Schweitzer Fachinformationen
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Die psychotherapeutischen Richtlinienverfahren - Psychodynamische Therapien, Systemische Therapie und Kognitive Verhaltenstherapie - verstehen psychische Störungen als (Resultat dysfunktionaler) Adaptationsversuche, vor dem Hintergrund der Wechselwirkung bio-psycho-sozialer Vulnerabilitäts-, Resilienz- und Stressfaktoren. Entsprechend steht die Erfassung folgender Variablen im Fokus der psychotherapeutischen Diagnostik:
prädisponierende und auslösende Faktoren (~ problemorientierte Perspektive)
aufrechterhaltende Faktoren, inklusive der Abbildung von Ressourcen und Veränderungsmöglichkeiten (~ lösungsorientierte Perspektive)
kategoriale und dimensionale Erfassung der Symptomatik sowie die Erfassung störungsimmanenter Variablen (~ störungsorientierte Perspektive)
Neben diesen Aspekten, die mit unterschiedlichen Gewichtungen von allen Richtlinienverfahren geteilt werden, zeichnen sich die Richtlinienverfahren zusätzlich durch schulenspezifische, diagnostische Schwerpunkte aus:
Psychodynamische Therapien: Wesentliche Ziele psychodynamischer Diagnostik sind die Feststellung des Strukturniveaus, die Identifikation des Aktual- bzw. Grundkonflikts und das Erkennen von Abwehrmechanismen. Der Königsweg der Diagnostik führt über die Analyse des Beziehungsgeschehens in der therapeutischen Situation.
Systemische Therapie: Wesentliche Ziele systemischer Diagnostik sind die Analyse des Familiensystems hinsichtlich Grenzen, Hierarchien und Regeln sowie (zirkulärer) Wechselwirkungen im Interaktionsverhalten der Systemmitglieder. Zentrales Element des Therapierationals ist die Durchbrechung der Problemtrance und die Erweiterung des Möglichkeitsraums.
Kognitive Verhaltenstherapie: Wesentliche Ziele verhaltenstherapeutischer Diagnostik sind die Identifikation der selbstregulativen Elemente des Symptomgeschehens sowie die Analyse dysfunktionaler Erlebens- und Verhaltensmuster. Psychotherapie wird als Prozess des Umlernens und des Anstoßens korrigierender Erfahrungen verstanden.
Ziel dieses ersten Kapitels, ist die Vermittlung des notwendigen Grundwissens, zum Verständnis und zur Anwendung der in den nachfolgenden Abschnitten vorgestellten Methoden.
Die Ziele klinischer Diagnostik liegen in der Erfassung, Auswertung und Interpretation aller Informationen, die für Beschreibung, Verständnis, Prognose und Veränderung psychopathologischen Erlebens und Verhaltens erforderlich sind. Welche Informationen für die Bewältigung dieser Aufgaben als relevant erachtet werden, hängt vom zugrundeliegenden Störungs- und Problemverständnis ab. Daher widmet sich dieser erste Teil des Buchs, der Vermittlung des basalen Störungs- und Problemverständnisses der psychologischen Psychotherapie.
In der psychologischen Psychotherapie ist vor allem die Schulenzugehörigkeit für das jeweilige Störungs- und Problemverständnis ausschlaggebend. Erfreulicherweise zeigen die Richtlinienverfahren [Psychodynamische Therapien (d. h. Analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie), Systemische Therapie und Kognitive Verhaltenstherapie] sowie die meisten anderen Therapieschulen eine Vielzahl an Gemeinsamkeiten bezüglich eines großen Teils der Grundannahmen über das menschliche Erleben und Verhalten. Spezifische Gewichtungen unterscheiden sich jedoch je nach Schulenzugehörigkeit.
Passung zwischen Kind und Umwelt. Wir kommen nicht als Tabula rasa (unbeschriebenes Blatt) zur Welt, sondern mit dem Erbgut unserer Vorfahren. Diese Grundausstattung ist (außer bei eineiigen Zwillingen) bei jedem Menschen einzigartig und beeinflusst vom ersten Moment an die Interaktionen zwischen Menschen und ihrer Umwelt. Wesentlich für die mehr oder minder funktionalen bzw. dysfunktionalen Entwicklungen eines Kindes und seiner Umwelt ist dabei die Passung ebendieser zueinander - d. h., können Anforderungen der einen Seite durch Reaktionen der anderen Seite erfüllt werden (Hipson & Séguin, 2017)? So führt beispielsweise ein stärkeres >emotional coaching< (d. h. Eltern gehen achtsam auf die Emotionen des Kindes ein und begegnen auch negativen Emotionen wertschätzend und tolerant) bei Kindern mit geringen regulativen Fertigkeiten im Längsschnitt zu mehr prosozialen Kompetenzen, während es bei Kindern mit guten regulativen Fertigkeiten im Längsschnitt mit größerer Ängstlichkeit assoziiert ist (Lagacé-Séguin & Coplan, 2005).
