II.
Das neue Jahr hatte erfreulich begonnen.
Ein dringend benötigtes Ersatzteil für mein Auto war endlich eingetroffen und durch den Zoll gegangen, und als ein portugiesischer Bekannter von mir es in seiner Werkstatt eingebaut hatte, fuhr mein Auto so sanft und leise, dass ich die mir bereits vertraut gewordenen James-Bond-Geräusche, wie Marc sie liebevoll getauft hatte, fast schmerzlich vermisste.
Außerdem wurden die hässlichen, recht schäbig gewordenen Dienstmöbel in meinem Wohnzimmer durch neue in Südafrika bestellte ersetzt, und als sie endlich nach vielen Monaten des Wartens eintrafen, verbrachte ich ein ganzes Wochenende damit, mit John und Sebastian die Möbel hin und her zu schieben, bis das Zimmer neu, anders und besser wirkte. Ich war mit dem Ergebnis zufrieden.
Zweimal in der Woche ging ich zur Gymnastik in das Haus einer Engländerin, die ich durch Cathrine kennengelernt hatte. Hier fanden sich etwa zehn Frauen ganz verschiedener Nationalitäten und Altersgruppen ein, die sich für eine Stunde intensiv mit ihren Körpern beschäftigten und danach noch dankbar in entspannter, geschwätziger Runde einen Tee tranken.
Sebastian sah ich jetzt fast täglich. Oft kam er nach Büroschluss nur kurz auf einen Tee vorbei, oder wir machten auf der Heimfahrt einen Abstecher zum Capital Hotel auf einen Drink. Manchmal aßen wir auch etwas.
Dann erzählten wir uns unsere Tage, tauschten gleichermaßen Frust und Ärger, Erfolg und Freude aus.
Wenn ich das Wochenende in der Hauptstadt verbrachte, kam er am Samstagmorgen zum Frühstück, das wir an sonnigen Tagen auf der Terrasse in die Länge zogen. Meistens war er auch nicht abgeneigt, mich auf meiner fast schon traditionellen Samstagsmorgen-einkaufsrunde zu begleiten. Dann zogen wir mit großen Körben zum Markt und kauften Obst und Gemüse ein.
Gelegentlich gingen wir danach irgendwohin zum Lunch, oder er kam noch einmal mit zu mir nach Hause, wo wir gemeinsam etwas kochten.
Wenn ich Gäste hatte, war es angenehm, ihn dabeizuhaben. Ich konnte ihn immer anrufen, und er war nur allzu gern bereit, für jemanden einzuspringen, der kurzfristig abgesagt hatte. Er war ein guter Unterhalter, aber auch ein geduldiger, großzügiger Zuhörer.
Es war nicht mehr und es war nicht weniger, was wir teilten. Aber er war da, und es war gut.
Nach vielen Wochen der Stille war mein Haus wieder offener geworden, und ich fühlte mich wohl in der Rolle, eine bunte Schar von Gästen zu bewirten, die sich an meinem großen Tisch nur allzu gerne einfand.
Für John war es eine willkommene Gelegenheit, seine Kochkünste unter Beweis zu stellen und noch weiter auszubauen, und ich gebe zu, dass ich so manchen dienstfreien Nachmittag recht gerne mit ihm in der Küche verbrachte. Dann probierten wir das eine oder andere Rezept aus, lachten, wenn es misslang, und starteten einen neuen Versuch, bis wir mit dem Ergebnis zufrieden waren. Ich schenkte ihm ein blaues Notizbuch, in dem er die Rezepte aufschrieb. Vielleicht besitzt er es heute noch.
Häufiger Gast in meinem Haus wurde Karim. Wenn ich zum Abendessen einlud, war er meistens mit von der Partie. Schließlich kam er öfter auch unangekündigt vorbei, abends, nach einer langen anstrengenden Schicht im Krankenhaus, freute sich über ein frisches Bier und über einen Menschen, mit dem er die Erlebnisse des Tages teilen konnte.
Manchmal wurde es spät.
Dann erzählte er mir von seinem Land, seiner Familie, wie er aufgewachsen war in Alexandria.
Von seinem Verhältnis zum Islam, unorthodox und liberal, und von einer großen Liebe, die ihn ein ganzes Studienjahr gekostet hatte.
Wenn er erzählte, rauchte er viel und schnell. Meistens hatte er die Beine übereinandergeschlagen und wippte mit dem einen von ihnen auf und ab, sodass man immer ein wenig den Eindruck hatte, er würde unter Strom stehen. Gelegentlich unterbrach er seine Sätze durch ein Lachen, es war ein schnelles, hohes Lachen, das plötzlich ansetzte, um dann wieder genauso abrupt abzubrechen. Noch heute habe ich es im Ohr.
Durch seinen olivfarbenen Teint und die schwarzen, sehr klein gelockten Haare wirkte er orientalisch.
Er hatte feine Gesichtszüge, eine kleine, gerade Nase über einem schmalen, scharf geschnittenen Mund, der in eine spitze Linie überging, wenn ihm etwas missfiel. Dann blitzten auch seine großen dunklen Augen.
Ich mochte diesen lebendigen Mann, und mit der Zeit entwickelte sich eine große Freundschaft, die auf soliden Säulen ruhte. Neugierde auf das andere, Fremde und Neue trieb sie voran, Respekt und Toleranz gaben ihr Raum.
Es war eine platonische Freundschaft mit festgelegten Grenzen, die niemals überschritten wurden.
