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Die Dorfpunks kommen in die Stadt: Rocko Schamoni kehrt zurück zu seinen persönlichen Wurzeln
Sommer 86, ein junger Mann fährt nach Hamburg, um dabei zu sein. Er ist 19 und will Musik machen, die Jugend feiern, Künstler sein. Es zieht ihn nach Sankt Pauli, auf den Fixstern der Verrückten. Er will hinein in den Abgrund, "wo Feuchtigkeit und dunkle Wärme merkwürdige Organismen zum Tanzen bringen". Er trifft die Zitronen, die Ärzte, die Hosen, die Neubauten – und sucht seinen eigenen Platz in dieser Welt. Als Erstes braucht er einen neuen Namen: Rocko Schamoni.
"Pudels Kern" reißt uns zurück in die Jahre des Punk, in die Kellernächte, den kaputten Tourbus und bis zum großen Plattenvertrag. Zu den Hoffnungen und Abstürzen. Es ist das glühende Porträt des Künstlers als junger Mann: "Nichts hat mehr Bedeutung, alles fließt, wir sind Quallen der Liebe."
Buch des Monats von NDR Kultur im April 2024
"Schamonis Ehrlichkeit macht dieses Buch so stark. Es ist die Geschichte eines Suchenden, der sich selbst verloren hat. [...] Was 'Pudels Kern' besonders macht: Der junge Ich-Erzähler erlebt immer wieder Momente skurriler Schönheit. Er zieht durch ein St. Pauli, das noch nicht gentrifiziert ist und in dem sich viele wunderliche und auch randständige Figuren an den Tresen tummeln. [...] Pudels Kern: autobiografisch und ausgedacht, amüsant und traurig - ein vielschichtiges Vergnügen." Niels Grevsen, NDR Kultur – Das Journal, 15.04.2024
"Pudels Kern ist ein hinreißendes, ehrliches, immer wieder komisches Zeugnis über das harte Brot der frühen Jahre, in denen einer versuchte, mehr zu sein, als er eigentlich ist. Oder war es doch ganz anders? Wurde hier einer der, der er tatsächlich ist und immer war? [...] Als literarischer Meister der Selbstinszenierung veredelt Schamoni den Stoff seines Lebens. Da wird noch mehr kommen." Thomas Andre, Hamburger Abendblatt, 12.04.2024
"Was ihn interessiert und inspiriert, ist das Abweichende, das sich der Norm Verweigernde, das Untergründige und Zwielichtige. Im Außen und in seinem Inneren. Rocko Schamoni gewährt Einblicke in die dunkelsten Kammern seiner Psyche. [...] Tiefe durch Tiefs. Substanz durch Substanzen. Was Schamoni gehemmt und gequält hat, hat ihn auch geformt. Das Wesen seiner Kunst und die Keimzelle der musikalischen Subkultur, die wir heute Hamburger Schule nennen, legt 'Pudels Kern' offen. Oft schmerzhaft, manchmal unappetitlich, aber auch extrem unterhaltsam und mitreißend." Alexandra Friedrich, NDR Kultur 'Buch des Monats', 12.04.2024
"Ein tiefgründiger und wilder Roman, immer mit der ausreichenden Portion Selbstironie, der uns in die Jahre des Punks zurückführt und von den Hoffnungen der Jugend erzählt. [...] Rocko Schamoni stellt sich ganz existenzielle Fragen; jetzt ist er reif genug, sich auf die Suche nach des Pudels Kern zu machen, auf die Suche nach seinem Drama. Die perfekte Zeitreise." Marie Kaiser, rbb radioeins 'Favorit Buch', 11.04.2024
