Kapitel 2
Das Plastik-Problem
Weltweit wird heute 250-mal mehr Plastik produziert als 1950. Waren es seinerzeit nur gut 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr, lagen wir 2019 schon bei 375 Millionen Tonnen. Ende 2019 wurden geschätzte zwei Drittel dieses Plastiks als Müll entsorgt; ein großer Teil davon gelangte in den Boden und ins Wasser. Uns wird zunehmend bewusst, wie Plastikmüll unsere Umwelt schädigt. Den Müll haben wir direkt vor Augen, doch Plastik verschmutzt die Umwelt auch auf weniger sichtbare, aber genauso alarmierende Weise. In diesem Kapitel geht es um die Frage, wie die Herstellung und Entsorgung von Plastik zur Verschmutzung von Wasser und Luft und zum Klimawandel beiträgt.
CO2-Emissionen
Über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg setzt Plastik klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) frei. Laut einer Analyse verursachten Herstellung und Entsorgung von Plastik allein 2015 einen Ausstoß von 1,7 Milliarden Tonnen - das sind 3,8 Prozent des gesamten Kohlendioxids, das in diesem Jahr freigesetzt wurde. Das ist fast das Doppelte der Emissionen, die die Luftfahrtindustrie produziert. Wäre Plastik ein Land, wäre es der fünftgrößte CO2-Emittent der Welt.
Es ist davon auszugehen, dass künftig noch mehr Plastik produziert wird. Wenn es im gleichen Tempo wie bislang weitergeht, könnte der Anteil der durch Plastik verursachten CO2-Emissionen 2050 weltweit auf 15 Prozent steigen. Dies könnte unsere Klimaziele ernsthaft zunichte machen. Ein weiterer, riesengroßer Faktor und mitverantwortlich für eine der größten Umweltkrisen unserer Zeit ist übrigens die Nahrungsmittelverschwendung. Sie steht an dritter Stelle der größten CO2-Emittenten.
Im Rahmen des CO2-Budgets bleiben
Das CO2-Budget gibt an, wie viel Kohlenstoff in die Atmosphäre entweichen darf, ohne dass die globale Erwärmung eine festgelegte Schwelle überschreitet. Seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert ist die Durchschnittstemperatur auf der Erde um 1 °C gestiegen. Im Rahmen des Pariser Abkommens hat sich die Weltgemeinschaft darauf verständigt, die globale Erwärmung auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Vorher hatte man sich nur auf einen Temperaturanstieg von maximal 2 °C einigen können, doch was kann ein halbes Grad weniger tatsächlich bewirken? Laut zahlreichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sehr viel.
Immerhin sind alle sich einig, dass das 1,5-Grad-Ziel nur schwer zu erreichen ist, vor allem, wenn wir uns nicht unabhängiger von Plastik machen.
Was wäre, wenn die Erderwärmung 0,5 °C weniger hoch ausfiele?
10.000.000 weniger Menschen würden ihr Zuhause verlieren.
50 Prozent weniger Menschen litten unter Wassermangel.
50 Prozent weniger Arten würden ihren Lebensraum verlieren.
Der Lebenszyklus von Plastik lässt sich in drei große Abschnitte unterteilen: Herstellung, Verarbeitung, Entsorgung.
Während des Lebenszyklus von Plastik verursachte Emissionen
Die Herstellung von Kunststoff
Die Herstellung selbst ist für insgesamt 1.085 Megatonnen (Mt) bzw. 61 Prozent der durch Plastik verursachten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Ein bedeutender Teil davon entsteht bei der Gewinnung und beim Transport der Rohstoffe: etwa durch die Freisetzung von Methan, beim Verbrauch von Energie für Öl- und Gasbohrungen sowie für die Rodung von Wäldern und Ackerflächen für Pipelines und Bohrfelder.
Ist Öl gleich Öl?
Wussten Sie, dass bei der Erdölförderung je nach Quelle sehr unterschiedliche Mengen CO2 freigesetzt werden? 2015 kamen Forschende, die 30 unterschiedliche Arten von Rohöl untersuchten, zu dem Schluss, dass die Kohlenstoffintensität von Öl pro Barrel um 80 Prozent variieren kann. Sie fanden beispielsweise heraus, dass Ölsand, eine Mischung aus Sand, Wasser und Teer, die in Westkanada abgebaut wird, viel kohlenstoffintensiver ist als herkömmliches Öl.
Auch die Raffination des Rohstoffs und seine Umwandlung in Kunststoff sind energie- und emissionsintensiv. In den USA z. B. setzten 24 Ethylenanlagen, die Ethan zu Ethylen cracken, 2015 17,5 Megatonnen CO2 frei. Das entspricht dem Ausstoß von 3,8 Millionen Autos. Weltweit emittieren Crackinganlagen bis zu 213 Megatonnen CO2 - so viel wie 45 Millionen Autos.
