Schweitzer Fachinformationen
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Beginnen wir mit einer Luftaufnahme. Tauchen wir unter die Wolkendecke, und da ist er, dieser erste flüchtige Blick auf den Archipel - ein Moment, eine Aussicht, ein so jähes und intensives Schauspiel an Farben, das einem das Gefühl gibt, als hätte man einen Eiswürfel in warmes Wasser geworfen und würde ihm nun dabei zusehen, wie er zerspringt: das azurblaue Meer, die smaragdgrünen Inseln mit ihrem Rand aus schneeweißem Sand; vielleicht taucht heute auch noch ein karminroter Tanker am Rand dieses Bildes auf.
Gehen wir noch ein wenig tiefer, geben die Inseln ihre Topografie preis: Täler und Ebenen und Gebirge in der Mitte und die kegelförmigen Gipfel der Vulkane, von denen einige immer noch aktiv sind. Da haben wir Mount Scenery auf Saba, Mount Liamuiga auf Saint Kitts, Mont Pelée auf Martinique, The Quill auf Sint Eustatius, La Soufrière auf Saint Lucia und Saint Vincent, La Grande Soufrière auf Basse-Terre, einer der beiden Hauptinseln von Guadeloupe, und schließlich Grande Soufrière Hills auf der winzigen Insel Dominica, die nicht weniger als neun Vulkane beherbergt. Die Vulkane geben einem ein unbehagliches Gefühl von gefährlicher Nähe - der Alltag des Insellebens unmittelbar neben der lauernden Gefahr eines Ausbruchs. (Auf manchen Inseln segeln an manchen Tagen Ascheflocken durch die Luft, blass und dünn, die sich dann auf grasbewachsene Hügel und Dachfirste legen).
Irgendwo in der Mitte des Archipels liegt eine Insel, die ungefähr vierzig Kilometer lang und zwölf breit ist. Es ist ein flacher, gelbbrauner, staubiger Ort, der Erdboden ist dünn und trocken, das Gelände gesprenkelt mit flachen Salztümpeln, und die einheimische Vegetation besteht hauptsächlich aus tropischen Sträuchern - Meertraubenbäumen, Kakteen, Trema-Sträuchern. (Hier gibt es auch einen Vulkan, Devil Hill, der allerdings so klein ist und dessen Magma so selten nach oben steigt, dass er weder als Bedrohung noch als Attraktion taugt.) Die Insel hat achtzehntausend Einwohner und empfängt jedes Jahr um die neunzigtausend Touristen, die vom heißen, trockenen Klima der Insel angezogen werden. Von oben gesehen ähnelt die Insel einer Faust, von der ein einzelner langer Finger nach Westen zeigt.
Die nördliche Küste weist zum Atlantik, dort ist die Küste schmal und felsig, das Wasser je nach Jahreszeit unterschiedlich. Fast alle Bewohner leben auf dieser Seite, die meisten von ihnen in der winzigen Hauptstadt, The Basin, wo sich Schulgebäude aus Schlackenbetonsteinen, kleine Supermärkte, Kirchen und Tankstellen mit verblichenen Kolonialbauten in Pastelltönen abwechseln: das blütenrosa georgianische Anwesen des Gouverneurs; die mintgrüne Nationalbank; das zartblaue Gefängnis. (Ein Gefängnis neben einer Bank - der Lieblingswitz im Ort.) An dieser Küste verraten die Namen der Strände ihre Defizite: Salty Cove, Rocky Shoal, Little Beach.
An der Südküste hingegen schwappen die sanften Wellen der Karibik auf den puderfeinen Sand. Mehrere Ferienresorts verteilen sich entlang der Küste: The Oasis, Salvation Point, The Grand Caribbee und das Kronjuwel der Insel, Indigo Bay, und allesamt sind sie geschmückt mit Bougainvilleen, Hibiskus und anderen farbenprächtigen, schönen Täuschungsmanövern, die den Eindruck erwecken sollen, dass diese Insel ein üppiger, fruchtbarer Ort ist.
Im Meer verteilt liegt ungefähr ein Dutzend unbewohnter kleiner Inselchen, von denen die bemerkenswertesten Carnival Cay, Tamarind Island und Fitzjohn sind (Letztere berühmt für die Fitzjohn-Eidechse, zumindest bei den Einheimischen). All diese kleinen Inseln sind beliebte Ausflugsziele - um zu schnorcheln, für romantische Picknicks und geführte Touren durch die Kalksteinhöhlen. Die kleine Insel, die der Hauptinsel am nächsten liegt, heißt ironischerweise Faraway Cay und liegt keine fünfhundert Meter vor der Küste bei Indigo Bay. Mit ihrem perlmuttschimmernden Strand, den wilden Landschaften und dem makellos schönen Wasserfall in der Mitte wäre sie ein ebenso beliebtes Ziel wie die anderen kleinen Inseln, wenn es dort nicht gleichzeitig von Wildziegen wimmeln würde, die von Salzmieren und Kaktusfeigen leben müssen.
