Schweitzer Fachinformationen
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Spazierengehen? Eine längere Autofahrt? Geht nur, wenn unterwegs Toiletten erreichbar sind! Ein wichtiges Meeting? Ein Kinobesuch? Stress pur, wenn wieder mal zu viel Luft im Bauch ist und sich peinliche Gerüche und Geräusche kaum vermeiden lassen ...
Menschen mit einem Reizdarm müssen immer wieder erleben, dass ihre Verdauung zum alles bestimmenden Faktor ihres privaten und beruflichen Alltags wird. Eine enorme Bürde, die danach schreit, akute Beschwerden nicht nur für den Moment zu mildern, sondern möglichst dauerhaft unter Kontrolle zu bekommen. Das ist nicht leicht - aber es ist machbar, wie ich Ihnen in den folgenden Kapiteln dieses Buches zeigen werde. Denn auch wenn der Reizdarm die medizinische Fachwelt weiterhin noch vor einige Rätsel stellt, verstehen die Experten das Wesen der Erkrankung doch zunehmend besser. Die wichtigste Erkenntnis: Das Reizdarmsyndrom ist nicht, wie jahrzehntelang definiert, eine rein funktionelle Störung ohne organische Ursache. Es handelt sich auch nicht um eine psychogene, das heißt primär psychisch bedingte, und erst recht nicht um eine eingebildete Krankheit - tatsächlich war früher sogar von »Kolonneurose« die Rede. Im Gegenteil lässt sich neuerdings sicher sagen: Der Reizdarm ist durchaus ein organisches Leiden - hervorgerufen durch konkrete körperliche Veränderungen, die eindeutig im Darm lokalisiert sind. Und weil der Darm ein unglaublich komplexes Organ mit verschiedenen Abschnitten für unterschiedliche Aufgaben ist, das zudem mit einem eigenen Immunsystem, einem eigenen Nervensystem und sogar einem eigenen Ökosystem ausgestattet ist, kann jede noch so kleine Veränderung in einem dieser Systeme eine Kettenreaktion in Gang setzen, die auch die anderen Systeme in Mitleidenschaft zieht. Dies erklärt, weshalb sich bei einem Reizdarm meist verschiedene Störungen im Darm finden lassen - wobei die eine Störung oftmals die andere bedingt und umgekehrt.
Die lange Zeit gültige Annahme, dass es sich bei einem Reizdarm um »Verdauungsbeschwerden ohne Ursache« handelt, spiegelt sich auch in den üblichen Begrifflichkeiten wider - nicht zuletzt in der aktuell gängigen Bezeichnung »Reizdarmsyndrom« (RDS, Colon irritabile, Irritable bowel syndrome, IBS). »Syndrom« soll dabei als Hinweis darauf verstanden werden, dass es sich beim Reizdarm um ein Krankheitsbild handelt, das mit einer Summe von unterschiedlichen Symptomen in verschiedenen Schweregraden und Verläufen einhergeht, ohne dass ihnen eine Krankheitsursache zugeordnet werden kann. Und auch die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) sprechen vom Reizdarmsyndrom als einer »symptomdefinierten Erkrankung des gesamten Darmtrakts«. Inzwischen kristallisiert sich jedoch immer deutlicher heraus: Das gängige Bild muss korrigiert werden - die Begriffe passen nicht mehr.
Das neue Verständnis für die Erkrankung wäre nicht ohne das enorme Interesse gewachsen, das die Forschung dem Darm seit einigen Jahren entgegenbringt. Das Ziel, zu beweisen, dass der Darm sehr viel mehr ist als nur eines von mehreren Verdauungsorganen, haben die Wissenschaftler erreicht. Tatsächlich haben sie viele, bis dahin unbekannte Fakten über den Darm und sein komplexes Innenleben zutage gefördert, was zu ganz neuen Sichtweisen geführt hat. Dazu gehört zum Beispiel, dass der Darm über ein sogenanntes Bauchhirn verfügt: ein dicht geknüpftes Nervennetz, das die Muskeln der Darmwand von der Speiseröhre bis zum After umschlingt und das dem Nervensystem im Gehirn in vielem auffallend ähnelt, in mancherlei Hinsicht sogar mit ihm identisch ist. So haben beide Systeme dieselben Zelltypen und Rezeptoren - und sie produzieren die gleichen Botenstoffe, zum Beispiel Serotonin, Dopamin oder Acetylcholin.
Das Bauchhirn - von den Medizinern auch enterisches (= darmeigenes) Nervensystem genannt - ist nicht nur der zentrale Motor der Verdauung, sondern befindet sich auch in permanentem Austausch mit dem Gehirn. Diese Erkenntnis hat, wie Sie später noch genauer erfahren werden, gerade auf das Krankheitsbild Reizdarm ein neues Licht geworfen. An dieser Stelle erst einmal so viel: Durchfall, Verstopfung, Bauchkrämpfe oder Blähungen - diese und andere Verdauungsbeschwerden können allesamt Folgen einer Regulationsstörung im Bauchhirn sein.
Doch nicht nur der Darm ist in den vergangenen Jahren vom Tabuthema zum vielbeachteten Superorgan avanciert - auch seine Zigmilliarden winzigen Bewohner, die Darmbakterien, sind in den Fokus der Wissenschaftler gerückt.
