1. KAPITEL
Der Himmel über der Worth-Ranch in Arizona leuchtete in einem strahlenden Blau. Die Sicht war so gut, dass man das in der Ferne herannahende Taxi leicht erkennen konnte. Hinter ihm bildete sich eine Staubwolke, die Hunderte Meter weit zu sehen war.
"Scheint so, als würde deine Frau endlich kommen", meinte Wes Malloy.
Clayton Worth sah dem Taxi entgegen und nickte. Er musste seinem Mitarbeiter nicht sagen, dass Trisha Fontaine nicht mehr lange seine Frau sein würde. Jeder in Red Ridge wusste, dass ihre Ehe vorbei war.
"Gleich musst du dir die Ohren zuhalten", sagte Clayton und zwang sich, ruhig zu bleiben. Eigentlich sollte es ihm egal sein, dass Trisha ganze drei Tage zu spät eintraf. "Es könnte laut werden."
Wes lächelte. "Es ist nie einfach, einen Schlusspunkt zu setzen."
Sein Vorarbeiter gehörte schon seit einer halben Ewigkeit zur Ranch. Er hatte Claytons Vater damals geholfen, die riesige Viehherde aufzubauen. Die Ranch und die Familie waren Rory Worth immer am wichtigsten gewesen. Deshalb hatte er seinen Sohn auf dem Sterbebett gebeten, sich um den Besitz zu kümmern und ihn wiederum an seinen Erben weiterzugeben.
Doch leider hatte Clayton seinem Vater diesen Wunsch bisher nicht erfüllen können. Trisha hatte ihm keine Kinder geschenkt. Außerdem hatte sie ihn beschuldigt, sein Ehegelübde gebrochen zu haben.
Dieser Vorwurf hatte ihm schwer zu schaffen gemacht. Als sie ihn dann einfach verlassen hatte, war er lange nicht damit zurechtgekommen. Die Entscheidung, sich von ihr scheiden zu lassen, war ihm nicht leichtgefallen. Doch als Trisha ihm vor drei Tagen kurz und knapp mitgeteilt hatte, dass sie aus einem wichtigen Grund nicht an der Eröffnung von Penny's Song teilnehmen konnte, war er sicher gewesen, dass er richtig handelte.
Immer kam ihr etwas Wichtiges dazwischen.
Sie hätte nicht bei der Eröffnung fehlen dürfen. Trotz ihrer Trennung hätte ihr die Stiftung mehr bedeuten sollen. Gemeinsam hatten sie die Initiative für Kinder, die sich von schweren Krankheiten erholten, ins Leben gerufen. Er hätte niemals gedacht, dass Trisha nicht kommen würde.
Sie hatte ihn wirklich enttäuscht.
Seufzend schob Clayton die Hände in die Jeans und näherte sich dem Taxi, das soeben vor ihnen gehalten hatte. Als Trisha ausstieg, starrte er sofort wie ferngesteuert auf ihre endlos langen Beine. Und erinnerte sich daran, wie er seine Noch-Ehefrau das erste Mal bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Nashville getroffen hatte. Seine Bekanntheit als Country-Star hatte ihm damals viele Einladungen beschert.
An diesem Abend war er aus Versehen mit Trisha zusammengestoßen. Hätte er sie nicht aufgefangen, wäre sie gefallen. Leider hatte er dabei ihr Kleid zerrissen. In diesem Moment war etwas Seltsames passiert. Nie zuvor hatte eine Frau Clayton bei der ersten Begegnung so sehr in ihren Bann gezogen. Noch bevor sie gemerkt hatte, was passiert war, hatte er sie zum Abendessen eingeladen. Natürlich hatte sie seine Einladung abgelehnt. Doch sie hatte ihm eine Visitenkarte überreicht, damit er sie kontaktieren konnte, um das zerrissene Kleid zu ersetzen.
Er hatte noch nie eine Herausforderung ablehnen können - vor allem nicht, wenn es um eine schöne Frau ging.
Aber das war lange her.
"Trish." Er stellte sich vor sie hin.
"Hallo, Clay", entgegnete sie sanft.
Als sie seinen Namen aussprach, wurde ihm ganz warm. Es irritierte ihn, dass sie nach wie vor diese Wirkung auf ihn hatte. Seufzend musterte er sie von oben bis unten.
Ein Teil ihrer weißen Bluse war zerknittert und mit Flecken übersät. Er fragte sich, was sie damit angestellt hatte. Aus ihrem schlecht gebundenen Pferdeschwanz schauten verfusselte Strähnen hervor. Auf ihrem Kinn waren Spuren von kirschrotem Lippenstift zu erkennen.
Um es kurz zu sagen: Seine baldige Exfrau sah zwar wunderschön, aber auch leicht verwahrlost aus.
Sie schien seinen kritischen Blick zu bemerken. Kein Wunder, sie hatte schon immer eine schnelle Auffassungsgabe besessen. "Sag nichts. Ich weiß, ich sehe schrecklich aus."
"Hast du eine anstrengende Reise hinter dir?"
Trisha zuckte mit den Schultern. "In der letzten Zeit werde ich vom Pech verfolgt." Sie blickte kurz auf den Rücksitz und wandte sich an den Taxifahrer. "Bitte warten Sie einen Moment." Als sie sich wieder zu Clayton umdrehte, war Reue in ihren Augen zu erkennen. "Ich hab ja versucht, dich zu erreichen. Aber ich wollte dir nicht einfach nur auf den Anrufbeantworter sprechen."