Die Inselbesucher haben wenig Sinn für diese Geografie. Würde man sie fragen, wären die meisten nicht in der Lage, die Grundumrisse der Insel aufzuzeichnen. Sie können sie nicht auf einer Karte finden, können sie nicht von den anderen kleinen Landmassen unterscheiden, die im Meer zwischen Cuba und Venezuela liegen. Wenn ein Taxi sie vom Sir Reginald Corwin International Airport zu ihrem Hotel fährt oder von ihrem Hotel zu einem Restaurant mit Caribbean-Fusion-Küche in der Mayfair Road oder wenn sie auf dem Katamaran Faustina eine Fahrt im Sonnenuntergang mitmachen oder wenn ihr Kreuzfahrtschiff bei Bendy Harbour anlegt und sie zu den Läden an der Hibiscus Plaza schlendern oder wenn ein Schnellboot mit ihnen zur Cactus Pear Bay hinüberflitzt, um die alte Zuckerrohrplantage zu besichtigen, wissen sie nicht, ob sie in nördlicher oder südlicher, östlicher oder westlicher Richtung unterwegs sind. Die Insel ist ein hübsches Nirgendwo, das im Gin-klaren Wasser schwebt.
Wenn sie nach Hause fahren, vergessen sie im Handumdrehen die Namen der Dinge, die sie gesehen haben. Sie wissen nicht mehr, wie der Strand hieß, an dem ihr Resort lag, oder die kleine Insel, zu der sie einen Schnorchelausflug gemacht haben. (Der Sand dort war mit flachen Sanddollar-Seeigeln übersät, als wären sie kein bisschen kostbar.) Sie haben den Namen ihres Lieblingsrestaurants vergessen, sie wissen nur noch, dass es irgendwas mit einer exotischen Blume zu tun hatte. Sie vergessen sogar den Namen der Insel selbst.
Zoomen wir uns näher an Indigo Bay heran, können wir die Einzelheiten der Anlage erkennen. Erst die lange Auffahrt mit den kerzengeraden Palmen, die Marmorlobby mit dem hohen gewölbten Dach, der Pavillon im Freien, in dem jeden Morgen bis zehn Uhr Frühstück serviert wird, das Spa, der nierenförmige Pool, die Fitness- und Business-Center (die auf den gravierten Schildern allerdings »CENTRE« buchstabiert werden, ein Britizismus, von dem die amerikanischen Gäste entzückt sind, weil er ihnen kurios und wahrhaftig vorkommt auf dieser von England so weit entfernt liegenden Insel). Da ist der Strand, auf dem die bequemen Stühle zu einer Parabel arrangiert sind, die sich an die Krümmung der Bucht schmiegt, die Einheimische, die am Rand des Strandes unter einem ausgeblichenen blauen Sonnenschirm auf einer umgedrehten Plastiksteige sitzt und jungen Mädchen die Haare zu Zöpfen flicht. Der Duft ist klassisch tropisch: Frangipani und Kokos-Sonnencreme und das milde Salzwasser des Äquatorialmeers.
Am Strand sitzen Familien, und der Sand um ihre Stühle ist mit Plastikschaufeln, Schwimmflügeln, unglaublich kleinen Badeschuhen übersät; Ehepaare in den Flitterwochen schmiegen sich in Cabanas aneinander; Rentner liegen im Schatten und lesen dicke Thriller. Sie machen sich keine Vorstellung von dem, was sich hier, auf Saint X, im Jahre 1995 abspielen wird.
Es ist spät am Vormittag. Schau. Da geht ein Mädchen den Strand entlang. Mit schlenderndem Gang, als wäre ihr egal, wann sie ihr Ziel erreicht. Als sie so dahinspaziert, folgen ihr Blicke - junge Männer, ganz offen; ältere Männer, etwas dezenter; ältere Frauen, sehnsüchtig. (Sie waren auch mal achtzehn.) Sie hat eine lange, bauschige Tunika über ihrem Bikini an, trägt das Ganze aber mit einem teeniehaften Schmiss, der einen Hauch von Provokation hineinbringt. Apricotfarbene Sommersprossen überziehen die milchweiße Haut ihres Gesichts und ihrer Arme. Sie trägt ein Silberkettchen mit Sternenanhänger am Knöchel, und Gummi-Flipflops an den langen, geraden Füßen. Eine Strandtasche aus geflochtenem Bast hängt lässig an ihrer Schulter. Ihr rostbraunes Haar ist dick und glatt wie ein Pferdeschweif, und es ist mit einem gelben Gummi zu einem Knoten zerzauster Präzision geschlungen. Das hier ist Alison. Und bitte nicht »Ali«.
»Guten Morgen, Schlafmütze«, sagt ihr Vater, als sie bei den Stühlen ankommt, auf denen ihre Familie sitzt.
»Morgen!« Sie gähnt.
»Du hast ein riesiges Kreuzfahrtschiff verpasst, das ist vorhin direkt da vorne vorbeigefahren. Man konnte die Leute sehen, wie sie über eine Rutsche ins Wasser gerutscht sind«, sagt ihre Mutter.
(Obwohl die Gäste in Indigo Bay gerne mal nörgeln, wenn sich diese massigen Schiffe in ihr Blickfeld schieben, verschaffen ihnen diese Momente auch eine gewisse überhebliche Genugtuung, weil der schlechte Geschmack anderer Leute ihren eigenen guten bestätigt - sie verbringen ihren Urlaub nicht in der vulgären Opulenz eines Schiffs, das ungefähr so schön ist wie ein Bürokomplex.)
»Klingt ja hochinteressant.« Alison zieht sich einen Stuhl aus dem Schatten eines Sonnenschirms in die Sonne. Sie holt einen gelben Walkman aus ihrer Strandtasche. Sie legt sich hin, setzt ihre Kopfhörer auf und schiebt sich die Sonnenbrille, die sie vorhin in den Haaren getragen hatte, vor die Augen.
»Wie wär's, wenn wir mal alle zusammen schwimmen gehen?«, fragt ihr Vater.
Alison reagiert nicht....
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