Schweitzer Fachinformationen
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Hinter uns, am Horizont, war nur noch der Rauch über den Lastwagen zu sehen. Das Flugzeug hatte abgedreht, aber wir fürchteten, es könnte zurückkommen. Einen Schwerverletzten hatten wir in dem Chaos noch bergen können. Das Funkgerät zu reparieren wäre sinnlos gewesen, es gab sowieso keine Verbindung zum Kommando, meinte der Funker. Wir waren noch acht Soldaten und der Hauptmann der Kompanie. Also gab er den Befehl, uns in Marsch zu setzen und zuzusehen, dass wir uns unserer Einheit wieder anschlossen.
Medina, der neben mir geht und seinen verletzten Fuß über den Boden schleift, hält mir eine Zigarette hin. Ich nehme einen Zug, und so geht die Kippe von Mund zu Mund, bis sie uns die Lippen verbrennt. Mir fällt auf, dass sie Argüelles übergehen, aber der sagt nichts, achtet nur auf die Geige unter seinem blutenden Arm. Ich sehe uns noch vor den Lastwagen hergehen und wie wir uns in die Büsche warfen, kaum dass wir das Flugzeug hörten, wir dachten nur daran, uns in Sicherheit zu bringen, außer den Waffen mussten wir alles zurücklassen. Ich hielt die Kalaschnikow fest an mich gepresst, andere hielten sie über dem Kopf und bissen schon auf die Erkennungsmarke. Das tue ich nie, denn ich bin sicher, dass ich hier nicht draufgehe. Vor der Überfahrt hat meine Mutter mir ein Amulett mitgegeben, mit allem Drum und Dran. Zuerst wollte ich es nicht einstecken, wegen der dummen Bemerkungen, aber da es ganz klein ist und nichts wiegt, habe ich es dann doch mitgenommen. Und jetzt habe ich es dabei. Nur Argüelles, der hat wie der letzte Depp seine Geige im Arm gehalten und sie mit seinem Körper geschützt, das Gewehr über dem Rücken, wo es nur hinderlich ist. Manchmal tut er mir leid, ich glaube, er ist nicht ganz richtig im Kopf. Von Anfang an, gleich als er zu unserer Einheit kam, konnte niemand ihn leiden, manche haben es ihn richtig spüren lassen, für sie ist er ein Muttersöhnchen, ein kleines Mädchen, das Angst hat um die weißen Schuhe. Keiner spricht mit ihm, und ich glaube, es macht ihm nicht mal was aus.
Während wir noch laufen, kommt der Mond hervor. Wir schlagen unser Lager neben einem Bach auf, ein winziges Rinnsal. Der Inhalt der wenigen Konserven, die Crespo in seinem Rucksack hat retten können, wird heiß gemacht, und bald verbreitet sich ein Duft, dass uns das Wasser im Mund zusammenläuft. Schweigend betrachten wir die Etiketten auf den leeren Dosen, nicht anders als unsere toten Kameraden, wenn wir sie auf dem Schlachtfeld zurücklassen.
Auf ein Zeichen des Hauptmanns treten wir an, um unsere Portion in Empfang zu nehmen. Alle außer dem Geiger, der rennt los und verschwindet hustend zwischen den Bäumen, wie ein weißer Schatten. Aber niemand beachtet ihn, wir sind weiter wie hypnotisiert von dem Essensduft. Auf einmal weht von irgendwoher eine wunderschöne, traurige Melodie zu uns, erst ganz leise, wie aus weiter Ferne, dann immer kräftiger, wie ein Windstoß, der uns ins Haar fährt. Wir blicken uns an und fragen uns, was das ist. Und keiner isst mehr, keiner rührt sich mehr, und dann schauen wir in diese unendliche Dunkelheit und wünschen uns nichts sehnlicher, als dass es Tag wird und alles nur ein Albtraum war.