Eigentlich sollte er wütend auf sie sein. Doch im Moment war er nur neugierig, was wohl geschehen sein mochte. Nie zuvor hatte er Trisha so durcheinander erlebt. Was war mit der selbstbewussten, gut organisierten und gepflegten Frau passiert, in die er sich vor drei Jahren verliebt hatte?
"Ich dachte nicht, dass du die Feier verpassen würdest", sagte er. Trotz ihrer ewigen Streitereien hatten sie sich geschworen, dass sie die Gründung von Penny's Song gemeinsam erleben wollten.
"Das wollte ich auch nicht", entgegnete sie. "Und glaub mir, ich habe alles versucht ."
Plötzlich hörte er im Inneren des Taxis ein leises Wimmern. "Was ist das? Bitte sag nicht, dass du dir einen Hund zugelegt hast."
Ihre Augen wurden größer. Rasch drehte sie sich um. "Oh! Das ist das Baby. Die Kleine wacht auf."
Ein Baby?
Trisha beugte sich ins Auto, und als sie sich einen Moment später wieder umdrehte, hielt sie ein in eine rosafarbene Decke gehülltes Baby in den Armen. Sie sah es lächelnd an und sprach mit sanfter Stimme: "Ist schon in Ordnung, meine Kleine." Nervös blickte sie zu Clayton auf. "Sie ist im Babysitz eingeschlafen."
Zögerlich machte Clayton einen Schritt auf sie zu. Er war so auf Trisha fokussiert gewesen, dass ihm das Kind auf dem Rücksitz gar nicht aufgefallen war. Neugierig musterte er es. Es hatte blondes Haar und strahlend blaue Augen - genau wie Trisha. Nachdenklich runzelte er die Stirn. Er kannte sich nicht gut mit Babys aus, aber die Kleine musste mindestens fünf Monate alt sein. Trisha hatte ihn vor einem Jahr verlassen. Der Verdacht lag nahe .
Sein Herz hämmerte in seiner Brust. "Wessen Kind ist das?"
Schockiert sah Trisha ihn an. "Nein, Clay. Es ist nicht, wie du denkst. Das Baby ist nicht von dir."
Verwirrt blinzelte er sie an. Er konnte nicht glauben, dass Trisha sich so schnell einen neuen Mann gesucht hatte.
In den vielen Jahren als Country-Sänger hatte er zahlreiche Frauen getroffen. Manchmal hatte er pausenlos Groupies abwimmeln müssen. Er hatte einen gewissen Ruf besessen. Doch als er Trisha kennengelernt hatte, war mit all dem Schluss gewesen. Kein einziges Mal hatte er sie betrogen. Während all seiner Reisen war er ihr treu geblieben. Selbst nach ihrer Trennung. Und dasselbe hatte er von ihr erwartet.
"Es ist aber dein Baby, oder?", wollte er wissen.
Sie wurde blass und sah ihn traurig an.
Was hatte sie denn erwartet? Dass er vor Freude Luftsprünge machen würde, wenn sie hier mit dem Kind auftauchte? Dass er die Kleine einfach so akzeptierte? Mittlerweile konnte er die Scheidung kaum noch abwarten.
"Nein, Clay. Ich bin nicht schwanger geworden." Sie tat so, als wäre allein der Gedanke vollkommen abwegig, und ihre Stimme klang empört. "Ich habe nichts mit einem anderen Mann gehabt."
Jetzt war Clayton erleichtert. Er wusste, dass er ihr glauben konnte. Seine Frau war nie eine Lügnerin gewesen. Es freute ihn, dass sie mit keinem anderen Mann zusammen gewesen war. Trotzdem sollte er keinen Freudentanz aufführen, nur weil seine Frau ihn nicht betrogen hatte. Sie hatte genügend andere schlimme Dinge getan.
Skeptisch blickte er sie an und verschränkte die Arme vor der Brust. "Ich warte immer noch auf eine Erklärung."
Trisha atmete tief durch und sah das Baby zärtlich an. "Ich werde sie adoptieren."
Ungläubig schüttelte er den Kopf. Hatte sie ihm nicht wieder und wieder erklärt, dass sie für ein Kind nicht bereit war? Und hatte sie nicht ständig wiederholt, dass sie Zeit brauchte? Wegen ihrer Eigensinnigkeit war es ihm nicht möglich gewesen, das Versprechen zu halten, das er seinem Vater am Sterbebett gegeben hatte.
"Wie bitte?", fragte er.
"Clay, können wir im Haus darüber reden? Meggie sollte nicht so lange in der Sonne bleiben."
Das war das Vernünftigste, das Trisha bisher gesagt hatte. Clayton deutete auf das Haus. "Die Tür steht offen. Geh mit dem Baby vor. Ich zahle das Taxi und kümmere mich um das Gepäck."
"Danke. Es gibt wirklich viel zu bereden." Sie kaute nervös auf ihrer Unterlippe. "Ein Baby stellt alles auf den Kopf. Das habe ich bereits gelernt."
Trisha hörte Clayton mit dem Taxifahrer sprechen, als sie mit Meggie den von Lilien und Hyazinthen gesäumten Pfad zum Haus entlangging. Alles sah so aus, wie sie es in Erinnerung hatte. Die großzügige Veranda und die breite Doppeltür vermittelten echten Western-Charme. Als Clayton sie das erste Mal hierhergebracht hatte, war sie von dem prächtigen Anwesen überwältigt gewesen. Doch noch mehr hatte Clayton selbst sie beeindruckt.
Irgendwann...