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Wie funktionieren gute Geschichten, wie schreibt man sie und was erzählen sie uns über unsere Welt:
George Saunders führt den Leser durch sieben klassische Kurzgeschichten der russischen Meister Tschechow, Turgenjew, Tolstoi und Gogol, so wie er es zwanzig Jahre lang mit seinen Studenten im Creative-Writing-Programm machte. Und es ist unglaublich, wie unterhaltsam, witzig und erhellend Lernen bei George Saunders ist. Während er uns erklärt, wie Literatur funktioniert, fangen wir an, die Welt mit anderen Augen zu sehen, erkennen, dass gute Literatur moralische und ethische Vorstellungen beeinflussen, ja Leben verändern kann.
Die Geschichten sind in voller Länge abgedruckt: Anton Tschechow, Auf dem Wagen, Herzchen, Die Stachelbeeren; Iwan Turgenjew, Die Sänger; Leo Tolstoi, Herr und Knecht, Aljoscha der Topf; Nikolai Gogol, Die Nase.
"Es ist ohne Übertreibung das beste Buch über das Schreiben, das ich jemals gelesen habe." "Dieses Buch - teils lockere Vorlesung, teils Meditation - will zeigen, warum gute Leser glücklichere Menschen sind." "Saunders lehrt Schreiben als Handwerk, so wie ein Tischler einen Schrank baut. Sehr schön, anregend und unterhaltsam." "Wie ein experimentierfreudiger Zauberer befördert Saunders im Plauderton, anhand winziger Details, immer neue Aha-Erlebnisse darüber zutage, was diese Geschichten mit uns machen, wie sie es machen, lässt uns dem selbst nachspüren." "Schritt für Schritt begleitet er uns durch die Lektüre, öffnet den lesenden Blick nicht nur für die Optimierung des Leseerlebnisses, sondern auch ganz im Sinne angehender Autor/innen." "Es ist eine Sammlung kluger und aufschlussreicher Essays für Schreibende, aber auch für Leser. Saunders ist nah am Text, um dessen Geheimnissen auf die Spur zu kommen und seiner Wirkung nachzugehen." "Sehr lehrreich und unterhaltsam!"
In den letzten zwanzig Jahren habe ich einen Kurs über russische Erzählungen des 19. Jahrhunderts (in englischer Übersetzung) an der Syracuse University unterrichtet. Meine Studierenden gehören zu den besten jungen Autor:innen Amerikas. (Jedes Jahr wählen wir aus einem Pool von sechs- bis siebenhundert Bewerbungen sechs Studierende aus.) Schon wenn sie antreten, sind sie großartig. Über die nächsten drei Jahre versuchen wir, ihnen dabei zu helfen, ihren »ikonischen Raum« zu erlangen, so nenne ich das - den Ort, von dem aus sie die Geschichten schreiben werden, die nur sie schreiben können und für die sie einbringen, was sie als Menschen unverwechselbar macht: ihre Stärken und Schwächen, ihre Obsessionen und Eigenheiten, das ganze Paket. Auf diesem Niveau wird gutes Schreiben schon vorausgesetzt; das Ziel lautet, die handwerklichen Mittel zu erlernen, mit denen sie frech und froh sie selbst werden können.
In dem Kurs über die Russen, wo wir die Physik des Genres zu begreifen versuchen (»Wie funktioniert dieses Ding überhaupt?«), wenden wir uns einer Handvoll Texte der großen russischen Schriftsteller zu und schauen uns an, wie sie es angestellt haben. Manchmal mache ich den (durchaus ernst gemeinten) Witz, dass wir sie daraufhin lesen, was wir bei ihnen klauen können.
Vor ein paar Jahren kam mir nach dem Kurs (sagen wir, Kreidestaub schwebte in der Herbstluft, der altmodische Heizkörper klonkerte in der Ecke, draußen probte irgendwo eine Blaskapelle) die Erkenntnis, dass ich einige der besten Augenblicke meines Lebens, in denen ich wirklich das Gefühl hatte, ich hätte der Welt etwas Wertvolles zu geben, im Verlauf dieses »Russenkurses« erfahren habe. Die Erzählungen, die ich dort durchnehme, habe ich, wenn ich selbst schreibe, immer in der Nähe, als hohe Messlatte für meine eigenen. (Ich wünsche mir, dass meine Geschichten jemanden ebenso sehr bewegen und verändern können, wie diese russischen Erzählungen mich bewegt und verändert haben.) Nach all den Jahren kommen mir die Texte vor wie alte Freunde, die ich, jedes Mal, wenn ich den Kurs wieder unterrichte, einer neuen Gruppe brillanter junger Autor:innen vorstellen darf.
