Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
2014
André wartete an der Theke.
Er ließ seinen Blick im Bistro umherwandern. Es stimmte, was Claire neulich gesagt hatte: hier, im »Chez Bruno« war die Zeit stehen geblieben. Seit einem Vierteljahrhundert dieselben dunklen Holzstühle mit den speckigen runden Rückenlehnen, die an den Kanten von Jahr zu Jahr heller wurden, der alte Spielautomat neben der Tür, den kaum noch jemand benutzte, derselbe mosaikähnliche Fliesenboden mit dem braun-bunten Muster, wie es in der Region üblich war und der im Laufe der Jahre zahlreiche Risse bekommen hatte, die kleinen wackeligen Marmortische mit dem schwarzen Eisengestell, bei denen die meisten Tischplatten einen Sprung hatten. Nur der Kalender der örtlichen Feuerwehr war, wie jedes Jahr, ausgetauscht worden und auch das Poster der Rugbymannschaft war neu. Ebenso das eingerahmte Foto des alten Besitzers, der vor einem Monat erschossen in den Weinbergen aufgefunden worden war.
»Noch einen, André?«, fragte Bruno, der Wirt, als Claire ihren getunten 2CV direkt vor der Eingangstür parkte und sich beim Eintreten die Regentropfen von der Jacke klopfte.
»Bonjour copinette«, begrüßte André seine alte Freundin und drückte ihr zwei herzhafte Küsschen auf die Wangen. »Wie siehst du denn aus?«
»Wie immer«, schmunzelte sie, und es stimmte. Abgesehen davon, dass sie in den letzten beiden Jahre etwas pummeliger geworden war und sich in ihre dunklen Locken ein paar Silberfäden eingeschlichen hatten. Die Trauer in ihren Augen war verschwunden und manchmal konnte sie wieder herzhaft lachen, so wie früher, bevor sie von Markus betrogen und verlassen worden war.
»Puh, über Béziers geht gerade ein gewaltiger Platzregen nieder. Meine Scheibenwischer haben es kaum mehr geschafft. Bestellst du mir bitte einen Muscat?«, bat sie und verschwand in Richtung Toilette.
Bruno schenkte André einen Schluck Pastis nach, le ›petit jaune‹, wie der Anisschnaps bei den Einheimischen im Süden hieß, und füllte für Claire einen Muscat in eines der typischen, bauchigen kleinen Weingläser.
»Hast du gehört«, sagte er zu André, »in Cuxac füllen sie vorsichtshalber schon Sandsäcke. Wenn es weiter so regnet, steigt die Aude, und wenn der Wind weiter das Wasser vom Meer in die Mündung zurückdrückt, sagt die Météo ein Hochwasser mit noch nicht absehbaren Folgen voraus. Dann haben wir die gleiche Sauerei wieder wie schon mal. Quelle merde!«
Claire kam mit hochgesteckten Haaren zurück. »Komm, wir setzen uns ans Fenster«, schlug sie vor.
»Warum sollte ich dich denn nicht zu Hause besuchen, um etwas zu besprechen?«, wollte André wissen.
Claire senkte die Stimme: »Weil sie wieder da ist.«
»Sie?«
»Na, Joëlle!«
André sah sie etwas verständnislos an. »Was hat sie denn gegen mich?«
»Gar nichts, mon vieux. Es geht um deinen Vater.«
»Aber mit dieser alten Geschichte habe ich doch nichts zu tun! Also, wenn ich dich jetzt nur noch im Bistro treffen darf, bloß um Joëlle nicht bei dir zu begegnen, das finde ich schon sehr seltsam.« André klang irritiert.
»Ach was, du Kindskopf! Es gibt da ein paar Dinge, die du jetzt wissen musst. Aber solange Joëlle bei mir zu Hause ist, riskiere ich, dass sie mithört, und das will ich vermeiden. Aus dem gleichen Grund wollte ich auch nicht zu dir kommen, damit Victor nichts mitkriegt. Ich fürchte, die Vergangenheit holt ihn wieder ein!«
»Du machst es aber spannend, copinette. Seit wann ist Joëlle denn eigentlich hier?«
»Seit letzter Woche und sie wird hierbleiben.«
»Oh«, entfuhr es André. »Das kann ja heiter werden!«
»Hör zu, wir müssen uns etwas überlegen. Joëlle möchte auf gar keinen Fall, dass Victor erfährt, wer in all den Jahren sein Hauptabnehmer in England war. Schließlich machte das einen beachtlichen Teil eures Exportumsatzes aus.«
»Ach, da sehe ich keine Gefahr.« André winkte ab. »Schließlich ist Joëlle nie unter ihrem richtigen Namen auf den Geschäftspapieren aufgetaucht und Vater hat bis heute keinen blassen Schimmer, wem die Importfirma tatsächlich gehört.«
»Gehört hatte, mon cher. Hatte. Joëlle hat die Firma kürzlich verkauft.