"Pudels Kern ist die buchgewordene Doppeldeutigkeit, popkulturelle Chronik einer Musikszene und Selbsterfahrungsbericht eines zweifelnden Künstlers. Manchmal schmerzhaft zu lesen, aber dabei wahnsinnig unterhaltsam und mitreißend." Sandra Limoncini, Bayern 2 'Zündfunk', 16.04.2024
"Schamoni erzählt von einem Künstler, der unbedingt Kunst machen will, der Kunst machen muss, auch wenn das oft ins Schattenreich führt, wo die Selbstzweifel über das Nichtgenug-Sein schon warten. Immer wieder aber bringt das wilde Leben, das Schamoni in Pudels Kern schildert, sehr schöne Anekdoten hervor." Philipp Seidel, Abendzeitung, 17.04.2024
"Zwischen Hoffnungen und Abstürzen ist 'Pudels Kern' das glühende Porträt des Künstlers als junger Mann. (.) Und ein Roman für ins Bürgertum hineingealterte Menschen, die sich mit Rocko Schamoni an ihre wilde Jugend und die gute alte Bundesrepublik erinnern wollen. Für immer Punk." Carsten Schrader, kulturnews.de, 15.02.2024
"Das Scheitern und das Wieder-Aufstehen, die Drogen, der Suff und die 'Heimatstolle Depression' sind Teil der mitreißenden Geschichte Schamonis, die er mit Selbstironie [...] beschreibt. Spannend zu lesen, wie das Dauertalent immer wieder die Kurve kriegt." Michael Pöppl, Tagesspiegel, 11.04.2024
"Euphorisch, aber auch hart selbstreflektieren gewährt 'Pudels Kern' Einblicke in die Seele eines Dorfpunks, der den Mut hatte, seinem Dorf-Trauma zu entfliehen, auch wenn ihn das viel Schmerz gekostet hat – nicht den Schmerz des Loslassen, sondern den Schmerz des Immersuchens nach sich selbst, bis er herausfindet: Die Kunst ist seine Heimat." Schabnam Tafazoli, Lübecker Nachrichten, 09.04.2024
"Rocko Schamoni ist der Wilhelm Meister des Undergrounds. Ob Punk nun tot ist oder nicht – für einen kurzweiligen Roman reicht die kreative Energie der No-future-Jahre auf jeden Fall aus." Georg Leisten, Südwest Presse, 15.04.2024
"Messerscharfe Sprachbildern. Plastisch wie eindrücklich erzählt Schamoni von den Narben, die er auf der 'Suche nach dem dunklen Stern des Lebens' sammelte. Galore, 04.04.2024
"Rocko Schamoni ist das lebende Archiv des Underground." Thomas Böhm, rbb radioeins 'Der schöne Morgen', 15.04.2024
5.11.85
Ich bin einer von jener naiven Sorte, die immer erst alles anfassen müssen, bevor sie es glauben. Ich bin ein furchtbar verwirrter Jugendlicher, aber ein paar Sachen weiß ich: Ich will männlich sein. Ich will nie erwachsen werden. Ich will Leidenschaft, ich will erschaffen, etwas vor mir haben, mein Werk, meine Kunst.
Ich habe in einem Schrank meine alten Tagebücher und Kalender wiedergefunden. Die Kalender reichen von 1985, also meinem 19. Lebensjahr, bis 2012. Das meiste, was ich zu der Zeit tun musste und erlebt habe, ist dort verzeichnet. Und in den Tagebüchern fand ich persönliche Bemerkungen dazu. Allerdings nur in den ersten Jahren, die Tagebucheinträge hören zur Jahrtausendwende auf.
