Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Ein besonders schönes Exemplar«, sagte Hillinger, als er ihm die Taube präsentierte. »Sie sieht so lebendig aus«, antwortete Daniel. Hillinger lächelte geschmeichelt. Er wippte mit dem Kopf und sah dabei aus wie ein verdatterter Vogel Strauß. Noch vor einem Jahr hatten Tierschützer vor dem Atelier gegen seine Methoden demonstriert. »Eine Sabotage der Konkurrenz!«, zischte einem der asketische Vogelkopf des Präparators ins Gesicht, wenn man die Proteste ansprach. Über fünfhundert standen wie eingefroren vor seinem Fenster und rührten sich nicht. Manche von ihnen hatten sich weiß geschminkt. Das Ganze wirkte wie eine große Installation, eine Hommage an Hillingers Arbeit.
Daniel betrachtete die Taube. Sie hatte ihn ein Vermögen gekostet. Aber Hillinger verstand sich als Künstler. »Ich bin beeindruckt«, sagte Daniel. Hillinger nickte mit einem wissenden Seufzen. Er hatte die Taube auf einem Ast platziert. Sie spreizte ihre Flügel zum Abflug. Hillinger konnte selbst den Ausdruck des Blicks konservieren.
»Wie haben Sie das gemacht?«
»Sie kennen doch meine Methode. Der Rest ist Handwerk.«
Daniel stellte sich vor, wie Hillinger das lebende Tier auf seinen Finger setzte. In der Hand den Spray, der eine Substanz enthielt, die Hillinger vor Jahren für seine Zwecke entwickeln ließ. Sie tötete und vereiste das Tier innerhalb einer Zehntelsekunde. Er warf die Taube in die Luft, zückte während des Abfluges den Spray und fror den Moment für die Ewigkeit ein. Die Taube fiel wie Stein zu Boden. Hillinger konnte mit seiner Methode das gesamte Wesen eines Tieres einfangen.
»Die meisten bringen wahrscheinlich ihre todkranken Haustiere vorbei.« Hillinger nickte. Er hatte für seine Kundschaft recht wenig übrig. »Die Taube ist das Symbol der Liebe«, sagte er und setzte einen Blick auf, als würde er den Spray gleich gegen Daniel richten. »Ich nehme an, es ist für eine Frau.« Daniel nahm den Karton entgegen und übergab Hillinger ein Kuvert mit 8000 Euro. »Ja, aber ich habe sie leider nicht mehr rechtzeitig zu Ihnen bringen können.«
Wenn Mira schlief, sah sie aus wie Nina. Sie hatte ihm zwar vorgeschlagen, allein zu fahren. Und obwohl er das wollte, hatte er sie gebeten mitzukommen. Noch drei Abfahrten. Noch drei Möglichkeiten, einfach umzudrehen. Stattdessen raste er mit 180 km/h geradewegs auf den See zu. So wie er vor sieben Jahren ohne zurückzusehen weggerast war.
Als ihn Xaver letzte Woche anrief, wusste er, dass es für vieles die letzte Möglichkeit sein würde.
»Am Montag sind es sieben Jahre, Daniel. Nina wird nach diesem Abend für tot erklärt.«
»Außer sie taucht auf.«
»Wir wollen uns alle im Haus treffen. Es wäre gut, wenn du dabei wärst.«
Daniel verneinte. Dann legte er auf.
»Wer war das?«
Mira hatte das Telefonat mitgehört.
»Ein alter Schulfreund. Sie wollen so eine Art Klassentreffen veranstalten. Aber ich habe keine Lust.«
»Du lügst mich doch sonst nie an. Was ist los?«
Ihre blauen Augen sahen aus wie zwei stille Wasser bei Nacht.
»Es geht um eine alte Freundin.«
»Sie war deine Freundin.«
»Ja. Wir waren gemeinsam in der Schule in Salzburg.«
»Nina hatte Drogen noch nie angerührt.«
»Auf jeden Fall kam Xaver auf die schwachsinnige Idee, mit dem Boot auf den See zu fahren.«
»Man hat ihre Leiche nie gefunden.«
In Miras Augen zuckte ein kurzer Wellenschlag. Der Rest des Gesichts blieb regungslos.
»Und was ist dann passiert?«
»Meine Eltern haben mich aus der Schule genommen. Wir sind nach Wien gezogen und ich war zwei Jahre lang in Therapie.«
»Warum hast du mir das nie erzählt?«
»Weil es nicht wichtig war«, scherzte er.
Doch Miras Blick stand still.
»Ich weiß nicht. Wahrscheinlich wollte ich es verdrängen.«
»Du musst hinfahren.«
»Ich fahre auf keinen Fall.«
Noch 5 km bis zu dem Haus.
Der Attersee legte sich wie ein schwarzer Film über die Landschaft. Irgendwo da unten lag Nina. Sie hatten gestritten. Er hätte die Abtreibung nicht gewollt. Es war auch sein Kind. Sie hätte mit ihm darüber sprechen müssen. Nina nahm das LSD wie ein Gifttablette.
Vor dem Haus standen fünf BMWs. Daniel parkte seinen Saab und stupste Mira. Jarvis Cocker sang:
If you wait 'til tomorrow she'll no longer be there.
Daniel stellte den Motor ab. Vorsichtig hob er die präparierte Taube aus dem Kofferraum. Im Vorgarten blieb er plötzlich stehen und sagte: »Hör mal.« Miras schlanker Hals drehte sich fragend zu ihm. Doch man konnte das Klimpern der Bootsmaste, das an den Klang von Mobiles erinnerte, nicht hören.
»Was?«, sagte Mira
»Es ist nicht da«, sagte Daniel und küsste ihren Hals.
