Schweitzer Fachinformationen
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Die Zeit heilt alle Wunden. Doch das Gewissen heilt sie nicht.
München, 2020. Ulla ist eine starke Frau, obwohl sie es nie leicht hatte. Ihre Mutter Helga verließ sie als Neunjährige. Warum? Das weiß sie bis heute nicht. Helga ist der dunkle Fleck auf Ullas innerer Landkarte. Erst als das Leben sie auf den Moarhof am Chiemsee zurückführt, entdeckt sie, dass dort Antworten auf sie warten - auf Fragen, die sie jahrelang verdrängt hat.
Moosleitn am Chiemsee, 1975. Helga lebt in einer Kommune auf einem idyllisch gelegenen Bauernhof. Als Künstlerin ist sie für ihre düsteren Werke bekannt, deren wahre Bedeutung sich niemandem erschließen. Denn nur sie weiß, welche Erinnerungen sie quälen. Und dass sie als junge Frau eine Entscheidung treffen musste, die sie sich bis heute nicht vergeben kann.
"Meisterhafte Erzählkunst verbindet sich bei dieser Autorin mit psychologischer Spannung."
"Ein Familienroman voller psychologischer Abgründe um Ereignisse aus der Vergangenheit."
"Drei Schwestern, ein Mord und jede Menge Lügen. Die fein gezeichneten Figuren machen es schwer, das Buch aus der Hand zu legen."
"Ein Buch, das Geschichte auf geradezu erschreckend spannende Weise lebendig werden lässt. Ein absolutes Muss."
"Mit ihrem fesselnden Roman schafft es Sandberg, dem Vergessen entgegen zu wirken. 500 Seiten, die berühren, überraschen und aufwühlen."
"Eine unglaubliche Geschichte von Schuld, Hass und einer unvorstellbaren Lebenslüge. Das Ganze ist absolut lesenswert. Die Idee ist einzigartig."
"Schuld, Rache oder Vergebung? Psychologisch tiefgründig, absolut lesenswert!"
"Dieser super recherchierte München-Krimi erzählt leise und eindringlich von Recht und Gerechtigkeit. Packend, feinfühlig und sehr engagiert geschrieben."
"Die Autorin hat sich keinen leichten Stoff vorgenommen, daraus jedoch einen spannenden Roman gemacht, der eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte beleuchtet."
"Sandberg erzählt meisterhaft, wie Naziverbrechen nachwirken und wie Gier die Moral zerstört."
"Perspektivwechsel und die Nähe zur deutschen Geschichte machen dieses Buch so lebendig, als wäre man ein Teil davon. Unbedingt lesenswert."
HelgaMoarhof am ChiemseeMai 1975
An dem Tag im Mai, als Helga sich entschloss, endlich die Wahrheit zu offenbaren, zog von Südwesten ein Gewitter heran. Wolken verdunkelten den Himmel. Graues Licht senkte sich über die Leinwand. Helga legte den Pinsel beiseite und trat ans offene Atelierfenster.
Die Luft war warm und schwül, und der Duft des Flieders schwer und süß. In den Obstbäumen verstummten die Vögel. Zwei von Justus' und Franziskas Leghorn-Hennen suchten Zuflucht in der Scheune, während einige Schwalben im Tiefflug den Kuhstall des Nachbarhofs ansteuerten und jenseits des Staketenzauns die alte Kameter-Bäuerin mit dem Wäschekorb in den Gemüsegarten schlurfte und Helga kaum eines Blicks würdigte. Sie schenkte niemandem auf dem Moarhof wirklich Beachtung. Die Aussteiger waren mehr oder weniger Luft für sie. Gammler. Hippies. Stadtmenschen, die keine Ahnung vom Leben auf dem Land hatten. Studierte, die ein Schaf nicht unbedingt von einer Ziege unterscheiden konnten und einen Boskop nicht vom Gravensteiner. Auch die jahrelange Nachbarschaft hatte wenig daran geändert.
Während die Alte die Wäsche von der Leine nahm, erschien ihre Schwiegertochter in Helgas Blickfeld. Eine freundliche und aufgeschlossene Frau. »Jessas«, rief sie zu Helga hinüber. »Des gibt a Wetter.« Mit der Hand wies sie zum Himmel und lief weiter zum Frühbeet, um die Gemüsesetzlinge abzudecken.
Graphitgraue Wolken mit einem ockerfarbenen Streifen spiegelten sich im Chiemsee, der einen Kilometer entfernt am Fuß des Hangs lag. Sie hingen tief über der Landschaft, verschatteten Felder und Wiesen, verbargen den Gipfel des Hochfelln und verdunkelten den Nachmittag. Noch war es ruhig. Als ob die Natur in einem Moment der Konzentration den Atem anhielt, um ihre Kraft zu bündeln. Doch jeden Augenblick konnte das Unwetter losbrechen.
