Schweitzer Fachinformationen
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Da ist Post für dich!« sagte Herr Pabst, als Tinchen ins Zimmer trat. »Irgend so ein Insektenforscher hat geschrieben. Wird vermutlich Reklame sein oder ein Spendenaufruf zur Rettung der vom Aussterben bedrohten Kakerlaken. Ich wollte den Kram schon in den Papierkorb werfen, aber Karsten ist scharf auf die Marke. Die hat er nämlich noch nicht.«
»Wo ist denn der Brief?«
Herr Pabst sah sich suchend um. »Vorhin hat er noch auf dem Tisch gelegen, aber inzwischen hat deine Mutter aufgeräumt. Sie bezeichnete das geordnete Nebeneinander von zwei Rechnungen, einer Bananenschale und einem Bierglas als Chaos und sorgte mit gewohnter Zielstrebigkeit wieder für den makellosen Zustand des Zimmers. Den Brief wird sie wohl mitgenommen haben.«
Tinchen begab sich in die Küche. Frau Pabst stand vor dem Kühlschrank und pellte Eier ab.
»Guten Abend, Mutsch. Hast du meinen Brief weggelegt?«
»Tag, mein Kind. Du bist heute aber wieder reichlich spät dran. Nun wasch dir schnell die Hände, das Essen ist gleich fertig. Es gibt Eier nach Art der Gärtnerin mit frischer Kresse und Diät-Mayonnaise. Ohne Fett natürlich, aber dafür hat sie auch kaum Kalorien.« Frau Pabst knüllte das Papier mit den Eierschalen zusammen und warf alles in den Mülleimer.
»Für mich bitte nicht, Mutsch, ich habe schon gegessen«, winkte Tinchen ab und dachte schaudernd an den undefinierbaren Kantinenfraß, von dem Sabine behauptet hatte, es müsse sich um etwas Ähnliches wie panierte Bisamratte gehandelt haben. Nach dieser Diagnose hatte Tinchen zwar keinen Bissen mehr heruntergebracht und war entsprechend hungrig, aber schon wieder Eier? Sie hatte ohnehin die Befürchtung, sich bald nur noch gackernd unterhalten zu können.
»Wo ist denn nun dieser Brief?«
»Welcher Brief?« Frau Pabst drapierte mit einigem Kunstverstand die Kresseblättchen auf die Eierscheiben und versah das Ganze mit einem Klacks rosaroter Paste, in der Tinchen mit Recht die erwähnte Diät-Mayonnaise vermutete. »Meinst du etwa das Reklameschreiben? Darauf habe ich eben die Eier abgeschält!«
»Also, Mutsch!« Tinchen öffnete den Mülleimer, fischte mit spitzen Fingern den Umschlag heraus, schüttelte die Eierschalen ab und glättete ihn. Den Absender zierte ein rostrotes Pfauenauge, darunter stand in Wellenlinien >Schmetterlings-Reisen<.
»Seit wann machen denn Schmetterlinge Urlaub?« Mit dem Zeigefinger schlitzte sie das Kuvert auf und entfaltete einen leicht angefetteten Briefbogen. In der rechten oberen Ecke tummelten sich gleich zwei Schmetterlinge, diesmal in Kornblumenblau.
>Sehr geehrtes Fräulein Pabst<, las Tinchen, >Ihre Bewerbung vom 25.1. d.J. interessiert uns, und wir würden uns freuen, wenn Sie im Laufe der nächsten Tage zu einer persönlichen Rücksprache nach Frankfurt kommen könnten. Für eine vorherige Terminabsprache wären wir Ihnen dankbar. Mit freundlichen Grüßen.< Die Unterschrift war, wie üblich, unleserlich und sehr markant.
»War wirklich bloß Reklame.« Tinchen zerriß nachdrücklich den Umschlag, bevor sie ihn wieder in den Mülleimer warf. Den Brief schob sie heimlich unter ihren Pullover.
