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16 Jahre zuvor, Mönchengladbach. Im Herbst meiner Spielerkarriere, während meiner letzten Saison bei der Borussia, war ich mit meinen 33 Jahren auf dem Platz so etwas wie ein Spielertrainer. Mitspieler wie Armin Veh und Wolfram Wuttke beschwerten sich, dass ich mich ihnen gegenüber als Coach aufspielte. So hielt ich Armin Veh an, an der Mauer des Trainingsgeländes Spannstöße zu üben - wie ich es einst als Jungspund von meinem Trainer Hennes Weisweiler gelernt hatte.
Zudem hatte ich nach anfänglichen Erfahrungen als Jugendtrainer zusätzlich einen 'aushäusigen' Trainerjob angenommen, beim VfL Mennrath, der damals wahrscheinlich in der Bezirksliga spielte. Das war eine Aufgabe, die mir gehörig Spaß bereitete, wir haben damals sogar den Aufstieg geschafft. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie meine Frau regierte, als ich ihr eines Nachts sagte: "Angelika, ich denke das ist wirklich was für mich. Ich glaube, das kann ich gut." Sie schaute mich nur an und meinte: "Dann mach es aber richtig. Ab nach Köln, mache deinen Trainerschein." Sie gab mir den Rückhalt, den ich gebraucht hatte.
Borussia Mönchengladbachs Coach Jupp Heynckes schickte mich damals außerdem hin und wieder los, um Spiele zu beobachten und Spieler für ihn zu scouten. Also reiste ich nun durch Deutschland, wenn ich nicht in Köln für meinen Trainerschein büffelte. Eines Tages war ich wieder einmal in der Duisburger Wedau zu Gast, um mir ein Spiel der Niederrhein-Auswahl anzuschauen. Ich kann mich an keine Details zur Mannschaft, zum Gegner oder zum Spiel mehr erinnern. Aber ich weiß noch genau, dass dieser Besuch wegweisend für mich war. Denn ich traf dort auf Carl-Heinz "Calli" Rühl, meinen ehemaligen Trainer beim Karlsruher SC. Inzwischen war er dort zum Manager aufgestiegen. Der KSC spielte damals in der Zweiten Liga und hatte die Saison 1985/86 als Siebter abgeschlossen. Trainer war Rainer Ulrich, der im Verlauf der Saison interimistisch Lothar Buchmann ersetzt hatte und den Job schließlich behalten hatte. Beide sind 2023 gestorben.
Trotz des sportlich passablen Abschneidens war klar, dass der Klub nicht plante, mit meinem früheren KSC-Mitspieler Rainer als Cheftrainer in die neue Saison zu gehen. Ich sprach Calli spontan an, was da los sei, bei "meinem" KSC. Calli sagte, er würde mich die Woche über mal anrufen. Und so kam eins zum andern. Klar wollte ich Trainer werden, sogar unbedingt, aber konnte ich damit rechnen, dass es so schnell klappen würde?
In Karlsruhe herrschte damals sehr viel Unruhe. Seit Anfang der 1980er-Jahre hatte man jede Saison den Trainer gewechselt, ein ungeheurer und kostspieliger Verschleiß. Calli machte auch keinen Hehl daraus, dass beim KSC nur wenig Geld vorhanden war, Spielerneuverpflichtungen im Grunde nicht zur Debatte standen. Tatsächlich würde ich später mit dem kleinsten Etat aller Zweitligateams in die neue Saison gehen müssen.
Aber ich greife vor.
Ich fühlte mich auf jeden Fall geschmeichelt, dass er mir das Traineramt mit so jungen Jahren - ich war gerade 36 Jahre alt - zutraute. Und was hatte ich zu verlieren? Außerdem hatte ich das - manchmal überhebliche - Selbstvertrauen des ehemaligen Vollprofis: "Man kann jeden schlagen und alles erreichen!" Also schaute ich mir einige Spiele der sich dem Ende entgegenneigenden Saison an, unter anderem den Auftritt des KSC bei Hannover 96. Ich erkannte sofort, woran es bei der Mannschaft des KSC krankte: Die Spieler agierten mit angezogener Handbremse, sie gingen kaum an ihre Grenzen und nie darüber hinaus. Sie spielten wie ein Team, das sich mit dem Status quo begnügt. War denn da niemand, der ihnen die volle Leistungsbereitschaft abverlangte? Kurzum: Im Kader herrschte eine verheerend lethargische Mentalität. Man kann ja auch im Schatten braun werden!
Kein Geld, dafür Spieler, die zu wenig aus ihren Möglichkeiten machten - das waren eher bescheidene Voraussetzungen, um das Amt des KSC-Cheftrainers anzustreben. Und doch entschied ich mich dafür, den Job in Karlsruhe zu übernehme, auf einem der größten Schleudersitze des deutschen Fußballs - weil ich Lust darauf hatte und weil ich Potential sah. Wo sonst könnte ich meine Ideen voll umsetzen!
Vorher beriet ich mich mit meiner Frau Angelika. Wir entschieden, dass es unter den gegebenen Umständen besser sei, wenn sie und Sascha, unser Sohn, zunächst besser in Mönchengladbach bleiben würden. (Meine Tochter Aylissa war damals noch nicht geboren.) Wir wollten lieber nicht umziehen, solange wir nicht wussten, ob das Unternehmen Karlsruhe nicht eine Eintagsfliege sein würde. Wie gesagt, ich war noch nie Cheftrainer gewesen und konnte mir ausrechnen, bei Erfolglosigkeit nach kürzester Zeit wieder gefeuert zu werden.
