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Abbildung 4: Die Neuroanatomie des emotionalen Gehirns: Funktionen der verschiedenen Ebenen des limbischen Systems (Pfeile links) und Entstehungszeit (rechts). Beachte: Die Funktionen der unteren und mittleren limbischen Ebene laufen unbewusst ab.
Die untere limbische Ebene besteht aus dem Zwischenhirn (Hypothalamus, vegetative Hirnstammzentren, periventrikuläres Höhlengrau) und der zentralen Amygdala. Diese Strukturen entwickeln sich überwiegend schon vor der Geburt. Hier werden vegetative und basale Überlebensfunktionen wie Essen, Sexualtrieb und Fluchtreaktionen gesteuert. Auch das Stressregulationssystem und autonome Körperfunktionen wie Schwitzen oder die Herzfrequenz sind hier lokalisiert. Die in diesem Teil des limbischen Systems lokalisierten Prozesse laufen überwiegend unbewusst ab und sind genetisch bzw. epigenetisch determiniert. Basale Hirnfunktionen der Neugeborenenphase werden in diesen Hirnstukturen reguliert. Die hier beschriebenen Funktionen des emotionalen Gehirns sind nur minimal durch Erziehung oder Lebensereignisse beeinflussbar.
In der sogenannten mittleren limbischen Ebene (mesolimbisches System) werden Emotionen im Rahmen frühkindlicher Bindungserfahrungen konditioniert, d. h. der Heranwachsende lernt im interaktiven Kontakt mit den nächsten Bezugspersonen eigene, aber auch fremde Gefühle wahrzunehmen, zu differenzieren und zu verstehen (Kernberg, 2012). Basale emotionale Funktionen wie Angst, Trauer, Ekel, Freude und Wut werden hier determiniert. Dieser Teil des limbischen Systems besteht überwiegend aus subkortikalen Hirnregionen wie der basolateralen Amygdala, dem ventralen Tegmentum und dem Nucleus accumbens bzw. ventralen Striatum. Diese Hirnstrukturen bilden sich pränatal bzw. während der ersten Lebensmonate und -jahre heraus. Hier sind die Regelkreise für die nonverbale Kommunikation lokalisiert, d. h. emotional-kommunikative Signale werden erkannt und verarbeitet. Darüber hinaus gehört das innere Belohnungssystem (endogene Opioide; Dopamin) als Basis für die Verhaltensmotivation dazu. Diese Hirnfunktionen laufen überwiegend unbewusst ab. Die Meilensteine der emotionalen Entwicklung, die beim Säugling bzw. Kleinkind zu beobachten sind, werden insbesondere in diesen Hirnregionen reguliert.
Die obere limbische Ebene ist im assoziativen Neokortex lokalisiert, und zwar v. a. im orbitofrontalen, ventromedial präfrontalen, anterior zingulären und insulären Kortex. Hier findet die bewusste Gefühlswahrnehmung und soziale Motivation statt. Fähigkeiten wie Impulskontrolle, Belohnungsaufschub, Frustrationstoleranz, Empathie und Abwägen der Konsequenzen des eigenen Handelns werden in diesem Bereich gesteuert. Dadurch können Risiken realistisch eingeschätzt und das Handeln bewusst gesteuert werden. Auch moralisches Denken ist hier verankert. Diese beschriebenen Kompetenzen bilden sich im Kontakt mit dem weiteren sozialen Umfeld aus, also Freunden, Schulkameraden, weiteren Familienangehörigen etc. Umgebungsfaktoren und die sensorische Wahrnehmung der Umgebung beeinflussen die emotionale Reaktivität und die zur Verfügung stehenden Emotionsregulationsstrategien (Aldao und Nolen-Hoeksema, 2012). Die verschiedenen vegetativen, sensorischen, motorischen und kognitiven Funktionen haben im Zusammenspiel mit Umgebungsfaktoren einen Einfluss auf die Entwicklung des sogenannten emotionalen Gehirns und damit auf instinktive Überlebensreaktionen und Temperament, die Emotionsregulation und -steuerung sowie die soziale Angepasstheit einer Person. Das obere limbische System bildet sich in der späteren Kindheit und der Adoleszenz heraus.