»Wenn die das ganze Geld, was sie in die Briefmarken stekken, gleich zu den Spenden packen würden, brauchten die Leute vom Naturschutz erst gar keine Bettelbriefe zu schreiben«, bemerkte Frau Pabst mit bezwingender Logik und betrachtete zufrieden ihr Eier-Stilleben.
»Sieht hübsch aus, nicht wahr?«
»Sehr hübsch«, lobte Tinchen. »Genau wie die Nationalflagge von Ungarn. Ich habe aber trotzdem keinen Hunger.«
»Aber Kind, du mußt doch ein bißchen was essen!«
»Warum denn? Nulldiät hat noch weniger Kalorien als deine sogenannte Mayonnaise. Woraus besteht die eigentlich? Aus Fassadenfarbe?«
Die Antwort wartete sie nicht mehr ab. Sie stürmte die 22 Stufen zu ihrem Zimmer hinauf, eckte vor lauter Aufregung nicht nur wieder am Schreibtisch an, sondern auch am Kleiderschrank und fand erst nach längerem Herumtasten den Knopf der Stehlampe. Dann holte sie den Brief aus dem Pullover, breitete ihn auf dem Tisch aus und las noch einmal die inhaltsschweren Zeilen. Am liebsten hätte sie sich sofort ans Telefon gehängt und einen Besprechungstermin mit den Schmetterlingen vereinbart, aber auch der betriebsamste Nachtfalter würde wohl kaum um halb neun Uhr abends in seinem Büro sitzen.
Ob der Oberschmetterling wohl Flügel in Gestalt eines Umhangs hatte? Vielleicht trug er auch nur einen artgemäßen Schwalbenschwanz. Tinchen kicherte leise vor sich hin und studierte noch einmal die energische Unterschrift. Nein, also >Pfauenauge< hieß das bestimmt nicht, eher schon Degenhard oder Degenbach.
In dieser Nacht träumte Tinchen, sie sei ein Schmetterling, der in einem kornblumenblauen Kleid mit rosaroten Mayonnaisetupfern über die Dächer von Marbella flog und verzweifelt rief: »Dónde está el lavabo de señoras?«
»Herr Dr. Vogel, kann ich wohl am Donnerstag einen Tag Urlaub bekommen? Ich muß wegen einer Erbschaftssache nach Frankfurt.« Tinchen schwindelte mit einer Geläufigkeit, die auf längere Übung schließen ließ.
»Erbschaft? So, so!« sagte denn auch der Sperling und strich bedächtig seinen gepflegten Schnauzbart, der ihm mehr das Aussehen eines Seehundes als eines Vogels verlieh. »Wen wollen Sie denn beerben?«
»Meine Großtante«, erwiderte Tinchen prompt. »Sie war schon zweiundachtzig und lebte seit Jahren im Altersheim. Ich glaube also nicht, daß es da viel zu erben gibt. Trotzdem muß ich hin, schon aus Gründen der Pietät.«
»Natürlich, natürlich!« Dr. Vogel zeigte sich durchaus verständnisvoll. »Aber muß es denn gerade am Donnerstag sein? Sie wissen doch, daß wir am Freitag die große Sonderbeilage über Kleintierhaltung bringen, und da fällt am Tag vorher immer noch ein Haufen Schreiberei an. Geht es nicht am Mittwoch?«
»Leider nein. Der Rechtsanwalt kann nur am Donnerstag ein bißchen Zeit erübrigen, an den anderen Tagen hat er dauernd Termine. Eigentlich ist er ja Strafverteidiger. Die Erbschaftssache hat er nur meiner Großtante zuliebe übernommen, weil er sie schon seit seiner Jugend kannte. Die beiden haben zusammen im Sandkasten gespielt.«
»Dann muß der gute Mann ja auch schon ein biblisches Alter erreicht haben«, wunderte sich Dr. Vogel. »Und er übernimmt immer noch Strafprozesse? Einfach unglaublich!«
»Na ja, nur, wenn es um etwas ganz Besonderes geht, Mord und Totschlag oder so was«, stotterte Tinchen und verwünschte ihre Vorliebe zum Detail. Es war doch völlig gleichgültig, mit wieviel Jahren die nicht existente Großtante angeblich gestorben war.
