Schweitzer Fachinformationen
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Georg Stadler warf seine Lederjacke auf das Sofa und ging ins Bad. Eine halbe Stunde blieb ihm bis zu seiner Verabredung mit der Psychologin, gerade genug Zeit für eine Dusche und ein kaltes Bier. Er ließ erst heißes, dann eiskaltes Wasser über seinen Körper laufen und summte dabei vor sich hin. Er hätte nicht gedacht, dass diese Elisabeth Montario sich so rasch zu einem Treffen bereit erklären würde. Jetzt hing es von seiner Überredungskunst ab, ob er es schaffte, sie für sein Problem zu erwärmen. Und von seinem Charme. Er trat aus der Dusche, trocknete sich kurz ab und betrachtete sich im Spiegel. Nicht schlecht für einen Mann Ende vierzig, dachte er zufrieden. Zahlte sich doch aus, regelmäßig Sport zu treiben. Er trat ins Schlafzimmer und registrierte, dass die Putzfrau ganze Arbeit geleistet hatte. Das Bett war frisch bezogen, keine Spuren mehr übrig von der letzten Nacht. Diese Regine, Regula oder wie sie hieß war allerdings eine ziemliche Pleite gewesen. Erst hatte sie ihn angebaggert und sich dann im Bett plötzlich steif gemacht wie ein Brett. Er gehörte nicht zu den Männern, die so taten, als würden sie es nicht merken. Also hatten sie stattdessen geredet. Nicht gerade seine Vorstellung von einem befriedigenden Feierabend, zumal Regine oder Regula zwar gut aussah, aber nur über ein sehr eingeschränktes Repertoire an Gesprächsthemen verfügte. Na ja, meistens hatte er mehr Glück. Er nahm ein frisches Hemd aus dem Schrank und zog sich an. Vielleicht war diese Psychotante einen Versuch wert. Nein, eher nicht. Schließlich wollte er beruflich etwas von ihr. Also fiel sie in die Kategorie Kollegin. Regel war Regel.
Stadler ging in die Küche, fischte eine Flasche Alt aus dem Kühlschrank, öffnete sie und nahm einen großen Schluck. Er stellte sich ans Fenster und überlegte, welche Strategie er bei Frau Dr. Montario anwenden sollte. Die Bewunderungsmasche, die Unter-Kollegen-hilft-man-sich-Tour? Oder sollte er an ihr Mitgefühl appellieren? Er trank das Bier leer und stellte die Flasche weg. Er würde spontan entscheiden, wenn er die Frau vor sich hatte.
Zehn Minuten später suchte er einen Parkplatz in den vollgestopften Wohnstraßen von Oberkassel. Er fragte sich, warum sie sich ausgerechnet hier mit ihm hatte treffen wollen. Sie wohnte nicht in der Nähe, sondern im Süden der Stadt. Sollte das eine kleine Demonstration ihrer Fähigkeiten sein? Wollte sie zeigen, dass sie wusste, weshalb er mit ihr sprechen wollte? Gerade als er aufgeben und vor einer Einfahrt parken wollte, löste sich vor ihm ein Geländewagen vom Straßenrand. Er lenkte den Mustang in die Lücke und stellte den Motor ab. Mit langen Schritten lief er auf die Gaststätte zu, in der er mit Dr. Elisabeth Montario verabredet war.
Er sah sie sofort. In natura wirkte sie viel jünger als auf dem schlecht belichteten Schwarzweißfoto, das er auf der Verlagshomepage gesehen hatte. Fast wie ein junges Mädchen. Dabei musste sie über dreißig sein. Lange rote Locken, von einem Gummi nur notdürftige zusammengehalten, leuchtend grüne Augen, ein enges schwarzes Kleid, das mehr zeigte, als es verhüllte. Stadler hielt für einen Augenblick den Atem an, dann trat er auf sie zu.
«Frau Dr. Montario?»
Sie wandte den Blick vom Fenster ab und sah ihn an. «Herr Stadler?»
«Ja.» Er streckte die Hand aus. «Es freut mich, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit mir zu sprechen.»
Sie antwortete nicht, erwiderte stumm seinen Händedruck. Etwas an ihrem Blick beunruhigte ihn. Das intensive Grün ihrer Augen, die fast schon unhöfliche Eindringlichkeit, mit der sie ihn musterte, vielleicht auch einfach das Wissen, dass sie Psychologin war und vermutlich alles Mögliche an seiner äußeren Erscheinung ablas.
Sie hatte ein Glas Weißwein vor sich stehen. Nach kurzem Zögern bestellte er ein Bier. Als das Glas vor ihm stand, brach er das Schweigen. «Ich weiß nicht, ob Sie ahnen, worum es geht .»
Ein kaum wahrnehmbares Lächeln umspielte ihre Lippen. «Sagen Sie es mir doch einfach.»
«Also gut.» Er stützte die Ellbogen auf den Tisch, fest entschlossen, sich nicht weiter von ihrer irritierenden Gelassenheit aus dem Konzept bringen zu lassen. Sollte sie doch die Unnahbare spielen, er hatte schon ganz andere Frauen geknackt. Abgesehen davon war sein Interesse rein beruflich. Es gab also keinen Grund, nervös zu sein. «Sie haben vielleicht in der Zeitung davon gelesen: Vor zehn Tagen wurde eine Frau ermordet, übrigens hier ganz in der Nähe, in der Dominikanerstraße. Der Täter ist in ihre Wohnung eingedrungen und hat ihr die Kehle aufgeschlitzt. Während sie verblutete, stach er zweiunddreißigmal auf ihren Oberkörper ein. Zum Schluss schlitzte er ihr den Unterleib auf und manipulierte ihre Bauchhöhle.» Er hielt inne, sah sie an.
