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Gesetzliche und andere formale Regelungen werden nicht immer wortwörtlich umgesetzt. Obwohl das Bundessozialgericht (BSG) seit Jahrzenten eine wortwörtliche Auslegung fordert und keinen Spielraum für Interpretationen sieht, sieht die Wirklichkeit anders aus.
Ein Ärgernis für die handelnden Personen im Gesundheitswesen (und nicht nur dort) war in der rezenten Vergangenheit die in Teilen willkürlich anmutende Rechtsprechung des 1. Senats des BSG. Einige Beispiele für »Richterrecht« bei Krankenhausleistungen werden hier erläutert.
Wie so oft ist eine banale Frage bei näherem Hinsehen doch nicht so banal, wie wir dachten. Im Krankenhaus werden nicht nur akutstationäre Behandlungen durchgeführt. Es gibt ambulante Behandlungen, vor- und nachstationäre Fälle, manchmal sogar Rehabilitationsbehandlungen, und nicht zu vergessen die Psychiatrie und Psychosomatik.
§ 39 SGB V ist die zentrale Norm, wenn es um die Definition von Krankenhausbehandlung geht (§ 40 SGB V beschreibt übrigens die Reha-Behandlung). In § 39 Abs. 1 wird beschrieben, welche Behandlungen es gibt und dass die akutstationäre Behandlung erst erlaubt ist, wenn alle anderen Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind.
Genau genommen wird die Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär (§ 115a SGB V) sowie ambulant (§ 115b SGB V) erbracht. Versicherte haben Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.
Im Weiteren wird in § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB V geregelt, was genau eine akutstationäre Behandlung beinhalten muss:
»Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind, insbesondere ärztliche Behandlung (.), Krankenpflege, Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, Unterkunft und Verpflegung; die akutstationäre Behandlung umfasst auch die im Einzelfall erforderlichen und zum frühestmöglichen Zeitpunkt einsetzenden Leistungen zur Frührehabilitation.«
§ 39 SGB V ist noch sehr viel umfassender, insbesondere geht es ausführlich um das Thema Entlassmanagement; für die Zwecke des vorliegenden Buches sollten die o. g. Ausführungen aber zunächst ausreichen. Eine Definition des Begriffs »stationäre Krankenhausbehandlung« findet sich damit nicht, sondern nur eine Leistungsumschreibung. Diese Leistungsumschreibung reichte in der Vergangenheit aus, um stationäre Leistungen von ambulanten Leistungen abzugrenzen, weil ambulante Operationen in der Praxis eines niedergelassenen Arztes praktisch nicht möglich waren. Erst mit der ernsthaften Umsetzung des AOP-Katalogs (der aus 1993 stammt) und der Etablierung von ambulanten Operationszentren und MVZs wurde das Thema brisanter.
Eine Handreichung hat der Gesetzgeber dann doch noch gegeben: In der amtlichen Begründung zum Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) ist zur Abgrenzung einer akutstationären von teilstationärer und ambulanter Behandlung definiert: »die physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses«53. Diesen Terminus lesen wir oft in Gutachten des MD. Allerdings ist der Text kaum als Definition brauchbar: Was ist denn genau das »spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses«, und was muss passieren, damit ein Patient dort eingegliedert ist?
Da der Gesetzgeber sich zu diesen Fragen bis heute zurückhält, blieb es den Gerichten überlassen, »stationär« präziser zu definieren.
