Schweitzer Fachinformationen
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Zwar war Amanda davon überzeugt, dass Mode eine vergängliche Schönheit bot, doch sie wusste um das Lebensgefühl, das Kleider und Accessoires einer Frau schenkten. Je praller das Portemonnaie, desto farbenfroher das Schweben auf feinen Ledersohlen, mit schicken Taschen am Handgelenk und mit Stoffen, die sich zarter um den Körper schmiegten als die eigene Haut. Auch Amanda war vor diesem Verführerischen der Mode nicht gefeit, ja, manchmal sah sie neidisch den Frauen in engen Kostümen und Absatzschuhen hinterher, wenngleich sie ahnte, dass ihr solch teure Teile nicht standen. Sie war zu klein, ein wenig pummelig, der Saum hinge dann zu tief, die Ärmel müsste sie krempeln und um die Hüften spannte der Bund. Sie hatte es ausprobiert in den ersten Tagen in Paris. »Dieses Kostüm von Christian Dior schmeichelt jeder Frau«, hatte die Verkäuferin erklärt und gleichsam geraten, es eine Nummer größer als üblich zu nehmen. »Die Kollektion ist in diesem Sommer auf Figur geschneidert.« Amanda hatte am Vorhang der Umkleidekabine so lange herumgeruckelt, bis kein Schlitz mehr offen gewesen war, bis die Verkäuferin keinesfalls hineinsehen könnte. Sie hatte sich in die Sommer-Schurwolle gezwängt, ihre Kniestrümpfe bis zu den Fußfesseln runtergerollt, den Bauch eingezogen, bis es stach. Sieht an mir aus wie ein eingelaufener Putzlappen, fand sie und wuschelte sich durch die blonden Locken, kniff sich in die roten Wangen und formte ihre vollen Lippen zum Kussmund. Da riss die Verkäuferin den Vorhang zurück, sagte zunächst nichts. Sie trat näher an Amanda heran und flüsterte: »Unbedingt Nylonstrümpfe und Absatzschuhe. Türmen Sie die Haare hoch, falscher Zopf da rein, halbe Flasche Haarspray, vielleicht noch ein bisschen Strass, dann sieht die Sache besser aus.« Amanda hatte kurz überlegt, den Blick vom Spiegelbild zur Verkäuferin wandern lassen und festgestellt: »Mein Stil ist anders, wissen Sie, ich mag's eher locker, weil Haare beim Gehen und beim Lachen schwingen sollen, deshalb mag ich kein Spray.« Sie war mit hocherhobenem Kopf und aufreizender Langsamkeit aus dem Laden stolziert, und dabei war ihr zwischen den Kleidern, so teuer wie ein Monatsumsatz der Mutter im heimischen Friseursalon, ein Gedanke gekommen: Man darf diese Mode lieben, aber muss sie nicht tragen, um eine Star-Friseurin zu sein.
Davon würde sie Karl überzeugen. Auch wollte sie ihm erzählen, dass es Frauen gab, denen die klasse Kurven und die optimale Beinlänge nicht gegeben waren, die sich trotzdem an edlen Kleidern nicht sattsehen konnten und insgeheim hofften, da möge einer kommen, um auch für sie etwas mit raffinierten Nähten und einem Schwung im Stoff zu entwerfen, das jedes Pölsterchen verschwinden ließe. »Lieber Herr Lagerfeld, jede Frau will, dass sich andere den Hals nach ihr verrenken. Wissen Sie, Krankenschwestern, Friseurinnen, Studentinnen, Hausfrauen aus Mietkasernen, auch Verkäuferinnen und Sekretärinnen in der Verwaltung träumen von so was.« Er würde das verstehen, Amanda war sich sicher. Und dann würde sie ihm von der angeborenen Schönheit verraten, von den Haaren. Da wollte sie ran, an die Köpfe von Karls Models bei der großen Show, um Frauen auf den Straßen von Paris zu zeigen, wie Mode und Haar eine Symbiose bilden konnten. Dafür muss ich auf die Showbühne von Chloé!, dachte sie, und ihr wurde ganz heiß im Nacken. Wenn er es verlangte, würde sie dafür ihre rosafarbene Bluse und den geliebten Karorock ablegen, sich in ein Cocktailkleid reindrehen und Stöckelschuhe tragen, einzig, um neben ihm zu arbeiten. Zwei Künstler aus Deutschland! Ja, sie würde Karl klarmachen, dass der teuerste Fummel nicht wirkte, wenn die Haare wie ausgeleiert hingen. Allmählich nahm ihr Plan Gestalt an. Es wurde Zeit, ihn zu präsentieren! Nur hin und wieder funkte noch die Stimme der Mutter dazwischen: Lieber Gott, womit habe ich dieses Kind verdient, was habe ich nur falsch gemacht? Dann verschränkte Amanda die Arme vor der Brust. Der Mutter und der Heide werd ich's zeigen! Und doch kam dabei ein Stückchen Heimweh in ihr hoch. Sie drückte es entschieden wieder runter, für so was hatte sie keine Zeit. Nein, ein Zurück nach Palmersheim gab es nicht, eine Ausbildung in Mutters Friseursalon kam nicht infrage. Überhaupt wäre es eine Schmach, reumütig dort wieder anzuklopfen. Die Mutter würde vielleicht lachen, vielleicht zur Ohrfeige ausholen, das wusste man nie, auf jeden Fall würde sie sagen: »Haste nix in der Täsch, biste nix wert. Zieh den Kittel über und rühr die Dauerwelle an.« Wenn Amanda daran dachte, zählte sie das Geld im Brustbeutel nach. Tatsächlich musste sie handeln.
