten, zweimal zehn Stunden. Ich schlafe nur mehr im Büro.
Du hast doch eine Frau, wandte der Freundliche ein. Gehabt, sagte der Neue. Die hat mich schon vor der Krise verlassen. Wusste ich nicht, sagte der Freundliche, schade. Meine Frau hat sich gut verstanden mit deiner Frau, nicht nur weil sie beide in einer Putzerei gearbeitet haben - sehr schade. Traurig, sagte der Neue, sehr traurig. Sie hat mir vorgeworfen, dass ich das Geld, das ich in der Firma erwirtschafte, verschenke. Egal. Es gibt Dinge, die kann man ändern, und es gibt Dinge, die kann man nicht ändern. Ich bin Arbeiter, und ich bleibe Arbeiter. Auch wenn ich eine Firma habe.
Die drei Leute, fuhr der Neue fort, die von Beginn an bei mir arbeiten, sind Miteigentümer, es gibt keinen Unternehmer und keinen Chef. Alle sagen, dass so etwas nicht funktioniert. Bei uns hat es vom ersten Tag an geklappt. Ich habe schon als Kind von meinem Vater gelernt, dass niemand das Recht hat, sich über den anderen zu stellen.
War dein Vater Pfarrer?, fragte der Unfreundliche. Du Scheißkerl, sagte der Neue, du weißt sehr gut, wer mein Vater war. Jeder in Bowling Green hat ihn gekannt, den Gewerkschafter von den Jeep-Werken. Er war keiner der berühmten Arbeiterführer der USA, aber der bekannteste, den es bei uns gegeben hat. Er hatte einen Blick für den Kleinkram im Betrieb. Nicht für das große Unrecht, die Kluft zwischen den Arbeitern und den Besitzern und Direktoren der Fabrik. Die zu beseitigen, hat der Vater gesagt, ist eine feine Sache. Aber nicht meine. Ich bin nicht der Karl Marx.
Man darf nicht...
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