»Wenn Sie regelmäßig Zeitung lesen würden, dann wüßten Sie, daß Mord und Totschlag keineswegs etwas Besonderes ist«, sagte Dr. Vogel. »Erst unlängst ist mir eine Statistik des Bundeskriminalamtes in die Hände gefallen, wonach .«
»Kann ich nun am Donnerstag frei haben?« unterbrach ihn Tinchen.
»Wie bitte? Ach so, ja, wenn es also gar nicht anders geht, dann müssen wir eben ohne Sie auskommen. Hoffentlich ist Fräulein Bollmann wenigstens da.«
»Natürlich, die hat ja keine tote Tante«, versicherte Tinchen und zog sich aus dem Allerheiligsten zurück.
»Hat's geklappt?« fragte Sabine, sah das zustimmende Nikken und wandte sich wieder ihrem Stenogramm zu. »Kannst du entziffern, was das hier heißen könnte?« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf eine Anhäufung von Bleistiftkringeln. »Ich kriege das einfach nicht mehr zusammen.«
Tinchen beugte sich über den Block. »Sieht aus wie >Polygamie<.«
»Blödsinn, das ist doch ein Beitrag für den Wirtschaftsteil.«
»Ach so! Dann laß das Wort ruhig aus. Der Schmitz ist schon daran gewöhnt, daß außer ihm selbst kein Mensch sein Fachchinesisch versteht. Die Leser übrigens eingeschlossen.«
»Na schön, wenn du meinst, dann lasse ich hier einfach eine Lücke. Sehr viel sinnloser wird der Text dadurch auch nicht. Was ist denn ein Systemanalytiker?«
»Weiß ich nicht. Ist mir auch völlig Wurscht, ich habe gleich Feierabend. Liegt sonst noch etwas vor?« Tinchen kramte Puderdose und Lippenstift aus ihrer Handtasche und begann mit dem, was Karsten so prosaisch als Fassaden-Renovierung zu bezeichnen pflegte.
»Das Feuilleton braucht noch ein paar Füller. Du sollst mal nachsehen, was wir noch an Stehsatz haben. Laritz meint, Buchbesprechungen wären am besten. Hier in diesem Laden ist er bestimmt der einzige, der sogar die Bücher liest, bevor er sie rezensiert. Von den Neuerscheinungen, die im Herbst herausgekommen sind, müßte noch was da sein, behauptet er.«
»Jetzt haben wir Februar. Seit wann berichten wir denn über Antiquitäten?« Tinchen klappte die Puderdose zu, verstaute sie wieder zwischen Monatskarte und Schlüsselbund und machte sich auf den Weg in die Setzerei.
Als sie aus dem Fahrstuhl trat, dröhnte das dumpfe Röhren der großen Rotationsmaschine in ihren Ohren. Obwohl die Druckerei zwei Stockwerke tief unter der Erde lag, spürte Tinchen immer noch das leichte Vibrieren des Fußbodens.
In der Setzerei herrschte die übliche Betriebsamkeit. Niemand hatte Zeit, keiner hörte zu, als sie ihr Anliegen vorbrachte, und nur ein Jüngling mit Nickelbrille, der sechs Bierflaschen auszubalancieren suchte, murmelte etwas von »Da drüben am hintersten Tisch!«
Nachdem nun wenigstens die Richtung festgelegt war, in der sie suchen mußte, schöpfte sie neuen Mut. »Ich brauche fürs Feuilleton einen Abzug vom Stehsatz!« Energisch zupfte sie an einem blauen Overall.
»Und ich brauche eine Unterschrift«, sagte der Mann, der in dem blauen Overall steckte....
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