Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Warum kann ich mein Bild nicht sofort sehen??!« Mit dieser Frage einer Dreijährigen begann die Entwicklung eines Produkts, das sich weltweit unzählige Male verkaufen sollte und Milliardenumsätze generierte: die Polaroid-Sofortbildkamera. Die Kleine hieß Jennifer Land, und ihr Vater Edwin Land war Gründer eines Unternehmens, das Polarisationsfolien herstellte. Land hatte seine Tochter im Urlaub fotografiert und kam durch ihre enttäuschte Frage ins Grübeln - und ins Tüfteln. Fünf Jahre später, 1948, wurde die erste Polaroid verkauft, eine Kamera, die das Negativ sofort belichtete. Ihr Siegeszug dauerte Jahrzehnte und machte ihren Erfinder reich. Und wie die Vinylschallplatte erlebt auch die Polaroid-Kamera gerade ein überraschendes Revival und erzielt in Deutschland wieder Millionenumsätze.13
Eine Innovation, die dadurch zustande kommt, dass eine Dreijährige eine kecke Frage stellt und ihr Vater zufällig Experimentalphysiker ist und noch zufälliger eine Firma besitzt, die im Geschäft mit Fotografie-Zubehör ist: »Design Thinker« und Kreativtechniker, die auf einen strukturierten Prozess der Ideenfindung setzen, müssten sich da eigentlich die Haare raufen. Dass Kreativität eine unverzichtbare wirtschaftliche Ressource ist, bestreitet kaum jemand. Das World Economic Forum weist ihr unter den »Top 15 Skills for 2025« einen stolzen fünften Platz zu, noch vor »Leadership«, »Resilience« oder »Emotional intelligence«. Schon vor 20 Jahren veröffentlichte Richard Florida seinen Bestseller »The Rise of the Creative Class«14, der unseren zukünftigen Wohlstand an das kreative Potenzial der Arbeitenden koppelt. Und auch in einer gegenwärtigen Auflistung von »Future Skills« darf Kreativität nicht fehlen.15 Kreativität ist die Quelle der Innovation. Ohne sie bliebe alles beim Alten. Zugleich aber ist Kreativität anarchisch, unvorhersehbar und regellos, wie das Eingangsbeispiel zeigt. Das macht sie in vielen Unternehmen suspekt, dort soll es schließlich geordnet, planvoll und vorhersehbar zugehen. Kreativität ist der Feind des Bisherigen und oft genug Bewährten, und das zeigt schnell die Zähne, wenn es ihm an den Kragen gehen soll. Das Neue verunsichert, erst recht, wenn es im bunten Narrengewand der kreativen Fantasie daherkommt oder gar in Gestalt einer arglosen Kinderfrage. An diesem Punkt kommen Kreativitätstechniken ins Spiel. Sie weisen der Kreativität einen abgezäunten Bereich im Unternehmen zu, streifen ihr quasi ein vertrautes Businessoutfit über. Wenn schon Kreativität, dann möchte man sie »managen«, das eigentlich Unberechenbare also in einen geregelten Ablauf überführen.
Dieser Wunsch nach Berechenbarkeit macht vermutlich auch den Reiz von Design Thinking aus, dem schon nicht mehr ganz so neuen neuesten Kreativitäts-Hype. 1,4 Milliarden Treffer bei Google sprechen für sich. Hinter »Design Thinking« verbirgt sich, grob gesprochen, eine Methode, die in einem sechsstufigen Prozess (Verstehen, Beobachten, Standpunkt definieren, Ideen finden, Prototyp, Testen) neue Ideen entwickeln oder Probleme lösen soll und dabei auf interdisziplinäre Teams setzt, angelehnt an die Vorgehensweise von Designern bei der Gestaltung von Produkten. Im Mittelpunkt stehen dabei neben der Umsetzbarkeit des Produkts vor allem Kundennutzen und Marktfähigkeit. Das erscheint mir als Designerin doch eine arg gebändigte und an vertraute Abläufe gekettete Kreativität. Wie passt das dazu, dass mir als Designerin die besten Ideen häufig beim Spaziergang mit Hund an der Elbe oder beim Löcher-in-die Luft-starren in meinem Atelier abseits meiner Firma kamen?
Sind interdisziplinäre Teams in pinnwandbewehrten Meetingräumen tatsächlich die fruchtbarste Brutstätte für unverhoffte Geistesblitze? Kommt dort nicht eher »mehr vom selben« heraus, eine Variante, eine Optimierung des Bisherigen, aber nichts grundsätzlich Neues? Das muss nicht schlecht sein, denn nicht immer braucht es radikale Veränderungen. Dennoch: Meiner langjährigen Praxiserfahrung nach bewähren sich Teams hervorragend bei der Prüfung und Weiterentwicklung von Ideen. Die Ideen selbst sprudeln eher, wenn sich ein Einzelner frei von Gruppendynamik und »Wie wirke ich«-Überlegungen konzentriert in eine Fragestellung vertieft oder auch die Gedanken frei wandern lassen kann. (Warum es diese beiden konträren Wege zur Idee gibt - konzentrierten Fokus und den eigenen Gedanken freien Lauf lassen -, wird später noch Thema sein.)
