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KAPITEL 1
Mittelmeer, Juli 1545
Die Galeere tanzte auf den sanften, pechschwarzen Wellen des nächtlichen Meeres. Die Flinke Hindin lag eine halbe Meile von der Küste entfernt hinter den dunklen Felsen der Landzunge vor Anker. Ein junger Ritter stand allein auf dem Vordeck und hielt das in einer bogenförmigen Linie von der Spitze des Fockmastes herunterführende Bugstag fest umklammert. Die Luft war unangenehm feucht, und er hob eine Hand, um sich die Schweißperlen von der Stirn zu wischen. Die Mündungen der beiden langen Bronzekanonen hinter ihm waren zum Schutz gegen Spritzwasser nach oben gerichtet. Inzwischen war er so sehr an das Schwanken der Galeere gewöhnt, dass er sich nicht mehr festhalten musste; dennoch umschloss seine geballte Faust das raue Tau, während er konzentriert auf die dunkle See starrte und angestrengt lauschte. Doch bis auf das rhythmische Klatschen der kleinen Wellen gegen die Schiffshülle war nicht das leiseste Geräusch zu hören. Vor über drei Stunden war der Kapitän mit vier Matrosen in einem kleinen Boot ans Ufer gerudert. Jean Parisot de La Valette hatte Thomas freundschaftlich auf die Schulter geklopft, ihm mit einem matten Glänzen seiner Zähne aufmunternd zugelächelt und dem jungen Ritter für die Dauer seiner Abwesenheit das Kommando über das Schiff übertragen.
»Wie lange werdet Ihr fort sein, Herr?«
»Ein paar Stunden, Thomas. Ich kehre zurück, sobald ich mir gewiss bin, dass sich unsere arglosen Freunde zur Nachtruhe gebettet haben.«
Beide Männer hatten unwillkürlich in Richtung der Bucht auf der anderen Seite der Landzunge geblickt. In etwa drei Meilen Entfernung lag ein türkisches Handelsschiff in Ufernähe vor Anker - genau an der Position, die ihnen der Fischer am Tag zuvor beschrieben hatte. Der Großteil der Besatzung befand sich nun wohl um Lagerfeuer geschart an Land, und nicht mehr als eine Handvoll Männer würden die Galeone bewachen. Die Gewässer vor der afrikanischen Küste wurden zwar von Korsaren heimgesucht, doch die Türken hatten von diesen wilden Piraten nichts zu befürchten. Ein Erlass des in Konstantinopel residierenden Sultans Süleyman hatte den Korsaren jegliche Plünderung verboten. Eine weitaus größere Gefahr drohte den muslimischen Schiffen, die das Weiße Meer - wie die Türken das Mittelmeer nannten - durchkreuzten, vom Orden des Heiligen Johannes, einer kleinen Schar christlicher Ritter, die die Anhänger der Lehren Mohammeds erbittert bekämpften. Sie gehörten zum letzten der großen Militärorden, die bis zu ihrer Vertreibung durch Saladin über das Heilige Land geherrscht hatten. Nun hatte der Orden sich auf die karge Felseninsel Malta zurückgezogen, die ihnen der König von Spanien zum Geschenk gemacht hatte. Von dort aus streiften die Ritter in ihren Galeeren durch das Mittelmeer, um jedes muslimische Schiff, das ihren Weg kreuzte, zu plündern. Und in dieser mondlosen Nacht plante eine der Ordensgaleeren einen Angriff auf das große Handelsschiff, das in drei Meilen Entfernung vor Anker lag.
»Uns erwartet reiche Beute .«, hatte Thomas gesagt.
»In der Tat. Trotzdem sind wir im Namen des Herrn hier«, ermahnte ihn der Kapitän in strengem Ton. »Alles, was wir erbeuten, wird dem Kampf gegen die Ungläubigen zugutekommen.«
»Ja, Sir. Ich weiß«, antwortete Thomas leise. Es beschämte ihn, dass ihm der ältere Ritter unterstellte, nur am schnöden Mammon interessiert zu sein.
La Valette kicherte. »Seid unbesorgt, Sir Thomas. Inzwischen kenne ich Euch sehr gut. Ihr seid ein ebenso frommer Diener des wahren Glaubens und ein ebenso tapferer Krieger wie ich. Irgendwann werdet Ihr Eure eigene Galeere kommandieren. Doch wenn dieser Tag gekommen sein wird, dürft Ihr nicht vergessen, dass Euer Schiff ein Schwert in der Rechten Gottes ist. Ihm allein gebührt die Beute.«
Thomas nickte. La Valette kehrte ihm daraufhin den Rücken zu und stieg durch die Lücke in der Reling zu den vier Matrosen hinunter, die in dem kleinen Boot neben dem Bug der Galeere auf ihn warteten. Der Kapitän knurrte einen Befehl, woraufhin sich die Männer in die Riemen legten und das Boot landwärts ruderten. Thomas hatte ihm hinterhergestarrt, während es rasch von der Dunkelheit verschluckt wurde.
Jetzt, Stunden später - zu viele Stunden, wie es schien - war Thomas um seinen Kapitän besorgt. La Valette war schon zu lange weg. Die Dämmerung nahte, und wenn der Kapitän nicht bald zurückkehrte, würden sie den Vorteil eines Nachtangriffs einbüßen. Und was, wenn die Türken La Valette und seine Männer gefangen genommen hatten? Bei dieser schrecklichen Vorstellung ergriff eine tiefe Kälte von Thomas' Herz Besitz. Gefangenen Ordensrittern bereiteten die Türken mit Vorliebe einen ebenso langsamen wie schmerzhaften Tod auf der Folterbank. Dann kam ihm ein weiterer besorgniserregender Gedanke: Wenn sie La Valette verloren hatten, lag die Verantwortung für das Schiff auf seinen Schultern. Und er verspürte die beängstigende Gewissheit, dass er noch nicht bereit dafür war, das Kommando über die Galeere zu übernehmen.