Zusammenfassend bilden verschiedene Hirnstrukturen und deren Verknüpfungen die architektonischen Bestandteile des sogenannten „emotionalen Gehirns“. Dies bildet die neuroanatomische Grundlage für beobachtbare soziale und emotionale Fähigkeiten, die biologisch eng mit kognitiven Kompetenzen verknüpft sind (Damasio, 2012; Pessoa, 2014; vgl. Abbildung 5). Der Stand der emotionalen Entwicklung ist abhängig von diversen inneren und äußeren Aspekten wie z. B. genetischen Faktoren, erworbenen Hirnschädigungen, aber auch Lern- und sozialen Interaktionsprozessen, kognitiven, sensorischen und motorischen Fähigkeiten sowie Umwelt- und psychischen Belastungsfaktoren. Wenn auch verzögert und möglicherweise unvollständig, so durchlaufen Menschen mit intellektueller Entwicklungsstörung grundsätzlich die gleichen Entwicklungsstadien wie Menschen ohne Behinderungen (Cicchetti & Ganiban, 1990; Greenspan, 1997; Hodapp & Zigler, 1995; Martínez-Castilla et al., 2015; Webster, 1963).
Abbildung 5: Zusammenhang von neuroanatomischer Entwicklung des Gehirns, den damit verbundenen neuropsychologischen Regelkreisen und der Mentalisierungsfähigkeit (vgl. dazu auch Abbildung 9).
Die dargestellten neuroanatomischen Kenntnisse zur Hirnentwicklung setzen wissenschaftliche Methoden wie z. B. funktionelle Bildgebung voraus, die erst seit den letzten Jahrzehnten verfügbar sind. Die ersten entwicklungspsychologischen Untersuchungen und Erkenntnisse waren daher zunächst verhaltensbasiert durchgeführt worden (Nelson et al., 2002). Im folgenden Abschnitt werden die von bekannten Entwicklungstheoretikern beschriebenen Aspekte der kindlichen Entwicklung zusammengefasst.
Auf den Punkt gebracht:
Freud (1990) beschreibt das Phasenmodell der psychosexuellen Entwicklung vom 1. bis zum 12. Lebensjahr:
Erikson (1959) zeigt in seinem „epigenetischen Diagramm“ ein Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung in Anlehnung an das Phasenmodell von Freud auf:
Das Entwicklungsmodell von Margaret Mahler (Mahler, Pine & Bergman, 1975) benennt wichtige Meilensteine der sozialen Interaktionsfähigkeit:
In seinem 1969 erschienenen Werk leitet Bowlby (1969) aus einer Analyse der Mutter-Kind-Beziehung die Bindungstheorie ab:
Piaget (1954) beschreibt wesentliche kognitive Entwicklungsstufen:
Stern (Stern et al., 2010) hat auf Grundlage intensiver Säuglingsbeobachtung ein Schichtenmodell zur „progressiven Entwicklung von Selbstempfindungen, sozio-affektiven Fähigkeiten und Formen des Zusammenseins mit anderen“ entwickelt:
Aufbauend auf diesem überwiegend theoriegeleiteten oder auf Einzelfallbeobachtungen beruhenden, historischen Fundament werden im folgenden Abschnitt verschiedene durch empirische Daten unterstützte Entwicklungsaufgaben näher beschrieben.
von Thomas Bergmann
Der Mensch ist bestrebt, angenehme Gefühlszustände herbeizuführen oder zu steigern sowie unangenehme Empfindungen zu beseitigen oder zu vermeiden. Ziel und Entwicklungsaufgabe ist dabei, das Ausmaß der Erregung in einem individuell als angenehm empfundenen Bereich halten zu können. Diese Prozesse werden als Affektregulation bezeichnet, wobei es sich um verschiedene Strategien handelt, emotionale Zustände zu modellieren. Diese Fähigkeit zur Selbstregulation basiert auf der Erfahrung der Regulation durch einen anderen. Affekt wird hier als Oberbegriff verwendet, der die „Großwetterlage“ der Gefühle erfasst. In diesem interaktiven Prozess...
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