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Als wir Truman Chafin in seiner Anwaltskanzlei in Williamson, West Virginia, besuchten, unterhielt er uns mit Geschichten über die schillernden und offensichtlich schuldigen Klienten, die er im Lauf der Jahre erfolgreich verteidigt hatte. Sodann bestand er darauf, dass wir in einer alten Gefängniszelle des Gebäudes für ein Foto posieren; wir sollten die Gitterstäbe mit den Händen umklammern, als wären wir Kleinkriminelle, die vom Sheriff geschnappt wurden. Chafin, der ehemalige demokratische Mehrheitsführer des Senats von West Virginia, teilt sich mit seiner Frau Letitia, die selbst eine bekannte Anwältin im selben Bundesstaat ist, eine weitläufige Suite in dem Haus, das früher einmal das Gerichtsgebäude war. Heute wird die Zelle als Küche genutzt.
Nachdem er jahrelang ohne Gegenkandidaten angetreten war, wurde Chafin 2014 abgewählt und Opfer eines erdrutschartigen Siegs der Republikaner, die damit die Kontrolle über beide Häuser des bundesstaatlichen Parlaments übernahmen. Es war ein entscheidender Moment für West Virginia, von einer demokratischen Einparteienherrschaft zu einer von den Republikanern geführten Einparteienherrschaft zu wechseln,1 doch es war mehr als nur ein Machtwechsel. Die persönliche Art der Politik, die sich auf die Verteilung von Ressourcen durch die Regierung konzentrierte, war nur noch eine blasse Erinnerung.
Die von dem legendären demokratischen Senator von West Virginia, Robert Byrd, aufgebaute Maschinerie ist längst Geschichte, ebenso wie die Bedeutung des demokratischen County Chairs [der County Chairin den USA ist eine Führungsperson auf der Ebene eines Countys, vergleichbar mit einem Landkreis, die eine administrative, politische oder organisatorische Rolle innehat. Anm. d. Übers.], eine Position, die Chafin viele Jahre lang in Mingo County bekleidete. »Der County Chair hatte hier unten das Ruder in der Hand«, sagte er uns; er war die Person, die alle wichtigen Beziehungen pflegte, und zwar nicht nur für die Erbringung von Dienstleistungen, sondern er war es auch, der die Loyalität der Menschen gegenüber der Demokratischen Partei sicherstellte. »Jetzt kann man niemanden mehr dazu bringen, den Job zu übernehmen.«
Das Vakuum jedoch, das durch eine geschwächte Demokratische Partei auf lokaler Ebene entstanden ist, wurde mitnichten durch eine engagierte Republikanische Partei gefüllt. »Die Republikaner haben auch kein gutes System«, sagte Letitia Chafin, »aber sie brauchen auch keines.«2
In der Tat brauchen sie keines. Jahrzehntelang war das County fest in demokratischer Hand, eine Phase, die bis 2004 andauerte, als John Kerry George W. Bush dort mit einem komfortablen Vorsprung besiegte. Doch mit dem Amtsantritt von Barack Obama kam es zu einem harten Rechtsruck, und bei jeder folgenden Wahl vergrößerte sich der Vorsprung der Republikaner. Heute ist kein Politiker dort beliebter als Donald Trump, und das nicht etwa, weil er während seiner vierjährigen Amtszeit das ländliche Amerika in ein Paradies verwandelt oder sein Versprechen, alle verlorenen Arbeitsplätze in der Kohleindustrie zurückzubringen, eingelöst hätte. Das hat er nicht. Aber in Orten wie Mingo County scheint das nur wenige zu stören.
Dieses Paradoxon ist einer der Gründe, warum wir dieses Buch geschrieben haben und weshalb wir nach Mingo County gekommen sind, einem von vielen Orten auf dem Land, die wir während unserer Recherchen besucht haben. Es hat eine faszinierende politische und wirtschaftliche Geschichte, die ihm vor Jahrzehnten den Spitznamen »Bloody Mingo« einbrachte. Die entscheidende Periode wird als Mine Wars bezeichnet - gemeint sind eine Reihe von Konflikten, die in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stattfanden und bei denen Bergleute, die eine gerechte Behandlung forderten, gegen Kohlenbetriebe antraten, die auf solche Forderungen nicht selten mit mörderischer Gewalt reagierten.3
Gewerkschaftsmitglieder und ihre Verbündeten erinnern sich an diese Vorfälle als eine Geschichte des Heldentums und der Unterdrückung. Aber es war der New Deal, der das brachte, wofür diese Bergleute in den Mine Wars gekämpft hatten, und für eine kurze Zeit, nachdem Franklin Roosevelt sein Programm zur Arbeitsreform in Kraft gesetzt hatte, sah es so aus, als könnte ein weitverbreiteter Wohlstand Einzug in die Kohlereviere halten. Roosevelt hatte Gesetze zum Schutz der Tarifverhandlungsrechte und zur Eindämmung von Missbrauch durch Arbeitgeber unterzeichnet.4 Die United Mine Workers handelten Verträge aus, die nicht nur die Löhne und Arbeitsbedingungen verbesserten, sondern auch Gesundheits- und Rentenleistungen beinhalteten. Im Kohlebergbau waren nach wie vor zahlreiche Männer unter Tage beschäftigt; das bedeutete natürlich viele Arbeitsplätze. In Gebieten wie Mingo County, die bereits vor der Weltwirtschaftskrise von erdrückender Armut geprägt waren, war nun ein Leben in der Mittelschicht möglich.
