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Mein Vater, das Haar in der Mitte gescheitelt, selbstsicher und stolz, war Bester seines Jahrgangs gewesen. Als brillanter Außenseiter mit mathematischer Begabung und einem enormen Gedächtnis schloss er knapp vor einem Rivalen ab, dessen Vater im Jahr 1886 Bester gewesen war.
Das College war West Point, und er war auch als Erster seines Jahrgangs zum Captain ernannt worden, obwohl ich mir das nicht so leicht vorstellen konnte. Auf jeden Fall gehörte sein Ruhm, als ich ein Junge war, bereits der Vergangenheit an. Er hatte die Armee nach ein paar Jahren verlassen, und es gab nicht viel, was an seine Militärzeit erinnerte. Ein Paar Reitstiefel, einige Jahrbücher und im Schrank einen Offizierssäbel, in dessen Klinge Name und Rang eingraviert waren.
Einmal im Jahr lag morgens eine wunderschöne Medaille an einem schwarz-grau-goldenen Band auf der Kommode. Es war ein Namensschild von dem Dinner der Mitglieder seines Jahrgangs in West Point im Waldorf Astoria am Abend zuvor. Er ging gerne dorthin; sie wurden gegen Ende des Winters abgehalten, und er war dort eine anerkannte Person und mehr oder minder bewundert. George Horowitz, 1919 stand auf der weißen Karte am Kopf des Bandes. Seinen ersten Vornamen, Louis, mochte er nicht.
Als ich älter war, nahm er mich zu Footballspielen mit, die wir während des letzten Viertels verließen. Das Army-Team war eine schwache, aber hart gesottene Mannschaft, die ins Yankee Stadion kam, um gegen Notre Dame zu spielen. Die Tribüne hinter uns war eine einzige graue Masse, heiser vom Brüllen, und ein Getöse erhob sich, als ein Halfback, dünnbeinig und wendig, irgendwie die Verteidigungslinie von Notre Dame durchbrach und quer über das Feld unglaubliche achtzig Yards zurücklegte, bis er schließlich zu Fall gebracht wurde. Wenn er durchgekommen wäre, hätte das Team der Army gewonnen.
Am Ende ging ich wie mein Vater nach West Point. Ich hatte es nie vorgehabt. Er hatte für mich eine Bewerbung als zweiter Ersatzkandidat arrangiert und mich gebeten, ihm zuliebe für die Aufnahmeprüfung zu lernen - es war der Frühling des Jahres 1942. Ich war an der Stanford University angenommen worden und arbeitete während des Sommers auf einer Farm in Connecticut, schlief auf einer bloßen Matratze auf dem brütend heißen Dachboden, träumte vom Leben an der Küste, als mich plötzlich ein Telegramm erreichte. Es war unglaublich, aber sowohl der eigentliche Kandidat als auch der erste Ersatzmann waren durchgefallen, einer bei der körperlichen Untersuchung, der andere bei der schriftlichen Arbeit, und nun teilte man mir mit, dass ich aufgenommen war. Ich wusste, was sich mein Vater mehr als alles andere von mir wünschte. Siebzehn, eitel und durch Gedichte verdorben, bereitete ich mich auf den Eintritt in ein fernes West Point vor. Ich würde, hoffte mein Vater, dort so erfolgreich sein wie er.
* * *
Mitte Juli gingen wir in einer Gruppe vom Bahnhof die steile Straße hinauf. Ich kannte niemanden. Wie die anderen trug ich einen kleinen Koffer, in den die Sachen gepackt waren, die ich jahrelang nicht mehr sehen würde. Wir kamen an großen stillen Gebäuden vorbei und überquerten unter tief hängenden Ästen eine Straße. Ein paar Minuten später, nachdem wir ein Einwilligungspapier unterschrieben hatten, standen wir in der Eingangshalle in einer unordentlichen Reihe und versuchten uns einen Satz einzuprägen, den wir sagen mussten, wenn wir dem First Cadet Sergeant Meldung machten. Er musste laut und exakt ausgesprochen werden. Wenn man es falsch machte, musste man wieder hinaus und sich hinten in der Reihe neu anstellen. Man hörte unentwegt lautes Rufen und hinter der Kasernentür einen bedrohlichen Lärm, der anschwoll, wenn die Tür geöffnet wurde, wie das Grummeln eines Ofens. Der Lärm kam aus dem Innenhof. Upperclassmen, die Studenten der beiden obersten Klassen, stießen immer wieder ihre Befehle hervor, manche bellend, andere flüsternd, andere zischend wie Schlangen, während sie vor den nervösen Neuankömmlingen auf und ab stolzierten. Die waren noch in Zivil, aber es war ihnen bereits untersagt, irgendwo anders hin als geradeaus zu blicken. In Grundstellung standen sie da. Die Luft war aufgeladen. Die Hitze troff herab.
Ich war an einen Ort gekommen wie Joyces Clongowes Wood College, das ihn vor Angst hatte erschauern lassen. Es gab dieselben dunklen Eingänge, die gotischen Fassaden, die runden krenelierten Bastionspfeiler, die gefängnisartigen Fenster. Davor war eine weite freie Fläche, der Exerzierplatz, »die Ebene« genannt.
