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»Halt!«, rief der Legat und hob den Arm.
Seine Eskorte zügelte die Pferde und Vespasian lauschte angestrengt nach dem Geräusch, das er einen Moment zuvor gehört hatte. Jetzt, als der dumpfe Hufschlag auf dem primitiven, von Einheimischen angelegten Weg das Geräusch nicht länger verdeckte, drang aus der Richtung des einige Meilen entfernten Calleva leise der Ruf britischer Kriegshörner herüber. Das Städtchen mit seinen verwinkelten Gassen war die Hauptstadt der Atrebates, eines der wenigen mit Rom verbündeten Stämme, und einen Moment lang fragte sich der Legat, ob der feindliche Kommandant Caratacus etwa einen kühnen Vorstoß gegen die rückwärtige Front der römischen Kräfte gemacht hatte. Sollte Calleva angegriffen sein .
»Los, weiter!«
Vespasian trieb sein Pferd mit den Stiefelabsätzen an, beugte sich vor und preschte den Hang hinauf. Seine Eskorte, ein Dutzend Kundschafter der Zweiten Legion, galoppierte hinter ihm her. Es war ihre heilige Pflicht, den Kommandanten zu beschützen.
Der Weg führte einen lang gezogenen, steilen Hügel schräg hinauf, hinter dessen Kuppe es nach Calleva hinunterging. Die Stadt wurde als vorgeschobenes Nachschublager der Zweiten Legion genutzt. Diese Legion war vom Armeekommandanten General Aulus Plautius abkommandiert worden, um getrennt von den anderen Legionen gegen die Durotriges zu operieren, dem letzten der südlichen Stämme, die noch auf Seiten Caratacus' kämpften. Erst nach einem vernichtenden Sieg über die Durotriges wären die römischen Nachschublinien so gut gesichert gewesen, dass die Legion weiter nach Norden und Westen hätte vorstoßen können. Ohne ausreichenden Nachschub konnte General Plautius unmöglich siegen, und das Volk in Rom würde merken, dass die voreilige kaiserliche Feier der Eroberung Britanniens nur ein fauler Schwindel gewesen war. Das Schicksal General Plautius' und seiner Legionen - und eigentlich sogar das Schicksal des Kaisers selbst - hing von den überdehnten Lebensadern ab, die die Legion mit Nahrung versorgten und jederzeit mit einem einzigen Schlag durchschnitten werden konnten.
Vom riesigen Basislager an der Mündung des sich durchs Herz Britanniens schlängelnden Flusses Tamesis, wo Nahrungsvorräte und Ausrüstung aus Gallien angelandet wurden, rollten regelmäßig schwere Wagenkolonnen los. Seit zehn Tagen hatte die Zweite Legion jedoch keinen Nachschub mehr aus Calleva erhalten. Vespasian hatte seine Kräfte, die eine der größeren Hügelfestungen der Durotriges belagerten, zurückgelassen und war selbst nach Calleva geeilt, um der Angelegenheit nachzugehen. Die Zweite Legion gab inzwischen reduzierte Rationen aus, und in den umliegenden Wäldern lauerten feindliche Truppen auf umherstreifende römische Kräfte, die sich auf Nahrungssuche zu weit vom Hauptkörper der Legion fortwagten. Falls es Vespasian nicht gelang, Nahrung für seine Männer zu beschaffen, würde die Zweite Legion sich bald ins Nachschublager in Calleva zurückziehen müssen.
Vespasian konnte sich mühelos vorstellen, wie verärgert General Plautius einen solchen Rückschlag aufnehmen würde. Aulus Plautius war von Kaiser Claudius zum Kommandanten des in Britannien operierenden römischen Heeresteils ernannt worden und hatte den Auftrag, die britischen Stämme dem Imperium anzugliedern. Obgleich Plautius im Sommer zuvor mehrere Siege über die barbarischen Stämme errungen hatte, hatte Caratacus eine neue Armee zusammengezogen und leistete Rom noch immer Widerstand. Er hatte viel aus dem Feldzug des Vorjahres gelernt und vermied offene Schlachten gegen die römischen Legionen. Stattdessen kommandierte er Teile seiner Truppe ab, um die Nachschublinien der schwerfälligen römischen Kriegsmaschinerie anzugreifen. Mit jeder Meile, die General Plautius und seine Legionen vorrückten, wurden diese Lebensadern verwundbarer.
So hing der Ausgang des diesjährigen Feldzugs davon ab, wessen Strategie erfolgreicher sein würde. Falls es General Plautius gelang, die Briten in die offene Schlacht zu zwingen, würden die Legionen gewinnen. Falls es den Briten aber gelang, eine Schlacht zu vermeiden und die Legionen auszuhungern, mochten sie das Heer durchaus so stark schwächen, dass der General zu einem gefährlichen Rückzug bis an die Küste gezwungen war.
Je näher Vespasian mit seiner Eskorte dem Hügelkamm kam, desto durchdringender schallten die Kriegshörner. Jetzt hörten die Soldaten auch die Schreie von Männern, das scharfe Klirren sich kreuzender Klingen und das dumpfe Scheppern der Schläge, die auf Schilde trafen. Die Silhouette langer Grasbüschel stand vor dem klaren Himmel, und dann hatte Vespasian die Szenerie auf der anderen Hügelseite vor Augen. Zur Linken lag Calleva, ein wucherndes Durcheinander strohgedeckter, überwiegend jämmerlich kleiner Hütten, umgeben von einem Erdwall mit Palisade. Ein dünner Schleier von Holzrauch hing über der Stadt. Der Weg vom hohen Turm des Torhauses zur Tamesis war wie eine dunkle Wunde aus aufgewühltem Matsch. Auf diesem Weg, eine halbe Meile von Calleva entfernt, waren von einer Nachschubkolonne nur noch eine Hand voll Wagen übrig, verteidigt von einer dünnen Linie von Hilfstruppen. Rundum wimmelte es von Feinden: kleine Gruppen schwer bewaffneter Krieger und leichtere, mit Schleudern, Pfeil und Bogen sowie Wurfspeeren ausgerüstete Truppen. Sie unterhielten einen steten Geschosshagel auf die Kolonne und ihre Begleitmannschaft. Von den Flanken der verwundeten Ochsen floss das Blut, und hinter der Kolonne war der Weg mit Leichen übersät.
