Im Velvet Star
Harper klopfte an eine schlichte Bürotür aus Kirschholzimitat, trat ein, und ich folgte ihm auf dem Fuße. In dem fensterlosen Raum standen ein moderner Schreibtisch mit Glasplatte, ein voller Aschenbecher aus Glas und ein Ledersessel, aus dem sich dynamisch Richard Camino erhob und um den Tisch herum auf mich zukam.
Der Mann war dunkel, bis auf sein strahlend weißes Hemd. Schwarzer Anzug, blank polierte schwarze Schuhe, glänzende schwarze Haare - glatt und sorgfältig mit Pomade an den Kopf gekämmt. Ein kräftiges Kinn und gebräunte Haut gaben ihm ein sportliches Flair, nachdenkliche braune Augen und eine Hakennase zugleich etwas von einem spanischen Edelmann.
Als sich seine manikürten Finger zur Begrüßung um meine Hand schlossen, fiel mir der rhombenförmige Diamant an seiner Krawatte auf. Er war ähnlich geformt wie die Rhomben in den Kesseln der Roulettetische, an denen die Kugel ihren Kurs brach, und stank nach Geld. Ebenso wie der Stoff des Maßanzuges, der ihn fließend umschmeichelte.
Sein Händedruck war fest und warm, er lächelte, was er gerne tat, um sein perfektes weißes Gebiss zu zeigen. Genauso groß wie ich, knapp eins achtzig, klopfte er mir auf die Schulter, wie einem Freund, den er fünf Jahre nicht mehr gesehen hatte. Ich hätte nichts gegen diese fünf Jahre gehabt, aber leider bekam man nicht immer, was man sich wünschte.
»Greg, alter Freund, schön, dass du es einrichten konntest.« Ich hätte gern etwas Bissiges erwidert - aber Kundschaft sollte man nicht verärgern, und er schien gute Laune zu haben, das konnte nicht schaden. Ich wusste, wie schnell sich seine Stimmung ändern konnte. Er gab sich gern wie ein reicher Südstaatler, wollte als Gentleman gelten. Das Temperament seines südamerikanischen Vaters ließ diese Fassade aber meist schnell wieder bröckeln. Außerdem war ich neugierig.
»Hatte grade nichts anderes vor«, antwortete ich so neutral wie möglich.
Camino lachte und tippte mir munter auf den Arm.
»Das trifft sich ja gut, Greg, das trifft sich gut. Wir haben da nämlich ein kleines Problem, bei dem du uns sicher helfen kannst. Du mit deinen speziellen Talenten.« Ich nickte zwar, blieb aber skeptisch. Vor ein paar Jahren, ich war noch Polizist, hatte ich ihm einmal bei einer heiklen Sache geholfen. Seither betrachtete er mich als seinen Kumpel. Er war damals wirklich unschuldig gewesen, was die Angelegenheit für mich einfacher gemacht hatte, aber seitdem hatte ich ihn an der Backe. Wir verließen das Büro, Harper ging voraus, und gelangten in einen Flur mit einer Treppe am Ende.
Auf der untersten Stufe stand ein Junge von vielleicht acht Jahren. Er sah uns mit traurigen Augen entgegen und winkte schwach mit der rechten Hand. Seine Mutter hatte ihn ordentlich angezogen: Grüne Kniehosen, einen braunen Pullunder über einem weißen Hemd, saubere Lackschuhe und sogar eine kleine, gebundene Krawatte trug er. Lediglich das große, runde Loch in seinem Bauch störte etwas, durch das man die Treppenstufen dahinter erkennen konnte.
Harper und Camino ignorierten den Jungen völlig, was kein Wunder war. Nicht jeder konnte Geister sehen, und nicht jedem zeigten sie sich. Als wir die Treppe erreichten, verblasste er, und als wir die ersten Stufen betraten, verschwand er völlig, als wäre er über unsere Ignoranz beleidigt. Da der Junge niemanden störte und kaum jemandem auffiel, verriet ich ihn nicht. Wozu die Pferde scheu machen. Manche Geister verschwanden nach einer gewissen Zeit von selbst. Warum, wusste man nicht. Nur wenige wurden wirklich zur Belastung, nahmen aktiv Einfluss auf die Welt der Lebenden oder wurden gefährlich. Es waren oft Geister Ermordeter, die auf Rache aus waren und Menschen in Gefahr brachten. Doch gerade diese hatten es in sich. Um die kümmerte ich mich, wenn es nötig war.
Hinter der Treppe begann ein belebter Gang. Arbeiter liefen mit Getränkekästen und Fässern umher, Kellner trugen Stapel weißer Tischdecken oder Servietten, und eine Gruppe Showgirls lief in Bademänteln eilig zu ihrer Garderobe. Leise, schnelle Tanzmusik schwirrte umher, rollte vergnügt durch den Gang und ließ die Finger im Takt schnippen. Ich erkannte »Bei mir bist du schön« von den Andrew Sisters, ein beliebter Hit. Ein Handwerker im fleckigen Overall lief fröhlich, laut im Takt pfeifend, an uns vorüber.
Wir hielten vor einer Doppeltür, davor stand ein bulliger Kerl mit platter Nase, der bei unserem Auftauchen pflichtschuldig beiseitetrat. Ich sah seine Tätowierungen und schätzte, dass er schon mal gesessen hatte. Harper stieß die Flügel der Tür auf, und wir betraten einen Raum, in dem man sich normalerweise nur mit Smoking und Fliege aufhielt. Schwere Mahagonitische, blütenweiße Tischdecken, lederbezogene Stühle, Clubsessel in den Ecken, nagelneue Wandvertäfelungen, Art-déco-Kristallleuchter aus Glas und Chrom. Auf einer Anrichte mit Marmorplatte standen importierte, kristallene Flaschen und Gläser. Ich nickte anerkennend: Dies war Caminos bester Clubraum.