Ich wusste immer, dass die Kalender und Aufzeichnungen dort in dem Schrank liegen, aber ich habe sie nie angerührt, weil es mir schlichtweg zu langweilig erschien, das Erlebte noch mal nachzulesen. Ich fand es sogar ein wenig lächerlich, dass ich die Bücher überhaupt geschrieben habe, mir erschien diese Art von Selbstbeschäftigung eitel, selbstbezogen, unreif und ich dachte schon lange darüber nach, das ganze Zeugs wegzuschmeißen. Aber jetzt, Jahre später, auf der Suche nach dem dunklen Stern meines Lebens, nach dem Kern meines Dramas, bin ich dankbar dafür, dass es die kleine Bibliothek noch gibt, weil die Erinnerungen so konkret sind. Genauer als die Bilder in meinem Kopf. Ich verstehe die Sprache, erkenne sie wieder, jedes Gefühl und alle Handlungen erscheinen mir vertraut und fremd zugleich. Denn ich bin ein anderer geworden. Ich bin gewachsen, habe mich verformt, bin erblüht und verkrustet, habe Überflüssiges verloren und Notwendiges gewonnen. Und nun bin ich alt. Zwar nicht richtig alt, aber schon ganz schön alt. So alt, wie ich nie zu werden geglaubt hätte. So alt, wie es bei mir und meinen Jugendfreunden früher verpönt gewesen war. Wir planten, jung zu bleiben oder zumindest jung zu sterben. Es kommt mir vor, als wäre all das nur einen Wimpernschlag entfernt.
Ich will nicht älter werden, als ich jetzt bin. Ich stelle es mir schrecklich vor, so alt zu werden, wie meine Alten sind. Alles an ihnen ist festgefahren, ihre Freiheit ist verpufft. Wofür leben sie, für ihre Arbeit? Fünf Tage die Woche die Kinder von Fremden erziehen und am Wochenende Hefte korrigieren. Was ist ihr Ziel?
Die Tagebücher regen meine Erinnerungen an, Spalten und Ritzen tun sich zwischen den Synapsen auf und längst Verschollenes erscheint staubig im Licht der Gegenwart. Ich bin wirklich erstaunt darüber, was dort alles herumliegt, vor allem die Kleinigkeiten, Details, Dinge, Szenen, Begebenheiten, die mir völlig wertlos erschienen waren und dennoch von einer Instanz in mir, einem niederen namenlosen Beamten meines Bewusstseins, abgelegt wurden in den tiefsten Nischen meines gigantischen grauen Massespeichers. Vielleicht sind gerade diese kleinen Dinge einer genaueren Betrachtung wert.
Ganze Szenen ploppen auf, ich kann die Erinnerungen abspulen wie alte VHS-Tapes, manchmal klemmt das Band ein wenig, manchmal gibts Schlieren oder das Tracking funktioniert nicht wirklich, aber meistens sehe ich klare Bilder und höre deutliche Stimmen in meinem Kopf. Ein überraschender Effekt: Je älter ich werde, desto klarer werden die Bilder und die Stimmen. Den Effekt hatte mir meine Großmutter genauso beschrieben, als ich jung war, im Wohnzimmer meiner Eltern, sie muss schon über siebzig gewesen sein, und wir sprachen über das Leben, die Jugend und über den Prozess der Erinnerung.
Ich kann mich sehr gut an meine Kindheit und Jugend erinnern, die Bilder werden immer klarer, von Jahr zu Jahr.
Und was ist mit der Zeit nach deiner Jugend, so zwischen dreißig und jetzt?
Das ist alles verschwunden. Da war ja alles immer gleich, der Bauernhof, die Tiere, der Tagesablauf, die Arbeit, das habe ich mir nicht gemerkt. Aber den Anfang erinnere ich gut, da war alles neu.
Jetzt bin ich fast da, wo sie damals gewesen ist. Je mehr ich mich vom Urknall entferne, also von meiner Kindheit und Jugend, desto besser kann ich das, was hinter mir liegt, erkennen und verstehen. Weil ich die notwendige Distanz habe, um die ganze Szene aus der Vogelperspektive zu überblicken.
Ich lege die Tagebücher beiseite und frage mich, ob ich mittlerweile das bin, was man einen Hasbeen nennt? Einer, der gewesen ist. Der das Beste hinter sich hat. Bei dem der Lack ab ist. Der von der schönsten Zeit seines Lebens träumt, die irgendwann in seiner Jugend lag. Opa erzählt vom Krieg.