»Ja, du hast am Telefon so etwas angedeutet, aber jetzt rede mal Klartext.«
»Sie will wieder hier in ihrer alten Heimat leben, das ist alles. Sie hat die Firma und das Restaurant in London verkauft und wohnt jetzt so lange bei mir, bis sie ein passendes Haus für sich gefunden hat. Am liebsten irgendwo zwischen Béziers und Narbonne, vielleicht im La Clape, wo sie Platz für ihre Pferde hat.«
»Hat sie die Viecher von England mitgebracht?«
»Noch nicht, erst muss sie mal ein entsprechendes Anwesen finden. Und bitte sag nie mehr Viecher, und schon gar nicht, wenn Joëlle dabei ist. Es sind Araber, edle Zuchtstuten und Hengste, die ein Vermögen wert sind.«
»Und wie soll es jetzt weitergehen?« André nahm einen Schluck Pastis und fuhr sich durch die hellbraunen, zerzausten Locken, die er ebenso wie seine drahtige Gestalt und seine wasserblauen Augen, die in der Gegend so selten waren, von seinem Vater geerbt hatte. »Es wird nicht zu vermeiden sein, dass sie ihm irgendwann mal wieder vor die Füße läuft.«
»Du meinst, vor einen Fuß.«
»Über so was macht man keine Witze! Dass sie sich irgendwo begegnen werden, lässt sich auch gar nicht verhindern, andererseits sind die beiden erwachsene Leute und für sich selber verantwortlich. Aber ich will auch nicht, dass ich bei unseren Festen künftig Victor nicht mehr einladen kann, nur weil Joëlle ihm aus dem Weg gehen will, und für Joëlle gibt es keinen Grund, sich von den Familienfesten fernzuhalten, weil Victor dabei sein wird. Es ist eine verzwickte Geschichte, selbst nach so langer Zeit.« André ergriff Claires Hand. »Hör mal, wir sind Freunde, solange ich denken kann. Wir haben zusammen gearbeitet, zusammen gefeiert und in unseren ganz schlimmen Zeiten zusammen getrauert und geweint. Ich werde nicht zulassen, dass sich daran irgendetwas ändert, nur weil Joëlle jetzt wieder aufgetaucht ist. Und deswegen werden wir uns etwas einfallen lassen, d’accord copinette? Lass mich nachdenken und komm am Sonntag auf die Domaine, da ist Victor weg, um mit dem Partnerschaftskomitee die ganze Logistik für die Festivitäten in Heilbronn vorzubereiten. Es sind immerhin 1.200 Kilometer, die zwischen Béziers und Heilbronn liegen.«
DU!
Mein Liebstes!
DU müsstest morgens an meiner Seite den Sonnenaufgang über unserem Zypressenhain erleben.
In Deinen Locken müssten sich die frühen Sonnenstrahlen verfangen und Deine Augen müssten im Morgendämmern glitzern, in Deinem wundervollen Körper könnte ich mich auch im tageshellen Licht ohne jegliche Scham verlieren.
Doch ich bin gebunden und habe es nicht besser verdient. Es ist wie ein ständiger Stachel im Fleisch.
Es fühlt sich an wie Wundbrand.
Du bist tausend Kilometer entfernt von mir und es kommt mir vor, als wärst Du auf einem anderen Stern.
Unerreichbar.
Ich hoffe, es geht Dir gut, dort, wo Du jetzt bist.
Es goss in Strömen, als André Claires 2CV in seine Hofeinfahrt einbiegen sah. Nicht einmal seine Hunde wollten bei diesem Wetter raus, das nun schon über eine Woche andauerte. Claire trug Gummistiefel und hatte ihre Mütze tief ins Gesicht gezogen. Sie schüttelte sich wie ein nasser Pudel, als sie im Flur stand.
»Mach mir bitte einen Kaffee und gib ein Schlückchen Chupito hinein, mir ist eiskalt.«
Sie kam selten unangemeldet, es musste wohl etwas Außergewöhnliches sein, was sie so früh auf die Domaine trieb. Und dass sie einen Chupito verlangte, jenen hochprozentigen Kräuterschnaps, den seine spanischen Arbeiter selbst ansetzten, war noch außergewöhnlicher.
Er griff nach dem dunkelblauen, karierten Handtuch, das an der Flurgarderobe hing, und reichte es ihr.
»Danke. Die Deiche entlang der Aude sind durchweicht, das heißt, es wird wahrscheinlich Hochwasser geben«, sagte Claire.
Es hatte schon einmal ein verheerendes Hochwasser gegeben, 1999. Damals war die gesamte Ebene im Großraum Béziers-Narbonne überschwemmt worden, bis zu zwei Meter hoch standen viele Häuser im Wasser. Auch sein Weingut, die Domaine D’Ausselles, hatte es damals, wie die meisten anderen in der Region, schwer getroffen. Der Weinkeller und das Erdgeschoss standen unter Wasser. Die neuen Barriquefässer, in denen sich die kurz zuvor eingebrachte Ernte befand, wurden von den Wassermassen hochgehoben und kippten um. Eine einzige rote Brühe bedeckte fast einen Meter hoch den Boden des Kellers. Victor und André hatten große Hoffnungen in diesen Jahrgang gesetzt und in einer Nacht war alles vernichtet, bis auf das, was sich in den sicheren Stahltanks befand.
»Joëlle redet schon seit Tagen um den heißen Brei herum«, fuhr Claire fort und tupfte sich die Regentropfen vom Gesicht. »Sie hat ihr Gestüt letzten Monat verkauft und möchte ihre Araber nun so schnell wie möglich von England hierherbringen. Ihre zwei Lieblingspferde hat sie schon vorübergehend bei mir stehen. Ich habe aber auf Dauer keinen Platz dafür und es ist schwierig, auf die Schnelle eine Koppel zu finden. Meinst du, dein Vater wäre einverstanden, wenn wir die Pferde bei euch unterbringen, bis der Vertrag für das Gehöft in Octon geregelt ist? Du weißt, die Erben sind sich noch nicht einig.«
»Eh bien, copinette, möglich...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.
Dateiformat: PDFKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Das Dateiformat PDF zeigt auf jeder Hardware eine Buchseite stets identisch an. Daher ist eine PDF auch für ein komplexes Layout geeignet, wie es bei Lehr- und Fachbüchern verwendet wird (Bilder, Tabellen, Spalten, Fußnoten). Bei kleinen Displays von E-Readern oder Smartphones sind PDF leider eher nervig, weil zu viel Scrollen notwendig ist. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.