Helga ging vom Atelier in den Wohnbereich ihres Häusls, schlüpfte in die Gummistiefel, streifte den gelben Friesennerz über und trat vor die Tür. Gerade rechtzeitig zur Ouvertüre des Spektakels. Es begann sehr sacht. Beinahe behutsam. Eine erste Bö wirbelte Staub und Blätter auf. Vereinzelte Tropfen fielen warm und schwer. Helga zog die Kapuze über den Kopf, versenkte die Hände in den Taschen und ging los. Als es zu regnen begann, öffnete sie das Tor, das auf den Weg hinunter zum See führte. Der Wind frischte plötzlich auf, fegte ihr die Kapuze vom Kopf und zerrte am schulterlangen Haar. Von einem Moment auf den anderen brachen die Wolken und Regen pladderte in dicken Fäden herab. Kalte Rinnsale liefen ihr übers Gesicht und unter die Jacke. Die nächste Bö klatschte ihr die nassen Haarsträhnen um die Ohren. Sie zog die Schultern hoch und ging weiter. Angespannt. Wartend.
Wetterleuchten über dem See. Donnergrollen in den vorübereilenden Wolken, angetrieben vom Wind, der sich zum Sturm auswuchs. Plötzlich war er da, brach los, fuhr in die Bäume, schüttelte sie, riss Blätter und Zweige ab. Ein Heulen legte sich über die Landschaft, wie das Klagen verlorener Seelen. Beinahe waagrecht trieb der Sturm den Regen vor sich her. Innerhalb von Sekunden war die Jeans durchweicht, das Wasser lief in Bächen von der Regenjacke. Sie zog sie aus, ließ sie achtlos fallen. Krachend schlug ein Blitz in den See, der Donner folgte auf dem Fuß. Hagelschloßen schossen vom Himmel, prasselten nieder. Trafen sie an Kopf und Schultern, an Brust und Beinen. Eisige Geschosse. Groß wie Murmeln. Dutzendfacher dumpfer Schmerz. Helga ging weiter. Die Wiese wurde weiß. In einem Baum neben ihr barst mit einem Knall ein Ast und stürzte zu Boden. Die Luft war elektrisch geladen, roch nach Ozon. Sie riss sich die Bluse vom Leib und streckte sich dem Inferno entgegen.
Motorenlärm störte die Unwettermusik. Bremsen quietschten. Ein orangeroter Käfer hielt neben ihr. Marlene sprang heraus. »Helga! Du hast sie ja nicht mehr alle!« Ihre Freundin zog sie zum Wagen. »Soll dich ein Blitz erschlagen oder ein umstürzender Baum?« Von Marlenes kreisrunder John-Lennon-Brille perlten Regentropfen. Ihre Igelfrisur wurde nass.
Die Anspannung ließ nach. In Helga stieg ein Lachen auf, als sie sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Schließlich prustete sie los. Marlene schüttelte den Kopf. Sie holte Bluse und Regenjacke, warf beides auf die Rückbank und brachte Helga zurück zum Häusl.
In der Küche nahm Marlene ein frisches Geschirrtuch aus dem Schrank und rubbelte sich die kurzen kupferrot gefärbten Haare trocken. Der Ansatz war grau meliert. Wir werden alt, schoss es Helga durch den Kopf. Wer hätte das gedacht? Ich jedenfalls nicht.
»Zieh dir was Trockenes an. Ich mach uns inzwischen Tee.«
»Jawohl.« Helga konnte es nicht lassen und schlug die Hacken in den Gummistiefeln zusammen. Doch ihre Freundin meinte es nur gut mit ihr. Schon immer. Genau genommen seit über dreißig Jahren, seit sie sich in Dresden auf der Kunstakademie kennengelernt hatten.
Im Bad zog Helga die nassen Sachen aus. Die Hagelschloßen hatten rote Flecken auf der Haut hinterlassen, die morgen blau sein würden. Es war nicht wichtig. Sie rubbelte die Haare trocken und betrachtete ihr Spiegelbild. Wieder einmal erschien sie sich fremd. Seit jenem verhängnisvollen Tag vor dreißig Jahren war das so. Eine Unbekannte blickte ihr aus dem Spiegel entgegen. Scharf stieß Helga die Luft zwischen den Zähnen hervor, wie immer, wenn sie daran denken musste.
Sie griff zum Föhn. Der warme Luftstrahl tat gut. Erst jetzt bemerkte sie, wie kalt ihr war. Wer bist du?, fragte sie sich und musterte ihr Spiegelbild erneut. Eine aparte Einundfünfzigjährige, mit blauen Augen und kastanienbraunem Haar. Eine ungewöhnliche Kombination, die Männer anziehend fanden. Weiche Gesichtszüge, obwohl sie sich hart fühlte. Unerbittlich. Wie in Stein geschlagen. Ihr Äußeres strafte ihr Inneres Lügen. Sie war eine Fälschung. Kein unschuldiges Kind, das durch den Regen lief, staunend und unbedacht, sondern eine Davongekommene, die ihr Schicksal herausforderte.
