Schweitzer Fachinformationen
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In einem arabischen Land herrscht im 19. Jahrhundert der weise König Salih. Als die Königin bei einem Attentat ums Leben kommt, versinkt die einzige Tochter in tiefe Melancholie. Die Thronfolgerin hat sich in einen armen Fischer verliebt, wovon ihr Vater nichts ahnt. Als Karam, der Kaffeehauserzähler, von ihrer Krankheit erfährt, beschließt er, die Prinzessin zu heilen. Allabendlich versammelt er erzählfreudige Menschen im Palast, um die junge Frau durch die schönsten Geschichten ins Leben zurückzuholen: von Mut und Feigheit, von Freundschaft und Feindschaft, von der Liebe und der Weisheit des Herzens. Eine Hommage an das Erzählen, die nicht nur Leserinnen und Leser von "Tausendundeiner Nacht" begeistern wird.
"Wenn er erzählt, erblüht die Wüste – der neue Roman von "Meistererzähler Rafik Schami". Denis Scheck
oder wie man unverhofft zu Geschichten kommt
Mit meiner Schwester Samar verbindet mich seit der Kindheit eine innige Liebe. Ich war vier, als sie auf die Welt kam. Sie weinte laut, die Hebamme, eine Freundin meiner Mutter, wusch sie und sang ihr schöne Lieder, die das neugeborene Baby willkommen heißen sollten, aber das Baby wollte nicht aufhören zu schreien. Es war eine Hausgeburt, und ich durfte - wenn auch in gewissem Abstand vom Bett - dabei sein. Dann plötzlich drehte sich das namenlose Baby auf dem Arm der Hebamme zu mir, hörte auf zu weinen und lachte mich an. Die Hebamme war verwundert und rief mich zu sich. Auf meinen fragenden Blick, ob ich das wirklich darf, nickte meine erschöpfte Mutter und lächelte. Ich kam näher, und das Baby lachte nun laut und entblößte seinen zahnlosen Mund. Ich fand das lustig, weil es mich an den Mund meiner Großmutter mütterlicherseits erinnerte.
Ich soll den Zeigefinger auf das Baby gerichtet und gerufen haben: »Tete Samar«, Großmutter Samar, und so nannte meine Mutter das Baby Samar. Meine Eltern hatten eine Abmachung getroffen: Meine Mutter gibt den Mädchen den Namen, dafür gilt der Wunsch des Vaters bei den Jungen.
Ich wurde zum Beschützer von Samar, und sie war die Zauberin, die Spenden aus Mutters Hand lockermachte. Sie war als Kind engelhaft schön, und wenn sie so still vor der Mutter stand und sie in einer gewissen Weise anlächelte, so sprangen dabei fünf bis zehn Piaster heraus, mit anderen Worten ein Eis und manchmal sogar eine Handvoll Erdnüsse dazu. Wir genossen die Beute immer zusammen und lachten viel. Ich allein hätte kaum eine Chance gehabt, die Mutter täglich um zehn Piaster zu erleichtern. Dafür wagte niemand weit und breit, Samar auch nur ein Haar zu krümmen. Diese Sicherheit hat ihr geholfen, eine scharfe Zunge zu entwickeln.
Auch heute sind wir trotz Entfernung und fünfzig Jahren Exil unzertrennlich. Wir telefonieren in der Regel zweimal wöchentlich und lästern über die Welt. Diese besondere, innige Freundschaft hat uns nicht selten in Krisen Halt gegeben. Samar und ich haben uns nie gescheut, einander auch unsere herbsten Niederlagen und dümmsten Fehler einzugestehen und beim anderen Rat zu holen.
Mein Vater hatte zu Lebzeiten nur ein Hobby: Bücher. Er war wohlhabend und errichtete mit den Jahren eine große Bibliothek in unserem Sommerhaus in Maalula, einem christlich-aramäischen Dorf sechzig Kilometer nördlich von Damaskus. Er liebte edle Bücher, vor allem aber Erstdrucke, Handschriften und seltene Ausgaben historischer Werke.
Auf einem Regal stand ein gerahmter Spruch, von einem Kalligraphen mit schöner Schrift geschrieben. Der kleine Rahmen war mit Intarsien geschmückt. Ich konnte diesen Spruch auswendig, weil er mir bei jedem Vorbeigehen auf Augenhöhe entgegenstrahlte. Er stammte nicht von einem arabischen Gelehrten, sondern von Pierre Curie, dem Atomphysiker. Jetzt, während ich an diesem Text arbeite, fällt er mir wieder ein, ich suchte danach, und tatsächlich, er existiert. Wortwörtlich so, wie er auch hinter der Glasscheibe in jenem Rahmen stand:
»Nur dreißig Bücher aus Andalusien haben uns erreicht, und wir konnten das Atom spalten. Wenn wir nur die Hälfte der Million Bücher hätten, die alle verbrannt worden sind, würden wir heute zwischen Galaxien hin- und herreisen.«
Doch als Naturwissenschaftler zweifele ich bei aller Verehrung von Marie und Pierre Curie daran, dass er von Pierre Curie stammt. Das Atom wurde erst etwa dreißig Jahre nach seinem Tod 1906 gespalten. Dennoch hat der Spruch seine Berechtigung, denn in Spanien wurden Berge von Manuskripten und Büchern nach der Vertreibung der Araber und Juden verbrannt.