Und so beschloss ich, dieses Buch zu schreiben, ein paar der Dinge, die meine Studierenden und ich über die Jahre zusammen entdeckt haben, zu notieren und damit eine bescheidene Version dieses Kurses auch Ihnen anzubieten.
Im Laufe eines Semesters lesen wir vielleicht dreißig Erzählungen (zwei oder drei pro Sitzung), aber für dieses Buch beschränken wir uns auf sieben. Die von mir ausgewählten Texte sollen nicht die Diversität der russischen Autor:innen abbilden; es sind nur Tschechow, Turgenjew, Tolstoi und Gogol vertreten, und die Erzählungen sind nicht einmal immer ihre allerbesten. Es sind einfach sieben Geschichten, die ich liebe und die sich über die Jahre als sehr geeignet für den Unterricht erwiesen haben. Würde ich eine Nicht-Leserin dazu bringen wollen, sich in das Genre der Erzählung zu verlieben, würde ich ihr unter anderem diese Texte vorschlagen. Ich halte sie für großartig, geschrieben in einer Hochphase des Genres. Aber sie sind nicht alle gleich gut. Manche sind großartig trotz einiger Makel. Bei manchen muss ich ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten (mach ich gerne). Mein eigentliches Thema ist das Genre Erzählung selbst, und dazu eignen diese Texte sich gut: Sie sind einfach, klar, elementar.
Wer gerade mit dem Schreiben angefangen hat, wird bei der Lektüre russischer Erzählungen aus dieser Zeit ähnlich empfinden wie ein junger Komponist, der sich mit Bach auseinandersetzt. Alle Grundprinzipien der Form werden sichtbar. Die Werke sind einfach, aber bewegend. Was darin passiert, bedeutet uns etwas. Sie wurden geschrieben, um herauszufordern, zu provozieren, zu empören. Und auf komplexe Weise zu trösten.
Wenn wir diese Erzählungen, die meistenteils still, häuslich und unpolitisch sind, zu lesen beginnen, mag der Gedanke vielleicht seltsam erscheinen; aber dies ist eine Literatur des Widerstands, geschrieben von progressiven Reformern in einer repressiven Kultur, unter ständiger Bedrohung durch die Zensur, in einer Zeit, da die politische Haltung eines Schriftstellers zu Exil, Haft, ja Todesstrafe führen konnte. Der Widerstand in diesen Erzählungen ist still, eher nicht geradeheraus, und er erwächst aus dem vielleicht radikalsten Gedanken, den es gibt: dass jedes Menschenwesen Aufmerksamkeit verdient und dass man den Ursprüngen allen guten und bösen Potenzials im Universum auf die Spur kommen kann, indem man eine einzige Person, auch eine ganz bescheidene, und die Windungen und Wendungen ihres Innenlebens genau betrachtet.
Ich habe an der Bergbauschule von Colorado Ingenieurswesen studiert und kam erst spät zur Literatur, mit einem ganz besonderen Verständnis davon, wozu Literatur da ist. Eines Sommers machte ich eine packende Erfahrung bei der nächtlichen Lektüre der Früchte des Zorns, in einem alten Wohnwagen in der Einfahrt meiner Eltern in Amarillo, nach langen Arbeitstagen auf den Ölfeldern als ein »Pottschwenker«, so heißt der Assistent, der Geophone (Erdbewegungssensoren) in den Boden steckt. Zu meinen Kollegen gehörten auch ein ehemaliger Vietnamkämpfer, der dort mitten in der Prärie regelmäßig einen aufgedrehten Radioansager mimte (»DU HÖRST WVOR, AMARILLO!«), und ein frisch entlassener Knacki, der mich jeden Morgen im Kleinbus auf dem Weg zu der Ranch, wo wir arbeiteten, über die neuen, abartigen Nummern, die er und seine »Lady« letzte Nacht im Bett ausprobiert hatten, auf den neuesten Stand brachte (leider bin ich diese Bilder nie mehr losgeworden).