Niemand verstand, was sie tat. Was ihre Kunst zu bedeuten hatte. Die meisten hielten es nicht einmal für Kunst. Chris, ihr Ex-Mann, hielt sie für psychisch krank. Dabei war sie relativ klar im Kopf und wusste, was sie tat. Meistens jedenfalls. Auch wenn sie es manchmal nicht ganz im Griff hatte. So wie vorhin, als sie ihrem Impuls gefolgt war, sich von einem verdammten Blitz erschlagen zu lassen. Damit es endlich ein Ende hatte.
All das hatte seine eigene Logik, die sie niemandem erklären konnte. Auch nicht ihrer besten Freundin Marlene, obwohl sie sich schon mehr als ihr halbes Leben kannten.
Und schon gar nicht ihrer Tochter. In den vergangenen Tagen hatte sie immer wieder an Ulla gedacht. Bald wurde sie fünfzehn. Wie es ihr wohl ging? Von Chris bekam sie ab und zu ein Foto und ein paar Informationen. Ungefragt. Weil er annahm, dass es sich so gehörte. Dass eine Mutter wissen sollte, wie ihr Kind sich entwickelte. Bis auf einen Brief, den sie Ulla jährlich zum Geburtstag schrieb und auf den sie nie eine Antwort erhielt, gab es seit Jahren keinen Kontakt. Ihr Kind kämpfte nicht, es hatte sich entweder mit der Situation arrangiert oder zahlte es ihr mit gleicher Münze heim.
»Tee ist fertig! Kommst du?«
Ulla glaubte sicher dasselbe wie Chris: Ihre Mutter wäre verrückt.
»Alles in Ordnung?«, rief Marlene, als Helga nicht sofort antwortete.
»Ja. Ich komme gleich.« Sie schlang das Tuch mit dem Paisley-Muster um den Kopf und knotete es im Nacken. Im Schlafzimmer schlüpfte sie in die Schlaghose, die sie bei ihrem letzten Besuch in München gekauft hatte, streifte Pulli und Clogs über und ging in die Küche. Sie war noch so eingerichtet wie damals, als Helga auf diesen heruntergekommenen Bauernhof gezogen war. Eckbank und Holztisch. Ein Elektroherd und ein Küchenbuffet aus den Dreißigerjahren. Helga hatte die Möbel abgeschliffen, neu grundiert und mit Ornamenten, Mustern und Augen bemalt. Sie sahen fröhlich aus, trotz des schwarzen Untergrunds. All die bunten Formen, Zeichen und Symbole, deren Bedeutung nur sie kannte.
Helga setzte sich auf die Eckbank zu Marlene. Es duftete nach Jasmintee und Sandelholz. Im Stövchen brannte ein Teelicht und ein Räucherkegel in einer kleinen Tonschale, die Marlene getöpfert hatte. Der Regen rann an den Sprossenscheiben herab. Der Sturm ließ nach, das Gewitter zog weiter.
Marlene fragte nicht, warum sie bei diesem Unwetter halb nackt draußen herumgelaufen war. Sie wusste, dass sie keine Antwort bekommen würde. Stattdessen nahm sie die Schuhschachtel mit den Musikkassetten vom Fensterbrett, suchte eine heraus und hielt sie hoch. »Wie wär's mit den Doors? Riders On The Storm. Der passende Soundtrack.« Lachend schob sie die Kassette in den Rekorder.
Sie hörten Musik und tranken Tee. Schließlich teilten sie sich einen Joint und dann ging Marlene hinüber zur Schmiede, die sie und ihr Freund Ansgar als Wohnhaus und Atelier umgebaut hatten. Die beiden lebten dort mit Oliver, Marlenes Sohn. Ansgar war Bildhauer. Oliver besuchte das Gymnasium in Traunstein und Marlene töpferte für den Broterwerb. Eigentlich war sie akademische Malerin, genau wie Helga. Doch von der Kunst allein konnte keiner der Künstler auf dem Moarhof leben. Jeder hatte einen Job nebenbei. Helga arbeitete stundenweise als Zimmermädchen in einem Hotel. Vielleicht nicht mehr lange.
Auf der Gruppenausstellung im April in Salzburg hatte ihr ein Düsseldorfer Galerist seine Karte in die Hand gedrückt. Elias Rothert. Er sah nicht wie ein Galerist aus, sondern mit seinem Vollbart und der Glatze wie ein Holzfäller, den man in einen Anzug gesteckt hatte. Er trug...
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