Damals sagte mir mein Vater, der Spruch von Pierre Curie gebe genau seine Meinung wieder und sei die treibende Kraft hinter seiner Bücherleidenschaft. Auch als er alt wurde, ließ sie nicht nach. Ich war inzwischen in Deutschland. Immer wieder rief er mich an und erzählte mir stolz, welche Werke er nun erworben habe. Wenn er nach Beirut, Aleppo oder Amman reiste, so suchte er immer zuerst die Antiquariate auf.
Nach dem Tod meines Vaters war die Bibliothek nur noch eine schöne Dekoration. Viele der alten Bücher waren edel gebunden, nicht selten mit Leder und Goldprägung. Doch keiner in der Familie außer mir liebt Bücher. Auch Samar nicht. Sie ist Filmfanatikerin. Nicht selten scherzte sie, sie wolle mir die Bücher in einem Container nach Deutschland schicken, als Entwicklungshilfe.
»Um Gottes Willen«, rief ich und spielte den Entsetzten, »ich habe nicht einmal Platz für meine eigenen Bücher.«
Am Sonntag, dem 9. Januar 2014, rief sie mich an. Sie erzählte mir zuerst von dem Gottesdienst, den sie gerade besucht und wen sie dort getroffen hatte. »Aber ich war wie abwesend«, sagte sie und stockte dann.
»Und? Ist etwas passiert?«, fragte ich neugierig und zugleich besorgt.
»Nein, aber ich hatte gestern Nacht einen Albtraum«, sagte sie mit brüchiger Stimme, bei der ich mir jeden witzigen Kommentar verkniff.
»Einen Albtraum?«
»Ja, dass unser Haus in Maalula brannte. Vater stand in den Flammen und las unbeeindruckt und total versunken in einem Buch. Ich wollte zu ihm rennen, doch meine Füße waren schwerer als Blei. Er schaute zu mir herüber, lächelte und begann dann seelenruhig, Buch für Buch aus den Regalen zu nehmen und durch das offene Fenster zu mir herunter auf den Hof zu werfen. Sechs Bücher habe ich gezählt, dann flog das siebte auf mich zu, das bereits brannte. Ich wachte auf und war - trotz der Kälte - schweißgebadet. Ich musste mein Nachthemd wechseln.«
Ich schwieg.
Man muss erwähnen, dass die alten Araber, Aramäer und Juden den Traum nicht als Resultat von verdrängten Kindheitserlebnissen betrachten, sondern, und das war seit dem alten Ägypten und Griechenland so, als Zukunftsdeutung, bisweilen als Orakel oder prophetische Voraussicht, und zwar bis heute. Freud hat da kaum Kundschaft.
Eine Woche später rief Samar mich wieder an. »Ich hatte wieder denselben Albtraum«, sagte sie gepresst. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Hast du vielleicht eine Möglichkeit, ich meine, kennst du jemanden, der diese seltenen Bücher aus Vaters Bibliothek würdigt und gebrauchen könnte?«, fragte sie. Das Schicksal der Bücher musste sie intensiv beschäftigen, dass sie auf einen solchen Gedanken kam.
»Ich kümmere mich darum«, sagte ich. Samar bedankte sich. »Schick mir doch ein paar, damit ich den Wissenschaftlern zeigen kann, was das für ein Schatz ist. Es reichen erst einmal fünf Bücher.«
»Sagen wir sechs«, erwiderte Samar und lachte. Ich merkte ihre Erleichterung.
Zwei Wochen später kam eine Holzkiste mit sechs Bänden und einer Schachtel meiner Lieblingssüßigkeit »Nachtigallennester«, einem Pistaziengebäck.
Ich breitete die herrlichen Bücher auf einem Extratisch in meiner Bibliothek aus. Sie rochen nach Maalula, nach Thymian und Basilikum, nach Koriander und Papier. Ich sah das helle Zimmer in unserem Haus in Maalula und das große Bücherregal, das eine ganze Wand bedeckte.
Vor mir lagen zwei Bücher mit Abhandlungen und Reden über christliche Theologie und Ethik des Kirchenlehrers Johannes Damascenus (650-754). Er war ein bekannter syrischer Theologe und Lyriker. Seine Werke der Kirchenmusik werden bis heute geschätzt. Man hat ihn »Johannes des goldenen Mundes« genannt. Außerdem hatte das Paket einen Lyrikband mit Spottgedichten, ein Buch über Astronomie und eines über Alchimie enthalten. Der sechste Band war der unauffälligste, dessen Titel mich aber sofort gefangen nahm.
Wenn du erzählst, erblüht die Wüste. Das Buch war handgeschrieben. Weder am Anfang noch am Ende stand ein Autorenname. Nur, wie es bei solchen handgeschriebenen Büchern üblich war, das Datum der Niederschrift: Ostern 1890. Das ist ein deutlicher Hinweis, dass der Kopist oder Kalligraph ein Christ war. Der Autor bleibt im Dunkeln.
Ich ließ alles Übrige liegen und las den Text in einer Woche von vorn bis hinten durch. Danach beschloss ich, diesen Band für mich zu behalten. Wegen der anderen fünf kontaktierte ich...
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