Ich gehe ins Bad, schaue mich im Spiegel an und sehe immer noch den, der ich mal war. Sehe die vertrauten Konturen, die Ebenheit der Züge, kaum Falten um die Augen, die hohe Stirn, das nervige lockige Haar, das jeden Morgen wie ein schlecht aufgeschlagenes Daunenkissen auf meinem Kopf sitzt. Aber ich sehe auch den, der ich bald sein werde. Der Bart ist grau geworden, die Haut hat an Straffheit verloren, die Augen brauchen eine Brille. Ich stecke zwischen den Zeiten fest wie in einem Gletscher, der sich langsam talwärts bewegt. Und ich kann mich nicht an dem festhalten, der ich mal war, ich muss zu dem Etwas verwachsen, das ich werden soll, denn der Strom der Zeit fließt nur in eine Richtung - vorwärts. Oder besser: abwärts.
Wenn ich an meine Jugend denke, schlaglichthaft, dann erscheint sie mir in einem etwas verklärten, weichen, goldenen Licht. Wie ein Polaroid aus den Siebzigerjahren. Wenn ich aber in den Tagebüchern lese, wenn ich genauer nachdenke, mich tiefer auf die Erinnerungen einlasse, dann fällt mir all der Druck und Zwang, die Unsicherheit, die Unklarheit, die Verzweiflung, das Nichtwissen, die Vergeblichkeit, die Brutalität, mit einem Wort - die Qual meiner Jugend wieder ein.
Ich habe alles, aber auch alles an Selbstachtung verloren. Ich halte mich für mehr oder weniger nicht lebensberechtigt. Das Dumme ist, das ist keine Laune, sondern eine Einsicht und ein Zustand. Ein ohnmächtiger Zustand der Erkenntnis und nur ein letzter Funken Hoffnung, dass ich vielleicht doch nicht so bin, wie ich bin. Ich kann starke Kräfte entwickeln, aber nur so kurz, dass es für nichts Veränderndes reicht.
Und immer, immer, manchmal unterschwellig, manchmal dominierend: der Tod im Kopf. Ganz nüchtern, ohne Sentimentalität, nur als möglicher dritter Weg.
Don't forget - Einsamkeit ist das Wichtigste.
Gott, bin ich froh, so nicht mehr sein zu müssen. So nie wieder sein zu müssen, zumindest in diesem Leben. Denn nun kenne ich mein Wesen und meine Fähigkeiten, ich kenne die Menschenwelt und ahne zumindest, wie das Leben funktioniert. Je näher ich dem Tod komme, desto besser weiß ich, was ich will und worum es mir eigentlich geht. Und ich weiß, wie ich das verwirklichen kann. Früher habe ich mich - weil ich nicht wusste, wer ich war - chamäleonhaft ständig neu erfunden, habe Persönlichkeiten, Charakteristika, Styles ausprobiert, was von außen spannend ausgesehen haben mag, sich innen aber unsicher und hohl anfühlte. Mein Wesen war unfertig und der Tornister meiner Persönlichkeit nur zur Hälfte gefüllt, ständig dieses leere Schwappen in dem zu großen Raum. Die Gefahr bei Glycerin ist, dass es beim Transport explodiert.
Jetzt scheint alles anders. Ich bin nach wie vor neugierig, erfindungsreich, energiegeladen und an guten Morgenden, wenn ich aufwache und die Augen noch geschlossen halte, fühle ich mich wie ein alters- und körperloser Geist, der voller Lust und Freude über die Welt gleitet und sich all die Wunder anschaut, die irgendjemand namens Gott mit unglaublicher Akribie vorbereitet hat. Und ich weiß: Es gibt nichts Schlechtes auf der Welt. Wenn, dann nur in der Welt der Menschen.
Vor mir auf dem Tisch liegen die Tagebücher und meine rote Wollmütze. Ich besitze sie, seitdem ich vier Jahre alt bin. Mutter hat sie mir gestrickt und die Wolle ist so dehnbar und dennoch fest, dass ich sie immer noch tragen kann. Ich starre eine kleine Ewigkeit die Mütze an, ich versinke in den Strickrillen und tauche ganz ein in das dunkle Gespinst aus Haaren. Dann beginne ich zu schreiben. ...
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