Schweitzer Fachinformationen
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Northumberland, nahe der schottischen Grenze. Der Regen fiel schräg gegen das Fenster des alten Bahnhofsgebäudes, das längst nicht mehr von Zügen angelaufen wurde. Die Schieferplatten auf dem Dach glänzten nass, und im Nebel war nichts zu sehen, ausser hügeligem Land und den Andeutungen eines dunklen Waldes in der Ferne.
Ein Mann stand unter dem Vordach des Gebäudes, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. In seiner Hand: ein brauner Umschlag, auf dem mit krakeliger Schrift nur ein einziger Name und eine Ortschaft stand.
"Gideon Blake, Staithes"
Drinnen in der leerstehenden Wartehalle tropfte es von der Decke. Auf der Holzbank lagen ein paar lose Papierfetzen, von Wind durchgewirbelt. Auf einem Blatt mit Kugelschreiber geschrieben:
"Niemand betritt Tallow's End bei Nebel. Wer es doch tut, kommt nicht allein zurück. Dreimal hat man den Klang der Glocke gehört. Und jedes Mal ist jemand verschwunden."
Der Mann ging weiter bis zur nächsten befestigten Strasse und liess den Umschlag mitten auf der Fahrbahn fallen.
Dann ging er, wortlos, in den Nebel.
*
Eine Woche später in Staithes. Gideon sass in seinem kleinen Wohnzimmer an seinem Schreibtisch, das Fenster zum Meer geöffnet. Ein Stapel Bücher lag vor ihm, daneben eine Tasse Tee. Er hatte gerade seinen letzten Fall archiviert, als er die Tür zum Flur aufgehen hörte:
"Die Post."
Rief jemand vom Flur ins Wohnzimmer. Gideon stand auf und begab sich in den Flur. Er bückte sich und nahm die zwei Briefe und einen Prospekt in die Hand. Der braune, leicht schmutzige und unscheinbare Umschlag interessierte ihn eher als die Rechnung und der Prospekt. Er hielt den Umschlag in der Hand und drehte ihn um. Kein Absender, und kein Datum. Nur sein Name und die Ortschaft, in welcher er wohnte.
"Der Umschlag ist über Umwege zu uns gekommen Mr. Blake". Rief ihm der Postbote noch zu, bevor er sich wieder auf sein Fahrrad schwang und davon radelte.
Gideon öffnete ihn. Ein einzelner Zeitungsausschnitt fiel heraus. Aus einer lokalen Gazette, vergilbt und ausgeschnitten:
"Erneutes Verschwinden in den Torffeldern. Die Einwohner von Tallow's End sprechen von der Rückkehr der Glocke."
Darunter mit Kugelschreiber geschrieben:
"Wenn jemand zuhören kann, dann du."
Gideon starrte lange auf die Zeilen. Dann legte er den Zettel behutsam auf den kleinen Schreibtisch, ging hinüber zum Bücherregal und zog einen alten Buchband hervor.
"Grenzlandlegenden - Nordengland & Lowlands" Er schlug eine Seite auf. Ein altes Foto und ein Dorf im Nebel sowie ein eingestürzter Glockenturm. Er las den ganzen Abschnitt über das Dorf und eine angeblich geheimnisvolle Glocke.
"Tallow's End - Ort des Schweigens."
Gideon griff nach seinem Notizbuch und schrieb danach in klarer, ruhiger Handschrift:
Region: Northumberland, nahe der schottischen Grenze
Phänomen: verschwundene Personen, lokale Legende um alte Glocke Hinweisgeber unbekannt. Verbindung zu früheren Fällen unklar. Erste Erkundung geplant
Er stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus in die Weite. Es war Zeit um seine Ausrüstung zu packen. Eine kleine Reise stand bevor.
Es begann, wie es immer begann, mit der Stille. Nicht jener nächtlichen Stille, die sanft über das Land sinkt, durchbrochen vom entfernten Rufen eines Uhus oder dem gelegentlichen Winseln des Windes zwischen alten Fenstern. Nein, dies war eine andere Stille. Eine, die kam um etwas zu nehmen. Eine, die sich wie ein Schleier über das Dorf legte, zu schwer um vom Wind bewegt zu werden.
Elsie Cartwright sass aufrecht in ihrem Bett. Ihre alten Hände lagen auf der Decke gefaltet, ihre Finger so steif wie der alte Ahorn vor dem Fenster. Der Mond war verdeckt, der Himmel schwarz. Nur der Nebel war zu sehen, dick und weisslich, mit einer seltsamen, inneren Bewegung, als würde er nicht vom Wetter, sondern von einem Willen gelenkt.
Sie kannte diesen Nebel. Sie kannte ihn schon viele Jahre. Seit der Nacht, als wieder jemand nicht zurückkam vom Glockenturm. Niemand hatte je ein Wort darüber verloren, nicht wirklich. Der Turm war schon immer alt gewesen. Und er war gefallen. Aber sein Klang.er blieb.