Vespasian und seine Leute zügelten ihre Pferde, während der Legat kurz seine Möglichkeiten abwägte. In diesem Moment stürmte eine Gruppe von Durotriges zum hinteren Ende der Kolonne und warf sich auf die Hilfstruppen. Der Kommandant der Wagenkolonne, in seinem scharlachroten Mantel auf dem Kutschbock des vordersten Wagens nicht zu übersehen, legte die Hände an den Mund, brüllte einen Befehl, und die Kolonne kam langsam zum Stehen. Die Hilfstruppen schlugen die Angreifer mühelos zurück, doch ihre Kameraden an der Spitze des Wagenzugs boten dem Feind ein leichtes Ziel, und als die Wagen sich wieder in Bewegung setzten, lagen noch weitere Soldaten auf der Erde.
»Wo steckt denn die verdammte Garnison?«, knurrte einer der Kundschafter. »Die müssten die Kolonne doch inzwischen längst gesehen haben.«
Der Legat blickte zu den säuberlich geraden Barackenreihen des an Callevas Verteidigungswall angebauten, befestigten Nachschublagers. Auf den Wegen sah man zwar Menschen hin und her eilen, doch von irgendeiner Truppenaufstellung war nichts zu bemerken. Vespasian nahm sich vor, den Garnisonskommandanten tüchtig zusammenzupfeifen, sobald er das Lager erreichte.
Falls er das Lager überhaupt erreichte, überlegte er dann, denn das Scharmützel spielte sich zwischen seinem Reitertrupp und den Toren Callevas ab.
Wenn die Garnison nicht bald einen Ausfall machte, würde die Wagenkolonne weiter aufgerieben und schließlich in einem letzten Angriff vom Feind ausgelöscht. In der Erwartung des entscheidenden Moments drängten die Durotriges sich immer dichter an die Wagen heran, stießen ihre Kriegsschreie aus und trommelten mit ihren Waffen gegen die Ränder ihrer Schilde, um sich richtig in Kampfstimmung zu bringen.
Vespasian riss sich den Mantel von den Schultern, packte die Zügel fest mit der einen Hand, zog mit der anderen das Schwert und drehte sich zu seinen Kundschaftern um.
»Angriffslinie bilden.«
Die Männer blickten ihn überrascht an. Wenn der Legat die Absicht hatte, den Feind anzugreifen, war das praktisch Selbstmord.
»Linie bilden, verdammt noch mal!«, brüllte Vespasian, und diesmal reagierten seine Männer sofort, reihten sich zu beiden Seiten des Legaten auf und griffen nach ihren Speeren. Gleich darauf hieb Vespasian sein Schwert nach unten.
»Los!«
Dieses Manöver wäre nichts für den Paradeplatz gewesen. Die kleine Reiterschar trieb einfach ihren Pferden die Fersen in die Flanken und hielt in wildem Galopp den Hang hinunter auf den Feind zu. Das Blut hämmerte Vespasian in den Ohren, doch gleichzeitig fragte er sich, ob dieser wilde Angriff nicht der reine Wahnsinn war. Er hätte ohne weiteres einfach die Vernichtung der Kolonne beobachten und abwarten können, bis der siegreiche Feind alles demoliert hatte und abmarschiert war. Aber das wäre feige gewesen und außerdem wurden die Vorräte dringend benötigt. Also biss er die Zähne zusammen, umklammerte das Schwert mit der Rechten und stürmte auf die Wagen zu.
Am Fuß des Hügels veranlasste das Trommeln der Hufe manchen feindlichen Krieger zum Innehalten, und das Sperrfeuer auf den Konvoi ließ nach.
»Dort! Dort drüben!«, brüllte Vespasian und zeigte auf eine lose Reihe von Schleuder- und Bogenschützen. »Mir nach!«
Die Kundschafter schlugen die gleiche Richtung wie ihr Legat ein und galoppierten schräg zum Hang auf die leicht bewaffneten Durotriges zu. Schon flüchteten die Briten vor den Reitern, und das Triumphgebrüll erstarb auf ihren Lippen. Vespasian sah, dass der Kommandant der Kolonne die Atempause genutzt hatte, und die Wagen nun wieder auf Callevas sichere Befestigungsanlagen zurollten. Doch der Anführer der Durotriges war kein Dummkopf und Vespasian erfasste mit einem raschen Blick, dass die schwere Infanterie und die Streitwagen sich der Kolonne näherten, um zuzuschlagen, bevor ihre Beute die Tore erreichte. Fast unmittelbar vor ihm versuchten bemalte Krieger mit verzweifelten Seitwärtssprüngen, den römischen Reitern auszuweichen. Vespasian fasste einen hoch gewachsenen Schleuderschützen ins Auge, der ein Wolfsfell über den Schultern trug, und nahm ihn mit der Schwertspitze aufs Korn. Im letzten Moment spürte der Brite das Nahen des Pferdes...
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