In meinem Podcast »Code of Creativity« kommen regelmäßig »Kreative« unterschiedlichster Provenienz zu Wort, vom Ausstellungsmacher bis zur Choreografin. Schlüsselzitate aus inzwischen rund 100 Interviews findest du eingestreut im Buch. Was sich in den Gesprächen abzeichnet: Jede und jeder aktiviert das kreative Potenzial auf seine eigene Weise. Gemanagte Kreativität à la Design Thinking ist mir bisher nicht begegnet. Das heißt nicht, dass ich die Methode für sinnlos halte. Gerade für das Schärfen und Testen von Ideen wird sie sich bewähren. Doch die kreative Initialzündung muss von anderswo kommen, wenn man mehr will als Innovation in Trippelschritten. Dasselbe gilt für »Kreativitätstechniken«, von denen es unzählige gibt. Dazu zählt das Brainstorming, das den allermeisten von euch schon begegnet sein dürfte: in der Gruppe frei und ohne Zensur Ideen raushauen, um dann im zweiten Schritt die Ergebnisse des Gedankensturms zu sichten, zu prüfen und die besten auszuwählen. Erinnert sich jemand an eine wirklich geniale Idee, die dabei herausgekommen ist und die bis heute im Unternehmen nachwirkt? Bitte bei mir melden, die Kontaktadresse findest du hinten im Buch. Inzwischen setzt sich mehr und mehr die Überzeugung durch, dass das Brainstorming oft ein laues Lüftchen bleibt. Dr. Julia Gumula, die über Kreativität geforscht und promoviert hat, rät in meinem Podcast eher zu anderen Verfahren, die gezielt weit Auseinanderliegendes kombinieren und so überraschende Ideen provozieren.16 Was es mit den so provozierten »semantisch-kognitiven Sprüngen« als Ideenlieferanten auf sich hat, werden wir uns ebenfalls noch anschauen. Eine andere bekannte Kreativitätstechnik ist die »Osborne-Checkliste«, die dazu auffordert, ein Produkt oder eine Idee planvoll abzuwandeln, indem man sich Gedanken darüber macht, ob sich das Ganze ändern, anpassen, vergrößern, verkleinern, umstellen, teilweise ersetzen, anders verwenden, umkehren, mit etwas anderem kombinieren oder transformieren könnte. Alle zehn Punkte dabei bitte brav abhaken!17 Doch damit Osborne einem weiterhilft, muss die Ausgangsidee schon da sein. Per Checkliste lässt sie sich dann kreativ verändern. Nicht mehr und nicht weniger.
Es erstaunt mich nicht, dass »Kreativitätstechniken« so beliebt sind. »Technik«, das klingt nach einem sicheren Tool, danach, dass man kurz mal eine neue Software ausprobiert, bevor man zum bewährten Standardprogramm zurückkehrt. Leider sind die meisten Ergebnisse mäßig. Nur etwa ein Prozent aller neuen Geschäftsideen werden in Kreativitätsworkshops geboren, schätzt Karl-Heinz Brodbeck.18 Er ist Professor für Ökonomie und Wirtschaftsethiker. Man entdeckt eben keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren, wie André Gide einmal feststellte. Wer auf vertrautem Terrain bleibt und nur kurz den großen Zeh ins Wasser steckt, erfindet höchstens Pizzascheren, Teebeutelpressen oder sprechende Yoga-Matten - Pseudoinnovationen, die kein Mensch braucht. Wem ein Dichter als Kronzeuge verdächtig ist, der erinnere sich an den Ökonomen Josef Schumpeter, der schon im letzten Jahrhundert die Kraft der kreativen Zerstörung als Triebfeder des Fortschritts beschwor. Kreativität auf Knopfdruck, Kreativität nach Rezept, das funktioniert offenbar nicht. Echte Kreativität braucht Zeit und Muße. Sie geht mit Phasen der Unsicherheit einher, die man aushalten muss. Dazu befähigt ein klares Ziel, das mit Leidenschaft verfolgt wird. Echte Kreativität akzeptiert die Unkalkulierbarkeit und vertraut darauf, dass aus dem (scheinbaren) Nichts Ideen hochpoppen werden, wenn es mit der Brechstange nicht klappt. Geistesblitze lassen sich nicht programmieren.
Wenn du dich fragst, warum du dieses Buch lesen sollst, wo es doch so viele andere Kreativitätsbücher gibt: Lies es, weil dieses Buch tiefer gräbt und dir das Vertrauen in deine eigene Kreativität wiedergeben will. Es gaukelt dir nicht vor, du müsstest nur eine bestimmte Technik anwenden. Es verschweigt dir auch nicht die Mühen der Kreativität - dranbleiben, diszipliniert weitermachen, Selbstzweifel überwinden. Es hilft dir vielmehr, das...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.