Im Jahr 2004 sprach der 3. Senat des BSG ein Grundsatzurteil, das als »Weisheitszahn-Urteil« bekannt wurde54 ( Kap. 4.5.3). Erstmals führte der Senat aus, dass die folgenden Merkmale nicht (mehr) automatisch eine akutstationäre Behandlung definieren:
die Durchführung einer Operation
Vollnarkose (übrigens auch keine Spinal-Anästhesie)
postoperative Überwachung über mehrere Stunden
Unterschrift des Patienten auf einem Behandlungsvertrag
Vorliegen einer stationären Einweisung (übrigens ist das Fehlen einer Einweisung kein Hinderungsgrund für die Abrechnung als stationäre Behandlung!55)
Stattdessen beschreibt das Gericht ausführlich und gut nachvollziehbar, wann und wie eine Eingliederung im Versorgungssystem Krankenhaus vollzogen wird. Hier etwas verkürzt dargestellt:
Ein Patient ist akutstationär aufgenommen, wenn er im Krankenhaus verbleibt und der ärztliche Behandlungsplan eine Aufnahmedauer von mindestens einem Tag und einer Nacht vorsieht.
Dabei werden einige wichtige Anmerkungen (»Obiter Dicta«) gemacht, die diese Regel weiter präzisieren sollen:
Wenn eine Krankenhausbehandlung ambulant begonnen wird und wegen unerwarteter Probleme/Komplikationen in eine stationäre Behandlung überführt wird, ist die Behandlung insgesamt als akutstationär zu bezeichnen.
Wenn eine Behandlung über Nacht geplant wird, aber auf Betreiben des Patienten früher abgebrochen wird, handelt es sich trotzdem um eine stationäre Behandlung.
Der Unterschied zwischen einer ambulanten und einer teilstationären Behandlung liegt darin, dass eine teilstationäre Behandlung nur tagsüber stattfindet, aber an mehreren Tagen hintereinander geplant ist.
Das Gericht erwähnt die regelmäßige Dialyse (mehrmals pro Woche) besonders: Diese Behandlung sei wohl als ambulante Behandlung zu betrachten.
Ein weiteres Urteil des 3. Senats beschreibt die wesentlichen Merkmale einer stationären Aufnahme.56 Verkürzt dargestellt:
1. Die Aufnahme in einem Krankenhaus setzt einen Behandlungsplan voraus, der die Behandlung über mindestens einen Tag und eine Nacht vorsieht.
2. Das bedeutet in der Regel die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes, das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen usw.
3. Eine einmal erfolgte physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Krankenhausversorgungssystem kann nicht rückwirkend dadurch entfallen, dass der Patient z. B. gegen ärztlichen Rat auf eigenes Betreiben das Krankenhaus noch am selben Tag wieder verlässt.
Wie Sie sehen, reicht es nicht, wenn der MD ohne weitere Begründung die physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses verneint. Der Behandlungsplan muss zur Prüfung herangezogen werden; dabei können Sie sich auf die genannten Urteile berufen. Das Gericht beschreibt diesen Behandlungsplan übrigens nicht als Dokument, das als Beweismittel vorgelegt werden müsse. Es reicht aus, wenn aus der Dokumentation hervorgeht, dass eine baldige Entlassung nicht vorgesehen war. Ein Vordruck »Behandlungsplan«, den manche Kliniken aufgrund der Rechtslage eingeführt haben, ist nicht unbedingt erforderlich.
Einen Aspekt hat der 3. Senat in der Urteilsbegründung nicht bedacht: Die Notfallbehandlung vital bedrohter Patienten. Wie sind die folgenden Situationen zu beurteilen?
1. Ein Patient kommt unter Reanimationsbedingungen in die Notaufnahme. Die Reanimation wird nach drei Minuten eingestellt.
2. Ein schwer verletzter Patient kommt in die Notaufnahme eines grundversorgenden Krankenhauses. Während der Hubschraubertransport zur Uniklinik organisiert wird, wird der Patient intubiert und beatmet, bekommt Volumen- und Katecholamintherapie, um den Kreislauf zu stabilisieren. Eine heftig blutende Platzwunde wird chirurgisch versorgt. Nach 90 Minuten ist der Patient auf dem Weg zur Uniklinik.
3. Ein Patient sitzt am späten Sonntagabend schon seit drei Stunden in der Notaufnahme. Er »hat etwas im Auge«, seit er ohne Schutzbrille ein Metallstück geflext hatte. Als der...
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