Es war eine harte Schule, eine Schmiede. An diesem ersten Tag trat man in ein Inferno. Forderungen, viele davon unverständlich, prasselten auf einen herab. Immer in rigider Grundstellung, das Haar frisch gestutzt, mit eingezogenem und zitterndem Kinn, von ungesehenen Stimmen angeschrien, standen oder rannten wir wie Insekten von einem Platz zum nächsten, zwei oder drei Mal zur Kleiderkammer, und kamen mit Türmen von Kleidern und Ausrüstung zurück. Manche hatten den Mut, es sofort hinzuwerfen, andere gaben langsam auf. Einer kehrte vom dritten Gang zur Kammer nicht wieder zurück, er war einfach weitergegangen, eine Meile weit zum Tor und hinaus. An diesem Nachmittag formierten wir uns in neuen Uniformen und marschierten zum Trophy Point, um vereidigt zu werden.
Es sind die Geräusche, an die ich mich erinnere, das eiserne Orchester, die Stiefel auf der Treppe, die klirrenden Glocken, das Brüllen, Rufe, Jawohl. Nein, ich weiß es nicht, Sir! Das Krachen von sechzig oder siebzig Gewehrkolben, die fast zur gleichen Zeit auf den Boden schlugen. Das Leben bestand aus ängstlichen Minuten, ständigem Herumrennen, Aufstellen. Zu den Dingen, die ich nicht kannte, gehörten der Drill und die Handhabung von Waffen. Viele der anderen Kadetten, die von den »Zinnschulen«, wie sie sie nannten, kamen oder bei der Nationalgarde gewesen waren, kannten das alles und sogar die Sprüche, die wir auswendig lernen mussten, Antworten auf triviale Fragen, Wendungen, die noch aus der Zeit des mexikanischen Kriegs stammten. Wie viel Gallonen Wasser befanden sich im Staubecken, wie viele Namen stehen auf dem Kriegsdenkmal, was hat Schofield gesagt, was ist die Definition von Leder? Wir mussten sie Wort für Wort herunterrasseln.
Alles war Tradition, die Sprache, der graue Wollstoff, der hohe schwarze Kragen der Ausgehuniform, die gestärkten weißen Hosen, in die man auf einem Stuhl stehend hineinstieg. Das Corps hatte im Sommer immer in Zelten auf der Ebene kampiert, unter Leinendächern, auf den Wegen Laufbretter - das Sommercamp mit seinen brüderlichen Schnappschüssen von älteren Kadetten, die lässig an Zeltstangen lehnten; dies gehörte zu den wenigen Dingen, die es nicht mehr gab. Es gab das Ehrensystem, von dem wir gleich zu Anfang erfuhren, das eher Sache der Kadetten selbst als der Vorgesetzten war und das als schwerste Strafe das »Totschweigen« vorsah. Jemand, der sich eines Verstoßes schuldig gemacht hatte und sich weigerte, das Corps freiwillig zu verlassen, wurde totgeschwiegen, nur noch dienstlich sprachen andere Kadetten mit ihm. Er musste ein Einzelzimmer beziehen und wurde nicht mehr beachtet, außer etwa auf einem Ball - wenn er erschien, verließen alle anderen die Tanzfläche, und man ließ ihn, das Mädchen und das Orchester allein. Selbst bei Vergnügungen stand er unter Quarantäne.
West Point war ein Bollwerk der Tradition, sein Name ein Markenzeichen. Es zog ehrliche, protestantische, oft vom Lande kommende und größtenteils unkomplizierte Männer an - obwohl es dort auch Persönlichkeiten wie Poe, Whistler und sogar Robert E. Lee gegeben hatte, der später sagte, die Militärlaufbahn einzuschlagen sei der größte Fehler seines Lebens gewesen.
Ich erinnere mich an das Schwitzen, die Hitze und den Durst, die Seligkeit, unerlaubterweise in langen Zügen am Wasserspender zu trinken. Bei den Paraden, es waren drei oder vier in der Woche, schwebte die Musik der Kapelle über dem Dröhnen der Stiefel und der Gewehrkolben. Das alles schien Teil einer anderen, entlegenen Welt. Man hatte das Gefühl, sich auf einer hoffnungslosen Reise zu befinden, in einem Exil, das Jahre dauern würde. In der Ferne sah man Frauen in leichten Sommerkleidern mit Offizieren spazieren gehen und das schöne Haus des Superintendenten, weiß strahlend und spielzeughaft klein. In der glühenden Sonne beginnt jemand im nächsten Glied oder direkt neben einem zu schwanken, macht unfreiwillig einen Schritt und fällt wie ein geschlagener Boxer vornüber. Gewehre liegen am Boden. Anschließend geht der diensthabende Offizier zwischen ihnen herum, als wären es Leichen auf einem Schlachtfeld, und notiert die Seriennummern.
Rums! fliegt die Tür auf. Wir springen auf die Beine. Herablassend, mit durchgedrücktem Kreuz und weißen Handschuhen, schlendert ein Cadet Sergeant namens Melton ins Zimmer. Er beäugt uns. »Und die Namen, meine Herren! Reden Sie!« befiehlt er. Er wendet sich den Spinden zu, an denen wir in Erwartung der Inspektion Stunden gearbeitet haben. Alles hat sein Fach, seinen Platz, die Falten sind sauber und scharf, die Unterhemden sehen wie Papierstapel aus, die steifen Leinenmanschetten, die schwarzen Socken.
»Wessen Spind ist das hier?« fragt er...
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