Dass es mit dem Rausschmiss dann etwas länger dauern sollte, elf Jahre, um genau zu sein, konnte zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen, am wenigsten ich.
Ich begab mich nach dem Gespräch mit Calli also mutig nach Karlsruhe, wo mich Roland Schmider erwartete. Schmider war Präsident, der starke Mann im Verein. Calli Rühl muss man sich als rheinländischen Gentleman vorstellen, den es ins Badische verschlagen hatte und der die Gelassenheit, die so typisch für die Region ist, dankbar verinnerlicht hatte. Immer adrett, charmant und ruhig, vielleicht ein bisschen zu ruhig, bedenkt man die Umstände. Roland war das genau Gegenteil. Nicht, dass er kein Gentleman gewesen wäre. Den konnte er auf jeden Fall geben. Charmant, gewitzt, mit ganz viel Humor und Herz. Vor allem mit Energie und Mut, neue Wege zu gehen. Dabei war er durch und durch Badener. Stolz auf Mundart und Herkunft. Es war einem sofort klar, dem lagen Verein und die Stadt, die Region am Herzen. Er hatte mich als Trainer unbedingt haben wollen, erklärte mir bei unserem ersten Termin aber auch unverblümt, dass kein Geld da war, nicht für Spieler-Neuverpflichtungen, und eigentlich auch nicht für einen Trainer. Unser Zeugwart Seppel Klimesch, ein badisches Original, mit riesigem Herz und leidenschaftlicher "Gosch", war noch lange in dem Sparmodus befangen. Neues Schuhwerk beispielsweise rückte er nur sehr ungern aus seiner Asservatenkammer raus. Ich werde nie vergessen, wie Seppel im ersten Jahr mit mir umging. Da war kein Respekt. Er war der erste, der mich immer wieder grummelnd daran erinnerte, dass ich viel zu jung sei. Aber ich nahm ihm das nicht übel. Vielleicht hatte er ja recht! Auf jedem Fall lebte er für den Verein und war durch und durch ehrlich.
Ich wusste also, dass es finanziell schlecht stand, aber als Schmider mir eine Monatsgage von 9.000 D-Mark anbot, war das eine Art Hungerlohn, wenn man sich das Gehaltsgefüge im damaligen Fußball anschaute und insofern wenig motivierend.
Meine Frau hatte das erwartet und mich gewarnt, allerdings auch einen Rat mit auf den Weg gegeben. Der Verein hatte Schulden und war gezwungen, zu knausern, daran war nicht zu rütteln. Ich hatte gelesen, dass man durchschnittlich 5.600 Karten verkaufen musste, um die Lizenz vom DFB zu erhalten. "Schau, Roland" - jetzt musste ich zum ersten Mal als Trainer verhandeln und erinnerte mich an Angelikas Idee: "Ich bin einverstanden. Aber ich brauche auch eine Motivation. Ab jedem Zuschauer jenseits der 5.600er-Schallmauer bekomme ich eine D-Mark." Roland lachte und ließ sich gern darauf ein. Gut für mich! Am Ende war es ein sensationeller Deal. Nachdem wir in meiner ersten Saison aufgestiegen waren, hatten wir einen Schnitt von 20-25.000 Zuschauern.
Nachdem dieser Punkt geklärt war, startete ich meine Mission.
Als erstes schaute ich mir zwei Freundschaftsspiele in Hessen an und unterhielt mich mit Günther Kroth, ehemaliger Spieler bei München 1860, jetzt Masseur beim KSC. Als solcher wusste er alles über die Spieler. Einer von ihnen war Rainer Schütterle. Er war auf dem Weg in den Urlaub nach Mexiko. Dabei dachte ich unweigerlich an Montezumas Rache. Ich versuchte, es ihm auszureden. Als wir uns nach dem Urlaub wiedersahen, fragte ich ihn, wie es in Mexiko denn gewesen sei. Seine Antwort: "Ich war nicht in Mexiko" - offensichtlich hatte er sich meine Bedenken zu Herzen genommen.
Dies war mein erstes Ziel: Jedem einzelnen Spieler das zu vermitteln, was ich in Mönchengladbach von meinem ersten Tag an aufgesogen hatte: die Belange des Vereins über Persönliches zu stellen, das Sich-nicht-Zufriedengeben, das Mehr-Wollen, den Ehrgeiz, immer alles zu geben und sich zu verbessern, sein Potential auszuschöpfen.
Ein Beispiel: Die Mannschaft steht bei 29 Punkten, sie benötigt 30 Punkte, um die Klasse zuhalten. Bei drei ausstehenden Spielen waren nach dem damaligen Zwei-Punkte-System sechs Punkte möglich. Die Jungs wissen, dass sie aus diesen drei Spielen nur einen Punkt holen müssen, um das Saisonziel zu erreichen und nicht abzusteigen. Eine leichte Aufgabe?
Mitnichten! Geht die Mannschaft die Aufgabe mit einer solchen Einstellung an, wird sie das erste Spiel garantiert verlieren, der Rahmen wird daraufhin enger werden, und trotzdem werden die Spieler sich vormachen: "Einen Punkt von immer noch vier möglichen - wo ist das Problem?"
Falsch! Größer kann ein Problem gar nicht sein. Denn die Jungs werden auch das zweite Spiel verlieren und dann am letzten Spieltag unter extremem Druck stehen.
Um solche Situationen zu vermeiden, wollte ich damals die Gladbacher "Denke" in Karlsruhe implementieren - auch wenn Borussia zu der Zeit eine regelrechte Powermaschine und ein übergroßes Vorbild war.
Aber das war kein Grund, von meinen Zielen abzurücken. Ich drehte den Spieß um und...
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