Wenn ich nach so einem Tag Steinbeck las, erwachte der Roman zum Leben. Ich begriff, dass ich in einer Verlängerung der fiktionalen Welt arbeitete. Das war dasselbe Amerika ein paar Jahrzehnte später. Ich war müde, Tom Joad war müde. Ich fühlte mich von einer großen, vermögenden Macht missbraucht, genauso ging es Reverend Casy. Der kapitalistische Koloss zermalmte mich und meine neuen Kumpel, genau wie er die Okies1 zermalmt hatte, die in den Dreißigerjahren auf dem Weg nach Kalifornien durch genau diese Gegend im Norden von Texas gekommen waren. Auch wir waren der missgestalte Müll des Kapitalismus, die unvermeidlichen Unkosten beim Geschäftemachen. Kurz, Steinbeck schrieb über das Leben, wie ich es vorfand. Er war auf dieselben Fragen gekommen wie ich, er fand sie dringend, genau wie ich, immer mehr.
Als ich ein paar Jahre später die Russen entdeckte, hatten sie dieselbe Wirkung auf mich. Sie schienen Literatur nicht als etwas Dekoratives zu betrachten, sondern als ein lebenswichtiges ethisch-moralisches Werkzeug. Sie zu lesen veränderte einen, auf einmal war es, als erzählte die Welt eine andere, interessantere Geschichte, in der man selbst eine bedeutsame Rolle spielen könnte und in der man Verantwortung trug.
Wie Sie vielleicht bemerkt haben, leben wir in einer Ära des Niedergangs, bombardiert von schlichten, oberflächlichen, interessensgetriebenen, allzu schnell verbreiteten Info-Explosionen. Nun aber werden wir einige Zeit in einer Welt verbringen, wo man (mit Isaak Babel, dem großen russischen Meister der Erzählung des 20. Jahrhunderts) von der Annahme ausgeht: »Kein Eisen dringt so tief in das Menschenherz wie ein richtig gesetzter Punkt«. Wir werden sieben sorgfältig gebaute, maßstabsgetreue Modelle der Welt betreten, hervorgebracht zu einem ganz bestimmten Zweck, den unsere Zeit vielleicht nicht mehr ganz so entschieden verfolgt, dem sich diese Autoren aber implizit als Ziel der Kunst verschrieben hatten - nämlich die großen Fragen zu stellen: Wie sollen wir hinieden leben? Mit welcher Zielsetzung sind wir hierhergepflanzt worden? Was sollten wir wertschätzen? Was ist überhaupt die Wahrheit, und wie können wir sie erkennen? Wie können wir unseren Frieden damit machen, dass manche Menschen alles haben und andere gar nichts? Wie sollen wir freudig in einer Welt leben, die anscheinend möchte, dass wir andere Menschen lieben, uns aber am Ende brutal und unweigerlich von ihnen trennt?
(Eben diese fröhlichen, typisch russischen großen Fragen.)
Damit eine Erzählung solche Fragen stellen kann, müssen wir sie erst mal zu Ende lesen. Sie muss uns hineinziehen, uns dazu bringen, immer weiterzulesen. Das Ziel dieses Buches ist vor allem diagnostisch: Wenn es eine Erzählung schafft, uns hineinzuziehen und weiterlesen zu lassen, und uns das Gefühl gibt, ernst genommen zu werden, wie macht sie das? Ich bin kein Kritiker, kein Literaturwissenschaftler und kein Experte in russischer Literatur, nichts dergleichen. In meinem künstlerischen Leben habe ich mich darauf konzentriert, so gut wie möglich zu lernen, wie ich berührende Erzählungen schreiben kann, die eine Leserin, ein Leser unbedingt zu Ende lesen will. Ich sehe mich eher als Variétékünstler denn als Gelehrter. Meine Lehrmethoden sind weniger akademisch (»In diesem Kontext ist die Wiederauferstehung eine Metapher für die politische Revolution, ein kontinuierliches Anliegen im russischen Zeitgeist«), eher strategisch (»Wozu brauchen wir eigentlich diese zweite Rückkehr in das Dorf?«).
Ich möchte Ihnen eine Grundübung vorschlagen: Lesen Sie die jeweilige Erzählung, dann konzentrieren Sie sich darauf, welche Erfahrung Sie gerade gemacht haben. Gab es eine Stelle, die Sie besonders berührt hat? Etwas, das Widerstände oder Verwirrung in Ihnen ausgelöst hat? Eine Stelle, wo Sie plötzlich in Lachen ausgebrochen sind, sich geärgert oder etwas Neues gedacht haben? Hängen Ihnen im Zusammenhang mit der Erzählung Fragen nach? Jede Antwort ist...
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