Schweitzer Fachinformationen
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»Mutter, ich komme - und freue mich auf unser Wiedersehen. Was macht Vater?«
»Dein Vater sitzt neben mir und läßt dich herzlich grüßen. Fast sieht es so aus, als würde er sich noch mehr als ich auf deinen Besuch freuen. Wir werden's ausdiskutieren müssen. Übrigens, man nennt ihn hier den Hüttenmann!«
»Wen, meinen Vater?«
»Nein, Niilo Nickström!«
»Verstehe ich nicht, wir bewohnen doch alle mehr oder weniger eine Hütte!«
»Schon, aber er bewohnt drei. Eine davon benutzt er als Küche, weshalb er ihr eine Wand zerschlagen hat, damit sie nach vorne offen steht, der Dämpfe wegen, wenn er kocht oder sich etwas in der Pfanne brät. Ich weiß es nur vom Hörensagen, du aber wirst es vielleicht bald in Augenschein nehmen können, falls er dich einladen sollte. Er gilt als guter Gastgeber!«
»Da wird es aber ganz schön kalt im Winter. Außerdem, was ist mit dem Schutz vor Tieren?«
»Es gibt doch Winterjacken. Mit den Tieren lebt er, die stören ihn nicht weiter. Manche behaupten, er redet mit ihnen!«
»Das tat Franz von Assisi auch, denn die Tiere galten ihm als Schwestern und Brüder. Sie besaßen für ihn Geltung als Geschöpfe Gottes. Er nahm sie als Hinweis auf den himmlischen Vater, der auch ihn selbst gemacht hat. Eine ihn zutiefst angehende Verbundenheit mit ihnen sorgte für den Blick, in den Tieren, sei es Vogel oder Wolf, Mitgeschöpfe zu sehen und zu achten. Das kann mir nur sympathisch sein!«
»Gegen Vögel hab ich nichts. Das Twittern ist ja weltweit in Mode gekommen. Was den Wolf anbelangt, so wäre es mir allerdings recht, wenn er ihn über die Grenze zurück nach Rußland schicken würde!«
»Laß gut sein, Mutter. Wenn die Vögel twittern könnten, würden sie uns wahrscheinlich die Flötentöne der sie betreffenden Ausrottungsliste beibringen, für die wir taub geworden sind. Wir sehen uns!«
Zwei Wochen später traf ich in Hetta ein. Ich hatte das Schiff von Hamburg nach Kemi genommen und den Rest der Strecke mit der Bahn, schließlich im Postbus zurückgelegt. In meiner Seele herrschte ein Gefühl von Unwirklichkeit vor, als hätte ich mich in einem zerklüfteten, lange gemiedenen Areal meines Gedächtnises verloren, in dem mich aus jedem Spalt Vergessenes belauerte, das kurz davor war, hervorzuspringen, um mir das Elend vorzuführen, das mein Weggang ihm ins Gesicht gezeichnet, wenn nicht gar geschnitten hatte. Ein Schuldgefühl machte sich in mir breit und sorgte für die unsicheren Schritte eines unheimlich anmutenden Gangs, als hätte ich den morastigen Boden einer Vorzeit betreten, in den einst die Leichen derer versenkt wurden, die sich, aufgrund sittlicher Verbrechen, an dem Zusammenhalt innerhalb der Gemeinde versündigt hatten, weshalb sie zu strangulieren waren.
Meine Mutter öffnete mir die Tür mit leuchtenden Augen und sah mir gleich an, daß es nicht gerade gut um meine Gemütsverfassung bestellt war. Ob ich wieder so arg mit der Seekrankheit zu kämpfen gehabt habe. Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Diesmal nur ein bißchen, im Skagerrak, wo es zu erwarten war!« Mein Vater drückte mich lange an seine Brust, mit mehr Stolz auf mich, als er für seinen eigenen sozialen Aufstieg je aufgebracht haben dürfte, wie es schien. Nach einem Willkommenstrunk, der aus einem Gläschen Wodka bestand, und zwei Brotscheiben mit selbstgeräuchertem Lachs, gab ich an, mir noch einmal die Beine vertreten zu wollen, um den inneren Schwindel meines Matrosengangs loszuwerden. Ich suchte den Bootssteg am Ounasjärvi auf, von dem ich mich so oft abgestoßen hatte, um loszurudern und mich und meine im Rucksack verstaute Fracht ans mir entgegen wartende Ufer der anderen Seite überzusetzen, wo sich die Wildmarkhütte finden ließ, der es nicht schwerfiel, sobald ich sie betrat, sich in eine Dichterklause zu verwandeln.
Ich ging auf den Steinen herum und ließ sie unter meinen Schritten klick und klack machen.