»Ist ja hübsch geworden«, sagte ich und blickte zu seinem Besitzer zurück, der im Türrahmen stehen geblieben war. Ein Streifen aus Eisen war kaum sichtbar in den Rahmen eingelassen, um Geister davon abzuhalten, durch die Tür einzudringen. Zumindest die, die eine Tür benutzten.
»Danke«, antwortete er mit einem schiefen Lächeln. »Aber wir haben mit diesem Raum ein kleines Problem. Harper wird es dir erklären. Mich erwarten noch wichtige Geschäfte. Wir sehen uns sicher, Greg.« Mit einem eleganten Schwung drehte er sich um und stolzierte davon, ganz wie der elegante Gentleman, der er zu sein glaubte.
Harper sah mich an, als hätte er in eine Zitrone gebissen. »Es war nicht meine Idee, Sie zu rufen, Low. Der Boss wollte es. Ich halte es für Unsinn, aber im Moment komme ich auch nicht weiter. Also sind Sie hier. Die Sache ist sehr wichtig, vermasseln Sie es nicht. Sie bekommen dreißig am Tag?«
Ich nickte überrascht. Ich stellte gewöhnlich fünfundzwanzig in Rechnung, aber man sollte Klienten nicht reinreden, wenn sie grade einen Lauf haben.
»Für dreißig erwarten wir aber auch etwas, Low. Mein Boss kann sehr großzügig sein, aber auch schnell auf die Palme gehen, wenn man ihn ärgert. Wir haben nicht viel Zeit, schauen Sie sich um. Ich warte hinter der Tür.«
Bevor ich noch Piep sagen konnte, hatte er bereits mit großen Schritten den Raum verlassen und die Tür zugeknallt. Milde überrascht kratzte ich mich am Hinterkopf. Wenn Camino und sein Pfennigfuchser bereit waren, mich hierher zu bringen, und mich auch noch bezahlen wollten, musste etwas im Busch sein. Ich zuckte mit den Schultern und schlenderte über den hohen Teppich zur Anrichte, goss mir etwas von einer bernsteinfarbenen und sicher sehr teuren Flüssigkeit in ein schweres Kristallglas und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Möbelstück. In meinem Glas schwappte wahrscheinlich der Monatslohn eines Hafenarbeiters, trotzdem kippte ich den Fusel schnell hinunter und genoss für eine Weile das Brennen in der Kehle.
Dann ging ich langsam durch den Raum, sah mich genau um und öffnete meine Sinne. Wenn Camino ausgerechnet nach mir verlangte und nicht nach dem Kammerjäger, musste es einen Grund geben. Ich achtete auf Todesscheine - Reste von Lebewesen, die vor Kurzem ihren weltlichen Körper verlassen hatten. Sie hinterließen einen Lichtschein, den empfängliche Personen, so wie ich, sehen konnten. Die einen nannten es Seelen, die anderen Energiereste oder paraenergetische Teilchen. Was auch immer die Wissenschaftler dazu sagten, Genaues wusste man nicht, und ich sah, was ich sah.
Doch hier war nichts. Kein Todesschein, kein Geist, der sich heulend auf mich stürzte, kein Monster, das unter einem Tisch hervorkroch. Der Raum war sauber, soweit ich es beurteilen konnte. Sauber und ordentlich hergerichtet, so als würde man eine wichtige Gesellschaft erwarten. Ich stellte das leere Glas zurück auf die Anrichte und neben das alte Schachspiel, das dort ganz am Rande stand.
Es schien eine Antiquität zu sein und war sicher wertvoll. Das Spielbrett hatte eine gelbliche Patina, die Spielfiguren aus Elfenbein waren auf eine Art gefertigt, die hohe Kunstfertigkeit erkennen ließ. Alle Figuren standen in Reihen auf dem Brett, nur eine der schwarzen war um ein Feld vorgerückt. Aus einer Laune heraus schob ich sie zurück in ihre Reihe und sorgte so wieder für Ordnung. Soweit ich erkennen konnte, stellte sie einen Menschen dar, der einen Fuß vorgesetzt hatte, als wollte er einen Schritt gehen. Außer einem langen Lendenschurz trug er keine Kleidung, und auf dem Kopf hatte er eine seltsame, eckige Frisur. Andere Spielfiguren sahen aus wie sitzende Katzen, spitze Pyramiden oder Kerle mit Hundeköpfen.
Das ganze Spiel erinnerte mich in seiner Art an eine Ausstellung, in der ich vor Jahren gewesen war. Ägypten und Mumien oder so was Ähnliches. Camino gab gerne mit teuren Dingen an, Geschmack hatte er trotzdem nicht. Ich löste meine Aufmerksamkeit von dem alten Kram und sah mich noch einmal um, spürte meinen Empfindungen nach. Aber da war nichts, nicht mal eine tote Maus. Dabei gab es in einem Laden wie diesem genug Ungeziefer, egal welcher Spezies. Mein Verdienst würde sich dadurch allerdings schmälern. Ich seufzte innerlich, klopfte an einen Türflügel, und Harper öffnete selbst, mit einem langen, halb aufgerauchten Zigarillo im Mundwinkel.
»Was gibt's?«
»Nichts!«
»Das kann nicht sein.«
Ich zuckte mit den Schultern und klopfte meine Taschen nach meinem Zigarettenpäckchen ab. »Da drin ist nicht mal der Geist einer toten Ameise. Aber wo ist eigentlich das verdammte...