Elsie lauschte. Die Uhr tickte nicht, sie hatte vor Jahren aufgehört und sie hatte sie nie reparieren lassen. Keine Notwendigkeit mehr. Ihr Zeitgefühl war genauer als jedes Uhrwerk. Und dann, so sanft, dass sie es kaum glauben wollte, hörte sie ihn, den Glockenschlag. Ein einziger, tiefer Ton, wie aus einem alten Traum. Er kam nicht vom Wind, nicht aus dem Dorf. Nicht vom Tal, sondern von weiter oben aus der Tiefe des Hügels. Aus dem Boden, von dort wo die alte Ruine steht. Ihr Atem stockte. Sie drückte sich tiefer in das Kissen. Ihr Blick ging zum Fenster, wo nur Nebel zu sehen war. Dann kam der zweite Schlag, langgezogen und tief. Ihr Bett vibrierte und auch das Haus schien zu vibrieren. Der Klang war wie durch Wasser gedämpft. Die alte Elsie schloss die Augen. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Ein Gebet, oder nur ein Name? Dann der dritte Glockenschlag, länger als die ersten beiden. Die Glocke hatte sie erneut gerufen.
Eine Woche später, Nordengland an der Grenze zu Schottland. Die Sonne stand bereits tief, soweit man sie überhaupt durch den Nebel erkennen konnte, als Gideon Blake die Autotür seines olivgrünen Defenders schloss und tief einatmete. Die Luft hier roch nach Torf, nach altem Holz, nach feuchtem Gestein und einem Hauch von etwas anderem, schwer Greifbarem. Ein leichter Geschmack von Metall vielleicht? Oder auch einfach nur der Modergeruch von den nahegelegenen Torffeldern, den sogenannten "Peat fields". Oder vielleicht war es einfach nur die Zeit, die hier anders roch als an der Küste in Staithes.
Die Strasse zum Gasthaus "The Shepherd's Hollow" war schmal und gesäumt von kniehohem Gras. Alte Trockenmauern zogen sich wie vergessene Linien durch die Hügellandschaft. Kaum Menschen und kaum Verkehr sah er auf dem Weg hierhin. Nur dieser verdammte Nebel, der sich am späteren Nachmittag langsam durch das Tal schob wie ein lebendiger Strom. Das Gasthaus selbst war aus dunklem Stein gebaut, mit tiefen Fenstern und einem Dach, das sich unter seinem eigenen Gewicht zu biegen schien. Über der Tür hing ein verwittertes Schild mit einem gemalten Widderkopf und kaum lesbarer Schrift. Gideon ging von seinem Auto zum Eingang des Gasthauses und betrat den Schankraum. Zwei Gäste sassen am Kamin und unterhielte sich angeregt. Ein paar weitere Gäste verteilten sich im Schankraum an den kleinen gemütlichen Tischen. Der Wirt, ein stämmiger Mann in den Sechzigern, Douglas Harrow, polierte schweigend ein Glas. Als Gideon sich näherte, hob er nur kurz den Blick.
"Zimmer?", fragte er knapp.
"Blake. Ich hatte telefonisch reserviert."
Der Wirt nickte, nahm einen Schlüssel vom Haken, legte ihn auf den Tresen. "Oben, letzte Tür rechts. Wasser gibt's warm, wenn Sie nicht zu viel auf einmal nehmen."
"Vielen Dank."
Harrow zögerte, bevor er sagte: "Sie wollen Tallow's End besuchen, haben Sie am Telefon erwähnt. gehen Sie besser bei Tageslicht, wenn sie wirklich dorthin wollen."
Gideon nickte langsam: "Ich werde vorsichtig sein, aber gehe ohnehin erst morgen." Er nahm den Schlüssel und ging die Treppe hinauf. Das Zimmer war schlicht, aber sauber mit holzverkleideten Wänden, ein kleiner Schreibtisch und ein Fenster mit Blick auf die Hügel und die Felder. Er setzte sich, öffnete sein Notizbuch und schrieb.
Ort: Shepherd's Hollow, Northumberland
Anonymer Hinweis, überbracht per Post Zeitungsausschnitt: Verschwinden eines Mannes. Referenz zu einer alten Legende: Glockenschläge im Nebel Volksglaube: Dreimal erklingt die Glocke - dann verschwindet jemand
Ziel: Erkundung des Dorfes, Befragung von Anwohnern, Sichtung alter Aufzeichnungen
Erste Eindrücke: Nebel ungewöhnlich dicht, auffällige Stille in der Umgebung, lokale Zurückhaltung erwartet.
Gideon blickte lange aus dem Fenster. Die Dunkelheit breitete sich gemächlich über die Hügel wie ein Tuch. Irgendwo hinter dem Nebel lag das Dorf, das er morgen besuchen wollte. Ein Ort, der etwas verbergen wollte, und genau deshalb war er gekommen.
Gideon wachte am anderen Tag früh auf. Die Nacht war ruhig gewesen, zu ruhig für seinen Geschmack. Kaum Laute, kaum Tiere, nicht einmal der Wind hatte sich geregt. Die Art von Stille, die mehr Fragen aufwarf als Antworten gab. Er duschte kurz kalt, zog sich an und trat wenig später in die Schankstube des Gasthauses. Es roch nach starkem Kaffee, geröstetem Brot und einem Hauch von Holzrauch. Das Feuer im Kamin war frisch entfacht worden, obwohl es draussen nicht besonders kalt war. Vielleicht ein tägliches Ritual des Wirts?
Douglas Harrow stand hinter dem Tresen, ein...
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