«Ich habe davon in der Zeitung gelesen», sagte Elisabeth Montario. «Allerdings fehlten die Details. Soweit ich mich erinnere, hieß es einfach, die Frau sei erstochen worden.»
«Das ist richtig. Aus ermittlungstechnischen Gründen haben wir die Einzelheiten vor der Presse zurückgehalten.»
«Aha. Und was genau wollen Sie von mir?»
Stadler holte tief Luft. «Es gibt einen zweiten Mord.»
Dr. Montarios Augen weiteten sich. «Der Täter hat ein zweites Mal getötet? Nach zehn Tagen?»
Er schüttelte den Kopf. «Nein. Zwischen den beiden Taten liegt etwa ein halbes Jahr.»
Sie runzelte die Stirn, sagte jedoch nichts.
Er fuhr fort. «Am 8. April wurde in der Nähe des Hauptbahnhofs eine Leiche gefunden. Ein Transvestit, der in der Gegend auf den Strich ging. Als er gefunden wurde, in einem Gebüsch in der Nähe einer Unterführung, war er nackt. Der Täter hatte ihm die Halsschlagader durchtrennt und mehrfach auf ihn eingestochen. Danach hat er seinem Opfer den Bauch aufgeschlitzt und ihn verstümmelt.»
«Verstümmelt?»
«Er entfernte die Geschlechtsteile. Sie sind bis heute verschwunden.»
Montario wirkte nicht schockiert, eher konzentriert. «Und Sie gehen davon aus, dass es derselbe Täter war?»
«Es gibt eine weitere Gemeinsamkeit zwischen beiden Fällen. Eine, die über die Art der Tötung hinausgeht: Auch das zweite Opfer war keine Frau. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, sie ist nicht immer eine Frau gewesen. Sie hatte vor acht Jahren eine Geschlechtsumwandlung.»
Montario nickte. «Interessant.»
«Finde ich auch. Ich bin überzeugt, dass das kein Zufall ist. Erst ein Transvestit, dann ein Transsexueller. Beide auf ähnliche Weise getötet. Da draußen läuft irgendwer herum, der etwas gegen falsche Frauen hat.»
Montario nippte an ihrem Wein. «Okay, das ist sehr bemerkenswert, aber ich weiß immer noch nicht, was genau Sie von mir wollen.»
Stadler unterdrückte ein Seufzen. Jetzt kam der schwierige Teil. «Ich hätte gern Ihre fachliche Einschätzung.»
Sie kniff die Augen zusammen. «Haben Sie für so was nicht eine Abteilung beim LKA?»
Stadler verschränkte die Arme. Er musste mit der ganzen Wahrheit herausrücken, es half alles nichts.
«Die Sache ist leider etwas kompliziert», begann er. «Um ehrlich zu sein: Ich bin im Augenblick der Einzige, der davon überzeugt ist, dass die beiden Morde zusammenhängen.» Jetzt hatte er ihre volle Aufmerksamkeit, also fuhr er rasch fort. «Vor zwei Monaten wurde ein junger Mann festgenommen, der unter dem dringenden Tatverdacht steht, den Transvestiten umgebracht zu haben. Er sitzt in Untersuchungshaft, der Prozess beginnt voraussichtlich nächsten Monat. Aber er hat nicht gestanden, es gibt lediglich eine Reihe Indizien, die ihn mit der Tat in Verbindung bringen, keine Beweise. Den Fall haben Kollegen bearbeitet, und sie sind sicher, den richtigen erwischt zu haben. Von einem Serienkiller wollen sie nichts hören. Mein Chef übrigens auch nicht. Ich habe ihm die Ähnlichkeiten zwischen beiden Fällen dargelegt, ihn gebeten, einen Experten für operative Fallanalyse einzuschalten, doch er will nichts davon hören. Deshalb stehe ich allein da. Und deshalb sitzen wir beide heute privat hier und plaudern ein bisschen. Denn offiziell ist es mir nicht gestattet, mit Ihnen über den Fall zu sprechen, geschweige denn, Sie als Beraterin hinzuzuziehen.»
«Sie riskieren also Ihren Job für diese Sache?»
«Na ja, eher meine Beförderung.»
«Ich kann Ihnen anhand von dem, was Sie mir erzählt haben, kein psychologisches Gutachten anfertigen. Dazu kenne ich viel zu wenige Details.»
Er atmete auf. Das war fast schon ein Ja. «Das weiß ich», sagte er schnell. «Ich habe Kopien von beiden Akten angefertigt. Da ist alles drin, was Sie brauchen. Das Gutachten der Rechtsmedizin, die Fotos vom Tatort, die Erkenntnisse der Spurensicherung und alle sonstigen Berichte und Analysen. Würden Sie sich die Sachen ansehen?»
«Ich nehme an, Sie dürfen diese Dokumente eigentlich nicht kopieren, und Sie dürfen sie erst recht niemandem geben, der nicht offiziell an den Ermittlungen beteiligt ist?»
Er nahm einen Schluck Bier. «Richtig.»
Sie nickte. «Das heißt, dass Sie meine Einschätzung auch nicht offiziell für die weiteren Ermittlungen verwenden dürfen?»
«Sollten Sie mich auf die richtige Spur bringen, kriege ich ganz schnell eine nachträgliche Genehmigung.» Er verzog das Gesicht. «Sie wissen doch, wie das läuft.»
Sie sah hinaus auf die Straße. Es hatte wieder angefangen zu nieseln. Der Tag schien zu enden, wie er begonnen hatte. Einen Moment lang sagte keiner von ihnen ein Wort. Stadler bemerkte die feinen Linien um Montarios Augen, die verrieten, dass sie nicht mehr ganz so jung war, wie sie auf den...
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