Dieselbe Studie, die die CO2-Emissionen während des Lebenszyklus von Plastik untersuchte, beschäftigte sich auch mit der Frage, ob unterschiedliche Kunststoffe unterschiedlich viel CO2 ausstoßen. Das Ergebnis: Die Produktion von Polyester, Polyamid und Acryl (in der Studie als PP&A bezeichnet) verursacht die höchsten CO2-Emissionen - was verdeutlicht, wie sehr die Textilindustrie der Umwelt schadet. Auch bei der Herstellung von Polyolefinen wie Polypropylen (PP), Polyethylen mit niedriger (LDPE) bzw. hoher Dichte (HDPE) werden bedeutende Mengen CO2 freigesetzt.
Verarbeitung
Bei der Verarbeitung von Rohkunststoff zu Plastikwaren werden 535 Megatonnen CO2 freigesetzt (das sind 30 Prozent der auf den Lebenszyklus von Plastik entfallenden CO2-Emissionen). Der größte Teil entsteht bei der Erzeugung von Energie, die notwendig ist, um Rohplastik in all die Tüten, Dosen und Textilien zu verwandeln, die wir tagtäglich benutzen. Auch hier sind die PP&As die größten Emissionstreiber.
Maßeinheiten: Tonne - Megatonne - Gigatonne
Maßeinheit
Entspricht
Wie viele Blauwale?
Tonne (t)
1.000 Kilogramm
Ein Blauwal wiegt bis zu 150 Tonnen
(150.000 Kilogramm)
Megatonne
1 Milliarde Kilogramm
1 Mt = 1.000.000 Tonnen
Über 6.000 Wale
Gigatonne (Gt)
1 Billion Kilogramm
1 Gt = 1.000 Megatonnen
Über 6 Millionen Wale
Das Plastikgranulat-Problem
Beim Stichwort Plastikmüll denken wir in erster Linie an weggeworfene Gegenstände und Verpackungen: Wir trinken Wasser aus einer Plastikflasche und werfen sie weg, ohne uns groß den Kopf darüber zu zerbrechen, wo sie am Ende landen wird. Doch Plastikmüll kann auch bei der Herstellung und Verarbeitung von Plastik entstehen, was sich am Beispiel von Nurdles eindrücklich demonstrieren lässt.
Dieses Kunststoffgranulat wird als Rohstoff für die Herstellung zahlreicher Plastikwaren rund um die Welt befördert. Die winzigen, kaum erbsengroßen Pellets sind ungefähr 20 Milligramm leicht und können in großen Mengen in die Umwelt entweichen. Über 250.000 Tonnen davon gelangen jährlich in die Ozeane. Umgerechnet sind das über 11 Billionen Pellets, die an Stränden, im offenen Wasser und dann in den Mägen von Wassertieren landen.
Das Granulat findet sich praktisch überall. So berichteten 28 von 32 im Rahmen einer Studie untersuchten Ländern von der Verschmutzung ihrer Strände durch Plastikgranulat. Doch wie viele dieser Teilchen an die Küsten gespült werden, ist abhängig von Windmustern, Meeresströmungen und der Entfernung zwischen Küste und Produktionsstätte. In Texas z. B. ist die Verschmutzung der Küste durch Plastik zehnmal so hoch wie in allen anderen US-Staaten am Golf von Mexiko. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass 46 Unternehmen in Texas Kunststoffe herstellen dürfen.
Die Verschmutzung durch Nurdles ist ein ernsthaftes Problem, weil das Granulat leicht Chemikalien aus dem Wasser absorbiert. So haben Forschende herausgefunden, dass es giftige Chemikalien wie DDT aufnehmen kann, ein Pestizid, das sich im Fettgewebe von Tieren anreichert und als mutmaßlich krebserregend bei Menschen gilt. Auch polychlorierte Biphenyle (PCB), hochgiftige, industriell synthetisierte Stoffgemische, werden absorbiert, ebenso wie Quecksilber, ein Nervengift, das auch den Magen-Darm-Trakt angreift. Wenn Meerestiere Plastikgranulat schlucken, gehen nicht nur die Chemikalien in ihren Organismus über. Auch die Mägen der Tiere füllen sich mit Plastik, sodass ihre Verdauung blockiert wird und sie schließlich verhungern.
Doch warum sollten Tiere Plastik fressen? Erstens: Nurdles sehen aus wie Fischeier, eine Lieblingsspeise vieler...