So sitzen wir da, reglos, bis Eladio anfängt zu meckern, er versteht nicht, was ein so seltsamer Typ wie er bei so einem Einsatz zu suchen hat. Eladio ist ein sturer Bock, und wenn er erst mal loslegt, halten wir uns lieber raus. Der Koch sagt, Argüelles isst nur feine Sachen und mit Serviette, sein Essen würde er nicht anrühren, klar, deshalb wäre er auch so fahl und dünn: bloß Brille und Geige. Die anderen lachen, und ich sage, im Lager war er genauso, das ist mir schon immer aufgefallen, der Kerl ist nun mal so. Jemand kommt und sagt, dass der Verwundete, den wir geborgen haben, keinen Bissen essen will, er hätte Fieber und würde delirieren, uns vor Flugzeugen warnen. Und als wir dann alle um die Trage herumstehen, sehen wir, wie Argüelles mit der Geige über der Schulter zurückkommt und sich auf denselben Platz setzt wie vorher, so wie immer, ohne ein Wort. Als hätte er sich keinen Schritt wegbewegt. Als würde nichts, absolut nichts ihn stören oder interessieren.
Am Morgen beschließen wir weiterzugehen, bis wir auf irgendein Hüttendorf stoßen. Auch wenn wir nicht wissen, was besser ist, weniger gefährlich, ob hierzubleiben, verloren im Busch, wo wir nachts kaum schlafen können und immer aufpassen müssen, dass uns keine Kobras in die Stiefel oder die Hose kriechen, oder uns der Gastfreundschaft eines Quimbos anzuvertrauen, wo schon die Kwachas mit Messern und Kugeln auf uns lauern. Aber solange wir noch bei Kräften sind, gehen wir weiter, spüren, wie die Erschöpfung in uns dringt, durch jede einzelne Pore, mit jedem Atemzug, jedem Gedanken. Immer diese Müdigkeit. Nicht beim Aufbruch in Kuba hat man sie uns mitgegeben, und auch auf der Überfahrt mit dem Schiff haben wir sie nicht kennengelernt. Sie empfing uns ganz einfach, als wir in diesem Reich der schwarzen Magie an Land gingen, befiel unsere Körper wie ein Virus, selbst die Uniformtaschen sind voll davon, falls es mal ganz schlimm kommt. Je länger wir laufen, desto kürzer und unentschlossener werden unsere Schritte. Die Bäume werfen die letzten Blätter der Jahreszeit ab, und die nackten Zweige, vom Wind gewiegt, kommen uns vor, als wollten sie uns in die Irre führen. Ein Labyrinth ist das, wo irgendein Vorsichtiger auf Schritt und Tritt Samen gestreut hat, um zurückzufinden, und wenn ich könnte, würde ich weiterlaufen, bis ich bei meiner Mutter im Bett liege und sie bitte, dass sie mich bestraft, so wie früher, dass sie mich nicht draußen mit meinen Freunden aus dem Viertel Krieg spielen lässt, denn das ist kein Kinderspiel, das sind Launen der Erwachsenen. Meinen Kindern werde ich niemals Pistolen oder Gewehre kaufen. Und als ich mich umschaue und nach einem Samenkorn suche, sehe ich nur Patronenhülsen und ausgeleckte, verrostete Konservendosen. Letzten Endes sind unsere Feinde oder auch wir, ihre Feinde, das ist mir längst egal, bloß irgendwelche Däumlinge, die versuchen, das Ungeheuer zu besiegen, das wir selber sind, wir, die wir solche Bilder hervorbringen.