Ein Stein fiel mir ins Auge, über dessen Herzform ich so erschrecken mußte, als sei die Zeit plötzlich zum Stillstand gekommen. Als ich ihn aufhob, fiel mir plötzlich Stella wieder ein, so daß ich ihn nur noch als die Botschaft einer stummen Anklage verstehen konnte, mit der das Schicksal gegen mich Partei ergriff. Es kam mir so vor, als hätte ich vor vierzig Jahren, gemäß eines Anstoßes aus der Finsternis, den ich zuließ, statt ihn abzuwehren, an dieser Stelle mein Herz verloren und erhielte es, hier und heute, abgemagert und versteinert zurück, ohne mehr tun zu können, als es mit meiner Hand zu umschließen und in die Mitte meiner glühenden Faust zu zwingen, die jetzt daran verzweifeln sollte, es nicht wieder zum Leben erwecken zu können, es sei denn, es gelänge ihr, all ihr Blut in diesen Stein hineinzupumpen, bis sie schließlich, wie eine ausgetrocknete Knospe, welk von meinem Arm abfiele und als eine verknitterte Fratze ihrer selbst vor meinen Füßen landen würde, einen sie zerstampfenden Schritt davon entfernt, sich in einem bereits vom nächsten Lüftchen davongetragenen Staubwirbel auflösen zu müssen.
Mit der Tagung, weshalb ich angereist war, hatte dies nicht das geringste zu tun. Ich hatte, keine zwei Stunden nach meiner Ankunft in Hetta, das mich beherrschende Thema gefunden, hielt es sogar, in symbolischer Verdichtung, in meiner Hand, die nicht davon loszukommen schien, darüber am liebsten verkrampfen zu mögen. Wie sollte ich meinen Kopf auch nur für eine Sekunde frei bekommen, wenn es galt, den Vorträgen Gehör zu schenken? Die Tagung war nichts als der Tropfen, der zu einem Faß, das bereits bis zum Rand gefüllt war, hinzukam, um es zum Überlaufen zu bringen. Ich hatte mich in das erbleichte Herzblut des Fasses meiner verratenen Liebe zu stürzen, statt mich diesem Tropfen Leitungswasser zu widmen, der mir die Stirn hinunterlaufen würde, um letztlich, an meiner Nasenspitze kleben bleibend, solange abzuhängen, bis ich seinem nervenden Kitzel mit einem Papiertaschentuch den Garaus machen würde. Mir wurde klar, daß das zu verschweigen war. Daß dies nicht ins Ohr Niilo Nickströms oder eines anderen Tagungsteilnehmers gehörte. Daß ich ohne jeglichen Ausweis dastand, mit der Mission, die mir vorschwebte, die Welt retten zu können. Weltrettung, das war doch der gemeinsame Nenner aller politischen Tagungen, in denen sich die zielbewußten Finger kritischer Geister in die offenen, der Menschheit und ihrer Würde geschlagenen Wunden legten, um darin zu bohren und sich gleichzeitig, je nach Ausmaß des versteckt waltenden Gemisches aus Verhärmung und Eitelkeit, in ihnen zu aalen.
Wieviele Tagungen, Sitins, Hungerstreiks, Flugblattaktionen, Protestaufmärsche und Demonstrationszüge hat es seit Beginn meines Lebens nicht schon gegeben - und doch steht die Menschheit, näher denn je, vor dem Kollaps. Sie hat es zu wörtlich genommen, sich die Erde untertan machen zu sollen. Aber die Natur ist von keinem Untertanengeist beseelt. Sie schlägt zurück und sprengt die Fugen der Mauern, mit der wir ihre Kräfte und das Zusammenspiel ihrer Fauna und Flora kanalisiert haben, mit Leichtigkeit und im Vorübergehen. Sie gibt die Verseuchung an uns zurück und läßt uns langsam an ihr krepieren. Es fehlt nicht an Überzeugungskraft, es fehlt an Beispielen gelebter Liebe. Liebe zur Natur, die ihrer Wahrung dient. Liebe zum Menschen, die ihm mit Respekt begegnet. Liebe zum Leben, die sich von Demut erfüllen läßt. Wir sind miserable Erzieher. Die Kinder merken der Strenge ihrer Eltern und Lehrer die Liebe nicht mehr an. Es fehlt an Zeit, in der man die Uhren nicht mehr ticken hört. Zeit war mal mitschwingende Liebe, längst ist sie ein Fall von käuflichen Streicheleinheiten geworden. Die Leistung steht im Vordergrund. Mobbing ist allgegenwärtig. Nur zur Einführung als Schulfach scheint es ungeeignet, obwohl sich alles aus ihm lernen ließe, was zum Verständnis und zur Bewältigung der Lebenswirklichkeit ertüchtigen könnte.
Der Unterschied zwischen Selbstliebe und Egoismus hat sich aufgelöst und hängt als gegenseitig empfundenes Mißtrauen in der Luft. Wer nichts an sich selber hat, will schnellstmöglich alles andere haben. Ich weiß, auch das hört sich bereits so an, wie auf einer Tagung gesprochen, in Form einer langweilenden Predigt. Es ist damit nur in kurzer Satzfolge angerissen, wovon keiner mehr auf eine das Interesse wach haltende Weise ausführen könnte, was es eigentlich besagen will. Der an sich selbst erstickenden Empörung verlangt es nach besserwisserischen Scharfmachern, die sich in der Kunst des Anprangerns verstehen. Also genug davon. Weg von den Verstandessachen, wenn es doch um Herzensangelegenheiten gehen soll, in denen jeder mit sich selbst ins Gericht gehen sollte, um das verschrumpelte Würstchen, das sich dabei entdecken läßt, mit etwas Süßsenf anzufüttern und nach und nach mit der Verabreichung von Tomatensaft wieder...
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