Schweitzer Fachinformationen
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Der gelbe Bus erreicht pünktlich die Passhöhe. Marina und ich steigen gemeinsam mit der kleinen, bunt gemischten Reisegruppe aus und schlendern nach und nach zum markanten gelben Wegweiser, wo die Reiseleiterin bereits auf uns wartet. Hier oben gibt es nicht viel zu sehen: Ein offensichtlich dauerhaft geschlossenes Restaurant, umringt von Bauprofilen und ein einfacher Unterstand für Wanderer. Wer Durst hat, kann sich am kühlen Quellwasser eines Steinbrunnens erfrischen und für dringende Bedürfnisse steht ein stark verwittertes, mobiles WC bereit.
"Marina, halte doch bitte mal meinen Rucksack, ich muss noch dringend für kleine Buben."
Sie nimmt ihn mir augenrollend ab: "Oh mein Gott! Es ist immer dasselbe mit dir. Bitte beeil dich, sonst müssen wieder alle auf uns warten."
"Ja, ja", murmle ich zurück.
Natürlich treffen wir, wie von Marina befürchtet, als letzte bei der Wandergruppe ein. All die anderen stehen gelangweilt herum und durchbohren uns mit bösen Blicken. Die Wanderleiterin schaut streng und stellt laut fest: "So, jetzt sind wir vollständig."
Sie streckt ein buntes Fähnchen in die Höhe und begrüsst uns mit rauchiger Stimme: "Mein Name ist Gisela und ich heisse euch herzlich willkommen zu unserem heutigen Seniorenausflug. Ich bin diplomierte Landwirtin und arbeite nebenbei als Reiseleiterin. Es freut mich sehr, euch durch diesen Tag zu begleiten. Da ich sehe, dass viele von euch schon etwas älter sind, werden wir den Ausflug gemütlich und mit Bedacht angehen. Unser Ziel ist das Bergrestaurant "Ramsch und Rösti", wo wir gemeinsam zu Mittag essen werden. Hat noch jemand Fragen?" Gisela blickt in die Runde.
Niemand meldet sich, es scheint alles klar zu sein. Gisela trägt ihre schwarze Regenjacke lässig offen, damit ihr teures Designer-T-Shirt darunter gut zur Geltung kommt.
Auf der Brust prangt ein kleines Namensschild, verziert mit silbernen Kuhmotiven. Ihr beigefarbener Sonnenhut schützt ihr Gesicht vor weiteren Sonnenstrahlen, denn die Spuren des Feindes von oben sind auf ihrer Haut bereits deutlich sichtbar.
"Noch etwas Wichtiges zum Ablauf des heutigen Tages", schmettert sie hinaus. "Ich ersuche euch inständig, stets das Fähnchen im Auge zu behalten und dicht beieinander zu bleiben, damit mir unterwegs niemand abhanden kommt. Ich verspüre keine Lust, jemanden suchen zu müssen. Wir wandern in fünf Minuten los."
Dann fordert sie uns auf: "Überprüft bitte noch einmal eure Wanderschuhe, ob die Schnürsenkel richtig fest sitzen. Muss vielleicht noch jemand kurz austreten?",
fragt sie allen Ernstes.
Kaum hat sie die Frage gestellt, da geht schon ein lautes Raunen durch die Gruppe. "Was glaubt die eigentlich, wer wir sind?", schimpft eine rüstige Seniorin. Sie trägt hautenge Jeans und sehr teure Wanderschuhe. "Wir sind doch hier nicht auf einer Schulreise, ich finde das empörend!"
"Reg dich nicht so auf, Schatz, denk an deinen Blutdruck.
Gisela weiss sicher, was für uns am besten ist. Immerhin ist sie eine diplomierte Fachkraft", sagt der Mann an ihrer Seite. Er versucht beruhigend auf sie einzuwirken. "Ob diplomierte Landwirtin oder was auch immer, ihre berufliche Qualifikation ist mir gänzlich egal. Ich weiss selbst am besten, ob meine Schuhe richtig gebunden sind und wann ich auf die Toilette muss."
Die ganze Gruppe hat ihre Wutrede mitbekommen. Der Mann an ihrer Seite schweigt und blickt verlegen umher.
"Heilige Scheisse, wer hat die denn engagiert. Wir benötigen doch keine Aufpasserin für diesen Sonntagsbummel", murrt ein Mann mit kahl rasiertem Kopf und markantem Gesicht, das durch den Dreitagebart noch rauer wirkt. Warum er einen winzigen Regenschirm bei sich trägt, bleibt mir ein Rätsel. Als Accessoire passt er jedenfalls überhaupt nicht zu seiner kräftigen Statur.
"Ganz genau, wir brauchen niemanden, der auf uns aufpasst", pflichtet ihm seine attraktive Begleitung bei, die offensichtlich ganz seiner Meinung ist. Sie scheint deutlich jünger zu sein als er, ist makellos geschminkt, trägt einen Pferdeschwanz und eine Baseballmütze mit aufgesticktem Logo. Ihr Teint glänzt in der Sonne aufgrund der vermutlich zu dick aufgetragenen Sonnenschutzcreme.
Gisela ergreift erneut das Wort und ruft: "Die fünf Minuten sind um. Wir brechen auf! Denkt stets daran, mein Fähnchen im Auge zu behalten, damit niemand den Anschluss verliert!"
