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Die New Yorker in Ninas und Tims Kreisen brunchten am Sonntag - es war quasi eine stadtweite Tradition. Und der Sonntagsbrunch im Gregory war legendär. Ninas Großvater hatte das Menu selbst zusammengestellt, als er das Hotel Anfang der Dreißigerjahre eröffnete. Es bestand aus vier Gängen, war dekadent und wurde mit Champagner serviert. Wenn Touristen den besten Nachmittagstee von ganz New York probieren wollten, gingen sie in den Palm Court des Plaza Hotels. Für den besten Sonntagsbrunch gingen sie ins Grove im Gregory am Park.
Als Joseph Gregory das Hotel in den Achtzigerjahren übernahm, führte er zusätzlich den Samstagsbrunch ein. Der erste fand am dritten Samstag im Januar 1989 statt. Nina war drei gewesen, Tim fünf, und sie hatten mit ihren Eltern am ersten Tisch an der Tür gesessen und die eintreffenden Gäste begrüßt. Diese waren begeistert, den Brunch in einem Raum mit Joseph Gregory einzunehmen, was Nina heute zum Teil der Faszination der Menschen für Reichtum zuschrieb und zum Teil dem Image ihres Vaters. Er war der freundliche Millionär, der sich ebenso gern mit den Besitzern der Yankees unterhielt wie mit ihren Fans. Nina wusste, dass das nicht ganz stimmte, aber das war es, was alle dachten. Es war ihre Wahrheit.
Dieser erste Brunch war ein solcher Erfolg, dass ihr Vater von da an jeden dritten Samstag im Monat an dem Brunch teilnahm. Außer im Juli, wenn er in den Hamptons war. Bis ihre Mutter starb, begleiteten sie und Nina ihn. Danach war nur noch Nina an seiner Seite, bis Nina aufs College ging. Anschließend leisteten ihm Tims Eltern, TJ und Caro, Gesellschaft. Jetzt kamen Nina und Tim wieder dazu, wenn sie konnten.
Tim liebte es, am ersten Tisch zu sitzen, den hereinkommenden Kindern zuzuwinken und den Erwachsenen zuzunicken. Nina nicht. Seit sie nach dem College in die Stadt zurückgekehrt war, waren ihr diese Brunche unangenehm - sie fühlte sich zurechtgemacht und zur Schau gestellt. Doch sie wusste, dass es gut fürs Geschäft war - und wichtig für ihren Vater -, darum beklagte sie sich nie. Außer bei Leslie, die sie dazu ermutigte, zu rebellieren und eines Tages in zerrissenen Jeans aufzutauchen. Was Nina nie getan hatte, obwohl sie häufig daran dachte.
Als Tim und sie an diesem Samstag das Grove betraten - das noch mit den schmiedeeisernen Wandleuchtern und den aufwendigen Stuckverzierungen ausgestattet war, die ihr Großvater einst ausgesucht hatte -, erhob sich Ninas Vater von seinem Stuhl. Er kannte den Saal und wusste, wo er die beste Wirkung erzielte. Als er aufstand, fiel ein Lichtstrahl direkt auf ihn, sodass es aussah, als würde er leuchten. Nina ging zu ihm und schloss ihn fest in die Arme. Sie nahm beiläufig wahr, dass überall um sie herum Smartphones gezückt wurden, doch vor allem roch sie den Duft seines Rasierwassers - die Noten von Tabak, Leder und Thymian, die sein Wesen so perfekt widerzuspiegeln schienen.
»Joseph Gregory begrüßt erfreut seine Tochter zum Brunch«, lieferte ihr Vater die Bildunterschrift zu den Aufnahmen der Gäste, die Überschrift zu der Geschichte. Dieses Spiel hatte er erfunden, als Nina noch ein Kind war. Ziel des Ganzen war, sich die besten und die schlechtesten Überschriften auszudenken, die einen bestimmten Moment in ihrem Leben beschrieben - um ihr klarzumachen, dass alles Folgen und Auswirkungen hatte. Doch seit der Krebs im Januar zurückgekehrt war, nannte er keine schlechteste Überschrift mehr. Sie umarmte ihn fester, ohne sich darum zu scheren, dass sie den Gästen eine Show boten. »Ich hab dich lieb«, sagte sie.
»Mehr als Worte sagen können«, erwiderte er, wie schon Ninas ganzes Leben lang.
Als sie saßen - Joseph an der Stirnseite des Tisches, Nina zu seiner Linken neben Tim, TJ und Caro ihnen gegenüber -, blendete Nina das Gespräch für einen Moment aus, um sich das Bild einzuprägen. Hieran wollte sie sich später erinnern: ihr Vater an der Spitze seiner Familie, die er durch Freundschaft zusammengeführt hatte.
»Wie läuft es mit dem Wahlkampf?«, fragte er.
Mit ihrem Vater über Politik zu sprechen war nicht ganz unkompliziert. Nina hatte einmal zufällig mitbekommen, wie er sich mit TJ über ihre Arbeit unterhalten hatte. »Sie befindet sich in einer idealistischen Phase«, meinte er damals.
Seine Bemerkung hatte sie zweifeln und ihre Tätigkeit hinterfragen lassen. Fanden es etwa alle lächerlich, dass sie für einen Politiker arbeitete, anstatt direkt nach der Business School in die Gregory Corporation einzusteigen? Doch am Ende entschied sie dabeizubleiben, selbst wenn er recht haben sollte.