Früher sprach man von »Darmflora«, wenn von den winzigen Darmbewohnern die Rede war, heute bevorzugen die Wissenschaftler den Begriff »Darmmikrobiom« (mikro = klein, biom = Großlebensraum, vorherrschende Lebensgemeinschaft). Denn nicht nur Bakterien und Archaeen (früher Urbakterien genannt), sondern auch Viren und Pilze gehören zum darmeigenen Mikrobenbereich. Die Mikrobiomforschung, die unter anderem den Einfluss eines gestörten Mikrobioms auf die Entstehung von Krankheiten untersucht, läuft auf Hochtouren und hat der medizinischen Fachwelt bereits viele bahnbrechende Erkenntnisse beschert. So zum Beispiel, dass Darmbakterien eine Reihe von unterschiedlichen Botenstoffen produzieren, die auf vielfältige Art und Weise nicht nur auf den Darm, sondern auf praktisch alle Systeme im Körper Einfluss nehmen. Viele Experten verstehen das Darmmikrobiom deshalb inzwischen als eigenständiges Organ. Sie sehen es als eine enorm wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Instanz in unserem Körper. Der Zustand des Mikrobioms kann demnach über Gesundheit und Krankheit entscheiden.
Das enterische, also darmeigene Nervensystem .
. besitzt etwa 200 Millionen Nervenzellen. Sie agieren alle völlig autonom und setzen sämtliche wichtigen Nervenbotenstoffe frei, die man auch von den Nervenzellen des Gehirns kennt. Dazu gehören zum Beispiel Serotonin, Dopamin, Acetylcholin, Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und Calcitonin Gene Related Peptide (CGRP).
. regelt die Verdauung bis ins letzte Detail. Dazu gehört beispielsweise, zu analysieren, wie die aufgenommene Nahrung zusammengesetzt ist, Verdauungssäfte freizusetzen und die Aufnahme der Nährstoffe zu steuern.
. beeinflusst die Durchblutung. Es steuert zudem die Darmbewegungen und damit auch den migrierenden motorischen Komplex (siehe >).
... regelt die Darmentleerung.
. ist mit den Immunzellen im Darm in Kontakt und hat damit Einfluss auf das gesamte Immunsystem im Körper.
. sorgt dafür, dass alle Funktionen zeitgleich ablaufen und aufeinander abgestimmt sind.
Fakt ist: Darmbakterien stehen nicht nur in ständigem Kontakt mit anderen Organen, sondern tauschen sich auch mit unserem Immunsystem aus. Und wie man seit Kurzem weiß, sind sie außerdem eng mit dem sensiblen Nervennetz im Bauch verbunden. Auf diese Weise haben sie auch einen direkten Draht zum Gehirn.
»Darm-Hirn-Achse« nennen die Wissenschaftler das ausgeklügelte Kommunikationssystem, über das der Informationstransfer zwischen Kopf und Bauch stattfindet.
Dabei erhält das Bauchhirn nicht nur Anweisungen aus dem Gehirn, sondern sendet selbst Signale dorthin, und zwar sogar sehr viele mehr als umgekehrt: 90 Prozent der Informationen werden von unten nach oben übermittelt, nur zehn Prozent werden als Befehle vom Kopf zum Darm gemeldet.
Der direkteste Weg der Darm-Hirn-Kommunikation führt über den Vagusnerv. Als einer der größten Hirnnerven zieht er vom Gehirn bis hinab in den Bauchraum (genauer in den oberen Abschnitt des Dickdarms) und verschaltet so die Nervenzellen des enterischen Nervensystems mit der Basis des Gehirns.
Aber auch die Darmbakterien wirken rege an der Interaktion der beiden Nervensysteme mit, unter anderem, indem sie wichtige Nervenbotenstoffe, darunter psychoaktive Substanzen wie Serotonin und GABA (Gamma-Aminobuttersäure), oder kurzkettige Fettsäuren (siehe >) bereitstellen. Die Mikrobiomforschung hält den Beitrag der Darmbakterien für so wichtig, dass sie heutzutage sogar von »Mikrobiom-Darm-Hirn-Achse« spricht.
Für besonders schwere Turbulenzen im Darmmikrobiom sorgt eine Behandlung mit Antibiotika. Diese Arzneimittel sind hocheffektiv, wenn es darum geht, Bakterien abzutöten. Deshalb gehören sie zu den wichtigsten therapeutischen Maßnahmen bei der Bekämpfung einer bakteriellen Infektion. Doch bedauerlicherweise löschen sie nicht nur die schädlichen, sondern auch viele nützliche Bakterien des Darmmikrobioms aus. Einige Antibiotika (zum Beispiel Fluorchinolone oder Cephalosporine) erhöhen außerdem das Risiko für eine Infektion mit dem Bakterium Clostridioides difficile (früher Clostridium difficile) - in diesem Fall muss das Antibiotikum sofort abgesetzt werden. Mögliche Folgen einer Antibiotikatherapie: vor allem Durchfälle, aber auch andere Beschwerden wie Blähungen und Bauchschmerzen. Studien zeigen, dass es nach einer Behandlung rund ein Jahr lang dauern kann, bis die Schäden im Darmmikrobiom wieder behoben sind. Einige Bakterienstämme bleiben sogar vollständig verschwunden....
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