Sie folgten dem Gemurmel ins Haus. Als sie im Wohnzimmer standen, setzte es aus. Nur die Musik lief weiter. Velvet Underground: »All Tomorrow's Parties«. Xaver sah noch immer aus wie der junge Truman Capote.
»Ich wusste, dass du kommst.«
Xaver blieb sitzen und blies den Rauch seiner Zigarette in die Runde. Britta, Florian, Claudia, Andreas und Max. Sie versuchten erfolgreicher auszusehen als ihre Eltern. Alle musterten Daniel. »Ich weiß nicht, ob ich mit jemandem ausgehen will, der mit über 30 noch immer versucht, wie Jarvis Cocker auszusehen«, hatte Mira zu ihm gesagt.
»Jarvis Cocker ist über 40 und versucht, noch immer wie Jarvis Cocker auszusehen«, hatte Daniel geantwortet. Mira sah aus wie Jean Seberg in Außer Atem. Er hatte sich sofort in ihren abwesenden Blick verliebt. Wahrscheinlich, weil er die ständige Anwesenheit eines Menschen sonst nicht ertragen würde.
Daniel präsentierte Xaver Hillingers Taube.
»Ich dachte, das gefällt dir.«
»Passt doch zu dem heutigen Abend.«
Xaver machte keine Anstalten aufzustehen. Also stellte Daniel die Taube in die Mitte des Tisches. Die Taube bot den Gesprächsstoff, der ihnen sonst fehlte. Mira kannte die meisten aus Erzählungen. Sie spürte die eindringlichen Blicke, die sie musterten. Als Xaver meinte, dass sie Nina ähnlich sah, ging sie zum Auto, um die Koffer zu holen. Daniel lief ihr hinterher.
»Wir hätten nicht herfahren sollen.«
Sie zündete sich eine Zigarette an.
»Schon gut. Es macht mir nichts aus.«
»Hörst du es jetzt?«
Sie blies den Rauch aus und nickte lakonisch.
»Stör ich?«
Xaver stand in der Tür. Mira reichte Daniel die Zigarette und ging wortlos ins Haus. Xaver sah ihr wie einer Bediensteten hinterher.
»Ich wollte mich nur entschuldigen.«
»Dann sprich mit Mira.«
»Lieber nicht.«
Er stellte sich neben Daniel und nahm einen langen Zug von dessen Zigarette.
»Aber deine Freundinnen sehen alle aus wie deine Mutter.«
Er lächelte freundschaftlich und gab Daniel seine Zigarette zurück.
»Wusste Nina von deinem Vater und ihrer Mutter?«
Daniel zuckte die Achsel und dämpfte die Zigarette mit seinem Schuh aus.
»Was ist los?«
Mira hielt sich mit einer Hand am Bettrand fest. Die Koffer standen geschlossen neben ihr.
»Nichts. Mir ist nur schlecht.«
»Willst du Wasser?«
»Nein, danke. Ich komme gleich.«
»Solltest du nicht längst die Regel haben?«
»Keine Angst, ich bin nicht schwanger.«
Er umarmte sie von hinten.
»Schade.«
Sie schob ihn zur Seite.
»Du willst doch kein Kind.«
»Jetzt nicht.«
Er küsste ihren Hals. Sie entzog sich.
»Holst du mir bitte doch ein Wasser.«
Als er zurückkam, lag Mira angezogen im Bett. Er stellte das Glas ab und legte sich zu ihr.
»Bist du sicher, dass du mich liebst?«
Er versuchte es ihr mit einer besonders zärtlichen Liebkosung zu beweisen. Sie blieb bewegungslos liegen. Die Augen geschlossen. Den Atem angehalten. Sie fühlte sich wie ein Gegenstand an. Das Klimpern der Boote hatte aufgehört.
»Mira?«
Er ging hinunter. Das Licht war gedämpft. Im ganzen Haus war es still. Sie saßen schweigend um den runden Tisch. In der Mitte stand das Glas. Mira saß neben Xaver. Ein Sessel stand leer. Daniel setzte sich. Alle blickten zu Xaver, der den ersten Schluck nahm. Er reichte das Glas Mira. Sie nahm es schweigend an.
»Ich will das sehen, was du siehst.«
Sie nahm einen Schluck und reichte das Glas weiter. Daniel war der Letzte und trank es aus. Er stellte es zurück in die Mitte. Alle Blicke endeten bei Xaver, der Hillingers Taube fixierte. Erst jetzt erkannte Daniel den kurzen Moment des Schreckens in ihren Augen. Er nahm den Blick von dem Vogel. Sie saßen da, als wäre Hillinger mit seinem Spray durch das Zimmer gegangen. Er stand auf. Keine der cremig blassen Wachspuppen rührte sich. Ihre Augen glänzten noch. Aber sie reagierten auf nichts. Er schreckte auf. Die Taube flatterte durch das Zimmer. Sie schoss an seinem Gesicht vorbei. Knallte gegen die Scheibe. Fiel zu Boden. Knallte wieder gegen die Scheibe. Daniel öffnete das Fenster. Er sah ihr noch nach. Dann ging er zum Ufer.
Das Wasser gab geräuschlos dem Bug des Bootes nach. Er spürte keinen Wind, aber das Boot glitt zügig über den See. So als kannte es seinen Weg. Er saß am vorderen Ende und starrte auf sein eigenes Gesicht, das ausdruckslos über dem Wasser schwebte. Er fühlte, wie er verschwand. Wie sich die Teile, aus denen er bestand, nicht mehr zusammensetzen ließen. Es war nur ein kurzer Moment, der das...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.