Seit Tagen schon notierte sie Karls Tagesablauf, um den richtigen Moment für das Gespräch zu finden. Nie betrat er das Geschäft von Chloé vor dem frühen Nachmittag, denn vormittags zeichnete er. Da sah sie ihn vom Ufer der Seine aus im ersten Stock seines Appartements sitzen, den Kopf geneigt, keine einzige Bewegung in seinen Schultern. Sie erkannte ihn an den schwarzen Haaren, am blendend weißen Hemd, immer stand das Fenster offen und hob die Sonne um zehn Uhr seine Silhouette hervor. Karls Tage hatten Struktur. Und allmählich erkannte sie, dass solch eine Konsequenz zum Erfolg führte. Wer sich treiben ließ, erreichte kein Ziel, der verlief sich auf seinem Weg. Gerne hätte sie ihrer Schwester Heide von dieser Einsicht erzählt, hätte abends im Bett mit ihr darüber geflüstert, aber Heide war nicht da, die saß fest im Dorf, war dort geboren und würde dort irgendwann einmal sterben. Nicht mit mir, dachte Amanda, meine Welt soll groß sein! Ihr fiel der Kreidemaler von der Seine ein, der rund um den Erdball seine Spuren hinterließ. Das hatte ihr imponiert, trotz der zerschlissenen Hose und der hervorstehenden Rippen hatte der Mann etwas Schönes an sich. Der war mit sich im Reinen. War sie es auch?
Beleuchtet von dem funzeligen Schein der Nachttischlampe wirkten die Möbel im Dachzimmer noch schräger und spärlicher als bei Tageslicht. Ein Holzschrank, dessen Türen nicht richtig schlossen, ein Tisch mit Stuhl und ein Waschbecken an der Wand, ein erblindender Spiegel darüber. Aber es war sauber und warm im Zimmer und die Aussicht über Paris atemberaubend. Hier könnte sie bleiben, bis die Frauen von Paris erkennen würden: Da gab es eine, die Haarkreationen erschuf wie die begnadeten Modemacher die Klamotten. Diese Amanda, würden die Frauen tuscheln, hat eine Formel für Schönheit gefunden. Solche Gedanken machten ihr Mut. Dann versenkte sie sich die halbe Nacht in Bücher, die sie bei den Bouquinisten am Seine-Ufer erstanden hatte, las von den mathematischen Berechnungen des großen Leonardo da Vinci, von seinen Regeln zu Proportion und Körperbau. Oder sie verglich in Magazinen Fotos von Sophia Loren mit denen von Claudia Cardinale, auf der Suche nach etwas, das sich nicht in einen Zeitgeist pressen ließ, sondern gültig blieb. Sie sah sich wieder und wieder die ausgeschnittenen, gesammelten, abgehefteten Kreationen der Modeschöpfer an und starrte auf all die Models, die sie vorführten. Und dabei fiel ihr das Unverkennbare von Karls Werken auf, jene mit lockerem Handgelenk gezeichnete Linie, spritzig und leicht, ohne die Schwere einer berechnenden Art. Bist ein Genie, dachte sie zärtlich und fuhr mit den Fingerspitzen über die Seiten.
Die Reporter porträtierten den Deutschen in Paris. Ganz wild waren sie darauf, von seinem Talent zu berichten. Wie er zeichnete. Wie er schneiderte. Wie flott er über die Laufstege in Paris, Rom, New York lief, gefolgt von seinen Mannequins mit den launenhaften Gesichtern. Und fast verwegen fühlte sich Amanda, als ihr der Gedanke kam, dass auch sie selbst sich solche Reportagen wünschte. Sie würden davon schreiben, wie sich eine Frau ins richtige Licht rücken konnte. Worauf es ankam, war das Heben des Kopfes, und zwar immer ein bisschen höher als normal. Dann gelang der Auftritt selbst im Kittel. Kommen wir ins Geschäft, Karl, dachte Amanda. Es würde kein leichtes Gespräch für sie werden in seiner Schneiderei, das ahnte sie. Auf jeden Fall aber sollte er am Ende durch die Zähne pfeifen und sagen: »Du bist mit allen Wassern gewaschen.« Ja, Karl, lass uns über Schönheit reden, du und ich. Über die schicken Frauen, die auf zehn Millimeter hohen Absätzen stöckeln, auf Pumps, die ich niemals tragen würde, weil meine Mutter zu oft gesagt hat, einem Trampel wie mir läge der Fuhrmannsschritt in den Genen. Lass uns auch darüber reden, wie die schicken Frauen aussehen, wenn sie barfuß sind, abgeschminkt und mit verquollenen Augen nach dem Aufwachen in ihren Tag starren, hoffend auf die Liebe vom Ehemann, auf ein bisschen Anerkennung von irgendwoher, wenn Sorgen und Ängste auch ihren Blick trüben. Lass uns reden, Karl! Was bliebe, wären die schicken Frauen nackt und schutzlos und ohne deine Kleider. Was, Karl, wäre dann?
Mit diesen Gedanken setzte sich Amanda auf eine Parkbank und zeichnete ihre Ideen. Sie nahm das Geschmücke weg, strichelte die Natürlichkeit, holte mit Bleistiftlinien hervor, was sich unter Hüten, Seidentüchern und falschen Zöpfen verbarg - die Frechheit auf der Stirn, den Humor in den Augen, die Klugheit in den Mundwinkeln, den Schalk im Nacken, die Würde in der Brust. Sie schenkte den Frauen andere Frisuren, solche, die mit ein wenig Wuscheln und Schütteln in Form fielen, die nicht versuchten, einer kleinen Gestalt mehr Länge zu geben oder hageren Wangen mehr Fülle. Mal herrisch, mal lasziv, mal mit einer Schläue im Blick brachten die Frauen im Skizzenbuch das Gegebene zum Leuchten. Irgendwo zwischen Wahrheit und Täuschung...
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