Er bemerkte eine Bewegung hinter sich und sah sich um. Eine hochgewachsene Gestalt erklomm die wenigen Stufen zum engen Vorderdeck. Der barhäuptige Mann trug einen dick wattierten Gambeson unter einem dunklen Wappenrock. Das weiße Kreuz darauf war im Sternenlicht nur undeutlich zu erkennen. Oliver Stokely war ein Jahr älter als Thomas, doch da er dem Orden später beigetreten war, stand er im Rang unter ihm. Trotzdem waren die beiden Freunde geworden.
»Irgendein Zeichen vom Kapitän?«
Angesichts dieser überflüssigen Frage musste Thomas unwillkürlich lächeln. Er war offenbar nicht der Einzige, dem das lange Warten an den Nerven zerrte.
»Noch nicht, Oliver«, sagte er und bemühte sich dabei um einen sorglosen Tonfall.
»Wenn er nicht bald zurückkehrt, müssen wir den Angriff abblasen.«
»Ich bezweifle, dass er sich dazu entschließen wird.«
»Wirklich?« Stokely schniefte. »Ohne das Überraschungsmoment werden wir größere Verluste erleiden, als wir es uns leisten können.«
Ein wahres Wort, dachte Thomas. Der Johanniterorden auf Malta zählte nicht einmal mehr fünfhundert Ritter. Der endlose Krieg gegen die Türken hatte seinen Blutzoll gefordert, und es wurde zunehmend schwieriger, die Reihen wieder aufzufüllen. Durch die strengen Aufnahmebedingungen und die Kriege, die die Königreiche Europas untereinander führten, schrumpfte die Zahl der jungen Adeligen, die sich als Anwärter zur Verfügung stellten, ständig. Früher wäre ein Veteran wie La Valette mit einem Dutzend jüngerer Ritter aufgebrochen, die nichts anderes im Sinn hatten, als sich in der Schlacht zu beweisen. Nun musste er sich mit fünf begnügen, von denen nur Thomas bereits gegen die Türken gekämpft hatte.
Dennoch kannte Thomas seinen Kapitän gut genug, um zu wissen, dass diesen nur eine erdrückende Übermacht vom Kampf abhalten konnte. La Valette brannte vor religiösem Eifer, befeuert noch durch den Drang nach Vergeltung für die Demütigungen, die er vor vielen Jahren als an eine schmale Holzbank geketteter Rudersklave der Türken hatte erdulden müssen. La Valette war einer der Glücklichen gewesen, die diesem Schicksal durch eine Lösegeldzahlung hatten entkommen können. Der Großteil derjenigen, die zum Galeerendienst verdammt waren, starb qualvoll an Erschöpfung, Durst oder den Wunden, die die schweren Eisenfesseln hinterließen. Aus diesem Grund, so sinnierte Thomas, würde Valette den Kampf suchen - egal, ob er den Feind überraschen konnte oder nicht.
»Und wenn ihm etwas zugestoßen ist?« Stokely sah sich verstohlen um. Er wollte vermeiden, von einem der Männer auf dem Hauptdeck belauscht zu werden. »Wer soll dann das Kommando übernehmen?«
Thomas hatte bereits damit gerechnet, dass Stokely früher oder später diesen Anspruch anmelden würde. Er musste ihm zuvorkommen.
»Als sein Stellvertreter werde ich im Fall seines Todes oder seiner Gefangennahme seinen Platz einnehmen. Das weißt du genau.«
»Aber ich bin älter als du«, flüsterte Stokely energisch. »Also sollte ich Kapitän sein. Die Männer würden es gewiss vorziehen, von einem Mann mit mehr Erfahrung befehligt zu werden. Das leuchtet dir doch sicher ein, mein Freund?«
Egal, was Stokely denken mochte - Thomas' Vorgesetzte hatten schon von Anfang an seine kämpferischen Fähigkeiten erkannt. Bei seinem ersten Einsatz hatte er einen kleinen Küstenhafen in der Nähe von Algier angegriffen, wobei es ihm gelungen war, eine mit Gewürzen beladene Galeone zu kapern. Danach war er La Valette unterstellt worden, dem wagemutigsten und erfolgreichsten Kapitän des Ordens. Dies nun war der dritte Beutezug, den sie gemeinsam gegen die Türken unternahmen, und inzwischen hatte er enge Bande mit der Mannschaft und den Soldaten auf La Valettes Galeere geknüpft. Er zweifelte nicht daran, dass die Männer lieber von ihm als von einem Ritter befehligt wurden, der frisch aus der Schreibstube des Quartiermeisters kam und erst seit einem Monat auf der Galeere diente.
»Wie dem auch sei«, antwortete Thomas, um die Gefühle seines Freundes nicht zu verletzen. »Wir müssen uns darüber keine Gedanken machen. Der Kapitän wird zweifellos bald zurück sein.«
»Und wenn nicht?«
»Er wird zurückkommen«, sagte Thomas entschieden. »Und sobald er wieder auf der Galeere ist, müssen wir zum Kampf bereit sein. Gib Befehl, die Ruder mit Tüchern zu dämpfen. Dann sollen die Männer die Waffen anlegen.«
Stokely zögerte einen...
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