Doch in den 1950er-Jahren begannen sich die Dinge zu ändern. Zunächst sorgte die Automatisierung für eine drastisch reduzierte Anzahl an Bergleuten, die für die Förderung der gleichen Menge Kohle benötigt wurden; mit jeder neuen technologischen Entwicklung waren weniger Männer erforderlich, die unter Tage schufteten.5 Als diese guten Arbeitsplätze mit ebenso guten Sozialleistungen immer seltener wurden, begann die Macht der Gewerkschaften zu schwinden. Dann kam Ronald Reagan und der Krieg gegen Lohnverhandlungen, gefolgt von der Ausbreitung des sogenannten Mountaintop Removal Mining, eine Form des Tagebaus unter Verwendung von Sprengstoff und riesigen Maschinen. Das führte dazu, dass sich die Zahl der Bergleute, die für den Kohleabbau nötig waren, weiter verringerte, da dieser Tagebau große Teile der malerischen Hügel der Appalachen in eine mondähnliche Landschaft verwandelte.
Nicht nur die Wirtschaft und die Topografie veränderten sich. »Als es hier noch eine starke Gewerkschaft gab, kam die Stimme von der Gewerkschaft«, erzählte uns Raymond Chafin, ein ehemaliger Bergmann, der vor Jahrzehnten in einem Bergwerk einen schrecklichen Sturz erlitt, sich das Becken brach und fast gestorben wäre. (Er ist nicht mit Truman Chafin verwandt; es gibt dort viele Menschen mit dem Namen Chafin.) Aber heute ist diese Stimme immer leiser geworden. Die Branche rief eine PR-Kampagne namens »Friends of Coal« ins Leben, um die Menschen davon zu überzeugen, dass sie sich alle vereint gegen Umweltschützer und andere Außenstehende stellen. Fox News und andere konservativ gefärbte Medien dominierten die Informationslandschaft. Heute ist die traditionelle Allianz zwischen der Demokratischen Partei und den Gewerkschaften so gut wie bedeutungslos geworden, weil beide Institutionen in West Virginia so viel schwächer sind. »Die republikanische Hochburg, die man jetzt hier hat, ist praktisch uneinnehmbar«, sagte Raymond Chafin.6
In Mingo County gibt es, wie an so vielen Orten in den Appalachen, zunehmend weniger Bergleute; nach Angaben des Bundesstaates West Virginia waren im Jahr 2021 nur noch 296 Menschen im County in der Kohleindustrie beschäftigt,7 was etwa 2 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter entspricht. Dennoch ist Kohle dort allgegenwärtig und wird überall geschätzt und gewürdigt. Das markanteste Gebäude an der Hauptstraße in Williamson ist das Coal House, ein Gebäude gebaut aus Kohle. Im Herbst kann man am Coal Dust 5K Run/Walk teilnehmen, bei dem die Läufer an der Ziellinie mit (unechtem) Kohlenstaub beworfen werden. Junge Mädchen können zum Schönheitswettbewerb »Sweetheart of the Coalfields« ins Feuerwehrhaus kommen. Die Mingo Central High School liegt am King Coal Highway, ihre Sportmannschaften heißen »die Miners« und »die Lady Miners«.
Man könnte meinen, die Kohle sei für die Appalachen eher ein Fluch als ein Segen gewesen, doch das ist kein Thema, über das viele Menschen dort gern sprechen. Der alte Konflikt zwischen Arbeitern und Eignern hat keine allzu große Bedeutung mehr, denn in jeder Hinsicht haben die Eigentümer gewonnen. Die kurze Zeit, in der Kohle tatsächlich so etwas wie weitverbreiteten Wohlstand bot, wurde durch gewerkschaftliche Organisation und eine demokratische Regierung in Washington ermöglicht. Der amtierende Gouverneur von West Virginia, Jim Justice, ist jedoch ein Kohlebaron und der reichste Mann des Bundesstaates - und jemand, der parteipolitisch von den Demokraten zu den Republikanern wechselte. Politiker, die faule Versprechen machen, um der Kohle zu ihrem früheren Glanz zu verhelfen - wenn man das so nennen kann -, werden bei Wahlen bejubelt und belohnt. Nur wenige Menschen haben dies jemals mit einer so schamlosen Verlogenheit getan wie Donald Trump, und die Wähler in den Kohleregionen haben es ihm abgekauft; er hat dort nicht nur gewonnen, sondern das auch mit einem erstaunlichen Vorsprung. Im Jahr 2016 erhielt Trump 83 Prozent der Stimmen in Mingo County.8 Vier Jahre später erhielt er dort 85 Prozent der Stimmen.
Obwohl es ländliche Gebiete gibt, die nicht mit den gleichen zermürbenden Problemen konfrontiert sind wie Mingo County, bleibt es der Republikanischen Partei treu verbunden, so wie fast jedes andere County im Land, das mehrheitlich von Weißen getragen wird. Wenn man sich anschaut, wo Trump seine größte Unterstützung erhielt, dann sind es ausnahmslos...
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