Seit Stunden laufen wir schon, nirgendwo ist ein Mensch zu sehen, kein Zeichen, kein Hauch von Zivilisation. Ich rieche Medinas Bein, das schon blau anläuft, er zieht es verzweifelt hinter sich her und hinterlässt eine Spur auf dem Weg, wie eine Schleimschnecke, es ist zum Kotzen, zum Weinen, zum Lachen, aber ich lasse mir nichts anmerken. Ich schaue hinter mich, zu den Nachzüglern, blicke wieder nach vorn, offenbar zu ruckartig, und mir wird schwindlig, ich verliere das Gleichgewicht, stürze fast, und auf einmal bricht diese Musik, die vorher vom Himmel kam, mit seltsamer Kraft aus Argüelles' Geige hervor, und ich bleibe stehen oder höre für ein paar Sekunden, Minuten, Jahre auf zu existieren, es kommt mir vor wie die Ewigkeit, und ich atme tief ein und schwitze alle Müdigkeit aus. Crespo schaut uns an, hey, als wäre das der Moment für sein Gefiedel! Aber alles ist auf einmal anders, denn wir spüren ein leises Zucken in den Füßen, und sie bewegen sich wie von allein, in meinen Eiern kribbelt es, das Scheuern der Beine erregt mich, auch der restliche Körper spannt sich. Wir haben uns wieder miteinander verbunden. Niemand hat zu ihm hingeschaut, wir sagen kein Wort. Wir laufen weiter, denn das ist der Befehl, laufen, bis wohin auch immer .
Niemand zeigt darauf, wir sehen es, aber wir haben Angst, es könnte eine Halluzination sein. Noch unsicher treten wir an den Zaun heran, das Holz ganz verwittert. Auf Befehl des Kompaniechefs umstellen wir das Haus, und er geht vor bis an die Tür und ruft. Ein doppelläufiges Gewehr empfängt ihn und zielt auf seinen Kopf. Sofort denke ich, jetzt hat es den Nächsten erwischt. Tschüss Hauptmann! Ich mache mich bereit, ein paar Salven abzugeben, und greife nach den zwei verbliebenen Ladestreifen. Der Hauptmann lässt sein Gewehr langsam fallen und hebt die Arme. Ich schaue zum Kameraden neben mir und verneine stumm, wer käme schon auf die Idee, sich freiwillig zu übergeben, wir sind doch kein Geschenk zum Geburtstag. Aber der Chef führt ein Gespräch, versucht wohl davonzukommen, schüttelt den Kopf, nein, wir können nichts für ihn tun, wenn wir schießen, treffen die Kugeln ihn zuerst, er fuchtelt und bedeutet irgendwas. Zu unserer Überraschung verschwindet das Gewehr wieder, und wir atmen auf. Der Hauptmann kommt zurück, ruft uns zusammen und sagt, das ist eine portugiesische Familie, ziemlich verrückt. Sie können uns mit ein wenig Gemüse, Brot und Wasser aushelfen, auch mit der Hütte hinterm Haus. Keine Medikamente, auch wenn jemand gerade stirbt. Aber sie leihen uns einen Schwarzen, der kann ihm Umschläge machen, mit Blättern und Schlamm. »Was immer Gott will«, sage ich laut, aber niemand schaut zu mir hin. Mir fällt ein, dass ich in der Partei bin, und Parteimitglieder glauben nicht an Gott. Also spucke ich in den Himmel und bekreuzige mich. »Unter der Voraussetzung, dass wir so schnell wie möglich wieder abhauen, sie wollen keine Probleme mit den Kwachas«, sagt der Hauptmann zum Schluss. Seine Uniform erinnert mich an einen zerknitterten leeren Bierbecher. Das würde ich gerne jemandem sagen, aber alle blicken zum Geiger, er geht einfach weg und schaut einem Schwarm weißer Vögel nach, die nach Norden ziehen. Eladio stupst mich an und sagt, das verzeiht er ihm nie, jeder Dreck interessiert den mehr als wir. Aber der Geiger hockt einfach da, seine dürren Knie in die Erde gerammt, auf den Punkt starrend, wo die Vögel verschwunden sind, wartend worauf auch immer. Aber da ist nur die Leere.
Wir sitzen...
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