Gisela geht wacker voran und streckt ihr Fähnchen in die Höhe. Man kann es von überall her gut sehen. Ständig dreht sie sich um und vergewissert sich, ob ihr auch alle folgen. Sie führt uns an bunten Wiesen und saftigen Weiden vorbei. Zurzeit haben hier die Rindviecher die Oberhand. So weit das Auge reicht, überall weiden Kühe und Kälber. Vereinzelt treffen wir auf frisch geschorene Alpakas. Die sonst so flauschigen Tiere mit ihrem liebevollen, herzerweichenden Blick und der typischen Zahnstellung beobachten uns Fremdlinge argwöhnisch.
Die herrliche und stille Bergwelt wird nur durch unser lautes Reden und Diskutieren, dem permanenten Husten und dem lauten Lachen einiger Senioren unangenehm gestört. Geraume Zeit später fällt die Wandergruppe immer weiter auseinander und für Gisela an der Spitze wird es immer schwieriger, die gut gemeinte Kontrolle über ihre Schäfchen zu behalten. Zudem scheint augenfällig, dass ein altes Ehepaar bereits ziemlich weit zurückgefallen ist und nicht mit dem Rest der Schar mithalten kann. Natürlich fühlt sie sich als Reiseleiterin gedrängt zu handeln und nimmt augenblicklich ihre vermeintliche Verantwortung wahr. Sie bleibt abrupt stehen, streckt ihr Fähnchen weit in die Höhe (man kann es von überall her gut sehen) und ruft laut: "Stopp!"
Gemächlich schliessen wir zu ihr auf und scharen uns widerwillig um sie. "Wir legen hier eine kurze Pause ein und warten, bis wir wieder komplett sind", bestimmt sie.
Erneut geht ein Raunen durch das Wandergrüppchen und es wird merklich hörbar gemeckert und gelästert.
Vier Wanderer empfehlen sich auf Polnisch. "Du meine Güte! Es muss wirklich eine Herausforderung sein, solch eine kleine Gruppe im Zaum zu halten!", spottet der Glatzköpfige.
"Ja, das ist ganz bestimmt eine echte Herausforderung!",
stimmt seine Partnerin selbstsicher zu, während sie gekonnt Farbe auf ihre vollen Lippen nachträgt. Ihre gespielte Einigkeit beginnt mir zunehmend auf die Nerven zu gehen und allmählich zweifle ich daran, dass dieser Tagesausflug ein Genuss wird, geschweige denn harmonisch mit liebenswerten und fröhlichen Menschen endet. Ich denke, Marina und ich sollten uns rechtzeitig aus dem Staub machen: "Marina, komm, lass uns gehen.
Wir finden die Beiz auch ohne Gisela und ihr blödes Fähnchen. Ich habe echt Hunger."
"Nein, Peter, wir bleiben. Man haut nicht einfach ab",
entgegnet sie entschlossen.
Ich versuche es erneut: "Sei doch nicht immer so überkorrekt. Bitte, komm jetzt, bevor ich verhungere!"
Doch Marina bleibt standhaft. Beiläufig legt sie ihre Hand auf meinen Bauch und meint trocken: "Verhungern wirst du sicher nicht." Ich gebe widerwillig nach und harre aus.
Da tauchen endlich die beiden Nachzügler auf. Der Mann prustet und schwitzt und die Frau redet unentwegt auf ihn ein. "Na, endlich seid ihr da. Habe ich nicht dringlich darum gebeten, dicht beieinanderzubleiben?", fragt Gisela. Sie ist leicht verärgert.
Die alte Frau stammelt: "Entschuldige, bitte. Wir haben einen Nothalt einlegen müssen, denn mein Mann Viktor wird wieder von zünftigen Knieschmerzen geplagt und ich habe ihm die Kniebandage überziehen müssen.
Weisst du, Gisela, seit der Operation vor einem Jahr treten bei ihm diese Probleme leider immer wieder auf."
"Diese Stümper von Ärzten haben bei der Knieoperation gepfuscht, darum habe ich immer wieder diese Schmerzen!", behauptet Viktor.
Seine Frau widerspricht: "Nein, das stimmt nicht, das weisst du ganz genau. Du hast deine Physiotherapie Übungen nicht regelmässig und nicht korrekt gemacht, aber ich kann nicht überall sein ."
"Bei meiner Mutter ist das genauso gewesen, die hat auch .", fällt ihr ein Mann ungefragt ins Wort. Marina schnaubt. Sie wirkt von einer Minute auf die andere ernüchtert. Ihr Gesicht verfinstert sich merklich und langsam beschleicht auch sie ein Unbehagen. Die Dame mit den teuren Wanderschuhen unterbricht die Unterhaltung und beginnt vom Leidensweg einer Freundin zu erzählen: "Ich kenne auch einen schlimmen Fall ."
Dieses Thema nimmt allmählich die gesamte Wandergruppe in Beschlag und es entzündet sich eine hitzige Debatte. Alle reden kreuz und quer durcheinander, keiner hört dem anderen wirklich zu. Wie bin ich froh, dass Gisela das chaotische Geschwätz abrupt unterbricht: "So, Schluss mit diesem Gejammer, das ist...
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