Schweitzer Fachinformationen
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Charles Schweitzer hatte sich niemals für einen Schriftsteller gehalten, aber die französische Sprache begeisterte ihn noch im Alter von siebzig Jahren, denn er hatte sie mühsam erlernt, war nicht in sie hineingewachsen: er spielte mit ihr, hatte Freude an Bonmots und liebte es, sie vorbildlich auszusprechen, wobei seine unerbittliche Aussprache einem keine Silbe schenkte; wenn er Zeit hatte, ordnete seine Feder die Bonmots bukettweise an. Die Familien- und Universitätsereignisse behandelte er gern in Gelegenheitsversen: Glückwünsche zum neuen Jahr, Geburtstagsgratulationen, gereimte Festreden bei Hochzeitsessen, Versreden zu Festtagen, Singspiele in Versen, Scharaden, Gedichtchen mit festgelegten Endreimen, harmlose Banalitäten; bei Kongressen fand er Vergnügen daran, aus dem Stegreif deutsche und französische Vierzeiler zu sprechen.
Als der Sommer begonnen hatte, reisten wir, die beiden Frauen und ich, nach Arcachon, noch ehe mein Großvater seine Kurse im Institut beendet hatte. Er schrieb uns dreimal wöchentlich: zwei Seiten für Louise, eine Nachschrift für Anne-Marie, für mich einen ganzen Brief in Versen; damit ich mein Glück besser genießen konnte, brachte mir meine Mutter die Regeln der Verslehre bei. Irgend jemand überraschte mich dabei, wie ich eine Antwort in Versen kritzelte, man drängte mich, weiterzuschreiben und half mir dabei. Als die beiden Frauen den Brief abschickten, lachten sie Tränen bei dem Gedanken an die Verblüffung des Empfängers. Postwendend empfing ich ein Ruhmesgedicht zu meinen Ehren; ich antwortete wiederum mit einem Gedicht. Das wurde zur Gewohnheit; Großvater und Enkel hatten sich durch ein neues Band vereinigt; sie sprachen miteinander wie die Indianer, wie die Zuhälter von Montmartre, in einer Sprache, die den Frauen untersagt war. Man schenkte mir ein Reimlexikon, ich machte mich zum Verseschmied und schrieb Madrigale für Vévé, ein kleines blondes Mädchen, das seine Chaiselongue nicht mehr verlassen konnte und einige Jahre später starb. Dem kleinen Mädchen war das wurst: sie war ein Engel. Aber die Bewunderung eines breiten Publikums tröstete mich über ihre Gleichgültigkeit hinweg. Ich habe einige dieser Gedichte wiedergefunden. Alle Kinder haben Genie, sagte Cocteau im Jahre 1955, außer Minou Drouet[4]. Im Jahre 1912 hatten alle Kinder Genie, außer mir. Ich schrieb aus Nachäfferei, aus Wichtigtuerei, weil ich den Erwachsenen spielen wollte. Vor allem schrieb ich, weil ich Charles Schweitzers Enkel war. Man gab mir die Fabeln von La Fontaine, sie mißfielen mir: der Verfasser reimte viel zu sorglos; ich beschloß, die Fabeln in Alexandrinern umzuschreiben. Das Unterfangen überstieg meine Kräfte, ich glaubte zu bemerken, daß man darüber lächelte. Dies war mein letztes poetisches Experiment.
Aber ich war in Fahrt; ich ging von den Versen zur Prosa über und hatte keinerlei Mühe, als Schreibender die aufregenden Abenteuer, die ich im gelesen hatte, neu zu erfinden. Es war hohe Zeit, denn ich begann die Leere meiner Träume zu entdecken. Im Verlauf meiner phantastischen Ritte hatte ich die Wirklichkeit erreichen wollen. Wenn meine Mutter mich fragte, ohne von den Noten aufzublicken: «Poulou, was machst du?», kam es manchmal vor, daß ich mein Schweigegelöbnis brach, um ihr zu antworten: «Ich mache Kino.» Tatsächlich versuchte ich, die Bilder aus meinem Kopf zu reißen und außerhalb meiner selbst zu verwirklichen, zwischen richtigen Möbeln und richtigen Wänden, ins Auge fallend und sichtbar, gleich jenen, die über die Filmleinwand rieselten. Umsonst. Es gelang mir nicht, meine doppelte Schwindelei zu vergessen: ich tat so, als sei ich ein Schauspieler, der so tut, als sei er ein Held.