Ihre Arbeit in der Politik vermittelte ihr das Gefühl, etwas zu bewegen - und das war etwas, was ein Job in der Hotelbranche ihr niemals geben könnte. Nina hatte sich auf dem College ehrenamtlich für die Wiederwahl des Bürgermeisters von New Haven eingesetzt und dabei ihre Liebe zum Redenschreiben entdeckt. Sie nahm an Grundsatzdiskussionen teil und versuchte anschließend, die Ideen so in Worte zu fassen, dass sie Menschen überzeugten. Es war eine Herausforderung, ein Spiel, bei dem viel auf dem Spiel stand und aus dem sie mit dem Team des Bürgermeisters als Sieger hervorgegangen war. Die Geschäftswelt gab ihr nie diese Form des Hochgefühls.
»Es läuft gut«, sagte sie. »Wir liegen gleichauf mit Marc Johnson.«
Ihr Vater trank einen Schluck Kaffee. Vor vier Jahren hatte er für Marc Johnsons Wahlkampagne gespendet, als dieser für die Leitung der Bankenaufsicht kandidierte. »Sag mir Bescheid, wenn er eine sichere Nummer ist.«
Nina strich die Serviette auf ihrem Schoß glatt. »Na klar.«
Joseph Gregory investierte nur in Sieger, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder früheren Spenden.
»Aber bei der Vorwahl werde ich auf jeden Fall für ihn stimmen«, fügte er hinzu.
»Ach ja?«, fragte Nina überrascht.
»Natürlich«, erwiderte ihr Vater. »Es macht sich gut für uns, wenn du auf den Sieger gesetzt hast.«
Jedes Mal, wenn der Name Gregory mit einem Erfolg verbunden wurde, gewann er an Kraft, festigte seine Bedeutung in den Köpfen der Leute. Das hatte ihr Großvater immer gesagt, und ihr Vater wiederholte es: Namen haben Macht. Ohne deinen Namen bist du nichts.
»Na, drücken wir die Daumen«, sagte sie und nahm sich ein kleines Brötchen aus dem überfüllten Brotkorb. »Und? Was gibt es diese Woche Interessantes im Hotel?«
»Wir werden die Calla-Lilien gegen Rosen tauschen«, sagte Caro und blickte zu den vielen Vasen im Restaurant. Sie organisierte alle Veranstaltungen in den beiden Gregory Hotels, wozu auch der jahreszeitliche Wechsel der Blumen im Grove und im Garden, dem Restaurant des Innenstadthotels, gehörte. Im Herbst gab es Chrysanthemen, im Winter Schneeglöckchen, im Frühling Callas und im Sommer Rosen. Ninas Großmutter hatte die ersten Sträuße selbst zusammengestellt, doch jetzt beauftragte Caro eine Floristin. Die Blumen wurden jeden Freitag in aller Frühe erneuert, bevor das Restaurant zum Frühstück öffnete.
Sie wandte sich an Nina: »Möchtest du gern zusehen?«
Als Kind hatte Nina es geliebt, mit ihrer Mom dabei zuzusehen, wie die Blumen ausgewechselt wurden. Sie erfüllten das Restaurant zu Tausenden mit ihrem Duft und ihrer Farbe. Es mutete wie eine Zeremonie an, die neue Jahreszeit willkommen zu heißen - und war überwältigend schön. »Gute Idee«, antwortete sie. »Das habe ich schon ewig nicht mehr getan.«
»Oh, wie schön«, freute sich Caro. »Darf ich dich anschließend zum Frühstück entführen?«
Tim räusperte sich. »Und was ist mit mir?«
Nina boxte ihn scherzhaft gegen die Schulter. »Hast du Angst, dass wir über dich reden? Weißt du, deine Mom und ich haben auch noch andere Gesprächsthemen.«
Caro war immer für Nina da gewesen. Sie hatte mit ihr darüber gesprochen, wie es sein würde, wenn sie zum ersten Mal ihre Periode bekam, und mit ihr das Kleid für den Abschlussball gekauft - beide Male. Caro sorgte auch dafür, dass Nina sich die Pille verschrieben ließ, ehe sie aufs College ging, obwohl sie dadurch den Zorn von Ninas Vater auf sich gezogen hatte.
Caro strich sich eine leicht ergraute Strähne ihres blonden Bobs hinters Ohr. Omablond, nannte sie es, seit das Haar weiß zu werden begann. »Natürlich bist du willkommen, Timothy«, sagte sie nun. »Dann treffen wir uns alle drei am Freitagmorgen um sechs.«
»Moment, so früh ist das?«, stöhnte Tim. »Kannst du die Blumen nicht um, sagen wir, acht austauschen?«
Nina lachte. TJ schüttelte den Kopf. »Was sollen wir nur mit dir machen, mein Sohn?«, sagte er.
Ihr Dad, der den ganzen Wortwechsel mit einem Schmunzeln im Gesicht verfolgt hatte, begann zu lachen. Doch dann ging das Lachen in Husten über und hörte nicht mehr auf. Ninas Lächeln schwand.
»Dad«, sagte sie leise. »Hast du den Inhalator dabei?«
Er nickte, dann blickte er sich im Saal um. »Den kann ich hier nicht benutzen«, sagte er, noch immer hustend. »Bin gleich zurück.«
Er stand auf, weiterhin darum bemüht, den Hustenanfall zu unterdrücken, und verließ das Restaurant in Richtung Toilette.
TJ stand auf. »Ich sehe nach, ob er Hilfe braucht.«
Caro, Tim und Nina blieben schweigend zurück. Nina fühlte sich wieder wie im Wagen mit Rafael. Als würden sich Schlingpflanzen um ihren Brustkorb winden, als bekäme sie keine Luft. Caro schaute zu ihr und erkannte sofort, was los war.
»Wollen wir Mädels zusammen auf die Toilette...
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