Ich wusste, dass er Frauengeschichten hatte, fragte ihn aber nie danach. Es interessierte mich einfach nicht. Er wiederum kümmerte sich nicht um die Männer in meinem Leben.
Es war ein unausgesprochenes Tabu, das unserer Freundschaft etwas Erhabenes verlieh.
Vielleicht liebte er mich.
Als er mir eines Tages von einer jungen holländischen Medizinstudentin erzählte, die in seinem Krankenhaus für ein paar Monate ein Praktikum machte und dringend für den Rest ihrer verbleibenden Zeit eine neue Unterkunft brauchte, bot ich mich spontan an, sie vorübergehend in meinem Gästezimmer aufzunehmen.
Ich erinnere mich noch an ihren Namen, Merel hieß sie, Merel mit den blonden, dünnen Haaren, die sie stets zu einem Zopf geflochten hatte. Sie war ein stilles, recht blasses Wesen, das nicht viel Worte machte um die Dinge, die sie zu sagen hatte. Von ihren anstrengenden Tagen im Krankenhaus erzählte sie selten und auch nur, wenn sie danach gefragt wurde.
Ich glaube, sie hatte vor allem Heimweh und vielleicht auch ein bisschen Liebeskummer. Wenn sie mich abends gelegentlich darum bat, mein Telefon benutzen zu dürfen, hörte ich sie danach immer ein wenig schluchzend in ihr Zimmer zurückkehren. Sie wollte nicht darüber sprechen, und ich ließ sie in Ruhe.
Sie blieb sechs Wochen in meinem Haus.
Sehr viele Jahre später - ich hatte Afrika bereits verlassen - habe ich rein zufällig über einen flüchtigen Bekannten erfahren, dass Merel, die stille Blonde mit dem Zopf, sich noch während ihrer Studienzeit das Leben genommen hat. Wie, das wusste er nicht so genau.
Ein halbes Jahr war verstrichen, und mein Terminkalender voller denn je.
Von Empfängen und Dinnereinladungen ging ich zu großen Partys voller Ausschweifungen und Extravaganz, und es passierte nicht selten, dass ich die Gastgeber nie zuvor gesehen hatte, die so großzügig all diesen unbekannten Menschen ihr Haus zur Verfügung stellten.
Da war die Dänengruppe, die sich um einen Architekten aus Kopenhagen und dessen Lebenspartner scharte, es gab die Italiener, die ich durch meinen Nachbarn teilweise kannte und die wundervolle Pasta-Abende im Wechsel organisierten, und ferner hatte sich eine etwas zweifelhafte internationale Schar um eine recht exzentrische Engländerin gruppiert, die immer ihren ganz großen Auftritt brauchte.
Mit Sebastian unternahm ich nächtliche Ausflüge in die lokalen Bars am Rande der Stadt, wo uns afrikanische Rhythmen entgegenschlugen und der Sog der heißen, pulsierenden Menge nur allzu bereitwillig aufnahm. Dort tanzten und tranken wir nicht selten bis in den frühen Morgen, er presste mich fest an seine Brust, heiß drang sein Atem an mein Ohr, und ich wusste, dass er sich wieder Hoffnungen machte. Oft wurde es schon hell, wenn ich schließlich müde von einer langen Nacht vor meinem Haus aus seinem Auto stieg, ohne die Einladung auszusprechen, nach der er sich manchmal so sehr verzehrte.
Was er wollte, konnte ich ihm nicht geben.
Zuweilen gab es Menschen, die näherkamen. Dann konstruierte ich. Es entstanden kurze absurde Affären voller Scham und Leere. Die meisten davon habe ich vergessen.
»Du hast Gewicht verloren und Ringe unter den Augen. Selbst Marc sprach mich vor Kurzem darauf an. Wir machen uns ein wenig Sorgen um dich.
Ich habe den Eindruck, dass du augenblicklich zu wenig schläfst und vielleicht auch ein bisschen zu regelmäßig und zu viel trinkst. Du wirbelst durch die Tage und Nächte und trägst deine Ausschweifungen zur Schau. Es mag sein, dass das momentan der richtige Weg für dich ist, aber er hat etwas Befremdendes, und ich bin mir nicht sicher, ob er dir weiterhilft.«
Hilda machte eine Pause, nahm ihre Tasse von dem Tischchen neben sich und trank einen Schluck.
Sie war auf einen Tee vorbeigekommen, ein seltener Gast, seit sie mit Marc zusammenlebte.
Es war ein kalter Abend, Anfang Juni. John hatte den Kamin angemacht, bevor er das Haus verließ, und jetzt saßen wir in meinen beiden Lesesesseln vor dem Feuer, spürten die sich allmählich ausbreitende Wärme im Zimmer und schauten in die züngelnden Flammen.
Ihre Offenheit erstaunte mich. Ich hatte mich auf einen harmlosen, ungezwungenen Abend mit ihr gefreut, an dem man plauderte und lachte, ganz wie in alten Zeiten. Jetzt merkte ich, dass sie gekommen war, weil sie ein Anliegen hatte, die Sorge um mich.
»Stimmt«, pflichtete ich ihr bei, »ich bin dünner geworden. Wahrscheinlich habe ich nach meiner Malaria nie mehr wieder mein altes Gewicht zurückerlangt.«
Es war ein schwacher Versuch der Verteidigung. Wir wussten es beide.
Ich hatte in der Tat in den letzten Monaten noch mehr Gewicht verloren. Irgendwie war der Appetit nach dem letzten Jahr nicht richtig zurückgekehrt. Außerdem hatte ich eine alte Gewohnheit erneut aufgenommen. Seit ein paar Monaten...