Kaum hatte ich mit dem Schreiben angefangen, so legte ich die Feder aus der Hand, um zu jubilieren. Es war der gleiche Schwindel, aber ich habe bereits gesagt, daß ich die Wörter für die Quintessenz der Dinge hielt. Nichts verwirrte mich stärker, als wenn ich sah, wie meine Krähenfüße nach und nach ihren Irrlichtcharakter verloren, um sich in die trübe Dichtigkeit einer Materie zu verwandeln. Es war die Verwirklichung des Eingebildeten. Weil sie in die Falle der Benennung gegangen waren, traten nun ein Löwe, ein Hauptmann des Zweiten Kaiserreichs, ein Beduine im Eßzimmer auf; sie waren dort für immer gefangen, weil sie mit Hilfe von Zeichen zu Körpern geworden waren; ich glaubte, meine Träume in der Welt dadurch verankert zu haben, daß ich mit einer Stahlfeder herumkratzte. Ich ließ mir ein Heft schenken und eine Flasche mit violetter Tinte und schrieb auf den Deckel: Romanheft. Das erste Heft, das ich vollschrieb, enthielt eine Geschichte mit dem Titel: . Ein Gelehrter - nebst Tochter und einem jungen bärenstarken Forschungsreisenden - zog der Mündung des Amazonasstromes entgegen auf der Suche nach einem kostbaren Schmetterling. Die Fabel, die Personen, das Detail der Abenteuer, sogar den Titel hatte ich einer Erzählung in Bildern entlehnt, die vor einigen Monaten erschienen war. Dies bewußte Plagiat befreite mich von meinen letzten Sorgen: alles war notwendigerweise wahr, da ich nichts erfand. Ich hatte nicht den Ehrgeiz, veröffentlicht zu werden, sondern dafür gesorgt, bereits von vornherein gedruckt zu sein, und ich schrieb keine Zeile, die nicht sanktioniert war durch mein Modell. Hielt ich mich für einen Kopisten? Nein, sondern für einen Originalautor, denn ich retuschierte und verjüngte. Beispielsweise hatte ich sorgfältig darauf geachtet, die Namen der Personen abzuändern. Diese leichten Abweichungen berechtigten mich dazu, Gedächtnis und Einbildungskraft miteinander zu verschmelzen; da die Sätze neu waren und vollständig ausgeschrieben, formten sie sich in meinem Kopf auch neu mit der unerbittlichen Sicherheit, die man für einen Ausdruck der Inspiration zu halten pflegt. Ich schrieb sie um: unter meinen Augen nahmen sie die Dichtigkeit der Dinge an. Wenn ein inspirierter Autor, wie man herkömmlicherweise zu glauben pflegt, im tiefsten Innern ein anderer ist als er selbst, so habe ich zwischen sieben und acht Jahren die Inspiration kennengelernt.
Ich fiel niemals vollständig auf diese «automatische Schreibweise» herein. Aber das Spiel gefiel mir um seiner selbst willen. Ich war ein Einzelkind, und hier konnte ich allein spielen. Augenblicksweise zögerte meine Hand beim Schreiben, ich tat so, als ob ich zögerte, um mit gefurchter Stirn und dem Blick eines Besessenen zu fühlen, wie das war: ein Schriftsteller sein. Plagiate liebte ich übrigens heiß, und zwar aus Snobismus. Und ich trieb sie bewußt bis zur äußersten Grenze, wie man noch sehen wird.
Boussenard und Jules Verne lassen keine Gelegenheit vorübergehen, den Leser zu belehren. In den kritischsten Augenblicken schneiden sie den Faden der Erzählung ab, um ausführlich eine Giftpflanze oder eine Eingeborenensiedlung zu beschreiben. Als Leser überschlug ich diese didaktischen Abschnitte; als Autor häufte ich sie in meinen Romanen. Ich erhob den Anspruch, meinen Zeitgenossen alles beizubringen, was ich nicht wußte: Sitten und Gebräuche der Bewohner von Feuerland, die Pflanzenwelt Afrikas, das Wüstenklima. Ein Schicksalsschlag hatte den Schmetterlingssammler und seine Tochter voneinander getrennt, ahnungslos hatten sie sich auf demselben Dampfer eingeschifft und waren Opfer desselben Schiffbruchs geworden, sie klammerten sich an dieselbe Boje, schauten auf und schrien: «Daisy!» - «Papa!» Aber ach, ein Haifisch schwamm umher auf der Suche nach frischem Fleisch, kam näher, und sein Bauch leuchtete zwischen den Wogen. Würden die Unglücklichen dem Tode entgehen? Ich holte mir den Band «Pr-Z» des Großen Larousse [5], trug ihn mühsam zu meinem Pult, öffnete ihn an der richtigen Stelle und kopierte wörtlich Zeile für Zeile: «Haifische treten häufig auf im tropischen Teil des Atlantik. Diese großen und sehr gefräßigen Seefische werden bis zu dreizehn Meter lang und wiegen bis zu acht Tonnen .» Ich nahm mir ausgiebig Zeit, den ganzen Artikel abzuschreiben, und fühlte mich dabei ganz entzückend langweilig und ebenso vornehm wie Boussenard; da ich noch kein Mittel gefunden hatte, meine Helden zu erretten, kochte ich langsam im Zustand einer köstlichen Trance.
Alles trug dazu bei, diese neue Tätigkeit auch nur wieder zu einer Afferei zu machen. Meine Mutter sparte nicht mit Ermunterungen und lockte die Besucher ins Eßzimmer, damit sie sehen konnten, was der junge Schöpfer an seinem Kinderpult trieb; ich tat so, als wäre ich viel zu beschäftigt, als daß ich die Gegenwart meiner Bewunderer auch nur bemerkt hätte; auf den Zehenspitzen schlichen sie wieder hinaus und murmelten, ich sei doch zu reizend und es sei doch zu charmant. Mein Onkel Emile schenkte mir eine kleine Schreibmaschine, die ich nicht benutzte; Madame Picard kaufte mir eine Weltkarte, damit ich, ohne in Irrtümer zu geraten, den Reiseweg meiner Globetrotter festlegen konnte. Meinen zweiten Roman, , schrieb Anne-Marie auf Glanzpapier ab und gab ihn zum Lesen weiter. Sogar Mami ermunterte mich und sagte: «Wenigstens ist er artig und macht keinen Lärm.» Glücklicherweise wurde die amtliche Bestätigung vertagt, denn mein Großvater war unzufrieden.
Karl war nie mit dem einverstanden gewesen, was er meine «schlechte Lektüre» nannte. Als meine Mutter ihm mitteilte, ich hätte zu schreiben begonnen, war er zunächst entzückt und erhoffte sich vermutlich eine Familienchronik mit pikanten Beobachtungen und reizenden Naivitäten. Er nahm mein Heft, blätterte darin, verzog das Gesicht und ging aus dem Eßzimmer, empört darüber,...
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