Neurobiologische Grundlage. Unser Bewusstsein sowie alle unbewussten Prozesse basieren auf elektrischen und biochemischen Vorgängen in unserem zentralen Nervensystem (Delacour, 1997). Eine Dichotomisierung zwischen >Psyche< (Seele) und >Soma< (Leib) ist dabei eine künstliche, wenn auch sehr hilfreiche, Vereinfachung unseres Verständnisses der Funktionsweise unseres Organismus. Für das Verständnis aller psychischen Störungen und ihrer Entwicklungsbedingungen müssen neurobiologische Prozesse mitgedacht werden.
Grundbedürfnisse. Der Wunsch nach der Befriedigung von Grundbedürfnissen ist die basale motivierende Kraft menschlichen Verhaltens. Die in der (deutschsprachigen) klinischen Psychologie am meisten rezipierte Konzeption der Grundbedürfnisse stammt von Grawe (2004). Demnach strebt der Mensch nach Lustgewinn bzw. Unlustvermeidung, Bindung, Orientierung und Kontrolle sowie Steigerung bzw. Erhalt des Selbstwerts. Ähnliche Konzeptionen finden sich u. a. bei Young, Klosko und Weishaar (2003) sowie Ryan und Deci (2017). Lustgewinn/Unlustvermeidung kann dabei den anderen Grundbedürfnissen übergeordnet werden, da die Befriedigung bzw. Nicht-Befriedigung der Bedürfnisse nach Bindung, Orientierung und Kontrolle sowie Selbstwert ihrerseits zu Lust- bzw. Unlusterleben führen. Unser Wunsch nach Befriedigung unserer Grundbedürfnisse drückt sich insbesondere in Form assoziierter Beziehungsmotive aus, d. h. anhand der grundlegenden Ziele, die wir im sozialen Kontakt verfolgen ( Tab. 1.1; Sachse, 2012).
Bindungs- und entwicklungspsychologische Perspektive. Die ersten Lebensjahre des Menschen sind prägend für die sozioemotionale und kognitive Entwicklung. Hier wird das Fundament späteren Erlebens und Verhaltens gelegt. Die Entwicklung eines sicheren (oder zumindest >organisierten<) Bindungsstils und eines gesunden Explorationsverhaltens gehören zu den am besten gesicherten protektiven Faktoren im Hinblick auf spätere Psychopathologie (Mikulincer & Shaver, 2012). Insbesondere zwischen der (dritten Welle der) kognitiven Verhaltenstherapie und den psychodynamischen Therapien besteht (trotz des unterschiedlichen Vokabulars, z. B. dysfunktionale Schemata vs. Grundkonflikte) Einigkeit darüber, dass Erfahrungen aus diesen frühen Entwicklungsphasen die >Themen< bzw. >Sollbruchstellen< späterer Psychopathologie bestimmen (Busch et al., 1991; Kempke & Luyten, 2007; Luyten, Blatt, & Fonagy, 2013).
Gemäßigter Konstruktivismus. Menschen nehmen sich selbst, andere und die Welt nicht objektiv wahr. Wahrnehmung ist per se ein schöpferischer Prozess, bei dem Umweltreize durch das zentrale Nervensystem in eine idiosynkratrische Realität übersetzt werden (Mahoney & Granovold, 2005). Diese subjektive Weltwahrnehmung hat erheblichen Einfluss auf interpersonelles Handeln und damit auch den psychotherapeutischen Prozess, denn hier sind (eigentlich) nie >harte Daten< (z. B. auf dem Konto sind 1337,93 Euro), sondern stets die idiosynkratrische Bedeutung (z. B. »Was bedeutet es für mich, dass auf dem Konto 1337,93 Euro sind?«) relevant. Dieses Phänomen wird insbesondere in der Auseinandersetzung mit Paarkonflikten und den dabei zu Tage tretenden divergierenden Wahrnehmungen und Interpretationen der einzelnen Beteiligten deutlich (Greenberg & Goldman, 2010).
Der Mensch als soziales Wesen. Erleben und Verhalten eines Menschen kann nur vor dem Hintergrund seiner sozialen Realität verstanden werden, denn der Mensch ist evolutionsbiologisch darauf ausgelegt, in soziale Gruppen eingebunden zu sein (Brewer & Caporael, 2006). Daher sind Säuglinge von Geburt an darauf ausgerichtet, mit ihrer Umwelt in sozialen Kontakt zu treten und bei ihrem Umfeld fürsorgliches Verhalten auszulösen (z. B. Kindchen-Schema, Greifreflexe usw.). Über die Kindheit und Adoleszenz hinweg sieht sich der Heranwachsende mit sozialen...
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